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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 29.11.2009

Predigt zu Römer 13:8-14, verfasst von Jochen Cornelius-Bundschuh

„Steht auf vom Schlaf - und legt die Waffen des Lichts an", ruft Paulus. Es ist Advent! Erkennen Sie die Zeichen der Zeit?

Im Morgengrauen, zwischen dem Dunkel der Nacht und der Helligkeit des Tages bewegt sich etwas. Was kommt da auf uns zu?

I

Noch hält uns die Nacht umfangen.

1938 schreibt Jochen Klepper das Adventslied: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern." Er übersetzt Verse aus dem Brief des Apostel Paulus an die Römer in seine Zeit und erzählt vom Kommen Gottes.

Klepper erfährt in den Jahren des Nationalsozialismus, wie die Dunkelheit nach seinem Leben greift. Seine Frau ist Christin, - vor den Gesetzen der Nazis gilt sie wegen ihrer Abstammung als Jüdin. Für die Familie wird das Leben immer schwieriger. Sie erleben, wie jüdische Menschen misshandelt, deportiert und ermordet werden. Die Angst wächst: Klepper soll sich scheiden lassen, um sich zu retten. Aber damit wäre der Weg für seine Frau vorgezeichnet: Deportation in ein Konzentrationslager. Ermordung.

Die Nacht dringt immer weiter in das Leben der Familie vor. Doch Klepper dreht das Bild um: wenn die Nacht vordringt, ist der Tag nicht mehr fern. Noch ist es nicht hell, aber es ist auch nicht mehr ganz dunkle Nacht. Es bewegt sich etwas. Gott kommt auf uns zu!

Im Morgengrauen ist Gottes Gegenwart noch schwer auszumachen. Aber sie kommt, so wie der Morgenstern immer heller wird und am Ende alle anderen Sterne überstrahlt.

II

Advent heißt: Leben im Morgengrauen.

Am 1. Advent brennt eine Kerze. Die erste Kerze. Sie zeigt: Es wird hell werden, die Nacht wird ein Ende haben. Gott überlässt die Welt nicht sich selbst. Gott ist auf dem Weg zu uns. Oder wie Jochen Klepper tröstlich formuliert: „Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein."

Es ist nur eine Kerze. Da bleibt noch vieles im Dunkeln. Da ist noch nichts vom strahlenden Glanz zu sehen, den viele sich von Gott erhoffen. Dem Glanz, der einen mächtigen Herrscher umgibt, dem niemand widerstehen kann. Der allem Leid mit einem Schlag ein Ende macht. Der mir meine persönliche Angst nimmt und alle Not beendet.

III

Gott erscheint im Advent. Anders, als wir ihn erwarten.

Sein Sohn wird nicht in einem Palast geboren, sondern als uneheliches Kind in einem Stall in Bethlehem.

Er reitet nicht hoch zu Ross mit einer großen Gefolgschaft hinauf nach Jerusalem, sondern auf einem Esel, auf dem Reittier der Armen.

Seine Gefangennahme und sein Prozess enden nicht mit seiner Befreiung und einem glanzvollen Sieg über seine Widersacher, sondern mit seinem schrecklichen Tod am Kreuz.

So wie Jesus, so kommt Gott auf uns zu im Advent. Am Übergang zwischen dem Dunkel der Nacht und den ersten Strahlen des Morgens leuchtet die erste Kerze.

IV

„So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts." Wenn es hell wird, soll das Zwielichtige ein Ende haben. Paulus kennt die Werke der Finsternis. Er kennt die Taten, die das Licht scheuen und sich in der Finsternis verbergen, weil sie dem Willen Gottes widersprechen.

Er erinnert uns an die zehn Gebote: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, Vieh, Knecht, Magd, noch alles was, sein ist.

Wir schreiben diese Liste mit unseren Worten und für unseren Alltag fortschreiben: Du sollst in deinem Beruf nicht nur an dich denken und andere ausstechen oder anschwärzen. Du hast Verantwortung für deine Mitschülerin. Auch der ferne Nächste gehört zu Dir.

Im Licht der einen Kerze kommen Menschen in den Blick, die weit weg leben. Deshalb eröffnen wir in der evangelischen Kirche am 1. Advent die Aktion Brot für die Welt. Weil Gott auf uns zukommt, weil sein Licht der ganzen Welt einen neuen Schein gibt. Da wird unser Leben in ein neues Licht getaucht: Wussten Sie das in jedem Handy Coltan steckt, ein Metall, das nur an ganz wenigen Orten dieser Welt gefunden wird? Der Kampf um dieses Metall ist einer der Gründe für den Krieg im Kongo. Über zwei Millionen Menschen hat er das Leben gekostet. Damit wir überall und jederzeit möglichst billig telefonieren können.

Die Liste der Dinge, die das Licht scheuen und Gottes Willen widersprechen, ist lang. Ab heute brennt die erste Kerze. Sie beleuchtet alles, was ich getan habe und was ich tue. Sie richtet keinen gleißenden Scheinwerfer auf mich, so dass ich vor Scham in den Boden versinken muss. Aber sie wirft ihr flackerndes Licht auf unser Tun und ruft uns zur Buße: Kehrt um, legt die Werke der Finsternis ab! Prüft, ob das, was ihr tut, dem Willen Gottes entspricht! Prüft, ob eure Taten standhalten können, wenn der Tag Gottes kommt! Denn Gott wird alles, was wir tun, daraufhin anschauen, ob es seinen Geboten gerecht wird. Vor allem dem einen Gebot, indem alle anderen zusammengefasst sind (3. Mose 19,18): „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

V

Zwei Rabbiner, so erzählt eine jüdische Geschichte, unterhalten sich darüber, wann ein Tag eigentlich anfängt. „Wenn du einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kannst", sagt einer der beiden. „Nein, mein Bruder", meint der andere, „der Tag beginnt dann, wenn du im anderen deinen Nächsten erkennen kannst."

Wie viel Licht ist dazu nötig, im anderen meinen Nächsten zu erkennen? Wie viele Kerzen müssen dafür brennen? Der erste Advent sagt: eine Kerze reicht. Eine Kerze ist genug. In ihrem Schein erkenne ich meine Nächsten.

Eine Kerze reicht, um in ihrem Licht im Morgengrauen des heraufziehenden Tages die Waffen des Lichts anzulegen.

VI

Was sind das für Lichtwaffen? Alles durchdringende Laserschwerter? Strahlenkanonen, die wie in Science-Fiction Filmen das Böse aus der Welt schießen? Attribute der Macht?

Nein, dem flackernden Licht der Kerze entsprechen die Umgangsformen der Liebe. Das sind die Waffen, die ich üben kann: das Zuhören und das genaue Hinsehen, das ‚Sich in die anderen hineinversetzen‘, das Helfen und das Ermutigen: Da ist eine Nachbarin bedrückt und braucht einen Menschen, der ihr zuhört. Da geschieht einem Kollegen Unrecht, aber es fehlt ihm der Mut, das Unrecht beim Namen zu nennen und sich zu wehren: ich kann ihn ermutigen und stärken. Da fliehen Menschen übers Mittelmeer nach Europa; ich kann etwas tun für offenere, menschenfreundlichere Flüchtlingsgesetze, ich kann Brot für die Welt unterstützen, mit Geld, mit meinem Engagement.

Im Halbdunkel zwischen Nacht und anbrechendem Tag erkenne ich meine Nächsten und entdecke, wie ich das Licht der ersten Kerze weitergeben kann.

VII

Die Waffen des Lichts sind nicht schon der helle Tag. Sie sind wie eine erste Kerze im Morgengrauen. Nicht mehr und nicht weniger. Jochen Klepper, der so viele Menschen mit seinem Adventslied getröstet und ermutigt hat, hat die Dunkelheit am Ende nicht ertragen. Im Advent 1942 ist er zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter in den Tod gegangen.

Und doch hat sein Lied viele auf das Morgengrauen hingewiesen, ihnen Mut gemacht. Die erste Kerze macht das Krankenzimmer heller. Die erste Kerze lädt die Fremden in meiner Stadt zu Tisch. Weitere Kerzen werden angezündet. Sie vertreiben die Dunkelheit, so sicher wie die Sonne den hellen Tag heraufführt.

Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. Gott kommt! Deshalb steht auf vom Schlaf! Legt ab die Werke der Finsternis und legt an die Waffen des Lichtes!



Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Kassel
E-Mail: jochen.cornelius-bundschuh@ekiba.de

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