Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag im Kirchenjahr - Ewigkeitssonntag / Gedenktag der Entschlafenen, 22.11.2009

Predigt zu Matthäus 25:1-13, verfasst von Michael Gese

Liebe Gemeinde!

Zu einer Hochzeit sind wir eingeladen! Etwas Wunderbares erwartet uns, sagt Jesus. Dabei ist heute doch Totensonntag! Wir denken an die Verstorbenen, an das, was sie uns bedeutet haben. Für manche ist die Erinnerung an den Abschied noch ganz frisch, für andere liegt alles schon etwas zurück. Und trotzdem: immer wieder neu kann die Wunde der Trauer aufbrechen. Der Totensonntag - ein dunkler und trauriger Anlass mitten im düsteren Monat November.

Wie aber passt das zusammen mit dem Bild der Hochzeit? Jesus malt das, was kommt, nicht in düsteren Farben. Er erzählt mit Freude von einer Hochzeit. Bei dieser Hochzeit dürfen wir unsere Verstorbenen wieder sehen, mit ihnen gemeinsam das Festmahl feiern. Das ist Teil der christlichen Hoffnung. Aber nehmen wir damit nicht den Mund zu voll?

Vorhin haben wir den Psalm gebetet: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden" (Psalm 126,1). Ein wunderbarer Traum, kein Angsttraum, kein Schreckensszenario erwartet uns - im Gegensatz zu den Bildern, die in den Nachrichten um die Welt gehen.

In der letzten Woche hat der Selbstmord des Fußballspielers Robert Enke viele Menschen erschüttert. Es gibt Situationen, in denen ein Mensch nur noch schwarze Nacht sieht. Wie ein Sog zieht es ihn in die Tiefe. Er schafft es nicht, sich dem zu widersetzen. Aber gerade dagegen ist es so wichtig zu wissen, dass über dieser Welt Gottes liebevolle Fürsorge steht. Gott ist da. Keiner kann aus seiner Liebe herausfallen.

Hinter der Welt - so dunkel sie auch sein mag - steht der liebende Wille des Schöpfers. Dieser Schöpfer will nicht, dass wir im Leid stecken bleiben. Ihm geht es um die Verwandlung von Leid und Trauer. Deshalb sagt der Psalm weiter: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben." Tränen als Samenkörner, aus denen die Freude hervorbricht, das ist ein Bild, das zu Herzen geht. Fast zu schön, um wahr zu sein, könnte man denken!

Wer einen Menschen verloren hat, besitzt ein klares Gespür für das, was ehrlich gemeint ist. Gespielte Anteilnahme und falsche Vertröstung sind schnell entlarvt. Doch die Worte dieses Psalms sind keine leeren Versprechungen. Wer in die Tiefe der Trauer hinabsteigen muss, kommt irgendwann an einen Punkt, an dem sich etwas verwandelt. Etwas Neues will aufbrechen. Zunächst noch unscheinbar und verborgen. Aber es drängt ans Licht. Man spürt: da ist ein Keim der Hoffnung entstanden, der die Tränen der Trauer verwandelt.

Nicht umsonst wählt Jesus das Bild von der Hochzeit: Da ist etwas getrennt, das zusammengeführt wird. Das Alte wird nicht einfach verworfen, sondern aus dem Alten entsteht das Neue. Die alte Trauer wird zum neuen Keim des Lebens verwandelt, das bislang Getrennte und Zerrissene zu neuer Einheit zusammengefügt - eben wie bei einer Hochzeit, bei der zwei bislang getrennte Menschen zu einer neuen Einheit zusammenwachsen.

Im Bild der Hochzeit kündigt Jesus aber auch an, was uns nach dem Tod erwartet: Der Bräutigam wird mitten unter uns sein. Darum brauchen wir nicht zu resignieren, wenn wir an das Ende denken. Wir müssen nicht enttäuscht auf das Leben zurückblicken: auf das, was nicht gelungen ist, auf das, was wir vermissen, auf das, was sich zerschlagen hat! „Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegengehn!"

Von zehn Jungfrauen erzählt Jesus. Sie warten auf das große Fest. Alle sind eingeladen. Ob sie nun zu den klugen oder zu den törichten Jungfrauen gehören, ist egal. Beiden gilt die Einladung. So stehen sie da und warten auf den Bräutigam. Im alten Palästina war es nämlich Sitte, dass der Bräutigam zuerst in das Haus der Braut kam. Dort begann die Feier. Mitten in der Nacht brach er auf, um seine Braut heimzuführen in sein Haus und dort weiterzufeiern. Auf diesen zweiten Teil des Festes warten die Jungfrauen.

Doch beim Warten wird ihnen die Zeit lang. Schläfrig werden sie und müde. Sie machen es sich etwas bequem. Passt das nicht auch auf unsere Zeit? Der Glaube ist vielfach müde geworden. Wir haben uns bequem gemacht in dieser Welt. Woran erkennt man noch, dass wir eigentlich Wartende sind?

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Alle wurden schläfrig, die klugen wie die törichten. Das wiederum finde ich tröstlich.

Doch die klugen Jungfrauen haben vorgesorgt. Sie haben Öl dabei, um ihre Lampen auch zu später Stunde am Brennen zu halten. Die törichten dagegen haben keine Vorräte. Aber genau das ärgert mich an diesem Gleichnis! Warum geben denn die Klugen nichts ab? Warum sind sie so geizig und unbarmherzig? Sollte man denn nicht mit den Bedürftigen teilen? Die Frauen sagen: Sie dürfen es nicht sonst reicht es für keinen. Warum? Offensichtlich muss es einen Grund geben, der den Rahmen des Gleichnisses sprengt. Mit dem Öl muss etwas gemeint sein, das nicht so einfach zu verteilen ist.

Das Öl, das die Lampen speist, muss das sein, was unserem Glauben Leuchtkraft gibt, was Wärme spendet und das Herz zum Glühen bringt. Was unserer Seele Glanz verleiht, was Licht und Leben schenkt. Das ist tatsächlich nicht auf andere übertragbar: Die Begeisterung, die Flamme, die sich in einem entzündet. Freude kann zwar ansteckend sein, so wie man die Lampe eines anderen ansteckt. Aber sie ist nicht übertragbar. Ich kann nicht an Stelle eines anderen Feuer und Flamme sein. Die Begeisterung des Glaubens muss in jedem Herzen selber aufleuchten!

Wie aber kann das geschehen? Die Seele nährt sich von dem, woran sie sich freut, sagt ein Sprichwort. Was aber ist das Öl, der Balsam für die Seele?

Heute denken wir an unsere Verstorbenen. Da sind ganz verschiedene Gefühle mit im Spiel. Man kann in Liebe an den Verstorbenen denken. Aber es kann auch Enttäuschung mitschwingen. Ärger kann dabei sein, ja sogar Wut, dass man jetzt so verlassen ist. Alle diese Gefühle umschließt die Trauer. Und manchmal fahren die Gefühle mit einem Karussell. Sie sind da, so wie sie sind. Und sie dürfen da sein.

Aber auf dem Weg der Trauer werden sie sich verändern. Da ist eines wichtig: Dass wir uns nicht abkapseln in Verbitterung über das, was da passiert ist, sondern dass wir bereit sind, uns verwandeln zu lassen. Es geht darum zuzulassen, dass aus den Tränen Samenkörner werden können. Dann kann etwas Neues, Fruchtbares entstehen.

Oder, im anderen Bild gesprochen: die Tränen können zum Öl werden, das die Lampe des Glaubens zum Leuchten bringt.

Immer wieder begegnen mir Menschen, bei denen sich das Negative in Positives verwandelt hat. Aus der Trauer heraus ist etwas Neues entstanden. Plötzlich können sie anderen Menschen in Not beistehen. Was sie durchgemacht haben, wird für sie zur Quelle. Das gibt ihnen die Fähigkeit, Menschen in ähnlicher Situation zu verstehen. Wer es nicht erlebt hat, kann nie so authentisch trösten. So aber können sie Menschen beistehen und begleiten. In ihnen ist ein Öl, das die Flamme im Innern zum Leuchten bringt.

Von diesem Gleichnis sind wir herausgefordert. Nicht, dass wir einen perfekten Glauben nachweisen müssten, der vorbildhaft leuchtet. Damit stünden wir uns nur selbst im Weg mit dem Hang zum Erfolg, zum Perfekten und der Leistung. Nein, wir sind vielmehr gefragt, ehrlich zu unseren Gefühlen zu stehen, die eigenen Grenzen zuzulassen und trotzdem zu vertrauen. Wir brauchen die Bruchstücke des Lebens nicht länger zu verstecken. Wir können der Sehnsucht in uns Raum lassen, der drängenden Erwartung nachgeben, weil wir wissen, dass der Bräutigam kommt. Er ist es, der die wunde Seele heilt, der die Verletzungen verbindet, der uns annimmt, wie wir sind und uns gerade damit verwandelt. Wo wir das zulassen, wird die Flamme im Innern wieder aufleuchten, wird ein Glanz die Dunkelheit erhellen und die Nacht nicht mehr finster sein.

Auf eine Hochzeit sind wir geladen. Voller Freude können wir nach vorne schauen: „Wohlauf, der Bräut'gam kommt, steht auf, die Lampen nehmt. Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegengehn!" Amen.



Michael Gese
Esslingen
E-Mail: michael.gese@gmx.de

(zurück zum Seitenanfang)