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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiligabend, 24.12.2009

Predigt zu Lukas 2:1-20, verfasst von Joachim Ringleben

Liebe Gemeinde!

In der altvertrauten Weihnachtsgeschichte gibt es etwas Auffälliges: die Hauptpersonen schweigen. Maria und Josef sagen gar nichts, und das Kind in der Krippe kann natürlich noch nicht reden. Wer hier redet, das sind die Engel und die Hirten. Alle ihre Worte kreisen um das unmündige Kind in der Krippe, das still daliegt, und von dem doch alles Licht im Dunkel des Stalles ausgeht.

Dieses Kind kann bei seiner Geburt noch nicht sprechen; aber es wurde größer und schließlich erwachsen, kam zum Bewußtsein von sich und seiner Herkunft. Hat das Licht von Bethlehem auch in Jesus selbst noch geleuchtet?

Darum soll es jetzt gehen: Wie hat Jesus selber, der erwachsene Heiland, über seine Geburt und Kindheit gedacht? Was für eine Rolle hat seine eigene wunderbare Geburt für ihn selbst gespielt? Was bedeutet die Weihnacht für Jesus?

I

Nun, wie alle Kinder wird er seine Mutter nach den Umständen seiner Geburt gefragt haben. Freilich wissen wir darüber gar nichts. Aber immerhin hält das Evangelium fest: Maria bewahrte alle diese Worte, nämlich die der Hirten und der Engel, in ihrem Herzen und bewegte sie darin (19), was sie auch später mit den Worten ihres Kindes tat (51). Sie konnte ihm also davon erzählen, wie es war, als er auf die Welt kam.

Niemand von den ersten Christen ist dabeigewesen - in der Kindheit und Jugend Jesu. Aber diese Frage hat doch auch schon die urchristliche Gemeinde bewegt, die Frage: wie hat Jesu Kindheit wohl ausgesehen, wie war sein eigenes Verhältnis als erwachsener Mann zu seiner Geburt? Und Spuren davon gibt es in den Evangelien, so z. B. die frommen Kindheitsgeschichten, aber auch in anderen Schriften des Neuen Testamentes. Da werden natürlich nicht historische Tatsachen wiedergegeben, denn die standen den späteren gar nicht zur Verfügung. Aber dennoch haben die Jünger Jesu sich Gedanken gemacht über das Geheimnis dieser Geburt und dieses Kindleins in der Krippe. Das war bei allem, was sie mit Jesus und seinem Lebensweg erlebt haben, ja auch unvermeidlich. Darum wird im Neuen Testament selber schon versucht, Jesu Kindheit und Herkunft zu deuten. Dabei konnte man nur von dem ausgehen, was man an dem erwachsenen Jesus, mit seinen Worten und seinem Verhalten, erfahren hatte. Von da aus fällt dann rückwärts auch Licht auf die Szene im Stall von Bethlehem und auf die Kindheit Jesu. Das ist, auch wenn wir keine handgreiflichen Fakten oder ein sicheres Wissen, wie es war, haben, doch auch für uns und für unser Bild von Jesus wichtig und wohl unverzichtbar.

Machen wir uns also auf die Spurensuche. Was dachten sich die, die mit Jesus zu tun hatten und die ihn kannten, über seine Kindheit, was dachten sie darüber, wie Jesus selber sich zu seiner Herkunft verhielt?

II

Ich beginne diese Spurensuche mit etwas ganz unbezweifelbar Sicherem: Jesus hat besonders die Kinder geliebt. Davon berichten alle Evangelien übereinstimmend und vielfältig. Wir alle kennen diese echten Jesus-Worte: „Lasset die Kinder zu mir kommen ..., denn ihrer ist des Gottes Reich" (Mk 10, 14). Er umarmt und küsst sie (Mk 9, 36; 10, 16). Dafür lieben und „erkennen" ihn die Kleinen denn auch (Mt 21, 15). Jesus scheint sich geradezu mit ihnen identifiziert zu haben (Mk 9, 37) - er, der Kinderlose -, und so wie ein Kind sollen wir alle das Geschenk des Himmelreichs einfach empfangen (Mk 10, 15). Man hat den Eindruck, daß die Kinder etwas Verwandtes in Jesus berührt haben. Vielleicht fand er in ihnen etwas davon wieder, wie er sich selber zu seinem himmlischen Vater verhielt. Hat nicht Jesus selbst auch als Erwachsener sich etwas Kindhaftes bewahrt - in allem, was er war und sagte und tat? Wir verstehen von hier aus, warum die Rede, daß wir Gottes Kinder heißen sollen, im Zentrum seiner Verkündigung steht. Wir dürfen wohl sagen: Jesus hat seine eigene Kindheit offenbar nicht vergessen, seine Geburt als ein unmündiges Kind.

Sein Ausspruch: „Wer das Reich Gottes nicht aufnimmt wie ein Kind, der wird nicht in es hineinkommen" (Mk 10, 15), ist für unsere Frage eine der wichtigsten Spuren. Denn damit ist die Überlegung nahegelegt: wie hat er selber als Kind sich zu Gott verhalten?

III

Wieder hat das Lukas-Evangelium versucht, sich das im Rückblick auszumalen. Der entscheidende und sichere Ausgangspunkt ist Jesus Taufe am Jordan, als er etwa 30 Jahre alt war. Dabei vernimmt er die Stimme vom Himmel her, die zu ihm sagt: „Du bist mein gelieber Sohn, an dir habe ich mein Wohlgefallen" (Mk 1, 11). Im Vernehmen dieser Stimme geschieht mit Jesus zweierlei. Das eine ist: er findet seinen wahren Vater, den im Himmel, dem er von nun an absolut zugehören wird: als Sohn dieses Vaters, als der Menschensohn Gottes. Das ist die alles entscheidende Lebenswende für Jesus weiteren Erdenweg gewesen. Denn damit hat er auch sein neues, endgültiges Selbstverständnis gefunden. Von da an wußte er, wer er in Wahrheit ist: Gottes Sohn auf Erden. Das ist also das Zweite: Jesus kommt in der Taufe erst ganz zu sich selber und wird hier der, der weiß, wozu er da ist: Gott und sein Reich zu bringen.

Diese Neugeburt seines Bewußtseins von Gott und sich selber mußte aber auch das Verständnis von seiner Herkunft und Vergangenheit umprägen und bestimmen. Denn dieses Wort bei der Taufe an ihn kam von weit her, aus der Verheißungsgeschichte in seinem Volk, aus dem Alten Testament (Ps 2, 7; cf. Hebr 1, 5). Im Lichte dieser Neugeburt sah Jesus also Gottes Weg zu ihm hin. Er wurde hier dessen inne, daß Gottes Weg seit langem auf ihn zuführte, in ihm zur Erfüllung kam. Gottes schöpferisches Wort von weither ist bei ihm endgültig angekommen, und es ist Jesu eigene Wirklichkeit geworden.

Deshalb hat der Evangelist Lukas es so darstellen können, daß schon in der Kindheit Jesu sich eine Vorahnung oder ein Vorschein dessen findet. Da sieht dieser Evangelist das Kind Jesus mit seinen Eltern in den Jerusalemer Tempel ziehen. Der Zwölfjährige trennt sich dabei von den Eltern und redet überaus verständig mit den Schriftgelehrten über die heiligen Schriften (Lk 2, 41-47). Hier begegnet er also dem Wort Gottes, und hier begegnet er seinem wahren Vater. Er sagt zu den Eltern, die ihn suchen: „Wißt ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meines Vaters ist?" (49). In der heiligen Schrift ist er eigentlich im Tempel Gottes; in ihr findet er seinen wahren Vater im Himmel. Auch vom erwachsenen Jesus wird ein ähnlicher Konflikt mit seiner leiblichen Familie später berichten (Mk 3, 20f u. 31-35), und den hat es wohl wirklich gegeben. Hier bei Lk geht es aber um Jesus, den Zwölfjährigen. Man konnte es sich nicht anders vorstellen, als daß er sich schon sehr früh in Gottes Wort hineingedacht und hineingelebt hat, daß er aus der heiligen Schrift sich selber entgegenkam, seine Identität gewann. Auch Lukas hat sich das als einen Entwicklungs­prozeß gedacht, ein Werden von Jesu Bewußtsein; so jedenfalls ist es zu verstehen, wenn es vom Heranwachsenden heißt: „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen" (52; cf. 40). Dies war sicher auch ein Hineinwachsen in Gottes Wort in der heiligen Schrift.

IV

So also hat das Lk-Evangelium von Jesu Verhältnis zu Gott in seiner Jugend gedacht: im Rückblick von der vollmächtigen Schriftaus­legung des Erwachsenen her.

Später hat eine andere Schrift des Neuen Testamentes, der Hebr.-Brief, das von Jesu endgültigem Selbstverständnis ausdrücklich formuliert: „Daher, wenn er in die Welt kommt, spricht er: ... einen Leib hast du mir bereitet ... Da sprach ich: „Siehe, ich komme zu tun Gott, deinen Willen - in dem Buch steht es über mich geschrieben" (Hebr 10, 5 u. 7).

Auch hier begreift Jesus sich und seine Herkunft und Vergangenheit aus den Verheißungen der heiligen Schrift. Gott hat ihn zu dem werden lassen, der er ist, hat seinen Leib dazu geschaffen, damit er den Willen des Vaters erfüllt. Seine leibliche Geburt ist von weither vorbereitet, und Jesu Leib, das ist für ihn selber seine Geschichte, und sein Leib Manifestation von Gottes Geschichte - mit ihm und mit der Menschheit.

Dieses Selbstverständnis von seiner leiblichen Herkunft aus der Geschichte des göttlichen Wortes, das in die Welt kommt, es hat Jesus bis zum Ende seines Lebens bestimmt. Am Kreuz schreit er seine Gottverlassenheit mit den Worten des 22. Psalmes heraus (Mk 15, 34; Ps 22, 2). In diesem selben Psalm steht aber auch der Vers: „Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an; du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß her" (Ps 22, 11; cf. Jes 49, 1; Jer 1, 5 u. Gal 1, 15).

Liebe Gemeinde, Jesus hat seine Geburt nie vergessen, und er hat sie als Geburt aus Gott begriffen. Sein Leib, das war für ihn selber Gottes Werkzeug, und sein Leben sollte sich erfüllen in der Hingabe dieses Leibes.

Darum wußte Jesus sich einig mit Gottes Vaterwillen, wenn er am Lebensende beim letzten Mal einlöst, wozu er geboren war - indem er das Brot nimmt und sagt: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird" (Lk 22, 19).

Mit der Dahingabe seines Leibes für die Jünger und für uns alle erfüllt er das Wort Gottes, das diesen seinen Leib geschaffen hat. Darum riefen die Engel schon bei seiner Geburt: „Siehe, ich ver­kündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren" (Lk 2, 10f).

V

Liebe Gemeinde, unsere Spurensuche hat uns wieder zur Nacht von Bethlehem, zur Weihnacht geführt.

Es steht fest: Jesus selber hat sich als das leibhaftige, menschgewor­dene, schöpferische Wort des lebendigen Gottes verstanden. Das Neue Testament gibt uns Hinweise, wie er von da aus seine eigene Geburt und seine Herkunft begriffen haben mag.

Dies Geschehen, das in der heiligen Nacht seinen Anfang nahm, hat das Joh.-Evangelium schließlich in den grundlegenden Satz gefaßt: „Das Wort ward Fleisch" (Joh 1, 14). Das ist die ganze Weihnachts­botschaft: Gott wurde Mensch, und Jesus ist das lebendige Wort in Person.

Wir haben gesehen, das heißt zunächst ganz konkret: das Wort des Alten Testamentes wurde Fleisch in Jesus. D. h. dieser leibhafte Mensch ist Gottes lebendiges Wort, und seine Worte sind Gottes eigene Worte. Darum hören wir zu Beginn unserer Christvesper immer die Weissagungen der alttestamentlichen Propheten.

Jesus war schon als Kind in der Krippe ein Sohn des göttlichen Wortes, und er wurde es sein Leben hindurch - seit der Taufe - immer mehr. Und das Licht, das von seiner Krippe ausstrahlt - in sein eigenes Leben ausstrahlt und in unser Leben heute ausstrahlt -, das ist das ewige Licht, das bei seiner Taufe über ihm aufging und das am Ostermorgen für die Welt aufgeht. Gott wird Mensch - das hat die Welt verwandelt.

Es fing aber zu Weihnachten an, mit diesem Kind. In diesem Kinde und seinem weiteren Leben nahm Gott „unser eigen Bild an - Fleisch und Blut, wie die Kinder haben, lernte weinen - lallen - reden - lesen - dichten wie ein wahrer Menschensohn; ahmte uns nach, um uns zu Seiner Nachahmung aufzumuntern" (Hamann). Das ist das Fröhliche, das ist das Selige der Weihnachtszeit: „Der Gott mit dem Antlitz des Menschen" (K. Marti).

Amen



Abt Prof. Dr. Joachim Ringleben
Bursfelde
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