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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2009

Predigt zu Titus 3:4-7, verfasst von Sven Evers

Vorbemerkung:
Ich will nicht verhehlen: ich mag den Titusbrief nicht. Ich mache gerne auf Kreta Urlaub und bin dort noch keinerlei wilden Tieren begegnet, auch angelogen hat man mich nicht; ich mag es nicht, selbstgefällig belehrt zu werden und ich trinke auch gerne mal einen guten Wein.
Mir ist der menschenfreundliche Gott, den der Autor des Briefes in unserem Predigtabschnitt besingt, lieber als menschenfeindliche Moral, die sich in anderen Teilen dieses Briefes zumindest anbahnt.
Nichtsdestotrotz ist dieser Abschnitt als Predigttext vorgeschlagen und ich versuche im folgenden meinerseits Vorschläge zu machen, wie man diesen Text vielleicht predigen könnte. Keine abgeschlossene Predigt - eher so etwas wie eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Art Weihnachten zu feiern, mit dem Predigttext, mit manchem Selbstverständnis unserer Zeit.
Vielleicht für eine Predigt in der Dorfgemeinde (und wahrscheinlich auch für manch andere Gemeinde) ein wenig lang. Andererseits: wer sich am ersten Weihnachtstag auf den Weg in die Kirche macht, der bringt doch meist die Bereitschaft mit, ein wenig weihnachtliches Schwarzbrot zu sich zu nehmen.
So geht es mancher Hörerin vielleicht wie mir in der Predigtvorbereitung: der Titusbrief samt unserem Predigttext hat mich zunächst hauptsächlich auf-, im weiteren „Kauen" aber auch sehr angeregt. Und darum geht es doch letztlich immer wieder.

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Weißt Du noch? Damals, als Weihnachten Dich noch verzaubert hat.
Als Du schon Wochen vor dem Fest nicht mehr schlafen konntest, weil die Spannung zu groß wurde.
Was würde am Heiligen Abend unter dem Weihnachtsbaum liegen?
Welcher Wunsch würde in Erfüllung gehen und welche Gerüche durchs Haus ziehen?
Erinnerst Du Dich an Deine an den Schaufenstern in der Fußgängerzone plattgedrückte Nase?
An die Zuckerwatte, die Dir die kalten Finger verklebte und die Du immer Mama in die Hand gedrückt hast, während Papa Dich auf das weiße Pferd auf dem kleinen Karussell auf dem Weihnachtsmarkt setzte?
An die Lieder, die Du auf dem Klavier spielen solltest zum Heiligen Abend? Schon Tage vorher warst Du aufgeregt und hättest das Klavier am liebsten heimlich fortgeschafft. Und doch leuchteten Deine Augen voller Stolz im Schein der Kerzen des Tannenbaums - wohlgemerkt: echter Kerzen natürlich! - nachdem der letzte Ton von „Stille Nacht" verklungen war und es dann endlich ans Bescheren ging.

Weißt Du noch? Damals, als Weihnachten noch so weihnachtlich war und im Widerschein der Kerzen, der Kugeln und der Sterne aufblitzte, was Du als das Leben ahntest? Als die Freude nicht am nächsten Tag schon schal schmeckte?

Als Du noch an den Weihnachtsmann geglaubt, Dich über die Krippe und auf das Jesuskind gefreut hast und vielleicht die Frage gestellt, warum es Geschenke gibt, wenn doch jemand anders Geburtstag hat.

Heute weißt Du, daß Jesus nicht am 24. Dezember geboren wurde; nicht einmal im Jahre Null; daß es die Krippe niemals gab, und daß sie, hätte es sie gegeben, eher in Nazareth gestanden hätte als in Bethlehem. Die Hirten auf dem Felde - eine Erfindung des Lukas; die drei heiligen Könige von Matthäus erfundene Astrologen aus dem fernen Osten. Ochs und Esel (in der Bibel mit keinem Wort erwähnt) vielleicht, aber die hätten, Gott so nahe, wahrscheinlich ein Gesicht, in dem manch einer sich wiedererkennen könnte.

Versuchen wir anstatt mit Krippe und Hirten, Weihnachten einmal anders zu erzählen. Vielleicht liegt ja in der Andersheit, in der Fremdheit, in dem Herausgerissen-Werden aus dem Vertrauten die Chance, neu zu sehen; noch einmal zu sehen wie damals, als aus jedem weihnachtlichen Glitzern uns das Leben entgegenströmte.

Versuchen wir es mit den Worten eines Briefes, den ein Mensch im Namen des Apostels Paulus angeblich an den ersten Bischof von Kreta, an Titus, schrieb.
Zugebenen: im großen und ganzen ein ziemlich langweiliger Brief, voll von erhobenen moralischen Zeigefingern, Kriecherei vor kirchlichen und weltlichen Autoritäten, der überdies an den Kretern kein gutes Haar läßt: „Stets Lügner, wilde Tiere und faule Bäuche" seien sie, schreibt der Autor. Nun denn, es sind hoffentlich keine Kreter unter uns heute abend/morgen...

Doch inmitten des Dahinplätscherns nichtssagender Worte auf einmal diese Perle. Inmitten moralischer Oberflächlichkeit auf einmal diese ungeheure Tiefe. Und so vielleicht ja auch in unserem weihnachtlichen Allerlei auf einmal ein schimmernder Glanz tiefer, wahrmachender, lebendiger Wahrheit.

Als die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, erschien, rettete er uns.

Das ist Weihnachten. Erscheinen Gottes. Rettung.
Wie der Ertrinkende sich mit letzter Kraft klammert an den ihm zugeworfenen Ring, der den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutet;

Wie der Verdurstende alles gäbe für den winzigen Schluck, weil er den Unterschied bedeutet zwischen Leben und Tod,

Wie der in tiefer Nacht Verlorene dem matten Schein entgegenläuft, der ihm das ferne Ziel bedeutet und so den Unterschied bedeutet zwischen Leben und Tod

 - so zu Weihnachten für uns die Rettung:

Güte und Menschenliebe. Jemand, der nicht immerzu fordert, der nicht immerzu schimpft, der mich liebt, obwohl er mich kennt.

Liebe - dieses so oft gebrauchte, mißbrauchte und benutzte Wort. Gerade zu Weihnachten, dem angeblichen Fest der Liebe.

Es ist ja gar nicht so einfach, Menschen zu lieben. Ich kenne zumindest viele, denen ich selbst in der Heiligen Nacht, selbst am Weihnachtstag, ja selbst volltrunken kurz nach dem Beginn eines neuen Jahres - und das will schon was heißen, denn wen haben wir zu Silvester nicht auf einmal alles, lieb (wenn auch oft nur aus Versehen) - nicht um den Hals fallen wollte.
Aber vielleicht muß ich das ja auch gar nicht. Wenn Gott mich liebt - aber ich glaube nicht, daß er mir deshalb permanent um den Hals fallen wollte...
So liebenswürdig sind wir denn vielleicht auch wieder nicht in unseren alltäglichen Kleinlichkeiten, mit unserer Vergeltungssucht und unserem kindergartenähnlichen „Wenn Du nicht tust, was ich will, lade ich Dich nicht zu meinem Geburtstag ein".
So liebenswürdig sind wir wohl nicht, die wir seine schöne Schöpfung mittlerweile so versaut haben, daß es schon auf zwei banale Grad ankommt, auf die wir uns dann auch noch nicht einmal einigen können. Die Milliarde an hungernden Menschen haben wir voll. Allein während dieser Predigt sterben ca. 150 Kinder an Hunger und klagen ihre leeren Augen und Bäuche uns an, fragen nach unserer Menschenliebe.

Als die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, erschien, rettete er uns

 - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist.

Das hab ich mir verdient - sagen wir oft.
Das steht mir zu - sagen wir oft.
Das machen doch alle - sagen wir auch oft.
Ist ja auch in Ordnung. Genieße, was Du hast und freue Dich daran. Natürlich, was denn auch sonst.
Aber könnte es nicht sein, daß wir über unser werkgerechtes Denken, über unser „Wie Du mir, so ich Dir", über das Insistieren auf dem, was uns vermeintlich zusteht, vergessen, daß wir das Entscheidende im Leben uns nicht verdienen können? Und es wohl auch nicht verdient haben? Wie oder wodurch denn?

Habe ich es verdient, daß ich in einem der reichsten Länder dieser Erde mit guter medizinischen Versorgung, mit einem - zumindest im großen und ganzen und noch - haltenden sozialen Netz aufgewachsen bin?
Habe ich es verdient, daß ich eine Familie habe, eine Partnerin/einen Partner, die/der zu mir steht, auch wenn es mir mal dreckig geht?
Habe ich das verdient?
Und haben all jene, die alleine sind oder krank oder einsam oder arm; haben all jene, die im Hunger und Durst nach Gerechtigkeit und ein nach wenig Sattheit und nach Gesundheit und nach ein wenig Nähe leben oder vergessen und einsam vor der Zeit oder alleine (oder beides) sterben - haben all jene das dann verdient?

nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hätten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist. Den hat er reichlich über uns ausgegossen durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch seine Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens werden, wie es unsere Hoffnung ist.

Nicht um der Werke unserer Gerechtigkeit willen - Gott sei Dank!
Nicht be- oder verurteilt nach dem, was wir verdienen - Gott sei Dank!!

Vielleicht braucht es tatsächlich so etwas wie ein Bad der Wiedergeburt - für den Autoren von damals natürlich: die Taufe - einen kompletten Neuanfang. Vielleicht sollten wir jeden unserer Gottesdienste feiern als Tauferinnerung - als Erinnerung daran nämlich, daß wir den Grund, auf dem wir bauen, eben nicht auch selber bauen können.

Absurd in diesem Zusammenhang übrigens dieses immer wieder als Entschuldigung für die Verschiebung der Taufe von Kindern bis zum St. Nimmerleinstag zu hörende Argument, das Kind solle sich doch erst selber entscheiden können. Es wäre nicht weniger absurd, wollten wir unsere Kindern erst zum 18. Geburtstag ihren Namen aussuchen lassen.

So vieles in unserem Leben wird für uns, so vieles wird gegen uns, so vieles vor allem wird vor uns entschieden - wie können wir unseren Kindern die Taufe, die Güte und Menschenliebe Gottes, das große und durch nichts auszuradierende JA Gottes über unser Leben verweigern.

Vielleicht brauchen wir ja nicht nur immer wieder die Erinnerung an dieses Bad der Wiedergeburt, vielleicht müßte uns,
wenn wir dieses Bad samt dem Kinde in der Krippe ausschütten und Weihnachten - nicht auch, sondern nur noch - Kommerz ist,
und das Christentum, das wir natürlich weiterhin wichtig finden, auch wenn es eigentlich nicht mehr so richtig in unsre Zeit paßt und zu viele verkaufsgeschlossene Sonntage natürlich ärgerlich sind - aber andererseits, auf das Weihnachtsgeschäft verzichten wollen wir denn auch wieder nicht -
wenn also dieses Christentum nicht auch, sondern nur noch Moral ist und Werte und Normen -
ja, vielleicht müßte uns da mal wieder jemand gehörig den Kopf waschen, damit wir die Maßstäbe in unserem Leben und am besten gleich das Leben selber wieder ein bißchen zurechtrücken.

Nicht zu heiß gebadet in der Selbstgefälligkeit unserer Maßstäbe, an die sich nicht nur wir selber anzupassen haben, sondern auch die Menschen um uns herum - sondern kalt abgeduscht mit dem Taufwasser göttlicher Klarsicht.
Den Kopf einmal ordentlich durchgepustet und den Blick wieder frei für das, was wir verdienen und - Gott sei Dank! - nicht kriegen, und für das, was wir kriegen, obwohl wir es nicht verdienen: Güte - göttliche Menschliebe - Rettung.

Wir bin ich überhaupt darauf gekommen? Ach ja, Weihnachten. Brief an Titus. Und die Krippe. Die kannte der Autor des Briefes an Titus wohl noch nicht. Lukas griff später erst zur Feder und schrieb diese schöne Geschichte mit Maria und Josef im Stall und mit den Hirten und den Engeln. Aber es geht doch beiden um das gleiche. Um ein Leben, das nicht fragt nach Verdienst oder nach Ansehen oder nach Haben oder nach Macht oder nach Einfluß, sondern das uns selber meint, unabhängig von dem, was andere oder auch wir selber aus uns machen. Um einen Gott, der sich nicht zu schade ist, uns Menschen nahe zu kommen. Um einen Gott, der uns immer wieder eine zweite und dritte und weiß Gott wie viele Chancen gibt, die wir so ganz gewiß nicht verdient haben.
Wir nennen es Weihnachten. Und manchmal ahnen wir etwas davon, wenn wir auf die Kerzen in unseren Tannenbäumen schauen, auf die erleuchteten Fenster in den Straßen des Dorfes, im Blick auf die Krippe hier in der Kirche und bei den Worten der Weihnachtsgeschichte.
Oder vielleicht bei diesen so ganz anderen Worten aus dem Titusbrief, die helfen können, das Alte neu zu sehen.

Weihnachten hat sich nicht verändert. Die Botschaft ist noch immer dieselbe - ganz alt und immer wieder neu. Vielleicht mußt Du wieder ein wenig Kind werden, um Dich von Weihnachten verzaubern zu lassen - ins Bad der Wiedergeburt steigen sozusagen.

Weißt Du noch? Damals, als Weihnachten Dich noch verzaubert hat.

Ich bin fest davon überzeugt: das kann es immer noch.

Amen.



Pfarrer Dr. Sven Evers
Ovelgönne
E-Mail: severs@ae-web.com

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