Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Letzter Sonntag nach Epiphanias, 24.01.2010

Predigt zu Johannes 12:23-33, verfasst von Morten Fester Thaysen

Unser Leben beruht auf einem Geheimnis. Und um dieses Geheimnis geht es heute.

        Gott ist gleich wie ein Gärtner. Er will etwas mit seiner Erde. Er will Korn säen. Er füllt einen Sack mit Weizen. Er nimmt den Sack auf die Schulter, und dann geht er hinaus auf seine Erde und nimmt eine Handvoll Korn und streut es über der Erde aus. Und er tut es ununterbrochen, bis die ganze Erde eingesät ist. Darin steckt noch kein Geheimnis.

        Nein, das Geheimnis liegt in dem Weizenkorn, das Gott gesät hat. Jetzt liegt es auf der Erde. Wenn das Korn bloß auf der Erde liegen bleibt, passiert gar nichts. Es ist nur ein Korn. Aber wenn das Korn in die Erde verschwindet - ganz buchstäblich in die Erde verschwindet und erstirbt - dann wird es anfangen zu keimen. Der Keim wird wachsen und wachsen, bis er die Oberfläche des Bodens durchbricht. Er wächst und wächst. Dann bringt das Korn den Halm hervor und dann die Ähre, die größer und größer wird, während die Farbe sich von gelb in grau verwandelt, und zuletzt ist es so groß geworden, dass der Halm den Nacken beugt. Wie das alles vor sich geht, weiß niemand. Es ist ein Geheimnis, das das Korn für sich behält.

        Das Geheimnis des Weizenkorns nennt man es. Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es vielfache Frucht, sagt Jesus. Das ist das Geheimnis.

        Das Geheimnis betrifft zunächst Jesus selbst, merken wir. Er ist das erste Korn, das in die Erde gelegt wurde. Wenn er nur liegen geblieben und sich selbst genug gewesen wäre, wäre überhaupt nichts geschehen. Aber so handelte er nicht. Er nahm die Bedingungen an, die der Erde zugehörten im Vertrauen darauf, dass Gott damit etwas wollte. In diesem Vertrauen setzte er sein Leben auf die Menschen, denen er auf seinem Weg begegnete. In diesem Vertrauen gab er sich den Menschen hin. Er machte sich verwundbar. Er machte sich machtlos um der Menschen willen. Er litt - er litt und starb am Kreuz um der Menschen willen - und als er starb, ja, da starb er als das Korn, das in der Erde erstirbt.

        So musste es sein. Denn so wollte es Gott.

        Denn sonst hätte er nicht von den Toten auferstehen und uns neues Leben schenken können, die wir heute hier sitzen. Oder anders gesagt: Sonst kann er nicht von der Erde erhöht werden und alle zu sich hinziehen...

        Warum das so ist - ja, das ist das Geheimnis Gottes.

        Gottes Geheimnis geht auch uns an, und zwar so, dass es unseren eigenen Vorstellungen von uns selbst zuwiderläuft.

        Gleichwie Jesus in die Erde gesät wurde und stirbt, so sind auch wir gesät worden, um zu sterben. Einige von uns sind in gute Erde gesät worden - und dann wird unser Leben leicht sein. Einige von uns sind in schlechte Erde gesät worden, und dann wird unser Leben schwer sein. Warum wir ausgerechnet in diese Erde gesät worden sind, erfahren wir nicht. Wir sind eben einfach dort gesät worden. Aber ohne Rücksicht darauf, in welche Erde wir gesät worden sind, so sind wir gesät worden, um in der Erde zu verschwinden und zu sterben. Alles, was unser Leben ausmacht, wird verschwinden und sterben. Unsere Vortellungen, Sehnsüchte, Träume, Erwartungen - all das wird verschwinden und sterben. Das ist der Sinn unseres Lebens. Es wird in der Erde verschwinden und sterben, in die wir gesät sind.

        Nun kann ich ja sagen, dass ich das nicht will. Ich will mich nicht einfach passiv hingeben und in der Erde verschwinden und sterben. Nein, ich will etwas anderes mit dem Leben, das meines ist. Ich will es behalten - und dann will ich z.B. meine Träume verwirklichen. Ich will mich entwickeln. Ich will mir Kompetenzen erwerben. Ein curriculum vitae, das Eindruck macht. Ich will etwas sein.

        Vielleicht will ich mehr. Ich will etwas bewirken in dieser Welt. Ich will die Welt besser machen - und ich will mit deinem Nachbarn anfangen. Er hat Verbesserung nötig. Und dasselbe gilt von den Politikern, den Lehrern, der Polizei, den Pastoren, den Fremden, den Alten und der Jugend. Auf diese Weise tue ich etwas - ich bewirke etwas - ich wässere die Erde mit den milden Tränen der Barmherzigkeit, jäte Unkraut - damit das Leben gute Wachstumsbedingungen bekommen kann. Aber mich selbst hingeben - und mein Leben verschwinden lassen, damit es schließlich in der Erde stirbt - und zwar im Vertrauen darauf, dass Gott dies will - nein, das will ich nicht.

        Wenn ich so rede, geschieht gar nichts.

        Das mag ja so sein - aber ich stelle mir vor, wenn ich nichts tue, wenn ich keinen Sinn in meinem Leben schaffe - dann wird alles so furchtbar verwirrend sein. Da ist man bei einer Taufe dabei. Dabei ist alles so einfach. Die Freude der Eltern und ihr inniger Wunsch, Gutes für ihr Kind zu tun... die Worte am Taufbecken, dass Gott das Kind erreichen wird, wo sie es mit ihrer Güte nicht erreichen können. Das alles ist so einfach.

        Und man ist auf einer Hochzeit. Mit lauter Schmuck und Blumen... und Bräuchen... und festlicher Musik... und mit Löffeln, die die Teller zu zerschlagen drohen, um die Neuvermählten zum einzigen zu bringen, was sie wollen, nämlich einander zu küssen. Das Leben ist festlich. Es ist munter. Wieviel Gutes kann so ein Tag nicht in sich bergen, denkt man.

        Und dann steht man in der Kapelle. Der Verstorbene liegt da, sieht sich gleich und sieht sich nicht gleich. Einige stehen da und haben verloren... und man möchte gern  ihre Hände in die seinen nehmen und ihnen Wärme geben... aber die einzige Wärme, die es für sie gibt, ist die Wärme der Hand des Verstorbenen... und die ist nicht mehr... und dann kommt der Augenblick, wo das Angesicht verdeckt und der Sarg geschlossen wird.

        Es gibt das Lachen... es gibt die Tränen. Es gibt die Geborgenheit... es gibt die Angst. Es gibt die Lebensfreude... es gibt den Tod. Ja, was ist es denn, das Leben? Es ist so verwirrend. Ja, genauso ist es, sagt Jesus. Und in diesem verwirrenden Leben sollst du dich hingeben. Du sollst auf deine Vorstellungen und Erwartungen an das Leben verzichten - denn sie sind nichts. Deshalb sollst du verzichten - auch wenn das Leben so verwirrend scheint. Du sollst dich hingeben, wie ein Korn, das gesät wird und in der Erde erstirbt. Und du sollst es in dem Vertrauen tun, dass es der Wille Gottes ist.

        Du sollst es tun, weil Gott weiß, was er tut. Er weiß auch, was er will. Er will, dass so, wie Jesus starb, auch wir sterben müssen, wie das Korn in der Erde. Und wir sollen es tun, damit wir zusammen mit ihm wie ein Korn, das keimt, zu neuem Leben auferstehen werden. Siehe, ich mache alles neu, sagt Jesus.

        So arbeitet Gott in unserem Leben. So arbeitet Gott mit unserem Leben. Er arbeitet mit uns im Verborgenen und wir können selbst nicht sehen, welchen Sinn das hat, was geschieht - aber das brauchen wir auch nicht zu sehen - denn wir haben eine Verheißung, dass, so wie Jesus auferstand, auch wir mit ihm zu einem neuen Leben auferstehen werden. Wie er von der Erde erhöht ist,  so wird er uns zu sich zu einem neuen Leben hinaufziehen. Ja, Gottes ganze Arbeit mit uns handelt nur von diesem einen, dass der auferstandene Jesus uns zu neuem Leben hinaufziehen wird. Und das muss hinreichen.

        Wir müssen nur das Leben empfangen - und uns ihm hingeben. Gleichgültig ob es ein leichtes oder ein schweres Leben ist - es ist unser Leben. Es ist das Leben, das Gott uns geschenkt hat. Und er weiß, was er damit will. Im Vertrauen darauf sind wir frei, es zu nehmen, wie es ist. Wir sind frei, unserer Arbeit nachzugehen, unsere Kinder zu erziehen, unsere Frau oder unseren Mann oder unseren Lebenskammeraden zu lieben. Ja, wir sind frei, uns des Schwachen anzunehmen und unseren Nächsten zu lieben - ohne uns deshalb einzubilden, dass wir so mehr tun, als wir schuldig sind, nämlich uns hinzugeben an das Leben, das Gott uns geschenkt hat und mit dem er arbeitet.

        Und wieder weiß Gott, was er will. Zweifelst du immer noch - dann hör folgende Geschichte: Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Krüge für Wasser. Er bandt die Krüge an einen starken Stock, den er auf seine Schultern nahm, wenn er zum Wasserholen an den Fluss ging. Der eine Krug war unbeschädigt, der andere hatte einen Riss, so dass er nach dem Gang vom Fluss zum Haus nur noch halbvoll war.

        Eines Tages nun, als er die Krüge am Fluss füllen wollte, konnte der Krug mit dem Riss nicht mehr. "Ich schäme mich so sehr," sagte er und weinte. "Ich bin kein richtiger Krug. Denn ich habe einen Riss und vergiesse deswegen das Wasser. Ich bin ein missratener Krug," sagte er.

        "Ich wusste nicht, dass es so um dich bestellt ist," sagte der Mann besorgt. "Aber tu mir einen Gefallen auf dem Nachhauseweg. Sieh nach unten auf den Weg!"

        Als sie nach Hause kamen, fragte der Mann: "Hast du die schönen Blumen am Wegesrand gesehen?" - "Ja," sagte der Krug. "Hast du auch gesehen, dass sie auf deiner Seite des Weges wachsen? Ich habe immer gewusst, dass du einen Riss hast. Deshalb habe ich Blumen an den Wegesrand gepflanzt, so dass du sie jeden Tag begießen konntest. Wenn du nicht wärst, dann hätte ich auch keine Blumen, mit denen ich anderen eine Freude machen könnte."

        Gott weiß, was er mit dir will. Deshalb sät er dich als ein Weizenkorn in die Erde und braucht dich, wie es am besten ist - so stehst du an deinem Ort - z.B. so, wie der Krug zur Freude anderer Blumen wachsen lassen kann.

        Im Vertrauen darauf sollst du dich deinem Leben hingeben in dem Vertauen, dass Gott weiß, was er tut.

        Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es nur das eine Korn; aber wenn es erstirbt, bringt es vielfache Frucht. Das ist das Geheimnis Gottes, das er uns im Tod und in der Auferstehung Jesu gezeigt hat. Gottes Geheimnis und dein und mein Geheimnis.

Amen



Pastor Morten Fester Thaysen
Varde (Dänemark)
E-Mail: mht@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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