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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 29.11.2009

Predigt zu Römer 13:8-14, verfasst von Gabriele Arnold

Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn, was da gesagt ist (2.Mose 20,13-17): »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren«, und was da sonst an Geboten ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst (3.Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.«  Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Und das tut, weil ihr die Zeit erkennt, nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden.  Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.  Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht;  sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.  Römer 13,8-14

Liebe Gemeinde
Die allzu Erwachsenen beginnen jetzt zu stöhnen - oh schon wieder Advent,  denken an Geschenke und Post, Plätzchen und dies und das, was zu tun sei. Eine Reihe  mehr oder weniger gelungener Comics nimmt die ganze Weihnachtszeit und das erwachsende Hektikmachen gründlich auf die Schippe. Manchen geht es anders, den Kindern vor allem, aber auch jenen, die ein bisschen etwas Kindliches in sich bewahrt haben und die sich schlicht freuen. Freuen an  den Tannenzweigen, die in der Stadt als Girlanden hängen, freuen an den Lichterketten, die das scheußliche Novemberdunkel endlich vertreiben, freuen an Adventskranz und Adventkalender, an Heimlichkeiten  und Geschenken, an Wünschen und Ideen.
Ich hoffe viele von ihnen gehören zu diesen heimlichen Kindern und die bevorstehenden Wochen erwecken in ihnen diese ganz besonderen Adventsgefühle. So wie der Adventskranz hier in der Kirche und die wunderbaren Adventslieder, die wir nun endlich wieder singen dürfen.
Nur passt unser Predigttext auf den ersten Blick ganz und gar nicht zum Advent. Es geht nämlich überhaupt nicht um Weihnachten, um die Erwartung der Geburt Christi.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Rom. In den wenigen Sätzen, die wir vor uns haben, geht es um seine Erwartung eines ganz anderen Advents.
Advent heißt Ankunft, und Paulus erwartet die Ankunft des Auferstandenen.
Es ist die Erwartung, dass Christus, der Auferstandene, wiederkommt und das Reich Gottes anbricht.
Die ersten Christen damals um das Jahr 60 waren einen kleine Gruppe, eine Minderheit bedroht und verängstigt. Sie lebten ihren Glauben heimlich, in kleinen Gemeinschaften. Und sie warteten sehnlich auf neue, auf bessere Zeiten. Das bedeutete für sie damals nicht einfach eine Verbesserung der Welt, sondern dass Jesus wiederkommen würde, dass alles anders würde, dass die Welt auf den Kopf gestellt würde. Hungernde würden  satt und Obdachlose hätten  ein Dach über dem Kopf, dass Kriegsgeschrei verstummte und Soldaten wären endlich aus der Fron entlassen, Löwe und Lamm  lägen friedlich beieinander und die Ohnmächtigen säßen mit erhobenem Haupt am Tisch Gottes. 
Die Christen hatten eine unglaubliche Hoffnung, einen atemberaubenden Glauben, eine unstillbare Sehnsucht.
Zugleich mussten sie leben in der Zeit. Dabei waren sie mit ihrem Glauben, mit ihrer Erwartung irgendwie aus der Zeit heraus gefallen, aber auch nicht. Noch lebten sie hier und gingen auf den Strassen Roms. Sie liebten und lachten; sie begruben ihre Kinder und fürchteten die Spitzel des Staates. Sie bekamen Krach um die richtige Auslegung der Jesusworte und stritten um die Kleinigkeiten des Alltags. Schon damals menschelte es kräftig in der Gemeinde. Schon damals ging es um Anerkennung und ein bisschen auch um die Ehre. Schon damals gab es Konflikte, weil die einen reich waren und die anderem bettelarm, weil die einen frei waren und die anderen Sklaven, weil die einen geborene Römer waren und die andern aus  den Bergen der Karpaten oder aus den Weiten der afrikanischen Steppe kamen.

Paulus fügt am Ende seines Briefes an die Schwestern und Brüder in Rom nach vielen Seiten steiler Theologie ein paar schlichte Regeln hinzu. Es sind Regeln für die Zwischenzeit, Lebensregeln für den Advent, die Zeit der Erwartung. Und eigentlich ist es ganz einfach. Es geht um die Liebe.
Maßstab und Richtschnur des Verhaltens von euch als Christen, so Paulus, ist die Liebe. Die nämlich fügt niemanden Schaden zu.
Und da merken wir schon, es geht nicht um die erotische Liebe, um die Liebe zwischen Partnern. Denn, dass wir aus Liebe so scheußlich viel Elend produzieren, ist uns  allen klar. Wie viel enttäuschte Liebe gibt es in der Welt, wie viel Herzeleid und Eifersucht, wie viel Tragik und Scheitern und natürlich auch wie viel Glück und Zauber und Sehnsucht, Gelingen und Treue.
Paulus meint, im täglichen Miteinander der Gemeinde, im täglichen Miteinander der Menschen geht es um die Zugeneigtheit zueinander.
Den anderen, die andere nicht als Konkurrentin sehen, miteinander zum Wohl der Gemeinde leben und arbeiten, ein jedes mit seinen, ihren besondern Gaben. Und dann ist es gleichviel wert, ob einer im Chor singt oder das Laub recht, ob eine Kinder betreut oder Alte besucht, essen verteilt oder Predigten schreibt.
Die Liebe achtet das alles, schätzt wert, freut sich und schützt den anderen.
Die Liebe tut dem anderen nichts Böses.
Ehrlich gesagt, was so schlicht daher kommt, das ist ganz schön anspruchsvoll.
Damit sind wir ein Leben lang gut beschäftigt und dabei müsste uns die Zeit eigentlich wie im Flug vergehen.
Wenn wir so aus der Liebe lebten, wie viel Not und Kummer bliebe uns in unseren Familien erspart, in der Nachbarschaft, in der Kirchengemeinde  und erst recht in der großen weiten Welt?!
In dem Moment, in dem ich das denke und sage und Sie es hören, wird es  zu einem riesigen Berg, zu einer erdrückenden Last. Weil wir alle wissen, dass wir  nicht aus der Liebe leben, jedenfalls nicht oft genug und dass die alte Eva und der alte Adam in mir sich gerne das Fäustchen reibt und dass jede und jeder irgendwelche anderen auf der inneren Abschussliste hat.
Auch Paulus wusste das, ja er selber war durchaus zu ungestümen Ausbrüchen fähig und noch in seinen Briefen spüren wir sein Temperament und hin und wieder seinen Zorn, der heftig mit ihm durchgeht.
Aber Paulus ist kein selbstgerechter Prediger hoher Anweisungen, die nicht zu erfüllen sind und die uns das Leben vergällen.
Er kennt sich und die lieben Anderen gut genug. So hat er sehr praktische und pragmatische Vorschläge.
Um die Liebe zum anderen leben zu können, muss man gut für sich selber sorgen. Man darf an sich selber denken.
Schauen wir noch einmal auf die letzten Verse

Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht;  sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.

Leben wie am Tage. Das heißt zunächst einmal, lasst uns so leben, dass andere zuschauen können. Nicht mit Heimlichtuerei und schlechtem Gewissen, sondern so, dass jeder mit gutem Gefühl zuschauen könnte. Und das heißt ganz schlicht,  Sorge zu tragen, dass unser Leben so erfüllt ist, dass wir nicht versuchen müssen, gierig das zu bekommen, was wir meinen zu brauchen.
Lesen wir den Satz einfach noch einmal anders.
Lasst uns leben am Tage, dass wir essen und trinken, wenn es an der Zeit ist, lasst uns unsere Partner lieben und der Liebe Raum geben, dass wir einander verzeihen und dem andern gönnen was er hat. Lebt in der Gewissheit, dass Christus für euch sorgt, und so sorgt für euer Leben, damit ihr nicht das Gefühl habt, zu kurz zu kommen.

Wer geliebt wird, kann lieben, wer satt ist, kann sich um das Wohlergehen der andern kümmern, wer genug Anerkennung bekommt, kann auch andere würdigen.
Hier geht es nicht um Selbstverstümmlung und Unterdrückung unserer Lebensgeister. Hier geht es nicht um das Ende dieser Erde und unsere Sorge um die Zukunft der Erde, so daß wir das Heute vergessen.
Im Gegenteil: Gerade wenn wir mehr und anderes erwarten, wenn wir als Christen darauf hoffen, dass noch mehr gesagt werden kann, als wir über die Welt wissen, wenn wir mehr erwarten, als dass es morgen auch noch reicht, dann können wir entspannt hier leben.
Was die Christen in Rom damals wohl dazu gesagt  haben? Vielleicht waren sie enttäuscht, vielleicht hatten sie erwartet, dass Paulus sagt Jesus kommt bald wieder. Es ist völlig egal, was ihr macht.
Gott sei Dank hat er das nicht gesagt, denn wie hätten seine Worte sonst in den  zwei Jahrtausenden gewirkt, die seitdem vergangen sind.
So mit ihrem Paulus im Herzen und in der Hosentasche war es Christen nie egal, wie sie leben und wie andere leben.
Seit damals warten Christen. Sicher wir warten nicht mehr so wie damals die Christen in Rom, aber wir warten auch noch auf den neuen Himmel und die neue Erde. Wir erwarten nicht nur, dass unser Leben mit dem Tod nicht endet, wir warten auf das Leben der kommenden Welt.
Dazu können wir einiges dazu sagen, denn wir erwarten Christus und den kennen wir. Von seiner Liebe zu den einfachen Menschen und den Kindern können wir erzählen, von seinem Zorn über Ausbeuter und Unterdrücker, von seinen heilsamen Kräften, von seinen offenen Armen, in denen wir uns bergen dürfen. Von seinem Sieg über den Tod können wir erzählen und davon, dass er die Tore des Paradiese geöffnet hat.
Das erwarten wir. Und so ist unser Predigttext  genau der richtige Text für die Zeit der Erwartung. Auch in diesem Advent warten wir nicht nur aufs Christkind, sondern auf den Christus.

„Wo bliebst du Trost der ganzen Welt auf die sie all ihr Hoffnung stellt?"
 
Wir warten nicht vergeblich. Die Nacht ist vorgerückt, schreibt Paulus. Die Nacht ist schon im Schwinden. Noch nie ist die Nacht in die Nacht zurückgefallen. Ganz gewiss folgt auf jede Nacht ein neuer Tag. Ganz gewiss gehen wir dem Tag entgegen, an dem Gott diese arme Erde mit all ihrem Jammer und all ihrem Glück erlösen wird, und Christus erscheint - unser Bruder. „Guten Morgen" wird er sagen. „Ich habe mich so auf euch gefreut" und wir antworten "Gott sei dank, das du endlich da bist".

Amen

 


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Pfarrerin Gabriele Arnold
Bad Mergentheim
E-Mail: gabriele.arnold@kirchemgh.de

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