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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Weihnachtstag, 25.12.2009

Predigt zu Titus 3:4-7, verfasst von Heiko Naß

4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands,
5 machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist,
6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland,
7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.

Liebe Gemeinde,

Am Morgen in dem Bus zum Bahnhof fällt mir eine junge Frau auf. Viele Menschen sind mit mir im Bus unterwegs. Die meisten haben ihre Mützen tief ins Gesicht gezogen und hängen ihren eigenen Gedanken nach. Der Rückzug nach innen glättet sogar die Gesichter. Man nimmt allenfalls schemenhaft die anderen Mitfahrenden wahr. Bei der jungen Frau ist das anders. Sie hat sich einer anderen Mitfahrenden gegenüber gesetzt und redet munter los. Ich verstehe kein Wort. Aber ich bin dankbar für diese Freundlichkeit am Morgen. Sie passt so gar nicht in die unausgesprochenen Grenzziehungen einer morgendlichen Busfahrt. Sie unterbricht wohltuend das scheinbar verabredete Nebeneinander von Menschen. Auch wenn die Freundlichkeit mir gar nicht gegolten hat, und ich aus Höflichkeit es auch nicht wage, mit meinem Blick länger hängen zu bleiben, wirkt sie doch in mir nach. Als ich aussteige, spüre ich ein eigenes inneres Lächeln. Den freundlichen Beginn nehme ich mit in den Tag.

In den Zeilen unseres Predigttextes, der dem Apostel Paulus zugeschrieben wird, aber wahrscheinlich doch erst 60 Jahre nach dem Tod des Apostels geschrieben worden sind, in diesen Zeilen ist von der Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes die Rede, die erschienen ist. Anders als in der kleinen Randepisode der morgendlichen Busfahrt, meint dies keine Freundlichkeit, die einer einzelnen Person gilt und allenfalls auf den zufälligen Betrachter abfärbt, sondern hier wird eine Zeitenwende beschrieben. Durch diese freundliche Erscheinung Gottes hat sich etwas Grundlegendes verändert. Seligkeit nennt der Apostel diese Veränderung. Die Freundlichkeit Gottes machte uns selig. Allen Menschen gilt die heilsame Gnade Gottes. Das klingt schon sehr nach Weihnachten und darum hat auch dieser Predigtabschnitt seinen Ort als Predigttext am ersten Weihnachtstag gefunden.

Gottes Wirken wird mit dem griechischen Wort Philantroph beschrieben. Das klingt seltsam fremd. Ich habe in einem Lexikon nachgeschlagen, wie man heute wohl einen Philanthrophen erklären kann. Wohltäter wird dieses Wort übersetzt und das Lexikon nennt unter diesem Stichwort berühmte Namen: Robert Bosch, der seinen wirtschaftlichen Erfolg in die Verbesserung der soziale Lage seiner Arbeiter, in Bildung und Krankenhäuser investierte; Henri Dunant, den Gründer des Roten Kreuzes oder Florence Nightingale, dessen englisches Pendant; auch Amalie Sieveking, die vor 150 Jahren in Hamburg starb und in der aufkommenden diakonischen Bewegung einen weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege gründete. Johann Hinrich Wichern ist zu nennen und ihm gebührt sicherlich ein solcher Ehrenrang; aber die Liste nennt auch Namen wie Joseph Guggenheim und Bill Gates. Und spätestens hier kommen meine Einwände und ich frage mich, ob dieses Bild des Briefes wirklich stimmt, der sich Gott als Wohltäter vorstellt und uns zu Empfängern seiner Wohltaten macht.

Tatsächlich liegt ein solcher Gedanke den Ausführungen zu Grunde. In dem Versuch, sich Gott zu erschließen, zieht der Verfasser des Briefes das Bild des antiken Staates oder auch des Vorstandes eines Hauses heran. Der römische Kaiser herrschte als Vater des Vaterlandes durch Wohltat und Ordnung. Und wie der Kaiser im Staat, so auch der pater familias in seinem Haus. Er herrscht durch Liebe und Teil seiner Liebe ist auch Zucht. Alle und alles in seinem Haus haben sich ihm unterzuordnen, die Frauen, die Kinder, die Sklaven. Die Freundlichkeit des Patriarchen über das Haus hat ihre zwei Seiten. Sie gewährt Schutz und Rückhalt, aber gleichzeitig ist sein freundliches Lächeln auch die kultivierte Art, die Zähne zu zeigen.

So ist aus dem schutz- und heimatlosen Gott, der eine Herberge sucht und einen Ort, an dem er bei den Menschen wohnen kann, die Vorstellung von einem Schutz gebenden Fürsorger geworden, einem Wohltäter guter Gaben. Gottes Freundlichkeit und Menschliebe scheint auf, aber sie scheint doch auch sehr weit weg zu sein. So weit weg, dass wir uns fragen müssen, wo sie uns noch berührt. Im Grund ist das die Grundfrage von Weihnachten. Wir haben sicherlich einen mit Sorgfalt gestalteten Abend hinter uns, der uns beglückt hat und hoffentlich auch schön war. Aber haben wir von dort etwas mitgenommen, was uns verändern wird auf dem Weg, der nun vor uns liegt, die neuen 364 Tage bis zum nächsten Jahr Weihnachten?

Die großen Wohltäter, die Philantrophen dieser Zeit sollen wir ohne Zweifel würdigen und anerkennen. Trotzdem dürfen wir kritisch anmerken, dass sie, auch durch ihr Tun, die Verhältnisse nicht grundlegend änderten, sondern eher dazu beitrugen, sie zu verfestigen. Henri Dunant konnte mit seiner Organisation für die Kriegsverletzten nicht eine Abschaffung der Kriege bewirken, Robert Bosch schaffte durch seine sozialen Leistungen nicht, das Gegenüber von Arbeiterklasse und Bürgertum abzubauen, und Bill Gates stiftet zwar einen großen Teil seines Vermögens zur Beseitigung der Kinderlähmung in der Welt, aber er überwindet dadurch nicht die Gegensätze von Armut und Reichtum auf unserer Erde.

Mehr als früher nehmen wir die Grenzen für solches Handeln wahr. Wenn nicht einmal die Staatengemeinschaft in der Lage ist, sich auf verbindliche Ziele einer Klimapolitik zum Wohl und Schutz der nachfolgenden Generationen zu verständigen, um wie viel weniger wird es einzelnen wohl begabten Personen gelingen, eine wirkliche Veränderung zu bewirken.

Darum ist es gut, auf Gottes Weg, seine Art, Veränderungen zu wirken, aufmerksam zu sein. Es ist wichtig, das Bild abzutun, als sei er ein Wohltäter fernab und als wäre unsere Aufgabe, seine Wohltaten in Form eine Lehre zu verwalten und zu bewahren. Darin irrt der Titusbrief gewaltig.

Das Lukasevangelium, dessen Weihnachtsgeschichte wir alle im Ohr haben, erschließt uns einen anderen Blick auf das Weihnachtsgeschehen. Gott verteilt hier keine Wohltaten, sondern er schenkt sich selbst.  Die Engel sagen den Hirten auf dem Feld eine große Freude an, die Geburt des Heilands, der in einem Stall und in Windeln zu finden ist. Als der Engel auf de Felde zu den Hirten trat und zu ihnen „Fürchtet euch nicht!" sagte, da war das nicht zum Trost, sondern zum Aufwachen gesprochen. Alles ist hier auf die Geburt Jesu ausgerichtet. Auf sie läuft die ganze Erzählung zu, wichtig ist das Kind in der Krippe. In ihm lässt sich Gott finden, es ist schutz- und wehrlos und damit fähig zum Frieden und zur Menschenfreundlichkeit gegenüber jedermann. Gottes Wesen wird greifbar in seiner Angreifbarkeit, in seiner Schutzbedürftigkeit. Er legt sich, wie Martin Luther sagte, als Kind uns in die Arme, damit wir unausweichlich wissen, dass wir von ihm gemeint sind. Er ist nicht der pater familias, der in Liebe regiert, sondern er ist das Kind, das uns berührt und eine Entsprechung provoziert. Wer könnte sich dem Lächeln eines Kindes entziehen, ohne selbst zurück zu lächeln? Die Geschichte des Christentums nimmt in der Freundlichkeit des Kindes in der Krippe ihren Anfang. Doch sie hört dabei nicht auf. Sie ermutigt die Friedensstiftenden und die, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit auf dieser Welt. Sie gibt sich hinein in das Hoffen und Sehnen auf eine Veränderung dieser Welt durch Beziehung, durch Liebe. Der Weg dieses Kindes, das wissen wir, führt zum Kreuz. Die Liebe Gottes zeigt sich darin, dass, allen Gegenmächten zum Trotz, seine Freundlichkeit für uns Menschen nicht aufhört, sondern immer wieder einen neuen Anfang nimmt. Und zwar bei einer jeden, einem jeden von uns. Christus ist uns geboren, damit wir einander zu Christinnen und Christen werden. Wer Gottes Freundlichkeit erfährt, ja auch der, der sich nur nach ihr sehnt, wird die Widersprüche dieser Welt umso tiefer erfahren. Der wird sich auf die Suche begeben, wie er menschlich handeln kann, durch das Tun des Gerechten oder durch das Gebet, das Gott in die innere Zwiesprache einbezieht und um Rat und Hilfe bittet.

Auf dem Weg zur Arbeit am Morgen im Bus konnte ein beiläufig erfahrenes freundliches Angesicht den Tag in seiner Freundlichkeit öffnen. In unseren Tagen durch die kommende Zeit wird uns Gottes Freundlichkeit, der wir uns heute zu Weihnachten vergewissert haben, neue erfüllenden Aufgaben und Wege zeigen.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus.

Amen.



Oberkirchenrat Heiko Naß
Nordelbisches Kirchenamt
E-Mail: hnass.nka@nordelbien.de

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