Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiligabend, 24.12.2009

Predigt zu Lukas 2:1-20, verfasst von Doris Gräb

Liebe Gemeinde in der Christnacht!

„Als alles still war und ruhte und eben Mitternacht war, da fuhr dein mächtiges Wort vom Himmel herab, vom königlichen Thron" - so heißt es im alttestamentlichen Buch der Weisheit. -

Wie weise ist das gesagt, vor so langer Zeit. - Denn weil es so wahr ist, deswegen haben wir uns noch einmal auf den Weg gemacht durch die Nacht. Weil wir diesen Gottesdienst besonders lieben, gewiss. Weil wir den Heiligabend schon immer so beschlossen haben, in der Ruhe dieser besonderen Nacht. Das auch.

Und doch sind wir nicht nur aus Gewohnheit gekommen. Da ist, so denke ich, noch viel mehr. Da ist in uns doch ein wahrhaft tiefes Bedürfnis, noch einmal zu hören, was da geschehen ist, damals, auf den Feldern von Bethlehem, mitten in der Nacht. Genau hinzuhören. Auch wenn wir die Geschichte schon so oft gehört haben in all den Jahren unseres Lebens. Dennoch bleibt sie ein Geheimnis. Unergründbar. Mächtig. Uns in unserem Menschsein im Innersten betreffend und anrührend.

Das mächtige Wort aus dem Himmel, vom göttlichen Thron kommend: - den Hirten zuallererst gesagt. Und doch auch zu uns gekommen - in unser Leben in dieser Heiligen Nacht des Jahres 2009 herab gekommen.

Geheimnisvoll ist der Himmel. - Und dieses unser so einmaliges, unverwechselbares Leben: genau so geheimnisvoll.- Ein bleibend großes, unfassliches Geheimnis.

Und darum sind wir auch in dieser Heiligen Nacht wieder hier, um diesem himmlischen - und irdisch- menschlichen Geheimnis ein wenig zumindest auf die Spur zu kommen. Ihm nachzusinnen in der Ruhe dieser Nacht, in der sich Himmel und Erde, Gott und Mensch auf solch wunderbare Weise berühren wie sonst nie.

Dieses mächtige, unergründliche Wort, das vom Himmel herab kommt, und sich dann, wiederum unerklärbar, irgendwo am Rand der Weltgeschichte in einem Stall niederlässt.

Einem bescheidenen Elternpaar wird ein Kind geboren. In der behelfsmäßigen Behausung legen sie es in einen Futtertrog, der mit ausgedroschenem Stroh ausgelegt ist. Nichts Besonderes ist eigentlich zu vermelden. Nichts, was zunächst jedenfalls den Alltag armseliger Menschen in jener Gegend und in jener Zeit besonders spektakulär gemacht hätte.

Und doch, doch ist da noch viel mehr. Die Weihnachtsgeschichte ist ja ein so mächtiges Wort. Walter Jens nennt diese 20 Verse des Lukasevangeliums den bekanntesten Text der Weltliteratur. So oft gelesen, gedeutet, umgeschrieben, ausgemalt, in die jeweilige Zeit hinein übersetzt und verstanden im Laufe der 2000 Jahre, dass er ganze Bibliotheken zu füllen vermag.

Aber was nur ist es, das diese Geschichte so mächtig - und so geheimnisvoll sein lässt?

Nicht wahr, in der Ruhe dieser Heiligen Nacht wird sie mit einem Mal wieder so lebendig,  als hörten wir sie zum ersten Mal. - Auch dies, ohne Zweifel, ein Ausdruck ihrer berührenden Kraft.

Ein bescheidenes Elternpaar, ein Haufen armseliger Hirten, ausgedroschenes Stroh - und: ein Kind. Ein Kind, das all dieses Altgewohnte und Selbstverständlich-Alltägliche und Abgedroschene mit einem Mal neu aussehen lässt.

Ein Kind, aus dem das Licht der Ewigkeit, des ewigen göttlichen Geheimnisses hervorbricht. So hat es Rembrandt auf seinen Weihnachtsbildern gemalt. Maria und Joseph als typisches niederländisches Bauernpaar in einem dunklen Stall. Kühe, Hühner auf der Leiter, so, wie es eben ist in einem Stall. Fast ahnt man den Geruch, der dazu gehört. -

Und dann: ein Kind, aus dem das Licht so geheimnisvoll, ja geradezu überirdisch heraus strahlt. - Dieses Licht berührt die Gesichter aller, die sich in dem Stall befinden: Maria und Joseph. Die Hirten, die sich noch durch die Stalltür drängen, und erst recht die, die schon vor dem Kind knien. Ein Kind, das alles Alte und Gewohnte in diesem Stall neu macht. So, wie es im Weihnachtslied Martin Luthers doch heißt: „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein` neuen Schein. Es leuchtet wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht."

Welch ein wunderbares Geheimnis: Das Licht der Ewigkeit leuchtet in einem Kind. Leuchtet heraus aus einem gewöhnlichen Futtertrog, der mit ausgedroschenem Stroh ausgelegt ist.

Ein Kind vermag viel, wir wissen es. Auch über verhärmte Gesichter huscht ein Lächeln, wenn sie einem Kind in den Kinderwagen schauen. Nie strahlen die Gesichter unserer Bewohner in Haus Friedenshöhe mehr, als wenn Kinder durchs Haus gehen - oder sie gar, wie neulich unsere Singschule, mit ihren Liedern erfreuen.

Denn in einem Kind: da ist anfängliches Leben, ist ursprüngliche Lebendigkeit. Es verkörpert gleichsam den wunderbaren, geheimnisvollen Anfang des Lebens, den wir im Laufe unseres Lebens aus dem Blick verloren haben. Zu tief hat das Leben im Lauf der Jahre seine Spuren eingezeichnet, hat womöglich Narben hinterlassen, die immer wieder aufbrechen.

Im Anblick eines Kindes ist das vergessen, zumindest für einen Augenblick. Da kommt das Leben wieder so in den Blick, wie es gemeint war - und immer noch gemeint ist. Strahlend hell. Unverfälscht gut. Ungebrochen, unverbogen. Heil und ganz.

Und eben so, und jetzt verstehen wir es vielleicht schon ein wenig besser, müssen es die Hirten damals erlebt haben. Ein Kind. Das Kind, von dem die Engel singen: Friede auf Erden, und allen Menschen ein Wohlgefallen.

Wen wundert`s, dass die eindrücklichsten Ausdeutungen der alten, mächtigen Geschichte von schwersten Zeiten und Krisen erzählen, in denen es dann schließlich doch auf wunderbare Weise Weihnachten geworden ist.

Im Güterwaggon auf der Flucht in den Westen. Im harten Winter in Stalingrad. In einer elenden Flüchtlingsbehausung, wenigstens mit einem Dach über dem Kopf. In Zeiten, in denen die Trauer um einen lieben Menschen mächtiger schien als der Weihnachtsglanz. Wir kennen viele solcher Geschichten. Und wir wissen womöglich auch von ähnlichen Erfahrungen in unserem eigenen Leben in der Weihnachtszeit zu erzählen.

Da war - und da ist, trotz aller Dunkelheiten und Widrigkeiten, immer auch dieses Kind, aus dem das himmlische Licht hervor bricht. Und das Alte, das fast unerträglich Schwere, das erscheint mit einem Mal in einem neuen Licht - und lässt wieder hoffen, dass das Leben noch einmal beginnen kann. Dass es in all den augenblicklichen Lasten und Beschwernissen eben nicht aufgeht.

Ein Kind. Das mächtige Wort, das vom Himmel herab kam.

Verstehen wir nun besser, was es mit diesem Kind ist?

„Gott wird Mensch, dir, Mensch, zugute. Gottes Kind, das verbind`t sich mit unserm Blute." - So singt Paul Gerhardt.

Gott: kein ferner abstrakter Gedanke. Keiner, der aus weiter Distanz mit uns Menschen sympathisiert. Nein, Gott ist im Fleische. Die Fülle der Gottheit: leibhaftig. Ein wahrer Mensch. Das ist das mächtige Wort, das damals in der Ruhe der Nacht vom Himmel herab kam - und an diesem Weihnachtsabend zu uns wieder kommt.

Kaum zu fassen - und doch so mächtig, dass diese Botschaft auch heute wieder rund um den Erdball verkündet wird und die Menschenherzen mit Licht erfüllt.

Ein kleines herzerwärmendes Kind. Zum Verwechseln ähnlich mit dir und mit mir, damals, als wir noch Kinder waren, voller Lebensmut und ursprünglicher Lebensfreude und verliebt in das Leben und in sein Gelingen.

Zum Verwechseln ähnlich - und doch eben nicht identisch. Das Licht, das aus diesem Kind im erbärmlichen Futtertrog hervorleuchtet, das kann nicht erlöschen, auch wenn unser eigenes Lebenslicht schwächer und schwächer wird. Es bleibt die Quelle unseres Lebens, außerhalb unserer selbst - und doch auch in uns, wenn wir es nur ins Herz scheinen lassen - so, wie in der Ruhe dieser Heiligen Nacht.

In dieser Nacht, in der sich so geheimnisvoll unser wahres Menschsein offenbart - und das Sein dieser Welt nicht weniger. Wir können heil werden, trotz all des Schrecklichen in uns und um uns herum. Friede kann werden, in unserer Welt und in unseren zerrissenen Seelen, auch wenn wir noch so weit, unendlich weit davon entfernt scheinen.

Das Licht, das uns in diesem Kind entgegen scheint, lässt uns die Hoffnung nicht aufgeben, dass es gut ist mit unserem Leben und mit dieser Welt. Dass wir eben auch, wie das Krippenkind, Gottes Kinder sind, Kinder seines Wohlgefallens.

Und deswegen legt sich in dieser Nacht  jetzt doch auch auf unsere Gesichter und in unsere Herzen ein heller Schein legt? Es ist eine Wirkung des mächtigen Wortes, das vom Himmel herab kam.

Ganz am Ende der so mächtigen Geschichte heißt es schließlich: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen."

Wir sollten es genau so machen, wenn wir aus der Ruhe dieser Mitternacht nun gleich hinaus gehen.

Dieses mächtige Wort in uns aufbewahren, das da heißt: Dort, im Futtertrog im Stall von Bethlehem -genau so aber auch auf dem Grunde unserer Seele, erahnen wir den Gott, der in einem Kind wahrhaftiger Mensch geworden ist. Das Kind in der Krippe: es macht uns gewiss, dass wir hier und jetzt, vor seiner Krippe angekommen, wahrhaft Gottes Kinder sind.

„O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen"! Amen



Pfarrerin Doris Gräb
Berlin
E-Mail: dorisgraeb@gmx.de

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