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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 17.05.2007

Predigt zu Johannes 17:20-26, verfasst von Michael Plathow

Christi Gegenwart trotz Abschied

Gebet: "Das ist der Tag, Herr, Gott, da du der Welt den Lebensatem gibst, dass du ein Feuer der Liebe entzündest in den Menschen. Heute ist der Tag, an dem wir zusammengerufen werden, um deine Kirche zu sein. Wir danken dir mit den Worten, die du selbst in uns eingepflanzt hast; wir bewundern dich aus der Kraft deines Heiligen Geistes und nennen dich voll Freude unseren Vater.

Du hast dein Licht entzündet in uns, deinen Heiligen Geist hast du uns eingegossen. Wir bitten dich, dass wir, getrieben durch diesen Geist, die Wahrheit suchen mögen und dein Wort achten. Und dass wir Jesus finden, deinen Knecht, deinen Sohn, dein Leben, unseren Weg. Amen. (Huub Oosterhuis)

Liebe Gemeinde,

das Fest zu "Christi Himmelfahrt" - es er-innert die Gegenwart Christi trotz Abschied: Christi Königsherrschaft jenseits von Zeit und Raum bei Gott, dem Vater, und in Zeit und Raum bei uns; die Gegenwart des erhöhten Herrn in der Gemeinde und im Kosmos durch den Parakleten, den heiligen Geist. Zugleich er-innert "Christi Himmelfahrt" die Gemeinde, die noch auf dem Weg ist, über sich hinausweisend an die Vollendung bei Gott durch die Erstlingsgabe des heiligen Geistes. Ein Erinnern in die Zukunft. Da geht der Himmel auf, der Bereich der Möglichkeit und Wirklichkeit Gottes. "Himmelfahrt Christi" lädt ob dieses grenzüberschreitenden Geheimnisses ein zum Staunen und zieht die Gemeinde ins Beten und Anbeten.

Jesu Abschied von den Seinen und seine Fürsorge für die Seinen sind hier in eine Fürbitte an Gott, den Vater, gekleidet, in das Abschiedsgebet Jesu mit seinem "letzten Willen" für die Bewahrung der Jünger der ersten Generation und der folgenden Generationen bis heute und weiter in die Zukunft.

Zwei Gebete gehen durch die Welt und bewegen die Welt, weil die Christen verschiedener Zeiten und Räume, verschiedener Orte und Sprachen sie mit Jesus immer wieder und immer neu beten: das "Vaterunser", das die Glaubenden als Kinder und Erben Gottes wie Jesus an Gott, den Vater, richten, und das "hohepriesterliche Gebet", das Jesus zum einen als Fürsprecher für die Seinen fürbittend vor Gott, den Vater, trägt.

Jeder weiß, wie wichtig es ist, Fürsprecher zu haben, die stellvertretend für einen eintreten. Unser gesellschaftliches Zusammenleben basiert auf der Für-Beziehung von Personen, Berufen, Rollen, Institutionen und damit auf Vertrauen. Jesu handelt nicht nur im Sinn dieser allgemeinen sozialen Voraussetzung gelingenden Zusammenlebens in der Gesellschaft. Seine Fürsprache als Advokat gründet in seinem einzigartigen und für alle geltenden Fürsein - selbst für die, die ihn ablehnen - bis zum Tod am Kreuz. Das "hohepriesterliche Gebet" steht im Johannesevangelium an der Stelle, wo in den anderen Evangelien die Passionsgeschichte Jesu berichtet wird. Es geht um seine Proexistenz, die in seinem wesensmäßigen Fürsein für Andere begründet ist. Vor Anfang der Welt und vor Beginn der Zeit hat Gott, der Vater, Jesus für diese liebende Zuwendung ersehen; Prae- und Proexistenz sind nicht zu trennen. Und so bittet Jesus für die Seinen. Jesu Fürsprache geht hier den Gebeten und Bitten seiner Jünger voraus. Er weiß um Neid und Zwistigkeiten, um Ungerechtigkeit und Streit, um Hochmut und Kleinmut, um Lieb- und Hoffnungslosigkeit wie um Glauben und Zuversicht, Heils- und Hoffnungsgewissheit, Gottes- und Nächstenliebe. Und darum ist er es, der als erster - vor uns - schon bittet nicht nur für die Jüngerfreunde, "sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben" werden. In seine Fürbitte nimmt Jesus unsere Gebete hinein - auch die stockenden, die klagenden, die verzagten wie die vertrauenden, lobenden, erhörungsgewissen. Welche Trostverheißung bis heute ruht da auf diesem einzigartigen Mittler.

In seinem Abschiedsgebet vertraut Jesus alles Gott, dem Vater, an: alle und alles - eine wunderbare Weite, Teil und Ganzes verbindend, im Sog der Nähe und des Advents Gottes hier und heute. In Jesus Christus "ward das Wort Fleisch"; als gepredigtes Wort Gottes und als Gebet "im Namen Jesu" ist es da unter uns, um Vertrauen zu Gott zu stiften und Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, durch Jesus Christus im heiligen Geist erlebbar und erkennbar zu machen. "Denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erkenntnis der Wahrheit in dem Angesicht Jesu Christi." (2. Kor 3, 4f), wie der Apostel Paulus entsprechend sagt. Und nun betet Jesus im "hohenpriesterlichen Gebet", das noch einmal Grund und Ziel seiner Sendung nennt, für das bewahrende Bleiben und für die gemeinschaftliche Einheit unter den Seinen.

Diese Einheit und Einung, liebe Gemeinde, ist besonderer Art: sie ist in Gott gegründet und vorgegeben: "wie Du, Vater, in mir bist und ich in dir" und "wie Du in mir", so "ich in ihnen" durch den heiligen Geist. Es ist die Einheit des dreieinen Gottes, die differenzierte Einheit von Gott, dem Vater, der seine Liebe im Sohn durch den heiligen Geist erschließt: eine Beziehungseinheit im gemeinsamen Liebesgespräch zwischen Vater, Sohn und Geist.

Jesu fürbittendes Gebet lässt die Glaubenden, noch nicht Schauenden, hier schon im betrachtenden Gebet an der Herrlichkeit Gottes als gemeinschaftliche Einheit von Vater und Sohn durch den Geist teilhaben. Denn wie der Vater und der Sohn eins sind, sollen auch die Jünger Jesu vielstimmig und vielförmig eins sein, indem sie in die Gemeinschaft von Vater und Sohn durch den heiligen Geist aufgenommen werden. Die "himmlische" Gemeinschaft zwischen Christus und Gott ist so offen, dass die Gemeinde darin Platz finden kann, "... dass sie auch in uns seien." "Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert." (Kurt Marti) Zugleich ist es "Himmel", der grüßt die Gemeinde, die noch auf dem Weg ist dem Advent Gottes entgegen.

Welche Sehnsucht spricht sich da aus angesichts von postmoderner Individualisierung und Selbstverschließung, von egoistischer Konkurrenz und Selbstrechtfertigung, von ausschließendem Ranking und Selbstverwirklichung wird da bei uns heute angesprochen! Welche Sehnsucht nach christlicher Einigung in versöhnter Verschiedenheit angesichts ökumenischer Müdigkeit! - Die Sehnsucht nach wahrer Gemeinschaft, nach Einheit in der Wahrheit, die uns grenzüberschreitend das Himmelfahrtsfest er-innert. Eine Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe.

Glaube: das grundlegende, Leben bestimmende Vertrauen auf Gott, der "für uns" in der Gemeinschaft mit Jesus Christus Heil im Vorletzten mit der Hoffnung auf das Letzte will. Ist doch der Glaube eine gewisse Zuversicht dessen, das man hofft und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.

Liebe: die immer noch größere Selbstlosigkeit bei noch so großer Selbstbezogenheit (Eberhard Jüngel). Denn nicht in sich selbst lebt ein Christ, sondern "in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe", wie Martin Luther am Schluss der Freiheitsschrift (1520) sagt.

Das ist die im lebendigen Christus als die sich bewahrheitende Wahrheit gegründete und geschenkte Einheit in der Liebe. Sie ist es, die die Ökumene in Bewegung setzte im 20. Jahrhundert und sie weiter bewegt im 21. Jahrhundert. Zur Ökumene gibt es keine Alternative. Die ökumenische Bewegung ist unumkehrbar entsprechend der Bitte Jesu "auf dass sie alle eins seien" als Bitte um den Geist der Einheit. Auf dem großen Wandteppich im Sitzungssaal des ÖRK in Genf stehen diese Worte Jesu als Gebet und Gebot. Im Nachklang der Bitte Jesu beteten die Kirchenvertreter bei der I. Weltkirchenkonferenz des ÖRK in Amsterdam 1948 im selben Sinn: "Wir beten für die Einheit der Kirche: dass alle, die durch deinen Namen gerufen sind, o Herr Jesus, eins sein mögen, wie du und der Vater und der Heilige Geist eins sind: denn es ist nur ein Glaube, ein Herr, eine Taufe, ein Gott und Vater unser aller." So wird heute die geglaubte Einheit in Jesus Christus von fast allen christlichen Kirchen mit dem Bekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (381) bekannt. Darum ist das Gemeinsame zwischen den christlichen Kirchen größer als das, was trennt (Papst Johannes XXIII.) und keine Kirche kann ohne die anderen Kirchen wirklich Kirche Jesu Christi sein. Die Christen kennzeichnet sozusagen ein gemeinsamer genetischer Fingerabdruck und eine gemeinsame Familienähnlichkeit: das apostolische Evangeliums von Jesus Christus, in dem sich die Liebe Gottes uns erschließt und zu dem sich die Glaubenden mit ihrer Taufe bekennen. Treffend stellt darum die 9.Vollversammlung des ÖRK in Porto Alegre (14.-23.2.06) in "Berufen, die eine Kirche zu sein" einladend die Frage: "In welchem Maße kann jede Kirche den getreuen Ausdruck des apostolischen Glaubens in ihrem eigenen Leben, Gebet und Zeugnis und in dem der anderen Kirchen wahrnehmen?"

Im Blick auf die kosmische Dimension dieser wechselseitigen Gemeinschaftsbeziehung von Vater, Sohn und heiligem Geist ist heute am Himmelfahrtstag zukunfteröffnend zu bekennen, "dass die gegenseitigen Beziehungen der Trinität so weit offen sind, dass die ganze Welt darin weiten Raum und Erlösung und ihre eigene Verherrlichung finden kann." (Jürgen Moltmann, Das Kommen Gottes, 1995, 363f)

So will die Menschen- und Weltliebe des dreieinen Gottes unter den Jüngern Jesu und in der Welt präsent sein: die Gegenwart Jesu Christi trotz seines Abschieds im heiligen Geist als Vorausnahme des Letzten. Einheit und Liebe, d. h. Einheit in Verschiedenheit, und Liebe, d. h. wechselseitige Beziehung im Sich-Schenken, gehören zusammen. Das erfahren wir in unserer ganz persönlichen Liebesgeschichte und in der großen Liebesgeschichte Gottes, die Liebesgeschichte Gottes mit der Kirche Christi als wanderndem Volk Gottes durch Anfechtungen und Leiden hindurch, die Liebesgeschichte Gottes mit dieser Welt durch das Seufzen der Kreatur der Endvollendung entgegen.

Diese Einheit in der Liebe kennt ihre Intention selbstüberschreitend, horizonterweiternd, zukunftsetzend in der Verherrlichung Gottes durch die Glaubenden, die noch nicht von Angesicht zu Angesicht in der Klarheit Schauenden; und sie richtet sich zugleich darauf, dass die Welt "erkenne, dass du mich gesandt hast und liebst sie, gleichwie du mich liebst", damit die Menschen zum Glauben kommen. Einheit und Wahrheit sowie Ökumene und Mission gehören zusammen. Christen sind gesandt, die Kirche ist gesandt, das Wort Gottes zu verkündigen, "auf dass die Welt glaubt", d. h. das Heil empfange.

Die Bestimmung des Menschen - gerade in seiner unterscheidenden Würde - zielt verheißungsorientiert auf die Gemeinschaft mit Christus jetzt und in Ewigkeit. Gemeinschaft mit Christus meint Glaube und Glaube meint Heil: die Gottes- und Lebensgewissheit im Licht der Herrlichkeit Gottes, die sich in Christus als Heil der Welt bewahrheitet. Zugleich öffnet sich der Himmel als Vorannahme der Endvollendung der Herrlichkeit Gottes. Und in der Sprache der Hoffnung wird die missionarische Dimension gemeindlichen und kirchlichen Lebens not-wendig. Jeder Jünger - der ersten und der jetzigen Generation - ist einbezogen. Wir sind Kinder, Töchter und Söhne, Erben Gottes. In die Liebesbeziehung des Vaters und des Sohnes sind wir und die Anderen hineingenommen durch das Verheißungswort dessen, der vollmächtig sagt: "Ich bin. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Ich bin das Licht der Welt. Ich bin die Tür. Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben, wer an mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht". So ist Jesus Christus gegenwärtig nah und da. Und wie er, der Sohn Gottes, dürfen wir antwortend als Kinder und Erben Gottes das "Abba" beten in der Geist- und Glaubensgemeinschaft mit ihm und durch ihn als Fürbitter.

Da tut der Himmel sich auf für die Gegenwart Christi trotz Abschied, wenn wir mit den Christen aller Kirchen gemeinsam beten: "Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unserem Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen."

 

Gebet: "Du ewiger, barmherziger Gott, du bist ein Gott des Friedens, der Liebe und der Einigkeit, nicht aber des Zwiespaltes. Weil aber deine Christenheit dich verlassen hat und von deiner Wahrheit gewichen ist, hast du sie sich teilen und trennen lassen, auf dass sie mit ihrer vermeintlichen Weisheit in der Uneinigkeit zuschanden würde und zu dir, der du die Einigkeit liebst, zurückkehre.

Wir armen Sünder, denen du solches gnädiglich verliehen hast zu erkennen, bitten und flehen dich an, du wollest durch den heiligen Geist alles Zertrennte zusammen bringen, das Geteilte vereinigen und ganz machen, auch uns geben, dass wir zu deiner Ewigkeit umkehren, deine einige, einzige, ewige Wahrheit suchen, von allem Zwiespalt abweichen, dass wir eines Sinnes, Wissens und Verstandes werden, der da gerichtet sei nach Jesus Christus, unserm Herrn, damit wir dich, unsern himmlischen Vater, mit einem Munde preisen und loben mögen, durch unseren Herrn Jesus Christus im heiligen Geist. Amen." (Martin Luther, WA 10 II, 477f)

 

Literatur: Jürgen Becker, Das Evangelium nach Johannes. Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum NT 4/2, Gütersloh 1981; Jürgen Moltmann, Das Kommen Gottes, Gütersloh 1995; Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium, Freiburg 1975; Hadwig Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005; GPM 96, 2007, 229ff; Predigtstudien V, 2006/07, 270ff; Berufen, die eine Kirche zu sein. Eine Einladung an die Kirchen, ihre Verpflichtung zur Suche nach Einheit zu erneuern und ihren Dialog zu vertiefen, in: epd-Dok 11/06, 35ff



Michael Plathow

E-Mail: michael@plathow.de

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