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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

3. Advent, 13.12.2009

Predigt zu Lukas 1:67-80, verfasst von Claus Oldenburg

Wenn ihr und ich es nicht besser wüssten - und uns deshalb loben könnten, einigermaßen in der Bibel bewandert zu sein -, dann könnte man glauben, der heutige Text sei ein echter Christushymnus, also ein Lobgesang auf das Kind, das in gut anderthalb Wochen zur Welt kommen wird.

            Aber es ist ein Johanneshymnus, ein Lobgesang auf den kleinen Jungen Johannes, der später Johannes der Täufer genannt wurde, und der in diesem Zusammenhang zweifellos diejenige Person ist, von der man in der Überlieferung als dem "Vorläufer" Christi spricht.

            Er wird, wie es im heutigen Text heißt, "den Weg des Herrn" bereiten, und Johannes der Täufer tritt somit in unserem Zusammenhang offensichtlich als der letzte der Propheten Gottes auf, bevor Gottes eigener Vollendung in Menschengestalt geschehen kann. Damit dürfte ein  mögliches Thema für die Predigt ins Spiel gebracht sein, nämlich der Unterschied zwischen dem Propheten und dann Christus. Davon handelt das Christentum sozusagen.

            Zunächst aber einige Vorbemerkungen. Der Text ist der Einleitung des Lukasevangeliums entnommen, und ich kann es nicht anders sehen, als dass diese Geburts- und frühen Kindheitserzählungen in all ihrer behaupteten, etwas kindlichen Unschuld samt und sonders von dem Evangelisten sehr genau redigiert worden sind, um die Hauptbotschaft so klar wie möglich hervortreten zu lassen.

            Aber nun zur Sache: Das Evangelium wird mit einer Szene eingeleitet, in der der Erzengel Gabriel den hochbetagten Priester Zacharias während dessen Priesterdienstes aufsucht und ihm mitteilt, dass er und seine ebenso hochbetagte Frau ein milde gesagt wichtiges Kind bekommen werden. Als sich der alte Zacharias angesichts dieser Mittleilung zögernd verhält, schlägt ihn der Erzengel mit Stummheit - und diese Stummheit wird dann im Text gebrochen durch den Lobgesang des Zacharias für den Neugeborenen, der Johannes heißen soll.

            Dieses "Magnificat" ist bei Lukas sorgfältig mit dem Lobgesang Marias für ihr Kind parallelisiert, das genau ein halbes Jahr nach Johannes geboren werden soll, wie ja auch die junge Mutter Maria und die hochbetagte Mutter Elisabeth Verwandte sind. Das Ganze hängt zusammen.

            Und die Parallele ist auch unter einem anderen Aspekt offensichtlich. Denn nach der Urgeschichte, auf die der Text denn auch als auf die Bundesgeschichte hinweist, konnten Abraham und Sarah keine Kinder bekommen - aber es war der Wille und die Absicht Gottes, dass sie in hohem Alter ein Kind bekommen sollten, und der Sohn Isaak, der Erbe, wurde geboren. Auch dieser Zusammenhang und diese Parallele scheint sehr bewusst.

            Ich möchte also meinen, dass der Evangelist Lukas sich größte literarische Mühe gibt, um seine Geschichte in einen notwendigen Einklang mit der Urgeschichte zu bringen - und um dann den Quantensprung vorzunehmen, dass ein Unterschied besteht zwischen dem Träger des Bundes und dem Erfüller des Bundes. Dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, der, wie es wohl auf ganz modernem religiösem Dänisch heißt, die "Vereinbarung" oder "Verabredung" trägt, und dann dem, der eben diese Verabredung erfüllt. Oder: Dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Propheten und dann Christus.

            Über Johannes den Täufer sollte ich sicherlich noch hinzufügen, dass seine Person - im Sinne einer Täuferbewegung - geschichtlich gut bezeugt ist, weil wir für ihn andere historische Quellen besitzen als die Evangelien. Andererseits ist Jesus in anderen Quellen als im biblischen Text absolut nicht gut bezeugt. Hinzu kommt noch, dass die einzelnen Bruchstücke in den Evangelien über Johannes den Täufer in verschiedene Richtungen zu weisen scheinen, denn auf der einen Seite wird der Täufer als der Vorläufer Jesu bezeichnet, und der Täufer ist es kaum wert, dass er ihm die Riemen seiner Schuhe löst, während er auf der anderen Seite Konkurrent Jesu zu sein und die Messianität Jesu andeutungsweise zu bezweifeln scheint. Die Texte sind also absolut nicht eindeutig, was Johannes den Täufer betrifft. Und wenn ich mich dazu kritisch verhalten soll, dann sieht es so aus, als suchten die Evangelien mit allen Mitteln den Täufer in eine Rangordnung und Folgewirkung im Verhältnis zu Jesus von Nazareth einzureihen. Der Täufer ist unterzuordnen und er soll seine ihm bestimmte Rolle eben als "der Prophet" spielen, der den "Weg des Herrn" bereitet, und der Herr ist Christus, Gottes Kommen in die Welt. Aber die Unterordnung ist vielleicht geistig gesprochen nur fair.

 

Wenn ich mich hier der Prophetengestalt annehmen und wenn dabei etwas herauskommen soll, dann muss ich mich mit dem Propheten Mohammed und der Rolle befassen, die er spielt, ganz einfach weil der Fall zugleich illustrativ und politisch gegenwärtig ist. Ich tue das, weil man von einer Predigt über die alttestamentliche Prophetengestalt nicht gerade sagen kann, sie werde sehr viel mehr als intellektuell-geschichtlich interesssant sein.

            Man kann es auch so sagen, dass die Christusgestalt für unser christliches Bewusstein die Prophetengestalt und die Institution des Propheten verdrängt hat. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann es eine gewisse Herausforderung sein, den Propheten und seine Bedeutung zu betrachten, und zwar eben mit Hilfe Mohammeds, weil er de facto eine zentrale Gestalt in einer Weltreligion und ein außerordentlich wirkungsvoller Maßstab für eine ganze Kulturform ist.

            Es ist hinzuzufügen, dass der Islam sich selbst als die Vollendung von Judentum und Christentum in der genannten Reihenfolge auffasst, dass wir die Urgeschichte gemeinsam haben und dass der Islam Jesus in die Kette der großen Propheten einreiht, die aus Noah, Abraham, Mose, Jesus und - als dem letzten und entscheidenden - Mohammed selbst besteht.

            Aber wir dürfen - und können - als Christusgläubige Jesus nicht als Propheten auffassen, ungeachtet der Größe und Bedeutungsschwere, die ein Prophet haben mag. Jesus von Nazareth ist selbst Gottes ausgedrücktes Bild, und er ist daher Gott nicht untergeordnet, geschweige denn dass er in Seinem Namen spräche oder andere ausgezeichnete Dinge täte, die Gott wohlgefällig sein könnten, etwa als Vorbild o.ä. Jesus ist nach der klassischen Dogmatik: Gott - sein menschlicher Ausdruck.

            Der alttestamentliche Prophet dagegen spricht im Namen Gottes. Und wenn von einem echten Propheten die Rede ist - im Gegensatz zu den falschen - dann erfüllen die Aussagen des Propheten das Gesagte, sie erfüllen, was sie nennen.

            Nach der christlichen Auffassung spricht Jesus nicht im Namen Gottes, und er führt nicht Gottes Wort. Er IST es. Er ist Gottes Gegenwart in physischer Form. Die Worte erfüllen sich sozusagen selbst. Ob der Mensch ihnen glaubt, ist de facto eine andere Frage. Denn Jesus ist nicht mehr oder weniger glaubwürdig - ER ist der Glaube selbst.

            Dies kann leicht ein wenig subtil werden, aber es lässt sich folgendermaßen mit Hilfe des folgenden Paradoxes veranschaulichen: Wir dürfen mit dem Menschensohn Spott treiben und ihn verspotten, so viel wir wollen. Wir haben sogar SEIN eigenes Wort dafür. Und ER ist Gottes Sohn, Gottes ausgedrücktes Bild.

            Aber niemand darf mit dem Propheten Spott treiben oder ihn verspotten. Und er ist doch nur ein Mensch - und gerade das Menschliche am Propheten wird so sehr betont, weil der Islam den absoluten Unterschied zwischen Gott und Menschen hegt und pflegt.

            Warum also dürfen wir in der Christenheit ohne Weiteres eine Person verspotten, die Gott gleich ist, während es im Islam extrem ehrenbeleidigend ist, eine Person zu verspotten, die Gott untergeordnet ist und ein Mensch ist wie alle anderen Menschen?

            Eine befriedigende Antwort auf diese Frage gibt es kaum, aber ein Vorschlag mag sein: Idealisierung.

            Dies ist ja gerade das Charakteristische an der Gestalt Johannes' des Täufers. Er tritt in der Überlieferung als eine ideale Gestalt auf, denn er ist es, gegen den man nichts haben oder sagen kann: er lebt asketisch, er raucht nicht, er trinkt nicht, er isst nur notdürftig um des Überlebens willen, er ist keusch - aber er hat einen hervorragenden Sinn für die schlechten Seiten anderer. Er ist ein hervorragender Züchtiger und öffentlicher Kritiker, und da er selbst im Verhältnis zu gewöhnlicher schlapper Menschlichkeit als Ideal dasteht, wird er in den Rang des Propheten gehoben.

            Die Leute waren in Wirklichkeit ungeheuer beeindruckt, und sie kamen in Strömen aus Jerusalem zum Jordan, um von Johannes getauft zu werden, während sie lauthals ihre Sünden bekannten. Es ging wirklich gut mit den Bekehrungen.

            Er ist sozusagen ein Mann, vor dem man Respekt haben kann.

            Und genau das ist es meiner Meinung nach, was der Moslem gegenüber dem Propheten hat. Denn Mohammed ist Träger der Offenbarung Gottes, so wie sie im Koran rezitativ vorliegt und vom Erzengel Gabriel vorgetragen ist, er ist das Beispiel für die Nachfolge für jeden Moslem, und er ist der Gründer ihrer Gottes-Welt, wodurch die eigene Bedeutung, die eigene Bedeutung des Menschen, geistig eng verknüpft ist mit dem Respekt vor dem Propheten. Respekt vor dem Propheten ist ein Respekt vor dem Moslem.

            Das Ideal bewirkt - leider - Unterwerfung. Oder dass man zu jemandem aufsieht, und das bedeutet die entsprechende Attitude der Über- oder Unterordnung. Und in dem Maße, wie die Jesusgestalt demselben Verhalten ausgesetzt gewesen ist - und das ist schlicht gesagt in langen Epochen und in vielerlei und recht unterschiedlichen Stilarten der Fall gewesen -, in dem Maße ist auch ER zu irgendeiner idealen Erscheinung erhoben worden, die dem idealisierenden Wunschdenken genau entspricht.

            Und sollten wir hier kurz vor Weihnachten dem kindlich-unschuldigen Wunschdenken verfallen, dann ist ER ein hervorragendes Opfer. Das Kind von Bethlehem passt gut zu der rückwärtsgewandten Versöhnung mit dem Dasein, die Kennzeichen von Nostalgie und Gemütlichkeit ist - dass die Welt nun einmal ist, wie sie ist, aber wir feiern sie in froher Nichtwiedererkennbarkeit, was de facto der Sinn des Festes ist. Selbstverständlich.

            Ich bin also ganz dabei. Aber ich muss also auch mein Amt dazu benutzen, auf Sachverhalte aufmerksam zu machen, die von geistigem Nutzen sein können.

            Ich bin ganz schlicht der Meinung, dass jede idealisierte Auffassung von einem beliebigen Menschen an sich schon eine gefährliche Demontage des Menschlichen ist. Denn die Erhebung ist nicht tragfähig, und die Erhebung ist an sich eine Anstrengung, die das Menschliche und das Geschaffene nicht anzuerkennen bereit ist.

            Darum ist es ganz einfach die Gnade Gottes, dass die Geschichte von Jesus von Nazareth gerade so viele Widerhaken enthält, dass sie, die Widerhaken, IHN, den Erfüller, zu der notwendigen "Macht des Heils" machen - und nicht den Propeten, den Träger, dazu machen.

            Und die Widerhaken bestehen darin, dass - mit den Worten Luthers - in Seiner Krippe ein Kreuz errichtet ist. Dass das Ideal nicht in Seiner Gestalt erfüllt ist, sondern dass Unschuld und Schuld in Seinem Sein versöhnt sind. Darum können wir Ihn ehren und anbeten in der Gewissheit, dass, auch wenn wir Ihn verdammen, dass es dann gewiss aus unserem eigenen notwendigen Drang geschieht. Und dass wir nicht notwendigerweise aus diesem Grund verdammt werden.

            Denn das Gefühl kann nie auf sich selbst verzichten, ohne sich selbst zu verlieren. Und die Liebe sieht in aller Klarheit das Menschliche, das Fleischliche, nicht das Ideal, das Luftige. Das Ideal vermag höchstens überflüssiger Selbstbespiegelung zu dienen.

Amen



Sognepræst Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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