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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 17.05.2007

Predigt zu Johannes 17:20-26, verfasst von Esther Kuhn-Luz

Himmelfahrt - ein Abschied.
Jesu Fürbitte als Trost und Orientierung für das Leben der Christen in der Welt

Liebe Gemeinde,
die Himmelfahrt Jesu Christi zu feiern ist auch für manche Christen ein schwieriges Thema. Sollen wir feiern, dass Christus nicht mehr zu sehen ist?
Ein wenig kann man sich in die Jünger und Jüngerinnen hinein versetzen.
Sie waren so froh, als Jesus wieder bei ihnen war.
Die Gegenwart des Auferstandenen ließ in ihnen eine ganz neue Hoffnungskraft entstehen.

40 Tage lang ließ er sich sehen, 40 Tage lang redete er mit den Aposteln über das Reich Gottes, so haben wir das gerade gehört. ( Schriftlesung Apg 1)
Die Jünger heißen jetzt Apostel - Gesandte.
Damit sie im Sinne Jesu, im Sinne des Evangeliums Gesandte sein können, geht der Auferstandene mit ihnen 40 Tage lang einen Weg... und vielleicht war das auch immer wieder eine Art Wüstenweg, so wie Gott mit dem Volk Israel 40 Jahre durch die Wüste ging - mit vielen Fragen und Zweifeln:
Wo bist du, wie erfahren wir dich? Unser Herz ist oft so unruhig und weiß nicht, wie es dich finden kann.
Wie gehen wir um mit unserer Ohnmacht angesichts der täglichen Gewalt und Heillosigkeit in der Welt?
Wie bleiben wir selber in „ Wüstenerfahrungen" im Glauben verwurzelt ?
Wie bist du gegenwärtig in Leid und wie können wir selber zur Quelle der Auferstehungshoffnung für andere werden?
Viele Fragen.
Bei den Jüngern und Jüngerinnen waren sie sicher auch verbunden mit der Angst, Jesus würde wieder gehen - und was dann?
„ Herr, wirst du in dieser Zeit das Reich Gottes aufrichten?" Der Wunsch war geblieben: es möge doch in unserer Gegenwart greifbar spürbar sein, dass sich Gerechtigkeit und Frieden durchsetzen - dass sich die Welt verändert durch die Gegenwart Gottes.
Nach 40 Tagen ist der Wüstenweg, die intensiven Gespräche der Männer und Frauen mit Jesus beendet. Sie haben die Hoffnung, dass Jesus das Reich Gottes aufrichtet. Aber Jesus wehrt ihre Erwartung ab:
„ Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu kennen, die Gott in seiner Macht bestimmt hat. Aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird und ihr werdet meine Zeugen und Zeuginnen sein. In Judäa... und bis ans Ende der Welt."
Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben und eine Wolke nahm ihn vor ihren Augen weg.

Und - sie sahen ihm nach...

In diesen kleinen Worten ist für mich eine schmerzliche Sehnsucht zu spüren.
Jesus entschwindet... Er entschwindet mir... Ich kann ihn nicht mehr sehen... Gibt es ihn noch?

Wenn wir ehrlich sind, dann kennen wir dieses Gefühl , diese Frage.
Wir stehen immer wieder in unserem Leben neben den Jüngern und erfahren diesen Schmerz. Hilflos sind wir in solchen Momenten. Wir spüren nur, wie uns die Beziehung, vielleicht sogar das Vertrauen in Gott verschwindet, wie sich zwischen mir und Gott etwas Nebulöses schiebt.„ Eine Wolke nahm ihn vor ihren Augen weg."

Himmelfahrt - Jesus entschwindet...
Feiern wir also mit diesem Fest seinen Abschied? Aber ist das zu feiern, dass wir manchmal fast verzweifeln, dass Jesus nicht konkret zu sehen ist?
Die Schwierigkeit, das Himmelfahrtsfest angemessen zu feiern, hat wohl damit zu tun, dass eigentlich unklar ist, ob an diesem Tag Freude oder Trauer angesagt ist.
Zumindest müssen wir festhalten, dass es eine Erinnerung an einen Abschied ist.
Der Gottessohn geht zurück in die lichten Höhen seines himmlischen Reiches und lässt seine Gefährten alleine zurück.
Sie haben allerdings eine Verheißung bekommen:
„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird."
Mit dieser Verheißung verbindet sich ein Auftrag:
„Ihr werdet meine Zeugen und Zeuginnen sein."

Und in diese Situation hinein hören wir Worte aus der Fürbitte Jesu aus der Johannesevangelium Kap 17.

In der Situation des Abschiednehmens und Neuanfangs ist die Erinnerung an die Fürbitte Jesu so etwas wie eine Wegzehrung
für seine Jünger und Jüngerinnen und für alle, die bis heute in seinem Namen unterwegs sind.

Wir hören Verse 20 - 26, den letzten Teil seiner Fürbitte.
( Überleitender Eingangssatz)
„ Ich bitte für meine Jünger und Jüngerinnen, für alle, die du mir anvertraut hast,
aber auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden,
damit sie alle eins seien....

„ Eins sein", diese Worte bleiben einem hängen bei diesem dichten Gebet.
Das kommt dem Harmoniestreben vieler Christen und Christinnen sehr entgegen.
Kein Streit, lasst uns eins sein. Wir glauben doch alle an den auferstandenen Jesus Christus.
Das eint uns doch.
Schon damals gab es diese schlichte Form der ( Wunsch)Einheit nicht.
Die Apostelgeschichte erzählt von vielen kleinen und größeren Konflikten in der Urgemeinde.
Und schon auf vielen Himmelfahrtsbildern sind die „ Zurückgebliebenen" sehr uneins in ihren Gesten und Blickrichtungen. Die einen schauen - entsetzt oder verzückt - in den Himmel, dem entschwindenden Christus nach. Die anderen hören den Engeln zu und lassen sich auffordern, ihren Glauben auf der Erde zu leben. Sie sind sich nur uneins, ob sie links oder rechts loslaufen sollen..., andre bleiben einfach stehen und schauen ratlos vor sich hin.
Es lohnt sich, sich einmal darauf hin ein Himmelfahrtsbild an zu schauen.
Es beschreibt gleichzeitig die Situation unserer Kirche - und die der Ökumene.
Die Zerstrittenheit zwischen Orthodoxen, Katholiken und Protestanten in Sachen Frauenordination, Frage nach den gesellschaftlichen Aufgaben für Kinder und der
„ Mutterrolle" , die Diskussion um ein politisches Verständnis des Evangeliums z.B. bei globalisierungskritischen Themen und in der Armutsdiskussion. ( Papst Benedikt XVI hat Bischof Sobrino verboten, sich mit der Theologie der Befreiung in Lateinamerika weiter engagiert für die Rechte der Armen ein zu setzen.).

Welches Verständnis von „Einssein", „ Einheit" verbirgt sich hinter der Bitte Jesu „ damit sie alle eins seien" ?

Die Taufformel in Gal 3,26ff hilft hier weiter.
„ Durch den Glauben seid ihr alle Gottes Kinder in Christus Jesus.
Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Hier ist nicht Jude noch Grieche,
hier ist nicht Sklave noch Freier,
hier ist nicht Mann noch Frau;
denn ihr seid alle eins in Jesus Christus."

In Christus eins zu sein bedeutet, dass die gesellschaftliche Zuschreibung der verschiedenen Rollen und Hierarchien keine Rolle mehr spielen. Jede und jeder hat in gleicher Weise „ Christus angezogen." ( Da wird einem noch mal die Bedeutung des Taufkleides bewusster.)
Es ist eine sehr radikale Absage daran, die eigene Identität durch Abgrenzung von anderen oder durch Unterscheidungen zu beziehen. ( Zum Glück bin ich nicht so wie diese da....) - oder auf Hierarchieebenen den anderen oder mir selber einen bestimmten Wert zu geben.
( Damals wie heute bestimmt oft der ökonomische Wert, d.h. das Einkommen auch den gesellschaftlichen Wert eines Menschen!). Man muss sich das noch mal bewusst machen, wie radikal dieses Taufverständnis ist - auf das wir doch alle getauft sind!
In Christus eins zu sein bedeutet, den anderen, die andere von Christus her zu sehen - als eine, die in gleicher Weise wie ich „ Christus angezogen " hat. Der Apostel Paulus hat das in Sachen sozialer Gemeinschaft sehr engagiert vertreten, dass die sozialen Unterschiede als Wertmaßstab in der christlichen Gemeinde überwunden sein müssen - es kann nicht sein, dass es in Gemeinden soziale Randgruppen gibt. ( Sein Engagement für eine Mahlgemeinschaft, bei der die Not der Armen im Vordergrund steht: sie sollen genug zu essen bekommen).In dem Zusammenhang sind seine Worte auch zu verstehen, die er der korinthischen Gemeinde geschrieben hat: „ Die Geringen und die Verachteten der Welt hat Gott erwählt, die nichts gelten, um denen, die etwas sind, die Macht zu nehmen.
Das geschieht, damit sich kein Mensch auf Grund von Wohlstand und Erfolg von Gott unabhängig wähnt.
Denn durch Gott seid ihr mit dem Messias Jesus verbunden, der uns von Gott her zur Weisheit geworden ist und zur Gerechtigkeit und Heiligung und Befreiung." ( 1. Kor.1,26 f, Gerechte Sprache). Dieses sozialkritische Verständnis von Einssein macht ja heute immer mehr Gemeinden aufmerksam auf die Spannung der wachsenden Armut in unserem reichen Deutschland - und wie wir als Kirche mit dieser Ungleichheit umgehen sollen. Die Armutsdenkschrift der EKD „ Gerechte Teilhabe" hat hier die Verantwortung der Reichen , Begüterten und Begabten benannt, nach Wegen zu suchen, armen Kindern, Jugendlichen, Männern und Frauen eine gerechte Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen.

Dieses Verständnis von Einssein erfordert gleichzeitig auch eine enorme innere Bereitschaft, das eigene Denken, die eigenen Denkmuster und Prägungen zu hinterfragen. Jede hat ein Bild von sich selber und von den anderen. Dieses Bild ist meistens mit einer Wertigkeit verbunden. Wobei viele „ gut christlich" erzogene Menschen eine starke Tendenz haben, sich selber ab zu werten....
Von Christus her den Anderen denken und mich selber aus der Perspektive zu betrachten; die Fremdheit der Anderen wahr zu nehmen und auch aus halten, auch das gehört zu einer christlichen Gemeinschaft dazu, die den Auftrag von Jesus hat, Zeugen und Zeuginnen seiner Gegenwart zu sein. Um dieses „ Einssein in Christus" leben zu können brauchen wir die Fürbitte Jesu. Und es ist gut, sich das immer bewusst zu machen: Christus betet für uns:
„ damit sie alle eins sind."

Andere sind anders als ich andere anders denke, aber alle sind eins in Christus. In diesem komplexen Satz könnte man vielleicht die Einheit in Christus zusammenfassen. In dieser Verschiedenheit in Christus eins zu sein, das ist die befreiende Hoffnung für uns als christliche Gemeinde, Kirche und für die Ökumene. Und diese Aufgabe wird uns an Himmelfahrt zu gemutet und zu getraut: ihr werdet meine Zeuginnen und Zeugen sein...
Auf dem Weg nach Sibiu, auf dem Kirchentag, in euren Städten und euren Engaments - auch an euren Arbeitsplätzen.
Dieses „ eins sein" in aller Unterschiedlichkeit auf diese befreiende und gerechte Weise zu leben ist sehr schwer - und es geht auch nur im Vertrauen darauf, dass wir „ eins sind in Christus."
„ ...so wie du, Gott, in mir bist und ich in dir. Sie sollen in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast... Ich bin in ihnen und du bist in mir, so dass sie zu einer Einheit vollendet werden."
Diese Worte des Gebets Jesu sind für mich die innere Kraftquelle, um das Thema der Einheit, des Einsseins nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem Herzen, mit der Seele verstehen zu können. Die Kraft des heiligen Geistes wird den Jüngern und Jüngerinnen von dem sich verabschiedenden Jesus verheißen. Und diese Kraft wird für mich in diesem mystischen Einheitsverständnis spürbar: Gott in Christus, Christus in mir, ich in Christus.
In Gott verwurzelt zu sein - oder wie es das Johannesevangelium im Gespräch Jesu mit der samaritanischen Frau beschreibt: das ( Tauf)wasser, dass ich dir geben werde, das wird in dir eine Quelle werden, deren Wasser bis ins ewige Leben quillt.
Das ist die Voraussetzung für diese veränderte Wahrnehmung von mir und anderen:
in Christus eins sein können, weil Christus in mir ist und ich in ihm.
Und so werden auch die „ Gesandten" Zeugen und Zeuginnen sein können für die Gegenwart Gottes in der Welt.
„ ...damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und dass du sie geliebt hast wie du mich geliebt hast."

Das Gebet Jesu und die Liebe Gottes, die in uns zur Quelle wird,
trägt uns in unserem Bemühen, Zeugen und Zeuginnen zu sein.
„ Ich habe ihnen deinen Namen mitgeteilt - dass du der „ Ich bin" bist , immer gegenwärtig - und ich werde ihnen mitteilen, dass die Liebe, mir der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin."

Die Liebe Gottes in sich zu spüren, um sie weitergeben zu können - so wird Himmelfahrt dann doch zu einem Freudentag, und ist nicht gezeichnet vom Abschied Jesu.
In konkreten, auch schwierigen Verhältnissen etwas vom „ Himmel Gottes" erfahrbar werden zu lassen, das kann eine Himmelfahrt sein, die an ganz ungewöhnlichen Orten stattfinden kann.
Denn die Welt ist kein Hindernis für die, die für sie beten wollen.
Während du fortfährst, in ihnen die trostlose Welt zu besuchen, erklimmen sie mit dir den Himmel;
Es ist eine schwerfällige Himmelfahrt.
Diese Worte stammen aus einem Text von Madeleine Delbrêl ( 1904 -1964).
M.D war Sozialarbeiterin, Dichterin, Mystikerin und hat in einem Arbeiterviertel in Paris gearbeitet und dort eine Frauengemeinschaft begründet.
Ihr Gebet möchte ich zum Schluss zitieren, weil für mich darin so berührend ausgedrückt ist, was ein Kommen Gottes in unsere Welt bedeuten kann.

„ Du hast uns heute Nacht in dieses Café namens Mondschein geführt.
Du wolltest dort einige Stunden in der Nacht
Du in uns sein.
Durch unsere armselige Erscheinung,
durch unsere kurzsichtigen Augen,
durch unsere liebeleeren Herzen
wolltest du all diesen Menschen begegnen,
die gekommen sind, die Zeit tot zu schlagen.
Und weil deine Augen in den unseren erwachen,
weil unser Herz sich in deinem öffnet,
fühlen wir,
wie sich in uns die schwächliche Liebe
entfaltet gleich einer Rose, wie sie sich weitet
gleich einer grenzenlosen Zufluchtstätte,
angenehm für all die Leute, die um uns leben.
Das Café ist nun nicht mehr ein profaner Ort,
ein Stückchen Erde, das dir den Rücken zuzuwenden schien.
Denn die Welt ist kein Hindernis für die, die für sie beten wollen.
Während du fortfährst, in ihnen die trostlose Welt zu besuchen, erklimmen sie mit dir den Himmel;
Es ist eine schwerfällige Himmelfahrt:
Festgehalten im Schmutz, verzehrt durch deinen Geist,
verbunden mit allen, gebunden an dich,
beauftragt, im Ewigen zu atmen,
darin verwurzelt zu sein wie ein Baum."
Doch, so können wir Himmelfahrt feiern.

Amen

Gott ist gegenwärtig.
Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gerhard Tersteegen hat dieses Lied geschrieben, in dem er
Gott alle Ehre gibt - und damit andere Mächten und Gewalten nicht zu Göttern werden können.
165, 1-3.8.
Wo ich geh, sitz und steh,
lass mich dich erblicken und vor dir mich bücken.



Wirtschafts- und Sozialpfarrerin Esther Kuhn-Luz
Stuttgart
Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt
E-Mail: Esther.Kuhn-Luz@ev-akademie-boll.de

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