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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Advent, 29.11.2009

Predigt zu Lukas 4:16-30, verfasst von Erik Fonsbøl

Advent handelt davon, dass sich ein neuer Anfang naht - ein neues Leben. Es ist eine Zeit der Vorbereitung, wie die Zeit zwischen der Nachricht, dass du umziehen musst, und dem Umzug selbst. Das Alte ist vergangen - siehe, es ist alles neu geworden.

            Nun mögen die Menschen in der Regel Veränderung nicht besonders, es sei denn, man sitzt im Gefängnis und erfährt, dass man freigelassen wird. Und selbst dann noch gibt es wohl Menschen, sie sich nicht wohl fühlen, wenn sie sich mit den gegebenen Verhältnissen abgefunden haben. Die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist bekanntlich formidabel.

            Und vielleicht war es genau das, was Jesus dort oben in seinem Heimatort Nazareth zu spüren bekam. Was mochten sie erwartet haben - ja, jedenfalls etwas anderes als das, was sie zu hören bekamen, in Anbetracht ihrer heftigen Reaktion. Hier kommt der stolze Sohn der Stadt nach Hause. Man hat von seinen Taten gehört, seinen Heilungen - und man freut sich für die Stadt. Vielleicht erwartete man auch ein wenig Dankbarkeit gegenüber den stolzen Eltern und gegenüber der Stadt Nazareth, ohne die die großen Taten nicht möglich gewesen wären - oder wie man es sonst ausdrücken mag.

            Was in der Synagoge geschieht, ist auffälligerweise, dass Jesus, anstatt seine Dankbarkeit zu zeigen, sowohl Nazareth als auch alles das, was die Einwohner hochhalten und als heilig betrachten, verwirft. Aber warum tut er das?

            Und nun kann man ja ohne weiteres seine eigenen politischen und religiösen Auffassungen in die Erzählung hineinlesen, sozusagen um Jesus zu retten, aber ich glaube, dass diese Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einer anderen Erzählung bei Lukas zu sehen ist, nämlich mit der Erzählung vom zwölfjährigen Jesus, den seine Eltern in Jerusalem aus den Augen verlieren. Sie finden ihn am Ende im Tempel, und sagen: wie konntest du uns das antun? Wir waren entsetzt. Und dann erzählt Lukas, dass Jesus mit seinen Eltern wieder nach Nazareth ging; und er war ihnen untertan, steht da.

            Aber dieser Gehorsam gegenüber dem Gegebenen - diese Unterordnung unter die Konventionen, die er damals als Zwölfjähriger anerkannte - dieser Gehorsam ist jetzt ganz und gar weg. Unterdessen ist er von Johannes im Jordan getauft worden - getauft zum Aufruhr, sozusagen, und er kehrt wieder in seine Heimat zurück, nach Galiläa in der Kraft des Geistes und die Kunde von seinem Ruhm verbreitet sich überall.

            Und jetzt kommt der endgültige Bruch, als er in die Stadt seiner Kindheit zurückkehrt - der Bruch mit der Stadt, mit der Kindheit, mit der Familie - ja, mit allem, was früher gewesen war.

            Und das weckt natürlich Empörung und Verärgerung, denn die Menschen mögen wie gesagt keine Veränderung - und schon gar nicht im engsten Kreis. Man hört vielleicht interessiert zu, aber im Grunde sollen die Leute am liebsten so sein, wie sie immer gewesen sind. An ihrem gewohnten Ort in unserem inneren System.

 

Also in der christlichen Gemeinde bereiten wir uns in der kommenden Zeit auf einen Neuanfang vor - auf eine Auseinandersetzung mit uns selbst und mit unserer gesamten Auffassung vom Dasein - von unserer Art und Weise zu leben. Eine Säuberung, so kann man sagen, von allem Alten - so wie es bei gewissen Indianerstämmen Brauch war, dass man einmal im Jahr alle Dinge, die man besaß, hinauswarf und verbrannte, so dass man gleichsam mit einem ganz neuen Jahr einen neuen Anfang machen - ja symbolisch betrachtet ein ganz neues Leben beginnen konnte.

            Was aber tun wir? Das gerade Gegenteil. In der kommenden Zeit werden wir unsere ganze Energie auf das Konventionelle konzentrieren - auch in einem solchen Maße, dass wir davon geradezu gestresst werden können - gestresst von der Forderung, Genüge zu leisten - nicht der Botschaft des Evangeliums, dass etwas Neues kommen wird, sondern von der Forderung der Tradition, dass alles beim Alten bleiben soll - mein gutes altes Weihnachtsfest mit seinen schönen Traditionen.

            Wenn man ein wenig provozieren will, kann man wohl mit einem gewissen Recht behaupten, dass Jesus heute diesen ganzen kommerziellen und traditionellen Weihnachtsrummel bis in seine Wurzeln verdammt, dass er die heiligsten Werte dieser Gesellschaft verdammt, gerade dort, wo wir erwarten, in ihnen hier in unserem Adventsgottesdienst bestätigt zu werden. Wenn man daran denkt, wie er sich im Tempel aufführte, als er die Händler austrieb, dann kann ich mir lebhaft vorstellen, wie er den Adventskranz herunterreißen und zertreten würde und dann hinausgehen und den Weihnachtsbaum vor dem Rathaus umwerfen würde - und er würde das alles wohl kaum ungestraft tun. Wir würden sehr wütend werden.

            Aber hat er recht, dieser desperate Mensch, der anscheinend alles tun vill, damit wir in unserem Leben etwas anderes sehen als das Konventionelle - etwas anderes als Weihnachten, wie wir es kennen und schätzen? Etwas anderes als die Familie, die Geborgenheit, die Heimat, das Vaterland - unsere Kultur? Etwas anderes als die Tradition und die Erfüllung all dessen, was wir erwarten?

            Gibt es einen anderen Aspekt des Lebens, den wir vergessen haben oder bewusst verdrängen oder längst aufgegeben haben - dass wir uns mit einem voraussehbaren und einigermaßen guten Dasein wie dem der anderen begnügen?

            Ach ja, es gab wohl mal so etwas, aber jetzt sind wir vielleicht erwachsen geworden und nüchterner in unserer Auffassung vom Leben. Aber es gab wohl einmal einen Traum vom Phantastischen - von Flügeln, die uns in den Himmel hinauftragen konnten - von Glauben, der uns auf dem Wasser gehen lassen konnte - von einer Leidenschaft und Liebe, die alles andere in den Schatten stellen konnte - sogar die Tradition und die Meinung der anderen - und deshalb mag es wohl durchaus unangenehm sein, in die Kirche oder in die Synagoge zu kommen und an das erinnert zu werden, was wir selbst aufgegeben haben, weil wir uns mit dem Konventionellen abgefunden haben - mit der konventionellen Weisheit - und damit möglicherweise unseren Traum aufgegeben und ihn auf ein stilles, längst aufgegebenes utopisches Verlangen reduziert haben.

            Ja, es kann unangenehm und unangebracht sein, mit etwas Vergessenem und Verlassenem konfrontiert zu werden, aber genau das tut dieser Jesus von Nazareth - immer wieder - Kirchenjahr für Kirchenjahr. In Erzählung für Erzählung streckt er die Hand nach uns aus - ruft er uns in eine neue Wirklichkeit - in ein neues Leben - wenn wir das alte zu verlassen wagen. Immer setzt er alles aufs Spiel. Seinen Ruf, seine Ehre - ja, sein Leben, um uns begreiflich zu machen, worum es im Leben hier auf Erden geht. Nicht zu überleben - nicht Folge zu leisten - nicht Schritt zu halten, sondern furchtlos zu lieben - seinen Nächsten - sich selbst - wen immer. Ohne Vorbehalt.

            Man hat oft von Jesus gesagt, er habe sich selbst um anderer willen aufgegeben, ja, sich geradezu geopfert - das gehört zum ältesten Bestand christilichen Selbstverständnisses u.a. bei Paulus. Und es ist wahr, dass er alles tat, um Menschen aus dem Sklavendasein zu befreien, unter dem sie dienten - und es ist wahr, dass es gewichtige Folgen für ihn selbst hatte. Aber ein Opfer möchte ich es denn doch nicht nennen - eher eine Konsequenz der Liebe, die sein Leben trug - der furchtlosen Liebe, die alles beiseite schob. Ein Opfer bringt Leute in Schuld - Dankesschuld. Sieh, was er für dich getan hat - siehe, wie er sein Leben um deinetwillen geopfert hat. Findest du dann nicht auch, dass du ihm dafür etwas schuldig bist?

            Aber Jesus kam nicht, damit die Menschen in Schulden gerieten - er kam ganz im Gegenteil, um sein Volk von allem zu befreien, was uns als Schulden, Schuld, Angst bindet, von allem, was uns an das Sichere bindet - an das Erwartete - das "normale" Weihnachten, bei dem wir den Ruf zur Freiheit weder hören noch sehen können, weil die Tradition lärmt und blendet - und uns geht es ja gut und wir wollen uns nicht beklagen. Er will etwas mit uns - etwas Wichtiges, was wir offensichtlich nur schwer begreifen, sei es dass wir in der Synagoge von Nazareth im Jahre 30 sitzen - oder in unserer Kirche im Jahr 2009. Und wenn wir den Mut dazu haben, dann lasst uns ihn beim Wort nehmen und das neue Kirchenjahr dazu verwenden, zuzuhören und darüber miteinander zu sprechen - was immer es sein mag. Über das Mögliche oder Unmögliche. Über das wirkliche Geschenk des Lebens - und darüber, das Leben zu verlieren und es zu gewinnen - darüber, sich von allem Gegebenen abzuwenden und neu geboren zu werden - darüber, dem provozierenden und Anstoß erregenden Juden, Jesus von Nazareth, zu folgen - an das Leben zu glauben - an Menschen zu glauben - an sich selbst zu glauben, dass alles wieder möglich wird. Wenn wir es wagen. Amen.



Propst Erik Fonsbøl
Nørre Åby (Dänemark)
E-Mail: ebf(a)km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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