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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Rogate, 13.05.2007

Predigt zu Matthäus 6:5-13, verfasst von Wolfgang v. Wartenberg

Betet! Jesus zeigt uns mit den Worten des Vaterunsers, wie man beten kann. Zuversichtlich. Allen Erfahrungen zum Trotz.

Liebe Gemeinde,
der Predigttext des heutigen Gottesdienstes steht im Matthäusevangelium, im 6. Kapitel, die Verse 5 bis 13. Es handelt sich um einen Abschnitt aus der großen Bergpredigt, in der Jesus über das Beten spricht und uns das so bekannte Vaterunser anvertraut. Jesus sagt Folgendes:

5Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, damit sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. 7Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11Unser tägliches Brot gib uns heute. 12Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.  13Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

Liebe Gemeinde,
die Mutter eines schwer erkrankten Jungen sagte, sie habe, als sie von der Diagnose ihres Jungen gehört habe, nicht mehr zu Gott beten können oder wollen, obwohl sie eigentlich ihr Leben lang eine recht gläubige Frau gewesen sei. Sie sei so enttäuscht gewesen und habe sich gefragt, ob es Gott überhaupt gebe.
Dann aber, fuhr sie fort, als sie nicht mehr betete, sei es ihr schlechter ergangen als vorher.
Da habe sie wieder mit dem Beten angefangen. Obwohl sie weiterhin verzweifelt sei. Der Kontakt zu Gott sei ihr wichtig, auch wenn sie nicht verstehe, was mit ihrem Jungen passiere. Sie fühle sich mit jedem Gebet stärker. Es sei ihr, als gebe ihr Gott jedes Mal von seiner Kraft.

Welche Erfahrungen machen wir, wenn wir beten?
Jesus lädt uns zum Beten ein mit den Worten des Vaterunsers. Er macht Mut. Er zeigt uns, wie man beten kann. Möglicherweise allen Erfahrungen zum Trotz.

Wenn ihr betet...! Jesus richtet seine Worte an die Frauen und Männer und auch Kinder, die um ihn herum auf einem Berg lagern, um ihm zuzuhören.
Zunächst sagt er ihnen einiges zu den äußeren Umständen, die sich für manche vielleicht von selbst verstehen:
Wenn ihr schon betet, dann nicht, um als besonders fromm angesehen zu werden.
Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein.
Was für ein schönes Bild! Wir können es ergänzen: Zieh dich zurück. Geh in die Stille, wenn du magst, in eine Kirche. Im Krankenhaus, im Alten- und Pflegeheim, wo auch immer, zumal wenn noch andere im Zimmer sind- zieh einfach die Bettdecke über deinen Kopf - dann bete zum himmlischen Vater.
Und Jesus sagt dir: Deine Worte verhallen nicht im leeren Raum. Sie kommen an bei dem, an den sie gerichtet sind, bei Gott, dem himmlischen Vater. Der Vater sieht in das Verborgene und wird euch segnen (zit. nach Jörg Zink).
Dann folgt als letzte Empfehlung: Macht nicht so viele Worte. Darauf kommt es doch gar nicht an. Euer himmlischer Vater weiß (doch) längst, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

Das Vaterunser ist wirklich auf Jesus zurück zu führen. Hier sind wir am Urgestein christlicher Überlieferung.
Zunächst die Anrede: Unser Vater im Himmel!
Beides klingt an: Vater- im Himmel. Eine ungeheure Nähe und eine große Distanz. Diese Anrede signalisiert, wir dürfen zum Vater kommen mit allem, was uns angeht, was uns belastet, was wir uns wünschen. Aber: Er ist im Himmel. Er ist bei aller Nähe doch weit weg.

Das wird bestätigt durch die erste Bitte: Dein Name werde geheiligt.
Gott ist unser Vater, das ist wahr. Aber plumpe Vertraulichkeit ist darum doch nicht angemessen.
Warum leben wir?
Was ist das mit uns in diesem endlosen Weltenraum?
Wie ist das mit Gott, der uns geschaffen und bewahrt hat bis auf den heutigen Tag?
Wenn wir uns auf die wichtigen Fragen unseres Lebens einlassen, dann spüren wir vielleicht, wie wir in einem großen, göttlichen Geheimnis leben. Solch eine Betrachtung weckt, so ist meine Erfahrung, ein Gefühl der Ehrfurcht und macht demütig.

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Die zweite und die dritte Bitte.
Durch diese Bitten wird erneut deutlich, dass es in diesem Gebet und in unserem Leben nicht nur um uns, um dich und mich geht, sondern um etwas Größeres: um die Geschichte Gottes mit dieser Welt, mit dieser seiner Schöpfung, mit allem, was da „lebt und webt" (Apostelgeschichte 17,28). Wir bitten im Vaterunser darum, dass Gott seine guten, seine „gütigen" Maßstäbe in der ganzen Welt durchsetzen möge.
Wir wissen es doch, wir hören davon: In der Welt geschieht soviel Böses. Es ist entsetzlich. Menschen missbrauchen ihre Macht. Die Reiche, die sie begründen, befördern nicht Frieden, sondern Krieg. Ja, und dann die Not, die uns durch Unglück oder Naturkatastrophen überfallen. Einfach so- und wir wissen in vielen Fällen nicht warum. Viele Menschen hungern. Unschuldige Kinder leiden und weinen.
Gott, du bist der wahre Gott! So höre ich das aus den Worten Jesu. Es wird Zeit, dass du dein Reich aufrichtest, dass du deine Welt vollendest, ganz und heil machst. Ach, Gott, so tu es doch, hindere den bösen Willen! Lass doch geschehen deinen guten Willen!

Nun folgen vier Bitten, die ganz unmittelbar uns, dich und mich betreffen.
Dazu vorerst eine Beobachtung: In diesen Bitten wird deutlich, dass wir nicht für uns allein beten. Gewiss, wir beten allein- aber immer wieder klingt das „unser" an. Gott ist eben nicht nur mein oder dein Gott, sondern unser Gott. Das hat mit der Liebe zu tun, die Gott zu uns allen hat.

Was alles wünschen wir uns? Was brauchen wir zum Leben? Wie zahlreich sind unsere Bedürfnisse? Welcher Wunsch steht bei uns ganz oben an?
Unser tägliches Brot gib uns heute. Diese vierte kurze Bitte fasst all das in sich, was wir an Wünschen in uns tragen, was uns Not tut, damit wir leben können.
Auffallend ist, dass Jesus nur bittet um das tägliche Brot, um das Brot also, das wir am heutigen Tag benötigen. Wir neigen dazu, über den nächsten Tag hinaus zu denken, genauer müsste ich wohl sagen: zu sorgen. Dabei hat jeder Tag seine eigene Plage. Das genügt. So jedenfalls denkt Jesus. Wenn wir erkrankt sind oder an einer anderen Not leiden, sind wir versucht, uns weit in die Zukunft hinein zu strecken und sorgenvoll zu fragen, wie das oder das einmal sein wird. Das beunruhigt unser Herz ganz unnötig. Es reicht, Gott um seine Hilfe und Unterstützung für den heutigen Tag zu bitten.

Und vergib uns unsere Schuld. Die fünfte Bitte ist an Gott gerichtet. Immer dann, wenn wir unser Leben bilanzieren, spüren wir vermutlich nicht nur Stolz und vielleicht auch Dank, sondern auch, worin wir gefehlt haben. In einem Gebet, das beim Abendmahl gesprochen wird, heißt es:
Herr, wir beugen uns vor dir und bekennen, dass wir schuldig geworden sind in Gedanken, Worten und Werken. Wie oft haben wir dein Gebot verworfen und an deiner Liebe gezweifelt. Wir haben es fehlen lassen an der rechten Liebe zu unseren Nächsten. Vergib uns unseren Unglauben und unsere Lieblosigkeit.
In diesen Worten finde ich eindrücklich zusammen gefasst, wozu wir stehen und worum wir bitten können, wenn wir Gott um Vergebung bitten wollen.

Jesus fügt der fünften Bitte noch den Satz hinzu: wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Wer Gott um Vergebung bittet, dem wird es vermutlich leichter fallen, auch denen zu vergeben, die ihm Unrecht getan haben. Wir leben aus der Vergebung. Das gilt auch für unseren Alltag. Es belastet uns, wenn wir anderen Menschen Leid angetan haben, und es hilft, wenn man sich dazu durchringen konnte, um Vergebung zu bitten.
Die sechste Bitte: Und führe uns nicht in Versuchung. Viele Kranke erleben ihre Krankheit als eine Prüfung Gottes, ob sie weiterhin an ihm festhalten würden. Wie wird es uns ergehen, wenn wir eine besondere Not erleben?
Dietrich Bonhoeffer schrieb einmal: Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie uns nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.
Welche Gewissheit spricht aus diesen Worten! Viele erzählen davon, dass Gott ihnen diese Kraft geschenkt hat dann, wenn sie diese gebraucht haben. Eine Sicherheit dafür, dass wir die Kraft geschenkt bekommen werden, gibt es nicht. Aber beten um diese Kraft, das dürfen wir bereits heute: Schenke, himmlischer Vater, mir die Kraft des Vertrauens, dass du da bist und mir hindurchhilfst.

Die letzte, die siebente Bitte lautet: (Sondern) erlöse uns von dem Bösen. Dass das Böse in dieser Welt aufgehalten wird, dass die Menschen nicht so grausam sind, das können wir offensichtlich nicht mit Gewalt und nicht ohne Gewalt wirklich herbeiführen. Da muss, wenn wir Jesu Worten folgen, eine höhere Macht, da muss Gott mitwirken. Darum beten wir recht, wenn wir sagen: Vater, erlöse uns von dem Bösen.
Ein anderes Beispiel: Die Ärzte in einem Krankenhaus können gute und befähigte Mediziner sein. Aber dass eine „bösartige" Krankheit in unserem Körper aufgehalten, womöglich auch überwunden wird, da muss nach meiner Überzeugung Gott mithelfen.
Was eine Krankheit für uns so „böse" macht, dass ist die plötzliche und unausweichliche Erfahrung, dass unser, so geliebtes Leben vielleicht in absehbarer Zeit „zuende" ist. Wer hilft uns in unserer Hilflosigkeit? Wir wenden uns an den richtigen Adressaten, wenn wir in einer bedrohlichen Situation Gott mit unserem Flehen in den Ohren liegen: Befreie uns von dem Bösen, das uns Angst bereitet, und hilf uns. Und wir können fortfahren mit der dritten Bitte des Vaterunser: Dein Wille geschehe!

Ja, ich will noch einen Schritt weitergehen: dass der (böse) Tod am Ende unseres Lebens überwunden wird und nicht das letzte Wort behält, das ist allein die Sache Gottes. Bei Jesus erleben wir, wie das Leben, das Gott schenkt, den Tod überwindet. Darum loben wir Gott zu Recht, wenn wir in dem Osterlied singen:
Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit; denn unser Heil hat Gott bereit. Halleluja, Halleluja, Halleluja, Halleluja, gelobt sei Christus, Marien Sohn (EG 100).

Ja, aber, mag mancher noch fragen: Was ist, wenn Gott unsere Bitten nicht erfüllt- oder wir wenigstens den Eindruck haben, dass er nicht hilft?
Ich wünsche uns, dass wir uns anstecken lassen von der Zuversicht Jesu. Am Kreuz rief er: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Jesus geht, so wird es uns überliefert, mit großer Gewissheit davon aus, dass „sein" Gott für ihn sorgen werde auch dann, wenn er sich verlassen fühlt.
Mich tröstet die Vorstellung: Wann immer wir das Vaterunser beten, beten wir mit den Worten Jesu. Wir sind dann nicht allein. Christus ist bei uns- wir können aufatmen und Frieden finden.
 
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Mit diesem feierlichen Gottesbekenntnis antwortet die christliche Urgemeinde auf das Vaterunser: Ja, so ist es. So wird es sein. Gott sorgt für uns wie ein guter Vater. Am heutigen Muttertag möchte ich hinzufügen: wie eine gute Mutter. Unser himmlischer Vater ist Gott in Ewigkeit. Amen

Lieder:
EG 317 Lobe den Herren, den mächtigen König
EG 100 Wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit
EG 188 Vater unser, Vater im Himmel
Literatur:
anregend: Werner Grimm, Artikel Vaterunser im Calwer Bibellexikon, 2003



Pfarrer Wolfgang v. Wartenberg
Krankenhauspfarrer in Stuttgart
E-Mail: w.wartenberg@katharinenhospital.de

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