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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Advent, 06.12.2009

Predigt zu Jakobus 5:7-8, verfasst von Thomas Ammermann

7) So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis der Herr kommt. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist geduldig, bis sie den Frühregen und Spätregen empfangen hat.

8) So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn der Herr kommt bald.

 

Liebe Gemeinde!

Einen kurzen Text habe ich diesmal für Sie. Nur zwei Verse. Evangelium für Ungeduldige. Und doch: Zwei Verse, die es heller machen wollen in unseren wintertrüben Adventsherzen. Zwei leuchtend klare Verse sind das, einleuchtend hoffentlich einem jeden wie die zwei Lichter des Adventskranzes, die Sie sicher alle am heutigen 2. Advent entzünden werden.

Worum geht es in diesen knappen Worten? Nun, zunächst ist dies ein Aufruf zur Geduld. "Seid geduldig und stärkt eure Herzen", ermahnt Jakobus. Doch dann begründet er das: "Denn der Herr kommt bald".

Der Herr kommt! - Diese schlichte Ankündigung macht aus jener kurzen "Regieanweisung für eilige Zeitgenossen" ein wirklich helles Wort, eine frohe Botschaft: Evangelium für Ungeduldige - das klingt hier auf. Frohbotschaft. Einladung zur Ruhe, Befreiung, Erlösung für all die gehetzten, gejagten und ach so überforderten Menschen unserer Tage. "So seid nun geduldig ... bis der Herr kommt. Siehe, der Bauer wartet ... und ist geduldig, bis sie den Frühregen und Spätregen empfangen hat. So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn der Herr kommt bald."

Stichwort Geduld: Geduld heißt: Warten können. Nicht drängen. Getrost  auch mal aus der Hand legen können, was noch Zeit braucht.

Uns modernen Menschen fällt nichts so schwer, wie das Warten. Immer wollen wir sofort Erfolge sehen, je schneller, desto besser. Wann können wir schon etwas aus der Hand legen und einfach warten, bis es von selber fertig ist? Lieber selbst noch mal schnell Hand anlegen, lautet die Devise, vielleicht lässt sich die Sache noch verbessern, beschleunigen?... - Ich glaube, die meisten heutigen Menschen haben Angst, zu kurz zu kommen, oder am Ende "mit leeren Händen" dazustehen. Deshalb fällt es ihnen so schwer, die Dinge abzuwarten, aus der Hand zu geben und geduldig zuzuschauen, wie sie sich entwickeln. Vielleicht macht diese Angst auch unsere Zeit so schrecklich kurzlebig?

 "Je mehr wir der Zeit überlassen können, desto gelassener können wir leben", hat ein Weiser einmal gesagt...

Vor einigen Jahren, als ich mal wieder in Ulm über den Weihnachtsmarkt eilte - im Einkaufsstress wie all die anderen - da wurde mir vor der Kulisse des Ulmer Münsters (und es hätte jede andere alte Kirche sein können) schlagartig klar, wie armselig unser gehetztes modernes Leben doch eigentlich ist: Da sah ich dieses gewaltige Bauwerk, viele hundert Jahre alt, wie es sich erhebt über dem geschäftigen Gewimmel zu seinen Füßen in geradezu übermenschlicher Ruhe und Gelassenheit. Und doch ist es dereinst von Menschen erbaut worden. Aber die mussten anders gelebt und gedacht haben, als wir. Weitläufiger. Denken Sie nur, wie viele Generationen von Handwerkern: Maurer, Steinmetze, Künstler, Dachdecker usw. ihr Leben lang daran gearbeitet haben. Manche nur an einer Säule oder einem Torbogen! Und die Baumeister, die Planer und die Geldgeber für solch ein Gebäude... - in welch langfristigen, weit über ihr eigenes Leben hinausreichenden Bezügen mochten sie sich selbst und das Werk ihres Lebens eingebunden gewusst haben, dass sie ihr Geld und ihre Kraft in ein Projekt investieren konnten, dessen Vollendung im günstigsten Fall ihre Ur-Ur-Ur-Enkel erleben würden? So etwas wäre heute undenkbar!

Wirklich, diese Menschen mussten etwas gehabt haben, was uns verloren gegangen ist. "Geduld" - dies Wort scheint hier nicht zu genügen. "Vertrauen" scheint mir angebrachter. Denn echte Geduld ruht im Vertrauen. In der Fähigkeit, die eigenen Dinge getrost aus der Hand zu geben angesichts der Gewissheit, dass es einen Größeren gibt, der das Werk unserer Hände zur Vollendung führen will, der unser aller Lebensfäden in Händen hält und der allein sie zu einem sinnvollen Muster verweben kann.

Vielleicht, überlege ich mir nun, liegt hier auch der Schlüssel für die Angst heutiger Menschen vor dem, was Zeit braucht: Nichts verunsichert nämlich gerade tätige Menschen, die Macher, so sehr, wie die Erfahrung von etwas, was sie nicht selbst „in der Hand haben" (?) - Doch das betrifft tatsächlich die entscheidenden Dinge im Leben: Gesundheit im Alter, das Schicksal unserer Kinder, der Sinn unserer Existenz... - all das können wir ja nicht er-reichen. Wir können nur abwarten, wie es damit ausgeht. Wenn wir können!

Und genau diese Fähigkeit, die Kunst, die Dinge vertrauensvoll aus den Händen zu geben, ist vielen heutigen Menschen verloren gegangen. 

Ja, Geduld ist eine Kunst, in der man sich üben muss. Geduld heißt: Warten können. Nicht drängen. Nicht alles selber machen wollen. Es ist die Kunst, das Wesentliche nicht er-wirken zu wollen, sondern es er-warten zu können. (...Je mehr wir der Zeit überlassen können, desto reicher können wir leben...)

Mit Blick auf das Ulmer Münster fällt mir ein: Diese Kunst ist eine typisch christliche. Christen halten ja den Guinnes-Rekord in Sachen "Geduld". Seit fast 2000 Jahren wird Advent gefeiert. Alle Jahre wieder erinnert uns diese Festzeit vorweihnachtlicher Erwartung an das, was in dieser Welt wirklich unser Teil ist - nicht nur 4 Wochen im Jahr, sondern immer: Wir warten auf Gott, sind in Er-Wartung dessen, der da war und der da kommt.

Doch können wir noch länger warten? Was macht uns eigentlich so sicher, dass wir mit unseren Hoffnungen auf den Richtigen gesetzt haben? Den Glauben und das Vertrauen der Münster-Bauleute in allen Ehren, aber: Was spricht dafür, dass wir noch länger auf Gottes Erscheinen warten? - Immerhin hat sich in den letzten 500 Jahren seit Vollendung des Ulmer Münsters (und es könnte jede alte Kirche sein) zwar viel am Zustand der Welt, doch nur sehr wenig hinsichtlich der verheißenen Gottes-Gerechtigkeit unter den Menschen getan... Und auch Sie haben sich bestimmt schon gefragt, wann das endlich sein wird, was wir "alle Jahre wieder" feierlich beschwören: Gottes Ankunft in der Welt, Sein Erscheinen unter den Menschen. Das Weihnachtsfest kommt jedes Jahr, aber wann endlich kommt Gott? 

"So seid nun geduldig, liebe Brüder", mahnt Jakobus, "bis der Herr kommt. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist geduldig, bis sie den Frühregen und Spätregen empfangen hat. So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn der Herr kommt bald."

Jakobus wusste nichts vom Ulmer Münster und dem Weihnachtsmarkt. Seine Worte bleiben schlicht bei dem, was die Menschen zu allen Zeiten gekannt und verstanden haben: Ein Bauer, sagt er, der seine Saat ausgetragen hat, wartet doch auch, bis sie von selber heranwächst und reift. Wieso habt ihr nicht genauso viel Geduld?

Was aber macht den Bauern so sicher, dass auch geschieht, was er erwartet? Wie kann er das: geduldig auf "die kostbare Frucht warten"? - Nun, zum einen weil er weiß, dass alles, was reifen will, seine Zeit braucht. Den Frühregen und den Spätregen muss man schlicht abwarten. Man kann sie nicht ersetzen. Zum andern aber - und dies scheint mir für uns entscheidend zu sein - gründet sich die Ruhe des Landwirts auf die folgende Gewissheit: Er weiß, dass der Same gelegt ist. Mit seiner Vorbereitung des Ackers und der Aussaat des Samens hat er praktisch alles getan, was Not tut. Jetzt kann er getrost warten. Was folgt, ergibt sich von selbst.

Liebe Gemeinde, das ist auch die Antwort, die für uns Christen gilt - und für alle, die sich fragen mögen, welchen Sinn es heute noch hat, auf Gottes Kommen, auf den sichtbaren Anbruch Seines Reiches zu warten: So ein Landwirt nämlich ist ja in der Regel alles andere als ein weltfremder Spinner. Er kennt die Gesetze des Lebens und Überlebens. Und doch rechnet er voll Vertrauen darauf, dass der Same, den er selbst gesetzt hat, zu seiner Zeit auch aufgeht.

Um wie viel mehr dürfen wir, die wir doch wissen, dass nicht bloß irgendein Mensch, sondern Gott selbst den Samen für Sein ewiges Reich gelegt hat, darauf vertrauen, dass am Ende auch aufgehen wird, worauf sich unsere adventliche Hoffnung gründet? Denn der Same für jenes Reich Gottes, in dem Liebe und Barmherzigkeit Wirklichkeit werden, dieser Same ist gelegt! Ein für allemal.

Sie erinnern sich: Damals, Weihnachten im Jahre Null, kam Gott ja schon einmal auf diese Welt. Ein kleines Licht aus Bethlehem, genannt Jesus Christus, wurde geboren. Sicher, die Welt ist seither nicht viel heller geworden - noch nicht! Doch ist sein Licht aus dieser Welt auch nicht mehr wegzudenken. Denn in Jesus Christus, im Lichte dessen, was dieser Mensch zu geben und zu sagen hatte, entfaltete Gott vor den Augen der Welt, wozu er uns Menschen bestimmt und vorgesehen hat.

Uns allen ist damit gesagt: Das war erst der Anfang. Die Aussaat gewissermaßen. Der Same ist gelegt. Wartet nur, bis der Frühregen und der Spätregen niedergegangen sind - dann wird für alle sichtbar werden, was derzeit noch im Verborgenen wächst und reift. Harrt nur aus und übt euch in Geduld. Denn das ist euer Teil. Mehr verlangt der Herr nicht von euch. - Weniger aber auch nicht! "So seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn der Herr kommt bald."

Liebe Gemeinde, ein Landwirt weiß, dass es seine Zeit braucht, bis der Keim ans Licht kommt. Zwischen den Tagen der Aussaat und denen des Wachstums und bis zur Ernte liegt nicht selten sogar ein ganzer Winter.

Da gibt es nichts zu tun, außer warten.

Warten aber heißt nicht: untätig sein. Nein, den Dingen die Zeit geben, die sie brauchen, heißt ja auch: Mehr Zeit für uns selbst zu haben, selbst Zeit zu haben für das, was unter uns Not tut.

Das ist die andere Seite der Gelassenheit: Die Zeit, die wir jemandem oder etwas lassen können, damit dieser oder dieses sich entfalten, entwickeln oder heranreifen kann, dieselbe Zeit ist nicht verloren, sondern wir gewinnen sie zu unsrer eigenen Verfügung, für die Beschäftigung mit etwas anderem, oder auch einfach: mit uns selbst und dem, was uns angeht.

(...Je mehr wir der Zeit überlassen können, desto freier können wir unser Leben führen...)

Zum Beispiel: Im Winter, wenn es auf den Feldern nichts mehr zu tun gibt, dann ist Zeit, die Geräte zu reparieren oder den Stall aufzuräumen. Aber es ist dann auch Zeit, sich zu besinnen "im Herzen aufzuräumen", sich dem zu widmen, was zwischen den Menschen zerbrochen ist und vielleicht endlich den Saustall aufzuräumen, den wir in persönlicher Hinsicht - d.h. im Verhältnis zu unseren Nächsten - angerichtet haben mögen.

Auch das gehört zum Advent, der Zeit festlichen Wartens auf Gottes Ankunft unter den Menschen: Dass wir nun vielleicht endlich den entscheidenden Schritt auf unseren Nachbarn zugehen, mit dem wir seit langem zerstritten sind, auf den Kirchengemeinderat, von dem wir uns "schon immer" missverstanden fühlen, auf die neu Zugezogenen, die uns überheblich oder arrogant erscheinen, auf die eigenen Kinder, deren Lebensansichten uns fremd geworden sind... Dazu haben wir jetzt Zeit. Dazu haben wir Advents-Zeit. GOTT GIBT UNS ZEIT!

Advent heißt: Gott kommt. Der Same zu seinem Reich ist ja gelegt. Er wird aufgehen und sichtbar blühen, wenn die Zeit gekommen ist. Daran können und müssen wir nichts tun. Gelassen dürfen wir es erwarten.

Advent, Zeit unserer Erwartung, heißt aber auch: Gott wartet auf uns. Er hat uns noch Zeit gelassen.

Gott gibt uns die Adventszeit. Er gibt uns die Zeit, die wir brauchen, um zu reifen und zu wachsen im Vertrauen und in der Liebe. Zeit, um uns auf Sein Kommen in diese Welt vorzubereiten. Wir tun das, indem wir zu Herzen nehmen und dort zu Taten reifen lassen, was uns verheißen ist.

"So seid (also) auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn der Herr kommt bald."

Es gibt viel zu erwarten - zögern wir nicht! Amen.



Pfarrer Thomas Ammermann
Untermünkheim
E-Mail: pfarrer.ammermann@yahoo.de

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