Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Epiphanias, 10.01.2010

Predigt zu Römer 12:1-7, verfasst von Matthias Rein

Liebe Gemeinde,

1. Ich möchte mit einer Frage beginnen.
Die Frage lautet: Was lassen wir - wir als Gemeinde, wir als kirchliche Einrichtung, wir als Kirche insgesamt - im nächsten Jahr weg?
Was lassen wir weg, nicht aus Gründen fehlenden Geldes und geringer werdenden Ressourcen.
Was lassen wir weg aus geistlichen Gründen?

Vielleicht überrascht Sie diese Frage.
Vielleicht fragen Sie eher: Was müssen wir noch machen, damit unsere Gemeinde wächst, damit mehr Menschen in die Kirche kommen, damit die Gemeinde Jesu Christi attraktiver wird?
So gefragt kommt zum Ausdruck: Wir als Gemeinde, als kirchliche Institution, als Kirche insgesamt haben Defizite. Es reicht nicht, was wir bisher getan haben. Wir müssen mehr tun.

Mehrtun oder Weglassen?  Es geht hier um das Grundverständnis von Kirche.
Zugespitzt und provokant beginne ich heute, am Beginn diesen neuen Jahres mit der Frage:   
„Was können wir ruhig sein lassen, um Raum für den Geist zu gewinnen, der Kirche und Gemeinde schafft und erneuert?" Worauf konzentrieren wir die Kräfte?

2. Der Abschnitt aus dem Römerbrief des Apostels Paulus für die Predigt hilft uns, diese Frage zu beantworten.
In den ersten 8 Kapiteln im Römerbrief entfaltet Paulus, was Inhalt des Glaubens an Jesus Christus ist.
Dann befaßt er sich mit der schwierigen Frage, warum viele Menschen aus dem Volk Israel nicht an Jesus Christus glauben und wie das mit Gottes Wille und Handeln zusammenzudenken ist.
Und dann folgt ein langer Abschnitt, in dem Paulus sagt, wie Christen leben und leben sollen.
Unser Predigttext eröffnet diesen Abschnitt
Paulus beginnt mit Grundsätzen und er malt dann ein Bild davon, was Kirche und wie Kirche ist.

Wir hören aus dem 12.Kapitel des Römerbriefes die Verse 1-7 in einer erläuternden Übersetzung:

„Ich, Paulus, rufe euch auf und ermuntere euch, liebe Schwestern und Brüder,
angesichts der Barmherzigkeit Gottes,
dass ihr euch selbst, eure ganze Existenz, hingebt,
als ein Opfer, das lebendig und heilig und Gott wohlgefällig ist.
Das sei euer vernünftiger Gottesdienst, euer angemessener Dienst für Gott.

Stellt euch nicht dieser Welt gleich,
ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes,
damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist -
Gottes Wille ist nämlich: das Gute, das Überzeugende, das Vollkommene.

Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist,
ich sage jedem unter euch,
dass niemand mehr von sich halte,
als sich`s gebührt zu halten.

Ich sage jedem unter euch,
dass er maßvoll von sich halte,
ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.

Denn:
Wir haben an einem Leib viele Glieder.
Diese Glieder haben aber nicht alle dieselbe Aufgabe.

Wir viele sind ein Leib in Christus.
Untereinander aber ist einer des Anderen Glied.

Wir haben verschiede Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist:
Einem ist die Gabe der prophetischen Rede gegeben - er möge sie dem Glauben gemäß ausüben.
Einem ist ein Dienst gegeben - er möge diesen Dienst ausüben.
Einem ist gegeben zu lehren - er lehre.
Einen ist gegeben zu ermahnen und zu trösten - er möge es tun.
Einem ist gegeben zu geben - er gebe freimütig und mit reinem Sinn.
Einem ist gegeben, die Gemeinde zu leiten - er leite mit Sorgfalt.
Einem ist gegeben barmherzig zu sein - er sei gern barmherzig.

Soweit Paulus in Römer 12.

3. Ich möchte zwei Gedanken nachgehen.
Wir werden sehen, welche Antworten wir auf die Frage nach dem Weglassen finden.

Zunächst:

Paulus wird persönlich.
Paulus wird existentiell.
Und wenn es persönlich und existentiell wird, dann wird es spannend.
Dann steigt die Aufmerksamkeit. Dann will man nichts verpassen.

Gebt euer Leben hin.
So sagt Paulus.
Steht mit eurem Leben, mit eurer Person in der Gottesverbindung.
Alles andere wird dem nicht gerecht, was Glaube ist.

Negativ heißt das:
Es reicht nicht, ein Opfertier zu kaufen, es im Tempel zu opfern und wieder nach Hause zu gehen und weiterzuleben, wie bisher.
Es reicht nicht, etwas Geld abzugeben und den Rest erledigen die Angestellten.
Es reicht nicht, christliche Werte gut zu finden, aber wenn es hart auf hart kommt mit harten Bandagen das Eigene zu verteidigen.

Positiv heißt das:
Wir sollen jeden Tag mit unserer ganzen Person nach Gottes Willen leben.
Gottes Wille - das ist das Gute, das Überzeugende, das Vollkommene.

Positiv heißt das:
Wir können erkennen, was gut, wohlgefällig und vollkommen ist.
Wir können danach leben.

Paulus wird persönlich.
Paulus wird existentiell.

Mir kommen eigene Lebenserfahrungen in den Sinn.
Mit welchen Menschen, mit welchen Themen, mit welchen Fragen, mit welchen Herausforderungen möchte in die Hauptzeit in meinem Leben verbringen?
So habe ich mich gefragt, als meine Schulzeit zu Ende ging.
Und ich hatte Menschen vor Augen, die mich beeindruckten. Das waren Christen. Freunde in den Jungen Gemeinden, Jugendmitarbeiter, Pfarrerinnen und Pfarrer.
Sie standen mit ihrer Person für den Glauben an Jesus Christus. Mit diesen Menschen möchte ich zusammen arbeiten und möglichst viel Lebenszeit verbringen. So habe ich damals entschieden. Und diese Entscheidung führte unter anderem auch dazu, dass ich jetzt in Pullach lebe.
  
Personen predigen. Menschen wirken überzeugend. Menschen senden mit ihrem Leben eine Botschaft. Sie zeigen das Gute, das Überzeugende und machen so andere aufmerksam, werben, überzeugen, wirken ansteckend.

Beim Jahresempfang unserer Kirchengemeinde im September ist mir das wieder aufgegangen: vier Jugendliche stellten sich auf die Bühne und zeigten mit ihrer Person, dass sie sich als Christen verstehen und für Kirche stehen. Das war ein starkes Zeichen.

Es geht um mich als Person.
Es geht um meine Existenz.
Da wird es spannend. Da sende ich eine Botschaft. Da werde ich wahrgenommen. Da kann vieles andere wegbleiben. Aber die Person nicht.

4. Der zweite Gedanke:

Fordert Paulus nicht zuviel?
Überfordert er nicht sich, andere, uns?
Das Gute, das Überzeugende, das Vollkommene - wer kann das schon leben, jeden Tag im Alltag, in der Familie, in der Schule, in der Arbeit?

Oder anders gefragt: Hält Paulus so große Stücke von sich? Sind Christen bessere Menschen? Nicht von dieser Welt? Verliert Paulus nicht jedes Maß, wenn er fordert, das Gute und das Vollkommene zu leben - d.h. ja fast: Sein wie Gott!

Keiner halte von sich mehr, als es sich gebührt -  so fährt Paulus fort.
Er sieht die Gefahr der Überhebung.
Die Gefahr der Überhebung besteht, wenn wir uns überfordern,
wenn wir uns Ziele stecken, die zu hoch sind.
Wenn wir uns mehr vornehmen, als in unserer Kraft steht.
 
Paulus warnt davor. Man kann seine Worte auch so übersetzen:
„Steckt euch keine zu hohen Ziele über das notwendige Maß an Zielstrebigkeit hinaus, sondern setzt euch zum Ziel, eure Möglichkeiten nüchtern einzuschätzen,
je nachdem wieviel Talent Gott jedem Einzelnen gegeben hat."

Paulus zeigt in einem Bild, wie es geht, nach Gottes Willen in der Gemeinschaft mit anderen Christen zusammenzuleben.

Wir sind als Christen Glieder eines Leibes.
Christus ist das Haupt. Die Glieder des Leibes sind einander zugeordnet.
Jedes Glied hat seine wichtige Aufgabe. Jedes Glied ist wichtig. Jedes Glied muß nicht alles leisten, sondern kann sich beschränken.

Mir ist an diesem Bild wichtig:
Wir gehören in einem lebendigen Miteinander zusammen.
Nicht die Hierarchie, nicht das störungsfreie Funktionieren, nicht der Output stehen im Vordergrund.
Im Vordergrund steht, dass jeder als Person wichtiger Teil des Leibes ist.
Im Vordergrund steht, dass Gott jeden begabt und diese Gaben begrenzt und wertvoll zugleich sind.
Im Vordergrund steht, dass wir für einander im Geist Jesu da sind.

Paulus führt einige Gaben auf: das prophetische Reden, das Dienen in einem Amt, das Lehren, das Trösten und Ermahnen, das Verschenken, das Leiten, das Barmherzigsein.
Wir könnten weitere Gaben nennen. Sie stehen in einem lebendigen Miteinander. Sie fordern heraus. Sie sind aber auch begrenzt.

Pfarrerinnen und Pfarrer, liebe Gemeinde, spielen in unserer Kirche eine wichtige Rolle.
Ihre - begrenzte - Aufgabe ist, das Evangelium öffentlich zu verkündigen und die Sakramente zu verwalten. Das tun sie im lebendigen Miteinander der Gemeinde vor Ort und der Kirche im Ganzen.
Sie tun dies mit ihrer ganzen Person. Sie predigen nicht nur mit Worten, sie predigen mit ihren Taten, mit ihrem Leben. Aber nicht nur sie tun dies mit der ganzen Person, wir alle, die wir getauft sind, leben und wirken als Christen mit der ganzen Person. 
 
Pfarrerinnen und Pfarrer sollen, so sagte ein Theologe vor kurzem, Menschen in das heilsame Kraftfeld Jesu Christi führen. Und sie sollen sich selbst in diesem Kraftfeld von Christus immer wieder erneuern und umgestalten lassen.
Darauf, so denke ich, sollten wir als Gemeinde, als kirchliche Institution, als Kirche - unsere ganze Kraft konzentrieren:
Uns selbst im Kraftfeld Jesu Christi erneuern lassen und andere in dieses Kraftfeld führen.

5. Was lassen wir weg im Jahr 2010?
Alles, was uns ablenkt, uns als ganze Person mit Christus zu verbinden.
Alles, was uns überfordert, weil es unsere Gaben und Kräfte übersteigt.
Alles, was andere hindert, in das heilsame Kraftfeld Jesu Christi zu kommen.

Was heißt das konkret?
Darauf antworte ich hier nicht. Darauf müssen wir als Gemeinde, im Kirchenvorstand, in den Arbeitsausschüssen, in den Gemeindegruppen konkret antworten.

Amen



Dr. Matthias Rein
Rektor des Theologischen Studienseminars der VELKD
E-Mail: Rein@velkd-pullach.de

(zurück zum Seitenanfang)