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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Altjahresabend, 31.12.2009

Predigt zu Römer 8:31-39, verfasst von Hans Theodor Goebel

Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?
Welcher auch seinen eigenen Sohn nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der da gerecht macht.
 Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns.
Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?
Wie geschrieben steht (Ps 44,23): „Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag. Wir sind geachtet wie Schlachtschafe."
Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat.
Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,
weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.


Es sind große Worte, die Paulus, der Völkerapostel, an die Christen in Rom schreibt, an die junge Gemeinde in der Metropole der damaligen Weltmacht. Jetzt hören wir diese Worte, sie reden uns hinein in den Übergang vom alten Jahr in das neue Jahr.
Worte von Gott und der Welt - und mitten drin „ich".

1.

Gott ist für uns - das ist der erste und Grundton. Auf diesen Ton läuft die gesamte Verkündigung des Apostels hinaus. Auf ihn ist sie gestimmt.
Keine Erörterung hier, ob Gott überhaupt existiert. Gott an sich und irgendwie neben ihm die Welt für sich. Und mitten drin ich für mich.

Gott ist für uns. Anders ist er gar nicht. Und anders ist er gar kein Thema. Anders lässt sich mit Paulus gar nicht über die Gottesfrage reden.

Anders ist auch nicht über den Anfang der Welt zu reden und anders nicht über das Ende der Welt. Nur auf diesem Grundton: Gott ist für uns.
Anders lässt sich auch nicht über den Anfang und das Ende meines persönlichen Lebens reden, über meine Empfängnis und Geburt und über mein Sterben und den Tod, der mir bevorsteht.
Alles bestimmt von diesem Gott ist für uns.

Gott war für uns - in dem alten Jahr, das wir gelebt haben. Gott wird für uns sein - in dem neuen, das wir zu leben und in seine Hand zurückzugeben haben.

2.

Wie können wir das sagen? Angesichts des Zustandes unsrer Welt. Wir sehen ihre Risse, ihre wachsende Maßlosigkeit und ihr wachsendes Elend, ihre Verteilungs- und Machtkämpfe. Ihre selbstgemachten Katastrophen, die  nicht aufzuhalten sind, wenn jeder darauf wartet, dass die anderen voraus gehen und keiner eigenen Vorteil aus der Hand geben will.
In unsere Augen drängt sich das Bild einer Welt, die sich selbst nicht gerecht werden kann,  einer unerlösten Welt.

Da ist Gott  für uns wie in Dunkelheit gehüllt. Eher, so scheint es, ist unsere Welt Gott los, als dass Gott für uns ist und wir eins sind mit ihm.
Unsre Welt lebt ihr Leben, wir leben unser Leben keineswegs so, dass wir darin Gott gerecht würden. Wie sollten wir das schon können?
Wo wir doch mit uns selbst und miteinander nur mühsam klar kommen. Oder auch gar nicht.
Da sagt die Lebenspartnerin nach vielen gemeinsamen Jahren zu ihrem Partner: Du bist mir nicht gerecht geworden.
Da sagen groß gewordene Kinder zu ihren Eltern: Ihr seid uns nie gerecht geworden.
Und unüberhörbar erheben auf den Weltkonferenzen die  verarmten Länder unsrer Erde ihre Stimmen und sagen: Ihr reichen Industrienationen habt uns Leben und Entwicklung verbaut, ihr werdet mit eurer Art zu leben und zu wirtschaften uns immer noch nicht gerecht.

Wie sollen wir da Gott gerecht werden, der das Leben will? Wie soll Gott für uns sein, wenn wir uns am Leben vergehen? Muss er da nicht gegen uns sein?

Paulus lenkt unsern Blick auf das Kreuz Jesu Christi. Der da hängt - siehe, das ist der Mensch.
Der Gekreuzigte stirbt mit dem Schrei: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? In diesem Tod am Kreuz hat der Mensch, was er wollte, als er Gott los werden wollte - hier ist der Mensch wirklich gottverlassen.
Gott hat diese Verlassenheit gerade den Menschen treffen lassen, in dem er, Gott selbst, in die Welt gekommen ist, in dem er, Gott selbst, uns so nahe gekommen ist wie niemals einer und in dem wir Menschen Gottes aufgedecktes Angesicht in unsrer Mitte sehen. Wenn dieser Mensch von Gott verlassen war, dann hat Gott sich hier selbst verlassen.  Gott selbst ist in die Hände der Gottlosen gefallen. Er selbst hat sich da hineinbegeben.
Gott selbst in Aktion und Gott selbst in Passion.
Welcher auch seinen eigenen Sohn nicht hat verschont,- sagt Paulus - sondern hat ihn für uns alle dahingegeben...

Unsere Gottlosigkeit und Gottverlassenheit zieht Gott auf den Gekreuzigten. Er zieht sie auf sich selbst. So zieht er sie von uns ab.
Hier, wo Gott gegen uns ist, hier ist er für uns. Welcher auch seinen eigenen Sohn nicht hat verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns in ihm nicht alles schenken.

Begreifen kann ich das nicht. Es sprengt unsre menschlichen Gedanken und Worte. Die können es nicht fassen. Die Theologie kann uns bestenfalls helfen, uns in dieses Geheimnis hineinzudenken und zu staunen. Aber sie kann das Geheimnis nicht auflösen und erklären. Das darf sie auch gar nicht wollen.
Ich muss es zu hören bekommen. Andere menschliche Stimmen sagen es mir und ich habe das nötig. Biblische Stimmen. Andere Zungen als meine eigene, Zungen in einer mir fremden Sprache sagen mir, was ich mir nicht selber sagen kann und nicht von mir selber weiß:

In seiner eigenen Hingabe, in dem, den Gott für uns dahingegeben hat, ist Gott für uns. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Alles - da bleibt von dem, was gegen uns ist und an uns ran will, nichts übrig. Nichts.

Was sollen da noch alle Anklagen gegen uns? Sie sind ihren Gegenstand los geworden.
Wir sind nicht mehr Gegenstand der Anklage. Gott, dem wir nicht gerecht werden können, er selbst macht uns gerecht.
Was sollen da alle Verurteilungen und Verdammungen, die uns Leben absprechen?
Christus Jesus, der für uns gestorben ist, ist nicht im Grab geblieben, viel mehr ist er auferweckt worden von den Toten. Er tritt mit der Lebendigkeit, die nur ihm eigen ist, bei Gott für unser Leben  ein.


3.

Gott für uns - das ist die Geschichte des Christus Jesus. Der wird in der Weihnachtsgeschichte mit dem alttestamentlichen Verheißungsnamen Immanuel genannt: Gott mit uns.

Von Gott, der mit uns und für uns ist, hören wir, wenn wir von der Geschichte Jesu bis zu seinem Kreuz und bis zu seiner Auferstehung erzählen hören:
Wie er die Armen selig gepriesen und ihnen das Himmelreich verheißen hat.
Und den Leidtragenden, dass sie getröstet werden.
Und den Sanftmütigen, dass sie das Erdreich besitzen sollen.
Wie er von bösen Mächten geplagte und geschlagene Menschen frei gemacht hat.
Und Blinde sehend.
Wie er die Ehebrecherin, die sie steinigen wollten, nicht verdammt hat.
Wie er die achtzehn Jahre lang verkrümmte Frau aufgerichtet hat.
Wie er den Armen das Evangelium verkündigt hat.
Wie er einst sagen wird: Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan.
Wie er für die, die ihn kreuzigten, gebetet hat: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.

Darum haben die Engel bei seiner Geburt gesungen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Einfach vom lieben Gott zu reden, ist zu harmlos. Wir müssen uns die Geschichte von diesem Immanuel erzählen lassen. Damit wir verstehen, dass Gott für uns ist. Und wie das zu tun hat mit unsrer gottlosen Welt.


4.

Gott ist für uns - das ist seine Liebe. Sie ist im lebendigen Jesus Christus leibhaftig.
Gottes Liebe ist kein toter Zustand. Seine Liebe ist lebendiges Tun. Gott liebt, die ihn los sein wollen. Unsre gottfeindliche Welt. Seine Liebe zu uns ist Feindesliebe, wie Jesus sie gelebt und gelehrt hat. Eine Liebe, in der sich Gott selbst riskierte und sich selbst der Feindschaft aussetzte und in der er verraten und verkauft und enttäuscht wurde. In der Gott schwach war und ohnmächtig wurde. Um  unsretwillen, die er liebte.
Und gerade wo er in seiner Liebe so schwach war, ist seine Liebe stark wie der Tod. Mächtig über den Tod. Gerade so ist seine Liebe eine Macht, die die Welt verändert hat und neu macht. Die Zukunft hat. Von seiner Liebe kann uns nichts trennen - sagt der Apostel. Keine Macht der Welt ist dazu mächtig.
Mächte sind mächtig genug, uns zu bedrohen. Die Menschheit im Ganzen und jeden von uns persönlich. Sie können uns Angst machen. Wir ahnen und wir wissen, dass wir dem auch im neuen Jahr nicht entgehen. Tod und Leben, Engel und Gewalten, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Hohes und Tiefes, Paulus nennt die ganze Weite unsrer Welt, die sich in kosmische Dimensionen und in solche des Unbewussten erstreckt. Die wir überschauen und nicht überschauen.

Aber sie ist die von Gott geschaffene Welt - auch da noch, wo sie ihren eigenen Untergang produziert. Von Gottes Liebe kann uns keine Macht der Welt trennen. Seine Liebe ist höher als die Höhen und tiefer als die Tiefen unsrer Welt, sie kommt aus seiner Ewigkeit und sie reicht in seine Ewigkeit, sie umfasst unsre Herkunft und unsre Zukunft. Nichts kann uns von ihr scheiden. Und sie kann in unserem Inneren Hartes aufbrechen lassen.

Auch ich selbst kann mich nicht scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist. Kann ich mir in dem, was kommt, auch meiner selbst nicht sicher sein. Kann ich auch sehr wohl im Blick auf mich selbst Angst haben: Dass ich Gott und der Welt und dem Leben und mir selbst nicht gerecht werde. Was für Abgründe auch in mir selbst schlummern mögen. Auch ich selbst kann mich nicht scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist.
Denn wenn uns unser Herz verdammt - Gott ist größer als unser Herz (1 Joh 3,20).

5.

Ich bin gewiss - sagt der Apostel. Ich bin gewiss, nichts und niemand, selbst der Tod nicht - keine Macht der Welt kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist.

Ich bin gewiss? Bin ich wirklich gewiss? Nein - wenn ich auf mich schaue, gar nicht.
Paulus hat die ersten Christen im römischen Weltreich im Blick, Menschen, die wie er selbst gewärtig sein müssen, wegen ihres Glaubens und ihres Zeugnisses Bedrängnis, Verfolgung und Bedrohung ihres Lebens zu erfahren. Repressive Machtstaaten haben Methoden und Mittel für derlei Verfolgung. Christenverfolgung ist bis heute weltweit an der Tagesordnung. Aber es ist nicht unsere Lebenssituation. Uns ficht hier und heute keine Christenverfolgung an.

Unsre Anfechtung könnte eine andere sein. Vielleicht eine, die aus uns selbst kommt. Fragen, die uns verfolgen und bedrängen. Zweifel:
Ist Gott wirklich für uns da? Ist Jesus wirklich auferweckt worden von den Toten und vertritt uns? Ist Gottes Liebe zu unsrer Welt wirklich mächtiger als die Zerstörungsmächte? Warum merken wir nichts von ihr und unsre Welt droht, an sich selbst zugrunde zu gehen? Funktioniert unsre Welt im Großen und im Kleinen nicht nach dem Gesetz der Selbstbehauptung - und Gott und seine Liebe haben darin letztlich nichts zu bestellen?
Und wenn es auf mein persönliches Sterben zugeht und der Tod mir nahe kommt, bin ich mir dann wahrhaftig der Liebe Gottes gewiss, die mich nicht los lässt und ins Leben rufen wird?

Nein - auf mich selbst gesehen bin mir gar nicht gewiss. Vielleicht je älter ich werde, desto weniger.

Ich möchte die Gewissheit, um die es hier geht, auch gar nicht bei mir selbst suchen. Ich möchte unterschlupfen bei der Gewissheit des Apostels. Möchte mir von ihm sagen lassen, was ich mir selbst  gewiss nicht  sagen kann.
Aber kann ich denn der Gewissheit des Apostels so gewiss sein. Auch er kann doch die Wahrheit und Gewissheit seiner Botschaft nicht selbst verbürgen. Und was weiß ich denn von den Fragen und Zweifeln, die er vielleicht selbst gehabt hat.

Ich brauche die anderen Menschen, Boten der Bibel und Apostel und mit mir Lebende, die mir die Liebe Gottes zusagen. Aber ich kann nur darauf vertrauen und hoffen und bitten, dass ihre Stimmen Sprache bekommen von der Stimme des lebendigen  Jesus Christus. Dass er durch sie zu mir und dir redet. Gottes Liebe ist auch, was die Zweifel und Fragen angeht, größer als unser Herz.

So möchte ich mit meinem kleinen „ich" und mit meinen Fragen und Zweifeln Unterschlupf suchen und mich festmachen bei dem „Ich" der großen Liebeserklärung Gottes an unsere Welt. Und die ist lebendig und leibhaftig in Jesus Christus. Er steht für sie ein.

Dass wir der Liebe Gottes vertrauen und gewiss werden gegen alle Mächte, die um uns und in uns an uns wollen, können wir nicht von uns selbst haben. Wir könnten aber darum beten. Das sollten wir auch tun. Und als so Bittende getrost ins neue Jahr gehen. Denn den Bittenden soll nach Jesu Wort gegeben werden. Amen.


Literaturhinweis
Hilfreich und anregend war mich:
Fulbert Steffensky, Die Schönheit des dickköpfigen Stolzes.  Der Glaube an die Erlösung verweigert dem Tod das letzte Wort, in: zeitzeichen 10. Dezember 2009 (Heft 12), 21-23.

Lieder
Mir sind Paul Gerhardt-Lieder in den Sinn gekommen. Natürlich: Ist Gott für mich so trete
(eg 351),
das allerdings in der Ich-Form daherkommt, der Paulus-Text dagegen zunächst in der Wir-Form. Dann das Adventslied: Wie soll ich dich empfangen (eg 11, 3-9). Das Osterlied: Auf auf , mein Herz, mit Freuden (eg 112, 3-6). Und die Weihnachtslieder: Fröhlich soll mein Herze springen (eg 36) und Kommt und lasst uns Christus ehren (eg 39,1-3).



Pfarrer Hans Theodor Goebel
Köln
E-Mail: HTheo_Goebel@web.de

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