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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Septuagesimae, 31.01.2010

Predigt zu Matthäus 25:14-30, verfasst von Else Hviid

Wenn man den Atheismus oder den Säkularismus studieren will, muss man einer oft gehörten Meinung zufolge nach Dänemark gehen. Wir leben in einer säkularisierten Gesellschaft, in der das Religiöse unsichtbar ist oder jedenfalls in den streng privaten Bereich abgedrängt worden ist. Man kann es uns nicht ansehen, wenn wir religiös sein sollten, und man kann es auch nicht hören. Wir begründen unsere Ansichten oder Handlungen nicht religiös, und es gefällt uns nicht, wenn andere es tun.

            Aber man kann die Welt nicht so in religiös und säkularisiert aufteilen, ganz im Gegenteil. Ich glaube, wenn Paulus hier auf dem Berg gestanden hätte, dann hätte er gesagt: "Ich sehe, dass ihr auf alle erdenkliche Weise sehr religiös seid." Ganz so, wie er es so zuvorkommend zu den Athenern sagte. Er ging dort umher, auf dem Areopag, inmitten von vielerlei religiösen Symbolen, darunter ein Altar mit der Inschrift: "Für den unbekannten Gott." Hier konnte man Opfer darbringen, wenn es einem nicht gleich gelang, seine eigene Religion repräsentiert zu finden.

            Paulus sieht die Religiosität der Bevölkerung - auch dass sie kein Gesicht hat - und er macht sich daran, ihre gesichtslose Religion für sie zu interpretieren. Und die Athener waren ungeheuer religiös, damals in der Antike. Es gab die Anhänger der alten Religion und die Neureligiösen, und die eine religiöse Vorstellungswelt war genauso lebendig wie die andere in einer bunten und mannigfaltigen religiösen Welt, die so manche gemeinsame Züge mit unserer eigenen Zeit hat.

            Auch die Dänen sind religiös. Wir hören es oft, zahlreiche Umfragen belegen es, und so manche Statistik veranschaulicht es. Und das Neueste ist, dass die Dänen jetzt auch wieder öfter in die Kirche gehen.

            Die Dänen sind religiös. Wir haben nicht unbedingt alle denselben Glauben, aber dass wir als Volk im Laufe der 80er und 90er Jahre mehr religiös geworden sind, ist eine Tatsache, die sich dokumentieren lässt. Dokumentieren in dem Maße, in dem man die Aussagen der Menschen ernst nimmt.

            Am vergangenen Sonnabend waren um die 120 Menschen hier in der Kirche, bei einer Taufe. Und wenn die Gemeinde dieses Sonnabends typisch für die dänische Bevölkerung war - und warum sollte es nicht so sein -, dann haben die meisten von ihnen die Frage, ob sie an Gott glauben, mit Ja beantworten können. Sie würden nicht ein und dieselbe Antwort geben können, wenn die Frage lauten würde, was Gott, Jesus Christus, Auferstehung und ewiges Leben usw. ist. Sie würden unterschiedlich antworten, denn sie kennen nicht unbedingt unsere überlieferten christlichen Glaubenssätze und verhalten sich nicht unbedingt zu ihnen. Das Bisschen, was die Dänen vom Christentum wissen, weiten wir aus und verbinden wir mit unseren eigenen Erfahrungen und Empfindungen. Und das Ergebnis ist eine individualisierte und inhomogene Religiösität, die sich vielleicht nicht gerade als sichbare Religion in den Medien manifestiert.

            Ich finde, wir haben keinen Grund, das zu beklagen.

            Es ist eine Tatsache, wenn wir in diesen Jahren über die Religiosität der Dänen reden, dass es sie in ausgesprochenem Maße und zum großen Ärger von Religionskritikern und Atheisten gibt. Dass sie individualisiert ist, ohne Gesicht ist und deshalb ummöglich zu beschreiben ist, ja, darin besteht eine Herausforderung an uns in der Kirche. Ihr ein Gesicht zu verleihen und ganz wie Paulus diese gesichtslose Religion auszulegen und zu interpretieren und sie in Worte zu fassen.

            Wo und wie tun wir das?

            Ja, wir tun es hier, wo wir jeden Sonntag wieder zu den Quellen gehen, zu dem, was unserer Religiosität Inhalt, Form und Fülle gibt. Ihr Gesicht verleiht.

            "Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Mann," hören wir. Und dann wird diese provozierende Erzählung vor unseren Augen und Ohren entfaltet. Provozierend, weil wir lieber etwas Anderes hören wollen als das, was wir hier hören; abstoßend und provozierend, weil wir uns selbst als schlechte und faule Knechte bezeichnet sehen. Als untaugliche Knechte, die in die Finsternis hinausgeworfen werden, wo Heulen und Zähneklappern sein wird.

            Es ist nicht schwer, das Gleichnis auszulegen: es ist eine unmissverständliche Warnung davor, nicht die Talente, die ich geschenkt bekommen habe, sich im Leben mit anderen entfalten zu lassen. Was ich bekommen habe: das Leben, Menschen, mit denen ich zusammen lebe, eine Arbeit, Menschen, mit denen ich zusammen arbeite. Und auch ein Wort, ein Wort über die Erlösung von Sünde und Tod. Und Menschen, mit denen ich es teilen kann.

            Das habe ich bekommen, und das habe ich zu verwalten, nicht zu verstecken und zu vergraben - sonst werde ich hinausgeworfen, wo Heulen und Zähneklappern sein wird.

            Wenn die Erzählung provozierend ist, dann deswegen, weil ich sie ohne weiteres wiedererkenne. Ich weiß von meinem Leben, mit anderen, dass es zu Heulen und Zähneklappern führt, wenn ich vernachlässige, was ich bekommen habe. Und ich kenne das Gefühl, selbst dort zu sein, draußen.           

            Alle Menschen, jedenfalls die Erwachsenen, kennen es, und in der Kirche nennen wir genau diese Erkenntnis Sünde. Sünde ist keine Erfindung der Kirche, um Menschen zu plagen, Sünde ich ein christliches Wort für eine Erkenntnis, die alle Menschen teilen. Und die Vergebung der Sünden ist der tiefste und wichtigste Zug des Christentums. Dass du nicht selbst, sondern ein anderer, Gott in Jesus Christus, dir die Sünde vergibt, so dass du es von neuem versuchen darfst.

            Für den Dichter Sören Ulrich Thomsen, den einige von uns neulich gehört haben, war der Gedanke der Sünde und ihrer Vergebung - dass Jesus um unserer Sünden willen gestorben ist - sinnlose Rede. Er schreibt: "Wenn ich als junger Mensch nicht fand, dass die Behauptung, Christus sei um unserer Sünden willen gestorben, sinnvoll war, so hatte das gewiss seinen Grund darin, dass ich nicht fand, ich sei ein Sünder. In meiner Jugend protestierte alles in mir - ganz natürlich - gegen den ungerechten Gedanken von der Erbsünde. Hier stand ich - makellos - und mit lauter guten Absichten, es nicht nur ganz richtig zu machen, sondern auch weitaus besser als meine Vorgänger, und dann bekam ich zu wissen, dass ich - Gott sei's geklagt! - eine Sünde geerbt hätte. Heute, wo ich so reichlich Zeit gehabt habe, Fehler zu machen, und wo ich genauso angelaufen bin wie alle die anderen rostigen Fallrohre, heute finde ich merkwürdigerweise, dass es ganz im Gegenteil ein sehr gnädiger Begriff ist. Denn was enthält der Gedanke von der Erbsünde anderes, als dass es ganz einfach eine menschliche Grundbefindlichkeit ist, Fehler zu begehen, und dass ich nicht sündige, weil ich ich bin, sondern weil ich ein Mensch bin" (Kritik S. 179).

            Die gnädige Vergebung wird nicht in dem Gleichnis verkündet, sondern im Gottesdienst, im Abendmahl.

            Sie ist nicht geeignet zur Mitnahme auf die Straßen und Plätze, sie ist nicht geeignet als Aufruf oder als Slogan auf Spruchbändern. Aber sie verleiht dem Gesicht, das das Gesicht des Christentums ist, charakteristische Züge.

Amen



Pastor Else Hviid
London
E-Mail: ehviid@googlemail.com

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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