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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 06.12.2009

Predigt zu Jakobus 5:7-8, verfasst von Sven Keppler

2. Advent, 06.12.2009
Predigt zu Jakobus 5:7-8, verfasst von Sven Keppler


 

I. „Ich habe damals einen Fehler gemacht. Ich war ja auch noch ganz jung. Hab' mein erstes Geld verdient, und das wollte ich auch für mich behalten. Mit Gott konnte ich damals auch nicht viel anfangen. Das war alles ganz weit weg. Ja, dann bin ich eben ausgetreten. Ein Fehler war das, das hab` ich heute eingesehen.
Als ich gespürt habe, wie dieses kleine Wesen in meinem Bauch wächst, da hab`` ich jeden Abend ein Gebet zum lieben Gott gesprochen, dass alles gut geht. Als die Angelina dann auf der Welt war, war das  ein Wunder für mich. Einfach ein Wunder. Ich war nur dankbar. Ich möchte auch, dass die Kleine im christlichen Glauben erzogen wird. Deshalb will ich heute wieder in die Kirche eintreten."
Liebe Gemeinde, die Mutter von Angelina ist nicht die Einzige, die mir so eine Geschichte erzählt hat. Immer wieder treten Menschen zwischen 20 und 40 Jahren in die Kirche ein, weil sie das Erlebnis der Geburt so tief beeindruckt hat, weil sie nun eine ganz andere Verantwortung übernehmen als bisher.
Die andere große Gruppe von Menschen, die wieder in die Kirche eintreten, ist mindestens doppelt so alt. Eine überstandene schwere Krankheit, der Verlust eines geliebten Menschen oder einfach nur der Wunsch, das eigene Leben zum Ende hin in Ordnung zu bringen - auch das können Motive dafür sein, in die Kirche zurückzukehren.
Es gibt Zeiten im Leben, in denen die Weichen für viele Jahre gestellt werden. Die eigene Familiengründung ist so ein Wendepunkt. Ebenso der Moment, an dem man sich dem Altern ganz neu stellt oder auch stellen muss.
Unser heutiger Predigttext spricht von solchen Schlüsselmomenten im inneren Wachstum eines Menschen. Zumindest, wenn man genau hinschaut. Ich lese aus dem Brief des Jakobus, zwei Verse aus dem 5. Kapitel [ Jak 5,7f.]

 

II. Der Frühregen ist das Wetter, an dem wir uns zur Zeit erfreuen dürfen. Dunkle, schwere Wolken gehen über das Land. Entladen sich immer wieder in heftigen Schauern. Es ist ungemütlich und kühl. Keine Zeit, die einlädt, sich im Freien aufzuhalten.
Auch im östlichen Mittelmeer kennt man diese Regenperiode. Zu biblischen Zeiten war das nicht anders. Man nannte diese Niederschläge Frühregen, weil das neue Jahr im Herbst begann.
Ein Bauer ist in dieser Zeit zur Untätigkeit verdammt. Es ist eine Zeit eine Zeit des Stillstands - so scheint es jedenfalls zu sein - und doch geschieht in ihr eine entscheidende Veränderung: Die Erde wird bereit, um die neuen Saaten aufzunehmen.
Der Spätregen geht dann von März bis April nieder. Seine Niederschläge sind die Voraussetzung dafür, dass die Saat heranreifen kann. Wieder eine Zeit der Untätigkeit, in der doch zugleich Entscheidendes geschieht. Ohne diese Regenzeit kein Schoßen der Pflanzen. Keine Ausbildung zur vollen Gestalt und keine Reife.
Der Frühregen und der Spätregen sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass es zum Wachstum kommt. Man kann das Ganze als negativ erlebe, als Zeiten des Stillstands, der Untätigkeit, der Geduldsprobe. Aber wehe, diese Zeiten ausbleiben! Ohne sie würden die Körner in ihrem unentwickelten Zustand bleiben, würden niemals das Wachstum erleben, für das sie bestimmt sind.
Das scheinbar Negative ist in Wahrheit das Positive. Der scheinbare Stillstand ist eine Grundvoraussetzung des Lebens. Deshalb wählt Jakobus das Beispiel des Regens, um für die Geduld zu werben.
Sei' geduldig, das heißt nämlich nicht: Nimm' alle Widrigkeiten des Lebens hin, ohne zu klagen. Sei ‚geduldig, das bedeutet vielmehr: Entdecke, was für ein tiefer Sinn im scheinbar Sinnlosen steckt. Geh' nicht oberflächlich über das hinweg, was dir im Weg zu stehen scheint, sondern lasse dich darauf ein, hab` Geduld. Finde heraus, was es für dich für eine Bedeutung hat. Das wird dir und deinem Wachstum gut bekommen.

 

III. Jakobus schreibt: Seid geduldig bis zum Kommen des Herrn. Denn das Kommen des Herrn ist nahe. Seitdem Jakobus diese Worte geschrieben hat, sind der Frühregen und der Spätregen viele hundert Male über das Land gegangen, und der Herr ist anscheinend immer noch nicht gekommen.
Seitdem hat es viele Kriege und Naturkatastrophen gegeben. Es ist fast so, wie wir es eben in der Lesung [Evangelium: Lk 21,25-33] gehört haben, und doch ist das Leben weitergegangen.
Man könnte jetzt natürlich sagen: Die frühen Christen haben sich geirrt. Das nahe Ende der Welt zu erwarten, die baldige Wiederkehr Christi - das war ein großer Fehler. Die Mahnungen zur Wachsamkeit, die Appelle an die Geduld: Alles das ist nur eine Folge davon, dass man den Irrtum nicht eingestehen konnte.
Aber hatten wir nicht gerade herausgefunden, was die eigentliche Kunst der Geduld ist? Das Positive im scheinbar Sinnlosen zu entdecken? Das Leben zu sehen, das durch den Regen erblüht, nicht nur die trüben Wolken.
Ich finde es ausgesprochen positiv, dass wir die Ausmalung der Katastrophen Hollywood überlassen dürfen. Roland Emmerich hat gerade wieder einmal in seinem Film „2012" die Welt untergehen lassen: Erdbeben, Vulkanausbrüche, Flutwellen und alles, was dazu gehört - und die Zuschauer haben ihr Späßchen.
Unser Predigttext und auch der Text der Lesung haben nichts zu tun mit dieser heimlichen Lust am Untergang. Lukas schreibt: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. Nehmen wir ihn doch ernst, wenn er sagt: Jeder und jede in dieser Generation wird das Ende erleben. Was er sagt, ist nicht von der Hand zu weisen. Jeder und jede von uns wird sterben müssen.
Das Kommen des Herrn ist nahe. Hinter diesem Satz steht eine ganz nüchterne Erfahrung. Wir haben nicht endlos Zeit zum Leben. Ist es nicht wie ein Erdbeben, wenn ein Menschenleben zu Ende geht? Ist nicht jeder Tod ein persönlicher Weltuntergang? Der Herr kommt plötzlich wie der Dieb in der Nacht. Dieser biblische Satz gilt für den Tod jedes einzelnen Menschen - manchmal mehr, manchmal weniger.
Liebe Gemeinde, ich glaube, darum geht es, wenn vom Kommen Christi die Rede ist: Wir sollen diese Worte persönlich nehmen. Nicht in kosmische Spekulationen ausweichen, sondern uns ihnen ganz nüchtern stellen. Wir dürfen in ihnen die Geschichte unseres eigenen Lebens suchen.

 

IV. Der Frühregen. Der Spätregen. Wachstum und Reifung. Schließlich die Ernte. All das wird dann zu einem Bild für das Leben eines Menschen - für mein Leben, für ein Leben, das auf ein Ziel hin ausgerichtet ist. Geduldig auf das eigene Leben zu blicken, heißt dann, immer wieder nach dem positiven Sinn zu suchen. Der Frühregen und der Spätregen werden zum Bild für entscheidende Wendezeiten im Leben. Phasen, die man vielleicht als Krisen erlebt - Die vielleicht mit Schmerzen oder Ängsten verbunden sind; Die aber doch nötig sind, um Veränderungen im Leben hervorzubringen.
Nehmen wir die Mutter von Angelina. Es gehörte nun einmal zu ihrem Lebensweg, sich für eine Zeit von der Kirche zu verabschieden. Man kann das natürlich herabwürdigen, kann über die vielen Kirchenaustritte klagen und über den Materialismus, der anscheinend oft dahinter steht.
Aber vielleicht ist in diesem Lebensabschnitt bei Angelinas Mutter etwas ganz Wichtiges geschehen. Vermutlich hatte sie vorher ein ganz äußerliches Bild von Gott, hatte die Geschichten der Bibel nicht anders gehört als die von Hanni und Nanni oder von den fünf Freunden.
Dann hat sie irgendwann Nein zu dem Gott dieser Geschichten gesagt,  Nein zu einem alten Herrn mit Bart, der am Anfang die Menschen in ein putziges Schlumpfparadies gesteckt hat. Nein zu einem Gott, der wie ein Marionettenspieler die Welt dirigiert und dem offensichtlich lauter Pannen dabei passieren. Nein zu einem Jesus, der jede Weihnachten als niedliche Plastikpuppe in der Krippe liegt und ungerührt zuhört, wenn die Familie sich zerstreitet.
Irgendwann musste sie sich von diesem Gott verabschieden, um frei zu werden für einen reiferen Glauben. Heute hat sie ein Gefühl dafür, ganz persönlich von Gott geschützt worden zu sein, erlebt ihre Tochter als ein wunderbares Geschenk, hat erfahren, dass Leben mehr ist, als man sehen und erklären kann.
Natürlich, es wäre schön gewesen, wenn ihr Bruch mit dem Glauben dafür nicht nötig gewesen wäre, aber das war ihr Weg. ihr Frühregen. Wer mit Geduld auf ihr Leben sieht, kann das erkennen. Sie brauchte diese Zeit der Krise, um ihre Beziehung zu Gott tiefer und reifer zu erfahren. So seid nun geduldig mit euch und mit anderen, liebe Brüder und Schwestern!

 

V. Wie mag es weitergehen mit Angelinas Mutter? Wird ihre Ehe halten? Wird sie weitere Kinder bekommen? In den nächsten Jahren wird sie rund um die Uhr beschäftigt sein. Erst mit den Aufgaben Zuhause, irgendwann wird sie wieder Arbeit suchen, um das kleine Familieneinkommen anzuheben.
Vermutlich wird sie kaum noch zum Nachdenken kommen. Die Gotteserfahrung der Geburt wird in den Hintergrund treten vor lauter Aufgaben. oder sie wird ab und zu ein kleines Gebet zum Himmel schicken, wenn sie wieder einmal Sorgen hat oder wenn sie das Glück packt und sie nicht weiß, wohin sie mit ihrer Dankbarkeit soll.
Waren die Lebensschicksale jemals gleichförmig? Heute sind sie es jedenfalls nicht mehr. Der Startpunkt der eigenen Lebensgeschichte mit Gott ist bei jedem Menschen anders. Die Krisen, die jede und jeder durchlaufen muss, haben ganz persönliche Gesichter.
Aber den Frühregen und den Spätregen werden die meisten erleben. Irgendwann wird auch für Angelinas Mutter die zweite große Lebenswende kommen. Vielleicht ist es so weit, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Womöglich geschieht es, wenn ihre Rente beginnt oder wenn eine schwere Krankheit sie dazu zwingt.
Der Zeitpunkt wird kommen, wenn die Fülle der Aufgaben sie nicht mehr vom Nachdenken ablenken wird. Sie wird plötzlich bemerken, dass die Generation ihrer Großeltern und Eltern schon gegangen ist. Vielleicht wird sie sich dann fragen, wie sie damit umgehen soll.
Es kann gut sein, dass sie das alles wegschiebt, dass sie sich weiterhin kleidet wie ihre Tochter und versucht, dem Altern davonzulaufen. Es kann aber auch sein, dass sie Geduld aufbringt und sich dem Neuen stellt. So, wie sie aus der Geburt ihrer Tochter Wichtiges gelernt hat.
Dazu ermutigt der heutige Predigttext, dass wir die Wendepunkte akzeptieren, an die unser Leben immer wieder gerät, und dass wir die Chancen nutzen, die in ihnen liegen. Wir werden dadurch wachsen und an Reife gewinnen. Auch in unserer Beziehung zu Gott. Seien wir geduldig, wenn der Herr uns nahekommt. Amen.

 



Pfarrer Dr. Sven Keppler
Lünen
E-Mail: sven.keppler@kirchengemeinde-luenen.de

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