Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 13.05.2007

Predigt zu Matthäus 6:7.9-13, verfasst von Wolfgang Ebel

Wenn ihr betet ..., sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel ! ...

Liebe Gemeinde !

Das Gebet Jesu führt uns in die Freiheit. Auf ein kleines Wörtchen lassen Sie uns zunächst hören: So - sollt ihr beten. Nicht: Das - sollt ihr beten. Schon die Überlieferung der Worte dieses Gebetes zeigt uns: das, was wir heute „Vaterunser" nennen, was in jedem christlichen Gottesdienst gebetet wird, ist keine Vorschrift, nach der wir verfahren sollen. Dieses Gebet ist kein Gesetzesparagraph für Glaubende. Dieses Gebet lädt uns ein zu beten. Mein ganz persönliches Gebet zu beten „im stillen Kämmerlein". Mit anderen gemeinsam das vor Gott zu bringen, was uns bewegt. Wenn wir das Vaterunser an unsere Kinder, an Konfirmandinnen und Konfirmanden weiter geben in Familie und Gemeinde, sind diese Worte keine unhintergehbaren Befehle. Sie sind Anleitung, um auch eigene Worte zu finden, vielleicht auch wortlose Gebete, Seufzer, Gesten, die Kanäle zu eröffnen suchen, die uns Anteil geben an der Macht des Namens, um dessen Heiligkeit und Heiligung es hier geht. Das mit der Zeit so entstandene Gebet, dessen Anstoß von Jesus selbst kommt, lädt uns ein in den Innenraum der Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt. Wenn wir diese Worte nachsprechen, geraten wir in den Resonanzraum des einen Gottes und der riesigen Gemeinschaft derer, die so zu ihm gebetet haben, jetzt beten und in Zukunft beten werden.

„Unser Vater in den Himmeln" - eine Vielzahl von Himmeln (so der Text an dieser Stelle) sind die Wohnung Gottes. Die Sonnensysteme und Universen, bekannte und unbekannte Sterne und Planeten, entdeckte, uns bekannte und uns verborgene Lebensformen sind die unermesslichen Räume, in denen Gott als Vater wirkt. Als das Große, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Als die Macht, die allem, was ist, geheißen hat, dass es sei. Die die Welt, die wir bewohnen und das All, ins Leben gerufen und geheiligt hat. Und siehe, es war sehr gut. Unsere Welt, die sich entwickelt hat und weiter entwickeln wird, in der Naturgesetze in Geltung sind und in der es Phänomene gibt, die wir naturwissenschaftlich nicht erklären können. In der es Wirklichkeiten gibt, die wir nicht wahrnehmen können - oder nur ausnahmsweise. Durch Jesus bringt sich uns diese große und auch ferne Lebensmacht nahe. Im Glauben an Jesus reden wir Gott mit „Vater" an. Und damit ihn niemand verwechselt mit dem eigenen Vater, ist Sein Machtbereich unbegrenzt, ja, ER begrenzt die Macht aller Väter und aller Mütter. Der Allmächtige und Unergründliche liebt uns wie ein Vater und eine Mutter ihre Kinder lieben.

In seinem Namen ist Gottes Macht gegenwärtig. Wenn ich bete, muss ich den Namen kennen, an den ich mein Gebet richte. Und ich muss den Code wissen, damit meine Sendung übermittelt werden kann. „Wir bitten in diesem Gebet," schreibt Martin Luther im Kleinen Katechismus, „ dass Gottes Name auch bei uns heilig werde." Gott hat sich selbst offenbart, ist uns ganz nahe gekommen in Christus. Jesus Christus ist der Code. Durch ihn können wir Gott erreichen., der in der himmlischen Welt heilig ist. Die Stimmen der Engel singen andauernd, dass Sein Name heilig ist. „So auf Erden": hier wird der Name Gottes nicht unbedingt geheiligt. Das Gegenteil ist auf überwältigende Weise der Fall. Gott setzt sich den Menschen und dem Missbrauch seines Namens aus. Sein Name stand auf Koppelschlössern. Sein Name wird benutzt, um politische Ziele durchzusetzen. Menschen entheiligen diesen Namen, wenn sie sich anmaßen, in diesem Namen töten zu dürfen und Rache zu üben. Damit wir aus dieser Not heraus kommen, ist es so dringlich, darum zu beten: „dass sein Name ... auch auf Erden bei uns und aller Welt heilig sei und bleibe." (M.Luther, Großer K.)

Dieser Vater kommt jedem Menschen familiär vertraut nahe. Dieser Vater ist zugleich unverfügbar. Seine Wirklichkeit übersteigt unsere Gedanken, unsere Gefühle. In dieser Spannung leben wir hier. In der Hoffnung auf Sein Reich. Gottes Machtbereich steht unseren Machtverhältnissen auf der Erde gegenüber. Seine Barmherzigkeit ist nicht die Logik der Welt. Sein Friede ist nicht in der Welt. Seine Gerechtigkeit ist nicht erreichbar durch unsere Bemühungen und unseren Streit um mehr Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit. Wenn wir um das Kommen des Reiches Gottes beten, gehen wir doch davon aus, dass das wirklich ist und kommen wird. In Jesus ist es wirklich geworden. In seinem Kreuz. In seiner Auferstehung. Und es ist verborgen - unter den Kreuzen, die wir erfahren und leiden, unter seinem Gegenteil. Mit dieser Bitte beten wir um Widerstandskraft, in der Hoffnung auf Gottes Reich zu bleiben und an dieser Hoffnung fest zu halten. Die Logik der Wirtschaft darf Nächstenliebe, „die nichts bringt", und bedingungslose Freundschaft nicht beherrschen. Insofern hat die ständige Bitte um die Ankunft von Gottes Reich eine widerständige und systemsprengende Kraft und macht es einer Kirche unmöglich, sich seelenruhig den angeblichen Erfordernissen einer Moderne einfach anzupassen.

Nicht mein oder unser Wille. Dein Wille geschehe. Jesus betet in Gethsemane: „Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!" (Mt. 26, 39) Petrus wird auf seinem Weg nach der Auferstehung seines Herrn auch dahin geführt, wohin er nicht will. Gottes Wille soll die Welt schon jetzt erfüllen. Und Sein Wille ist anders als unsere Wünsche. Glaubenserfahrung unserer Väter und Mütter und heutiger Menschen ist: Ich stehe quer zu Gottes Willen. Sein Wille ist unbequem. Er könnte mich in Konflikte führen. Gottes Wille kann mich ins Leiden für andere führen. Auch in den Tod für andere. Er kann mich dazu verführen, mehr zu geben als zu nehmen. Gottes Wille ist eine unheimliche Macht. Wenn ich wirklich darum bitte, dass Gottes Wille auch auf dieser Erde geschehen soll, muss ich mich auf etwas gefasst machen. Dann wird mein Leben sich ändern. Mein Wille gilt dann immer weniger. Gottes Willen beuge ich mich. In ihm gehe ich auf. Seinem Willen allein gebe ich mich hin.

Wir bitten nicht um Reichtum. Wir bitten um Brot. Um das wenige, das ganz arme Menschen brauchen, um am Leben bleiben zu können. - Ältere und alte Menschen unter uns haben das am eigenen Leib und in der eigenen Seele erfahren. Heute hungern Menschen in unseren westlichen Gesellschaften nach Zuhören, Zuwendung. Danach, dass jemand ein wenig Zeit für sie übrig hat. Kinder wie Erwachsene wie alte Menschen. Menschen hungern nach einem freundlichen Blick, nach einem guten Wort. Auch nach Weisung und Strenge, nach Klarheit und danach, wirklich ernst genommen zu werden. Uns, die wir über Nacht und weit mehr zu essen haben, wird diese Brotbitte in den Dank und in die Verantwortung führen. „Unser tägliches Brot gib uns heute" - wird zu „fremden Bitte" (U. Luz, EKK Mt.), zur Bitte an uns gerichtet.

Wir bitten um Vergebung. Ohne Vergebung kann kein Mensch weiter leben. Allein, dass ich lebe, bringt mich in Verschuldung. Ich muss essen und trinken. Ich verbrauche Energie, Lebensenergie von anderem Leben, auf das ich angewiesen bin. Ich werde schuldig an anderen Lebewesen und an anderen Menschen. Ich bleibe Gott immer etwas schuldig, denn ich kann Seine Gebote nicht perfekt erfüllen. Sie spiegeln mir meine Unzulänglichkeit. Es gibt für den frömmsten Menschen keinen Grund, sich für etwas Besseres vor Gott zu halten, als es andere Menschen sind. Darum brauche ich zum Leben, um weiter leben zu können und auch um einmal in Frieden sterben zu können, die Vergebungskraft, die von Gott kommt. „Verzeih mir" hieß eine Fernsehshow. Solche Inszenierungen mögen für viele eine billige Unterhaltung sein. Doch selbst sie deuten hin auf diesen ungeheuren Lebensbedarf: Vergebung. „Wie auch wir vergeben haben unseren Schuldigern", steht da eigentlich. Beten und Tun gehen in eins. „Vergebt, so wird euch vergeben." (Lk. 6, 37) Vergebung kann ich erfahren, indem ich sie suche in meinem Zusammenleben mit den anderen. Wir leben - wie Luther sagt - von der einen großen Absolution, die Gott ausgesprochen hat über uns in der Taufe in Christus hinein. Das sollen wir „alle Stunden brauchen und üben ..., weil wir es allezeit bei uns haben." (Großer Katechismus)

„Die einzige Prüfung für den Menschen (besteht) darin, dass er bei der Berührung mit dem Übel sich selbst überlassen bleibt." (Simone Weil) Erlöse uns von dem Übel - so beten manchmal Ältere noch diese Bitte: Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Ich empfinde das gerade im Krankenhaus als angemessen, realitätsnäher. Patienten ist oft schrecklich übel. Sie haben das Gefühl, dass ihnen übel mitgespielt wird. Übelkeit kann man unmittelbar leiblich spüren. Das Böse bleibt abstrakt. Diese sechste Bitte im Vaterunser weist auf diesen Riss: unser Leben ist zwiespältig im Licht Gottes. Menschen können Gott loswerden. Mitmenschlichkeit kann fundamental gestört sein. Übel kann uns ergreifen. Das Böse ist in der Welt. Aus dieser Bitte spricht unglaubliches Vertrauen: dass der, der uns mit Christi Gesicht entgegen kommt, derselbe ist, der „das alles zulässt." Dem das Grauenvolle, Schreckliche, Abgründige nicht einfach entglitten ist, von dem allen er sich auch nicht einfach zurück gezogen hat. Sondern der ist, der uns erlöst hat in Christus, in dem wir ja sind, dessen Leib wir angehören, durch den wir nicht verloren gehen, auch wenn wir verlieren - am Ende unser Leben, am Ende mein Ich. ER führe uns nicht in Versuchung - den alten Menschen betreffend. Luther sagt es, wie es auch heute ist: „Unzucht, Faulheit, Fressen und Saufen, Geiz und Täuscherei, den Nächsten betrügen ..."  ER führe uns nicht in die Versuchung dieser modernen, postmodernen alten Welt: „Hass und Neid, Feindschaft, Gewalt und Unrecht, da niemand will der Geringste sein, sondern obenan sitzen ..." ER führe uns nicht in die Versuchung durch „den Versucher", nämlich Gottes Wort und Sein Handeln an uns, Seine Heiligkeit und unsere Heiligung in den Wind zu schlagen. Erlöse uns von dem Bösen: am Ende, lebendiger Gott, Vater des Lebens, wirst du uns frei machen von aller Zwiespältigkeit. Damit liegen wir dir jeden Tag in den Ohren.

Das Gebet Jesu lädt uns ein zu beten. Es sagt uns, was uns Gott zu beten eingibt- in allen unseren Gebeten. Wir müssen gar keinen Dank, keine Bitten und Klagen, kein Lob uns angestrengt abringen. „Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet." (Mt. 6, 8) Am Ende geben es uns die Engel, die Mächte, die Gewalten ein, was wir beten. Betend geraten wir in diesen Strom, der keinen Anfang hat und kein Ende. Der uns Anteil gibt, früh am Morgen, mitten am Tag , abends vor dem Schlafengehen und in schlaflosen Nächten: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.



Pastor Wolfgang Ebel

E-Mail: Pastor.Ebel@med.uni-goettingen.de

Bemerkung:
Die Predigt ist konzipiert für einen Sonntagmorgengottesdienst im Universitätsklinikum, in dem auch das Abendmahl gefeiert wird. Das Vaterunser könnte mit dem Lied EG 188 gesungen werden.


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