Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Heiligabend, 24.12.2009

Predigt zu Titus 2:11-14, verfasst von Claudia Bruweleit

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen
12 und nimmt  uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben
13 und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus,
14 der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken.

Liebe Gemeinde!

Weihnachten bewegt Menschen auf der ganzen Welt.

Hören Sie eine Anekdote: „Unser Taxi schaffte in jener Vorweihnachtszeit in fünfzehn Minuten ungefähr zwei Häuserblocks. „Dieser Verkehr ist eine Katastrophe", schimpfte mein Begleiter. „Er nimmt mir das ganze bisschen Weihnachtsstimmung, das ich habe." Mein anderer Begleiter war philosophischer. „Es ist unglaublich", sinnierte er, „ganz und gar unglaublich. Denkt doch bloß - ein Kind, das vor über zweitausend Jahren mehr als achttausend Kilometer von hier geboren wurde, verursacht ein Verkehrschaos auf der Fifth Avenue in New York". Tja, das ist tatsächlich unglaublich! (Norman Vincent Peale, in: Andere Zeiten e.V. Hg.: ach! Das kleine Buch vom großen Staunen, Neumünster 2007, S. 30)

Und nun sind wir zusammen, hier in der Pauluskirche in der Heiligen Nacht, um nachzudenken darüber, was dieses Kind in uns bewirken kann - angekommen sind wir ja nun, den Vorweihnachtsstress legen wir ab und hören die Worte der Weihnachtsgeschichte:

Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, aus der Stadt Davids.

Und  im Predigttext für diesen Gottesdienst heute steht in einem Sendbrief an eine junge Gemeinde:

Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.

Was aber ist die heilsame Gnade Gottes? Worin besteht das Heil, das Gott gebracht hat? Und welche Sehnsucht treibt uns Menschen noch heute, nach über zweitausend Jahren an, dieses Fest nicht zu versäumen?

Vergangenen Freitag haben wir hier in der Pauluskirche einen Weihnachtsgottesdienst  der Privatschule Düsternbrook, einer Realschule am Hindenburgufer, gefeiert. Seit vielen Jahren schon kommen die Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Klassen zu einem Gottesdienst, der eng mit der Schule erarbeitet wird. Zu einem gemeinsamen Thema machen sich die Schülerinnen und Schüler Gedanken und tragen sie vor, Musikdarbietungen beleben den Gottesdienst zusätzlich. „Sehnsucht nach Weihnachten" hieß das Thema in diesem Jahr. Kinder aus der fünften und sechsten Klasse haben aufgeschrieben, was für sie Weihnachten dazugehört. „Ohne meinen Hund ist nicht richtig Weihnachten," sagte ein Elfjähriger, „denn der ist der Freundin meiner Mutter im Urlaub in Kroatien zugelaufen und zu Weihnachten bindet meine Schwester ihm eine Schleife um und er bekommt einen besonderes Leckerli." Ein anderer wünscht sich Ruhe zu Weihnachten und mag gar nicht die laute Musik auf Weihnachtsmärkten.  Ein dritter sehnt sich danach, Weihnachten mit der ganzen Familie auf Zypern zu verbringen, denn dort ist sein Vater auf einem Marineschiff stationiert. Er würde gerne Weihnachten mit ihm feiern.  Die Zehntklässler dagegen denken darüber  nach, wohin Jesus als Retter der Welt wohl heute zuerst gehen würde. Sie vermuten,

-          er würde nach China gehen und die Unterdrückung beenden

-          er würde zu den Kranken und Armen gehen, z.B. in Afrika

-          er würde das Gleichgewicht in der Natur wieder herstellen

-          er würde in die Köpfe der Menschen gehen, weil er dort schon existiert und Nährboden findet

-          er würde dorthin gehen, wo die Menschen Hilfe brauchen und etwas, an das sie glauben

-          er würde in die Köpfe der Menschen gehen und ihr Denken ändern

Vielleicht gehen Ihre Gedanken, liebe Gemeinde  in eine ähnliche Richtung. Das wäre es, was die Welt an Heil bräuchte: Rettung und Hilfe für Arme und Unterdrückte. Und das ist es, was Menschen sich persönlich von Gott erhoffen: die Geborgenheit bei denen, die sie lieb haben, eine Gemeinschaft, die zum Beispiel eine Familie bildet und in die in den Herzen der Kinder auch ein streunender Hund  aufgenommen werden kann und seinen Teil der Liebe abbekommt.

Wie aber hängt das mit Gott zusammen, was ist eigentlich die Gnade, die uns hier gezeigt wird?

In der Weihnachtsgeschichte nach Lukas finden die Hirten Maria und Josef und das Jesuskind. Gott, der Heiland der Welt, ist ein kleines, verknittertes Neugeborenes. Das ist etwas anderes als das, was sie sich vorgestellt haben. Er ist kein König, kein starker Retter.  Dieser Retter ist selbst schutzbedürftig. Er ist verletzlich wie alle Menschen es in ihrem geheimen Innersten sind. Dieser Heiland hält seine Schutzbedürftigkeit nicht sorgsam verborgen, sondern er kann gar nicht anders, als sie jedem zu zeigen.  Und etwas geschieht in den Herzen derer, die dieses Kind besuchen und anschauen: sie spüren und glauben: Gott selbst kommt der Welt nahe in dem Kind, das da geboren ist. Jesus, der später Christus genannt wird, der Gesalbte und Retter. Er muss nicht stark sein. Er muss nicht funktionieren. Er baut keine Schutzschilde und keine Mauern auf zwischen sich und denen, die zu ihm gekommen sind. Es tut gut, einem verletzlichen Menschen gegenüberzustehen, der sich nicht schämt dafür, dass er so verletzlich ist. Er wird verstehen, wie es Menschen geht, die nicht perfekt sind. Er wird verstehen, dass jemand Angst hat. Er ist einer von ihnen. Bei diesem Kind spüren sie, dass ihre Sehnsucht am Ziel ist, denn sie findet ein Echo, einen Gleichklang mit einem, der ähnlich fühlt - und doch ganz anders ist, denn er wird die Angst und die Schmerzen aushalten und uns Menschen zeigen, wie man damit leben kann.

Wodurch geschieht das Heilsame? Durch Zutrauen. Immer und immer wieder den Gegebenheiten zum Trotz. Gott zutrauen, dass er nahe ist. Auf seine Kraft vertrauen, die im Schwachen, im Kleinen mächtig ist. Nichts weist in dieser Geburt auf Größe hin, nichts deutet auf einen König. Und doch ist die Botschaft der Engel genau dies: Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, aus der Stadt Davids. Oder, anders gesagt: Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, wie es weiter heißt. Das Zutrauen in Gott öffnet den Hirten die Augen und die Herzen. In diesem Kind erkennen sie ihre eigene Hilflosigkeit. Und sie werden zu solchen, die sie ertragen. In der Unbehaustheit des Stalles spiegelt sich auch ihre Einsamkeit.

Auch heute ist es das Zutrauen zu Gott, das aus der Geburt dieses einen Kindes vor mehr als Zweitausend Jahren eine heilsame Gnade für uns werden lässt. Das Zutrauen zu Gott, das aus unseren Sehnsüchten zu uns spricht. Keine von ihnen ist zu gering, keine zu einfach, als dass sie nicht geeignet wäre, uns zur Krippe zu führen. Die Freude des Jungen, für einen kleinen, herrenlosen Hund ein Freund zu sein, die Zurückgezogenheit und Besinnlichkeit, die ein anderes Kind sucht, das dem Trubel der Weihnachtsmärkte entflieht, der Schmerz eines Jungen, der seinen Vater monatelang nicht sieht und mit seinem Herzen und in seinen Träumen die Distanz zu überbrücken versucht, die Sorge der Jugendlichen um eine gerechte Gesellschaft in China, um ein Überleben der Menschen in Afrika, um den Erhalt der Schöpfung.

Nichts Großes weist in diesen Gedanken auf Gott hin. Und doch ist um ihretwillen Gott Mensch geworden.

Es ist die Botschaft für alle Menschen, für die ganze Welt. Gott öffnet unsere Herzen nicht nur für seine Nähe, sondern auch für unsere Ängste und Sehnsüchte.

Lassen Sie sich bewegen vom Geist dieser besonderen Nacht, lassen Sie sich einladen von dem Zutrauen, das die Hirten und nach ihnen unzählige Menschen zu diesem geheimnisvollen, menschenfreundlichen Gott gefasst haben, der unsere Sehnsüchte teilt. Der unsere Schwachheit annimmt. Der in jedem noch so unscheinbar wirkenden Menschen das Besondere sieht und es hervorlieben kann - uns und der Welt zum Heil.



Pastorin Claudia Bruweleit
Kiel
E-Mail: bruweleit@heiligengeist-kiel.de

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