Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.
Liebe Gemeinde! Einmal kamen drei Schüler zu ihrem Meister und fragten: "Wenn alles hoffnungslos ist, wie kann man da noch hoffen?" Der Meister antwortete: "Immer gilt: Haltet der Einsamkeit stand und wartet. denn alle Hoffnungslosigkeit kommt aus der Angst vor der Einsamkeit und aus der Ungeduld." Die Worte ihres Meisters waren den Schülern dunkel, und deshalb baten sie ihn um ein Zeichen. Da gab er ihnen ein Samenkorn: "Wenn das neue Leben kommen soll, muß Altes sterben", sagte er und entließ sie. Die Gegend aber war unwegsam und die Nacht dunkel. Weitab von des Meisters Haus kamen die drei vom Weg ab, verirrten sich und fielen in eine Höhle. Sie kamen zwar unverletzt, aber so tief unten an, daß der erste es sogleich in Worte faßte: "Es ist hoffnungslos. Wir kommen aus eigener Kraft nicht heraus, man wird uns nicht finden, unsere Schreie werden in der Einsamkeit verhallen, und wenn Ihr hier vor mir sterben solltet, bleibe ich völlig allein und einsam zurück. Soll ich darauf warten, und soll ich ein Samenkorn pflanzen, dessen Früchte ich ja doch nicht mehr ernten kann? Welchen Sinn macht das?" Dann beugte er sich nieder, weinte, wurde still und tat seinen letzten Atemzug. Sprach der zweite: "Untätig auf den Tod warten, nein, das will ich nicht!" und begann sogleich, an den steilen Wänden der Höhle emporzuklettern. Bis zu halber Höhe kam er auch, rutschte dann aber ab und stürzte tot zu Boden. Der dritte blickte auf seine beiden Gefährten und dachte bei sich: "Angst, allein zu bleiben, muß ich nun nicht mehr haben, denn ich bin allein. Schwach, wie ich bin, kann das Warten mich nur stärken!" Und wie er sich umsah, erblickte er Pflanzen und Sträucher auf dem Grund der Höhle und hörte hinter sich eine Quelle rauschen. Da erinnerte er sich wieder an das Samenkorn des Meisters, das er noch in der Tasche hatte. Er nahm es und setzte es in die Erde. Die Strahlen der Sonne, die in die Höhle fielen, wärmten ihn. Von Kräutern, Beeren und Wasser nährte er sich, und mit den Wochen und Monaten und Jahren wuchs das Korn zum Trieb und der Trieb schließlich zu einem großen Baum, dessen Krone den Höhlenausgang erreichte. Da dankte der Mann Gott, kletterte den Stamm empor, verließ die Höhle und rannte als Erstes dem Haus des Meisters zu und rief ihm schon von weitem entgegen: "Es gibt Hoffnung, auch wenn keine Hoffnung mehr ist. Du hast es gewußt, ich danke Dir." "Gesagt habe ich es wohl", erwiderte da der Meister, "aber gewußt habe ich es nicht. Denn ich war noch nie ganz ohne Hoffnung!"
Soweit diese Geschichte von Herbert A. Gornik, die uns zu unserem Predigttext hinführen soll. "Wir sind in Bedrängnis, aber wir ängsten uns darum nicht, uns ist bange, aber wir verzagen darum nicht", schreibt Paulus. Wir Christen leben in dieser Welt mit all ihren Bedrängnissen, Fragen und Schwierigkeiten, mit all dem, was uns oft genug so müde, so traurig, so verzweifelt werden läßt - aber wir sehen weiter als auf die Bedrängnis allein. Das letzte Wort hat für uns Christen nicht die Verzweiflung, sondern die Hoffnung, nicht die Angst, sondern die Gelassenheit, nicht das Sterben, sondern das Leben.
Warum ist das so? Warum kann das so sein? Um die Frage zu beantworten, gehen wir an den Anfang unseres Predigttextes zurück. "Gott, der im Anfang sprach: Es werde Licht" - Wem Luthers Übersetzung im Ohr klingt, der trennt sich schwer von dessen Formulierung: "Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervorleuchten..." - Der erste Schöpfungstag kommt ins Blickfeld. Der Schöpfer löst das Licht aus dem Dunkel, der Kosmos hebt sich aus dem Chaos heraus: Urvoraussetzung dafür, daß Leben entstehen kann. "Er sprach: „Es werde Licht", und es ward Licht. Wir alle leben davon, bis heute. Nun geht der Text ja aber weiter: Eben dieser Gott, der das große "Es werde" am Anfang der Zeiten gesprochen hat, der hat den Widerschein dieses Lichtes auch in unsere Herzen gegeben. Wir haben als Einzelmenschen Anteil an jenem Ur-Licht, das die Voraussetzung allen Lebens ist. "Geht mutig in die Nacht hinein, die Finsternis wird licht. Schon liegt davon ein Widerschein auf Eurem Angesicht", konnte Kurt Ihlenfeld diesen unseren Textzusammenhang einmal in Verse fassen. Aber wie ist dies möglich. Wie können wir Menschen solch hoher Würde teilhaftig werden, daß Gott in jeden einzelnen von uns einen Funken seines Ur-Lichtes hineinlegt? Wie kann es sein, daß andere durch das Licht Gottes, das an uns sichtbar wird, Gott erkennen können, Gott von seiner lichten, wunderbaren, den Menschen zugewandten Seite? Wie ist all dies möglich? Ich bin überzeugt, daß ganz viel von dem, was uns das neue Testament an Geschenken zusagt, in uns verschüttet liegt, daß wir uns dessen kaum bewußt werden, und daß es eine Lebensaufgabe ist, vieles davon wieder lebendig werden zu lassen. Gott ist nicht in seiner Verborgenheit geblieben, er hat sein Gesicht gezeigt, in Jesus Christus, der in unsere Welt kam. Und diese Seite Gottes, die Martin Luther den offenbaren Gott nennen würde, die feiern wir heute. Wir feiern Christus, wie für einen Augenblick die Schleier des Geheimnisses sich lüften und er sichtbar wird als der, der er ist: Vom Vater gesandt, teilhaftig der Überfülle göttlichen Lichtes, die wir Menschen nicht zu fassen vermögen. Die Freude von Weihnachten klingt noch einmal nach in diesem Geheimnis. Wir haben die Geschichte von Jesu Verklärung ja vorhin als Evangelium gehört. Und nun nimmt unser Predigttext eben jenen Gedanken wieder auf: Auch wir, sofern wir uns an Christus halten, sofern wir zu ihm gehören, tragen einen Funken aus der Überfülle jenes göttlichen Lichtes in uns, und andere können an uns erkennen, wer Gott in Wahrheit ist. Das ist unsere Würde, unser Adel, unser kostbares Geschenk ein Leben lang. Und vor lauter Aktivität, die wir als Christen entfalten, vergessen wir oft genug den geistlichen Grund solcher Aktivitäten und vor allem die Quellen, aus denen sich unsere Kräfte speisen.
Allerdings, wenn Paulus bei dieser Aussage stehenbleiben wollte, dann wären wir nicht mehr auf dieser Erde. Denn in uns strahlt nicht nur Licht, überirdischer Glanz, sondern in uns lebt sehr viel Dunkles und Rätselhaftes, das nicht beiträgt zur Gotteserkenntnis anderer auf den Weg über uns. Die Jünger werden nur einen winzigen Augenblick teilhaftig des großen göttlichen Geheimnisses, und als sie es halten wollen, entschwindet es vor ihren Augen. Unsere Hütten stehen eben noch nicht in göttlicher Lichtfülle, sondern in der Zerreißprobe des Jetzt und Hier, im Spannungsfeld irdischen Lebens, ganz, wie es bei Jesus Christus auch war. Und deshalb: "Wir haben aber solchen Schatz in tönernen, zerbrechlichen Gefäßen, damit wir die übergroße Kraft niemals uns selber zuschreiben, sondern allein Gott!" Und damit schließt sich unser Kreis zur eingangs gehörten Geschichte von jenem jungen Mann, der in der Tiefe einer Höhle lernte, zu hoffen, wo nichts zu hoffen war: Der kostbare Schatz in einem ach wie zerbrechlichen Gefäß. Aber doch: Der kostbare Schatz, der schließlich sich als stärker erwies als das zerbrechliche Gefäß, ja, der das zerbrechliche Gefäß heil machen konnte, auch und gerade, wenn es womöglich schon gänzlich zerbrochen schien.
Es gibt eine Theologie und eine Lebenshaltung, der gegenüber muß man sehr deutlich eben vom tönernen Gefäß reden, muß mahnen, im Jetzt und Hier zu bleiben, sich der Welt hinzugeben und nicht in fromme Scheinwelten zu flüchten. In der christlichen Praxis des angehenden 21. Jahrhunderts scheint mir, wäre es nötiger, den Finger deutlich auf den "hellen Schein in unseren Herzen" zu legen, auf die ungeahnte Fülle Gottes, an der wir Anteil haben. Hochmütig im Blick auf unsere geistlichen Kräfte, scheint mir, sind wir in der Kirche derzeit eher nicht, sondern verzagt und kleingläubig. Wir machen uns oft genug kaum noch bewußt, was uns gegeben ist. Umso mehr wissen wir vom tönernen Gefäß, von dem wir womöglich nur noch erwarten, dass es im nächsten Augenblick zerbrechen wird. "Wir sind bedrängt, uns ist bange, wir tragen das Sterben, die Hoffnungslosigkeit mit uns herum". Dieses Lebensgefühl kennen wir. Deshalb muß uns die Die zweite Hälfte der paulinischen Sätze ins Gedächtnis gerufen werden: "aber wir ängstigen uns nicht. Aber wir verzagen nicht. Aber das Leben wird den Sieg davontragen, und es wird an uns und durch uns sichtbar werden. Denn: Wir haben Anteil an der ungeahnten Lichtfülle Gottes, die Leben schafft von Grund auf, wir haben daran Anteil um Jesu Christi Willen." Amen.
Mögliche Lieder:
EG 74 EG 67 EG 70 EG 259,3 EG 410