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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Advent, 20.12.2009

Predigt zu Philipper 4:4-7, verfasst von Johannes Block

Eine Gebrauchsanweisung für Weihnachten

„Freude, schöner Götterfunken" - mit diesen Worten beginnt die Ode an die Freude von Friedrich Schiller. An Jubeltagen und bei großen Ereignissen kommt sie zur Aufführung, die Ode an die Freude in der symphonischen Vertonung Ludwig van Beethovens. Mit Solisten und großem Chor, mit Pauken und Trompeten wird die Freude als ein Himmelsgeschenk besungen. Tiefe, unverbrüchliche Freude nimmt ihren Ausgang im Himmel. Sie fällt uns zu. Sie kommt auf uns zu. Vom Advent der Freude ist der Brief des Apostels Paulus an die Philipper durchklungen. Paulus ruft uns zu: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!

Im Trubel der Vorweihnachtszeit droht der Götterfunke der Freude immer auch zu verglühen. Denn vieles soll im Blick auf das Fest und gegen Ende des Jahres noch bedacht, erledigt und besorgt werden. Damit uns inmitten der Besorgungen und Sorgen die Weihnachtsfreude nicht verloren geht, bieten sich die Worte des Apostels als eine Art Gebrauchsanweisung an - als eine Gebrauchsanweisung für Weihnachten.

Gewiss, der Termin des Weihnachtsfestes steht längst im Kalender notiert: Fünfmal werden wir noch wach ... Und wie man kleinere oder größere Geschenke besorgt, verpackt und unter den Christbaum legt, das lernen bereits die kleinen Kinder. So vertraut die Rituale der Festtage sind, so gut kann es tun, inmitten der vielfältigen Vorbereitungen eine Art Gebrauchsanweisung für Weihnachten zu haben. Seelsorger und Therapeuten berichten davon: Gerade im Blick auf die weihnachtlichen Festtage werden viele Menschen von melancholischen Erinnerungen oder von betrüblich schweren Gedanken heimgesucht. Dann kann man schon allen guten Mut und die innere Mitte verlieren. Dann geht man über die Weihnachtsmärkte und hört in all den Klängen keinen tröstenden Klang; man riecht und schmeckt in all den Düften und Genüssen keinen himmlischen Wohlgeruch; man sieht in all den Auslagen und Angeboten keinen seligen Augenblick.

Wie heilsam und gut ist es, wenn man eine Gebrauchsanweisung für Weihnachten in der Tasche hat. Man kann sie hervorkramen, entfalten und durchlesen. Dann lesen sich unsere Augen selig satt; dann hören unsere Ohren getrost auf biblische Worte, und unsere Nase wittert den Geruch himmelweiter Freude. Jetzt öffnet sich in all den Vorbereitungen und Besorgungen, in all den Ängsten und Bedrückungen die Mitte des Weihnachtsfestes. Die wohlklingende Gebrauchsanweisung für Weihnachten möchte ich jetzt etwas genauer durchblättern. Mit drei kleinen Freude-Formeln entfalte ich die weihnachtliche Gebrauchsanweisung des Apostels Paulus. In die Mitte des Weihnachtsfestes führt zum einen die Freude an Christus, zum anderen die Freude durch Christus und schließlich die Freude in Christus.

I. Die Freude an Christus

Die Freude an Christus, unsere erste Freude-Formel, bildet gleichsam die äußere Oberfläche des Weihnachtsfestes. Wer nach dem Ursprung der weihnachtlichen Festkultur fragt, der wird - früher oder später - immer auch auf den Mann aus Nazareth stoßen. An Weihnachten feiert man die Geburt des Jesus von Nazareth. Und dann kann eine Freude entstehen, die allen Menschen offensteht. Denn an Jesus kann man sich schlichtweg so freuen, wie man sich an eindrücklichen Menschen oder besonderen Besitztümern erfreuen kann. Es gibt so etwas wie einen ersten, unverstellten Zugang zu Jesus von Nazareth. Das ist die Freude an einem Menschen, der aus einfachen Verhältnisse kommt und Erstaunliches tut, der Lahme und Blinde heilt, der den Kampf mit der Führungselite aufnimmt, der sich nicht zu fein ist für zünftige Gastmähler, der Wasser in Wein verwandelt, der ein Herz für Ausgestoßene und Rechtlose hat, der es selbst mit dem Teufel aufnimmt. Man kann sich an der Geschichte Jesu so freuen, wie man sich an den Abenteuern eines Robin Hood oder eines Till Eulenspiegel freuen kann. Es gibt eine erste, unverstellte Freude an dem Mann aus Nazareth; sie bildet die äußere Oberfläche des Weihnachtsfestes.

Diese erste Oberfläche sollte man immer wieder einmal berühren und pflegen: Etwa wenn man selbst unsicher geworden ist und nach der Freude des Weihnachtsfestes sucht. Oder wenn man Kollegen, Nachbarn oder Freunden zu erklären versucht, warum man Weihnachten feiert und in die Kirche geht. Wer die Oberfläche des Weihnachtsfestes mit all den Christstollen, Christbaumkugeln und Christkindfiguren berührt und pflegt, stößt auf die Geschichte des Mannes aus Nazareth. Jetzt stehen wir auf der Schwelle unserer ersten Freude-Formel: der Freude an Christus. Das ist die Freude an dem Mann aus Nazareth, der uns mit seinen Taten und Worten anstifet - anstifet zur Freude über die Heilung der Lahmen und Blinden, anstifet zur Freude über die Befreiung der Rechtlosen, anstiftet zur Freude über die Vertreibung des Teufels.

II. Die Freude durch Christus

Die zweite Freude-Formel, die Freude durch Christus, führt uns immer weiter in die Mitte des Weihnachtsfestes hinein. Jetzt öffnet sich eine Freude, die selbst die bedrängten und bedrückten Seelen aufatmen und lachen lässt.

Üblicherweise verfliegt sie schnell - die erste Freude, die man an besonderen Besitztümern oder eindrücklichen Menschen haben kann. Das freudig ausgesuchte neue Mobiltelefon wird bald alltäglich. Auch die beste Ehe oder Partnerschaft kommt in ein verflixtes siebtes Jahr. Selbst die große Jubelfreude über die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit ist verflogen. So also lautet der Reim über das flüchtige Wesen der Freude: „Es bleibet doch dabei, dass alle Lust vergänglich sei" (Christian Hofmann von Hofmannswaldau).

Der Brief an die Philipper wird von Paulus, dem Apostel, im Verließ eines römischen Gefängnisses verfasst. Die Anklage ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: Es geht um Leben und Tod. Dennoch gibt es im schwarzen Loch der Lebensangst eine Freude, die trägt und wärmt. Der Apostel atmet eine Freude, die mächtiger ist als Gefängnismauern und weiter reicht als die Hand des Todes. Es ist die Freude durch Christus, die den Apostel erfüllt und die er freudig weitersagt: Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!

Dietrich Bonhoeffer, der Theologe im Widerstand, sitzt zur Kriegsweihnacht 1944 im Gefängnis der Geheimen Staatspolizei. Aus der Gefängniszelle schreibt er an seine Familie:

„Ihr müsst nun vor allem nicht denken, dass ich mich durch dieses einsame Weihnachten werde niederschlagen lassen. Vom Christlichen her gesehen kann ein Weihnachten in der Gefängniszelle ja kein besonderes Problem sein. Wahrscheinlich wird in diesem Hause hier von Vielen ein sinnvolleres und echteres Weihnachten gefeiert werden als dort, wo man nur noch den Namen dieses Festes hat. Dass Elend, Leid, Armut, Einsamkeit, Hilflosigkeit und Schuld vor den Augen Gottes etwas ganz anderes bedeuten als im Urteil der Menschen, dass Christus im Stall geboren wurde, weil er sonst keinen Raum in der Herberge fand - das begreift ein Gefangener besser als ein anderer und das ist für ihn wirklich eine frohe Botschaft."

Am Ende wird es so sein, dass sich die Freude durch Christus dort am stärksten auswirkt, wo das Bedrohliche und die Not am größten ist. Das Verließ eines Gefängnisses wird zum Wiegenbett einer unaussprechlichen Freude.

So freut euch, ihr Eingesperrten! Freut euch, ihr Bedrückten! Freut euch, ihr Erniedrigten! Eure Angst und Hoffnungslosigkeit ist die Wiege der weihnachtlichen Freude. Ihr werdet mit Maria das himmelhoch jauchzende Magnifikat singen. Das Evangelium für den 4. Advent erzählt vom Gesang der Maria, den wir aber abermals hören:

„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen."

Heißt es auf der einen Seite: Freut euch!, so heißt es auf der anderen Seite: Fürchtet euch! Fürchtet euch, ihr Reichen und Erfolgreichen! Fürchtet euch, ihr Gewaltigen und Gewalttätigen! Fürchtet euch, ihr Sicheren und Selbstsicheren! Gewiss, man kann mit satten Bäuchen und mit selbstzufriedenen Mienen ein warmes, wohliges Fest feiern. Doch letzten Endes feiert man allein sich selbst: den gefüllten Magen, das kaufkräftige Einkommen, die behagliche Weihnachtsstube. Wer allein sich selbst feiert, sitzt weich und bequem; aber man sitzt nicht in der Mitte des Weihnachtsfestes. In der Mitte des Weihnachtsfestes steht die Freude durch Christus, die in der Dunkelheit, die in der Kälte, die in der Armut leuchtet.

III. Die Freude in Christus

Die dritte und letzte Freude-Formel, die Freude in Christus, verändert uns und verändert die Menschen um uns herum. Die Freude in Christus ist eine nachhaltige Freude.

Jedes Jahr lässt sich immer wieder aufs Neue darüber staunen, wie schnell das wochenlang vorbereitete Weihnachtsfest wie auf Knopfdruck verpufft. Kaum ist der zweite Weihnachtstag vorüber, ändern sich die Menschen und ändern sich die Schaufensterauslagen in den Innenstädten. Im Blickpunkt stehen nun Silvester und der Jahreswechsel. Für einen nachhaltigen Lebensrhythmus, für eine nachhaltige Freude scheint es keinen Platz im Termin- und Reisekalender zu geben. Es gehört wohl zur Signatur dieser Epoche, dass die Freude ein flüchtiges, ein schnelllebiges Wesen geworden ist. Sie ist kurzatmig und braucht immer wieder neuen Brennstoff und neue Anstöße.

Die Freude in Christus hat demgegenüber einen anderen, einen längeren Atem. Sie ist beharrlich und nachhaltig. Das liegt daran, dass ihr Brennstoff nicht einfach ein Stapel Brennholz ist, der alsbald verglüht und verglimmt. Der Brennstoff der christlichen Freude ist nicht in dieser Welt zu finden. Die Freude in Christus zehrt von der Vorfreude, die auf den Advent Gottes setzt: Es steht noch etwas aus! Eine letzte Tür wird sich öffnen! Nichts und niemand ist letzten Endes auf sich allein gestellt! Das Gefühl der christlichen Vorfreude drückt sich seit alters im Bild der Maria aus, die mit einem Kind unter dem Herzen schwanger geht. Etwas Wunderbares ist im Schwange - dieses Grundgefühl prägt die christliche Vorfreude. Es ist eine Vorfreude trotz und inmitten aller Geburtsschmerzen, aller Herbergssorgen oder Geldnöte, die uns in dieser Welt ergreifen und beherrschen können.

Das Grundgefühl der christlichen Vorfreude verändert uns und verändert die Menschen um uns herum. Hören wir noch einmal auf die Worte des Apostels Paulus: Freuet euch! Eure Güte lasst kundsein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten mit Danksagung vor Gott kundwerden!

Die christliche Vorfreude strahlt in die Welt aus. Paulus ruft die Philipper zur Güte und zur Gelassenheit auf. Wer sich in der Vorfreude aufgehoben weiß, dass noch etwas Wunderbares im Schwange ist, der kann mit einer gewissen Güte und Gelassenheit auf Menschen zugehen und mit ihnen leben und arbeiten. Weil das schöne Letzte kommt, muss man sich in dieser Welt nicht wie ums Letzte streiten. Wenn sich Christen in Leipzig eindrucksvoll für den Neubau der Universitätskirche einsetzen, dann darf es in all dem berechtigten Engagement nicht an Güte fehlen, nicht an Nachsicht, an Entgegenkommen oder an Umgänglichkeit. Angesichts der Vorfreude über das Kommen Gottes sollten Christen aus irdischen Fragen keine letzten Fragen machen. „Denn wir wissen", schreibt der Apostel, „wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel." (2 Kor 5,1)

Wer aus der Vorfreude lebt, wer eine umgängliche, nachsichtige Atmosphäre schafft, der wird zwar die Sorge, den Kampf oder die Intrige nicht einfach los. Aber es gibt eine Gelassenheit, aus der heraus man seine Sorgen wahrnimmt, ohne sich von diesen beherrschen und auffressen zu lassen. Solcherlei Gelassenheit wird nach des Apostels Worten durch das Gebet gefördert: Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten vor Gott kundwerden! Sorgt euch um nichts, denn ein himmlischer Vater sorgt. Wer unter uns wollte auf Dauer etwas besorgen und bewirken, so es nicht von Gott erbeten und geschenkt wird!

Die Freude-Formel zum Weihnachtsfest

Blicken wir zurück: Am 4. Advent hören wir Worte des Apostels Paulus aus dem Brief an die Philipper. Wir haben diese Worte wie eine Gebrauchsanweisung für Weihnachten entfaltet und gelesen. Mit einer dreifachen Freude-Formel haben wir uns auf den Weg in die Mitte des Weihnachtsfestes gemacht. Jede der drei Freude-Formeln kann man je nach Situation und Bedarf für sich einsetzen:

Wenn dich der Weihnachtstrubel erdrückt und ernüchtert, dann greife zur ersten Freude-Formel, zur Freude an Christus. In, mit und unter all der Oberfläche lässt sich immer auch die Freude an dem Mann aus Nazareth entdecken.

Wenn dich die Einsamkeit und die Dunkelheit erfassen, dann greife zur zweiten Freude-Formel, zur Freude durch Christus. Die Not und die Armut sind das Wiegenbett der weihnachtlichen Freude.

Wenn dich der Kampf und die Sorge zersetzen, dann greife zur dritten Freude-Formel, zur Freude in Christus. Die Vorfreude auf den, „der da ist und der da war und der da kommt" (Apk 1,8), schenken den Freiraum zur Güte und zur Gelassenheit.

Am Ende sind wir gottbefohlen. Kein anderer als Gott allein wirkt den Götterfunken - die Freude an, durch und in Christus. Die Worte des Apostels wissen am Ende, wie uns geschehen wird: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus.



Dr. Johannes Block
Institut für Praktische Theologie, Universität Leipzig
E-Mail: block@uni-leipzig.de

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