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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Invokavit, 21.02.2010

Predigt zu Lukas 22:24-32, verfasst von Else Hviid

Darf man sich über religiöse Menschen lustig machen? Darf man unverfrorene Dinge über Gott sagen, und darf man provozierende Bilder von Jesus malen? Von Jesus?

            Als einige Leute provozierende Zeichnungen von Mohammed machten, entdeckten wir, wie verletzt sich viele Moslems fühlten, verletzt in ihrer Religiosität und in ihren Gefühlen, und viele Dänen hatten offensichtlich Schwierigkeiten, zu verstehen, was das heißt.         

            Ein Erklärung für unser fehlendes Verständnis ist in den Augen mancher Leute, dass wir jetzt so säkularisiert sind, dass uns selbst nichts mehr heilig ist. Und wir können uns deshalb nicht vorstellen, dass anderen etwas heilig sein kann.

            Stimmt das auch? Wir haben etwas, viele von uns haben etwas, was uns heilig ist, aber das bedeutet nicht, dass es unantastbar wäre. Ganz im Gegenteil, man darf am Heiligen rühren, man darf es zeichnen und beschreiben, und man darf es auch zum Gegensstand von Spaß und Satire machen. Aber wenn wir keine Grenzen kennen, ist dann alles bei uns erlaubt? Nein, natürlich nicht, aber wir haben recht weit gezogene Grenzen.

            Und kann man nicht auch der Meinung sein, dass uns die Bibel selbst so erzogen hat, dass wir die unterschiedlichsten und sogar problematischsten Bilder vom Heiligen in uns tragen können? Die Bibel erzählt natürlich in erster Linie von Gott, von Gott und vom Leben von Menschen mit Gott, und meistens gegen ihn. Und es sind nicht nur nette und hübsche Geschichten, die wir hören. Wir begegnen in ihnen auch nicht nur einem erhabenen und unantastbaren Gott, ihm begegnen wir auch, aber er ist mehr, er ist auch ein fordernder, eifersüchtiger und rachsüchtiger Gott, und er ist ein verachteter und verlassener Gott.

            Und die Menschen, die erzählen oder von denen erzählt wird, sind weder besonders fromm noch heilig, sie sind verwirrt und in ständiger Bewegung, auf Gott hin und gleich wieder weg von ihm.

            Wir lesen m.a.W. von Menschenleben, vom Alltag, von uns selbst, von einer Wirklichkeit, die vielfältig und schwierig ist und die wir deshalb als unsere eigene wiederekennen. Und wir machen deshalb beim Lesen auch die ganze Skala von Gefühlen durch. Manchmal langweilt man sich gründlich, manchmal ist es sehr unterhaltsam, manchmal verfolgt man in atemloser Spannung das Geschehen, und manchmal ist man geradezu aufgebracht und entrüstet. Aber unterwegs bekommt man unweigerlich einen Blick für das ganz Besondere an der Bibel, dass nämlich die Zweideutigkeit des Daseins, all das Sinnlose, Unmoralische und Zweifelhafte auch in der Bibel vorkommt. Nichts ist verborgen, alles ist sichtbar, auch der Aberglaube und die Gottverlassenheit, so dass wir in dieser Erzählung von Gott und Menschen uns selbst als Menschen erkennen können.

            Nicht dass Verzweiflung und Resignation und Atheismus das Ergebnis wären, im Gegenteil, die Bewegung zeigt die ganze Zeit in die entgegengesetzte Richtung, auf Gott hin. Der Mensch kämpft um Gottes Segen, mit Begeisterung und mit Mühen.

            So wird in der Bibel erzählt, und solche Bilder des Heiligen erhalten wir dann auch, denn sie springen im Text in die Augen.

            Neulich saßen wir in einer kleinen Gruppe von Menschen zusammen und betrachteten Bilder aus 200 Jahren Kirchenkunst, - und was sahen wir?

            Wir sahen einen Gott, der zornig ist, wenn er seinen Willen nicht bekommt, so zornig, dass er weder Rache noch Strafe und Mord scheut. Wir sahen eine Welt, die auf den Kopf gestellt war, wir sahen Versagen, wir sahen Verrat, und wir sahen Hinrichtungen. Vom Isenheimer Altar mit Matthias Grünewalds grauenhaftem Kreuzigungsbild, auf dem der Leib Christi - in Solidarität mit den Pestkranken, die das Bild zu sehen bekamen - schon angegriffen und in Verwesung begriffen ist, - über Niels Larsen Stevns, Astrid Noach, Erik Heide und bis hin zu Björn Nörgaards dekonstruiertem Kruzifix. Björn Nörgaard - man hörte einige stöhnen. Das ist doch der Mann mit den Pferdeschlachtungen - er zerstückelte seinerzeit ein Pferd und legte die Stücke in ein Einmachglas - und damals in den 70ern verletzte er die Gefühle so mancher Dänen. Konnte man ihn mit der Ausgestaltung von Kirchenräumen beauftragen - würde man nicht Gefahr laufen, dass er die religiösen Gefühle vieler Menschen verletzen würde? Das ist wohl nicht passiert, und als seine Altarpartie auf die Leinwand kam, war die Reaktion unserer Gruppe denn auch  ein vernehmliches: Oh! Nicht entrüstet oder gekränkt, sondern begeistert. Björn Nörgaards Kruzifix (in der Kirche von Knebel, Djursland) ist eine große Erzählung, die die ganze biblische Zweideutigkeit in sich birgt, aber auch den Versuch des mordernen Betrachters, sich einen Weg zu Christus zu erkämpfen - auf der DNA-Leiter.

            Niemand hat sich wohl durch seinen Altar gekränkt gefühlt, und man ist zu der Schlussfolgerung versucht: wenn man die Gefühle der Dänen verletzen will, dann muss man merkwürdige Dinge mit Tieren anstellen.

            Oder gibt es da eine kleine Ausnahme? Ja, möglicherweise. Ein wenig abseits, in der Kirche von Lögumkloster (Kloster Lygum), wo Astrid Noachs Kruzifix hängt. Sie machte dieses kraftvolle Kruzifix in den Jahren 1943 -1945, eine Arbeit in Holz, mit einer Christusfigur, deren Geschlecht deutlich sichtbar ist. Das wollte man nicht, es sei denn, Astrid Noach würde der Figur einen Lendenschurz verpassen. Und das wollte sie nicht! Jetzt hängt das Kruzifix in der Kirche von Kloster Lygum, weil der Kunstfonds des Staates es der Kirche geschenkt hat, und es hängt dort so diskret, dass man wissen muss, dass es dort hängt, und danach suchen kann!

            Das Abscheuliche und Verachtenswerte, das Ambivalente und Unmoralische gehört mit zur Erzählung von Gott und von Gott und dem Menschen. Zu den biblischen Erzählungen, auch zu den Erzählungen, die wir am 1. Advent hören. Auch hier kämpfen Menschen unter Mühen um einen Weg zum Segen Gottes.

            Kain tut es, nachdem er seinen Bruder erschlagen hat. Denn: er hätte seines Bruders Hüter sein sollen. Selbstverständlich er ist er der Älteste und der Größte, aber das bedeutet nicht so sehr einen erhabenen oder feinen Platz in der Reihenfolge, als vielmehr die Pflicht, den zu behüten und dem zu dienen, der kleiner ist.

            Dasselbe gilt von den Jüngern. Sie sitzen da - es ist der letzte Abend, sie haben gerade zusammen gegessen, Jesus hat gerade gesagt, dass er das letzte Mal mit ihnen zu Tisch gesessen hat, dass sie weiterhin gemeinsam essen sollen - ohne ihn, aber indem sie seiner gedenken, wenn sie das Brot teilen und den Wein trinken. Er hat auch gerade gesagt, dass der, der ihn verraten wird, mit am Tisch sitzt, dass er selbst dahingehen wird - dass es so beschlossen ist. Und genau in dieser Situation fangen die Jünger tatsächlich an, darüber zu streiten, wer als der Größte gelten solle! Als hätten sie überhaupt nichts gehört oder verstanden!

            Sie sitzen da und wissen, dass sie an etwas Großem teilhaben, an etwas, das sie groß macht. Und er sagt es ihnen auch: wie der Vater ihm das Reich zugeeignet hat, so eignet er, Christus, es ihnen nun zu, dass sie essen und trinken sollen an seinem Tisch in seinem Reich, und dass sie auf Thronen sitzen und richten sollen ...

            Und wer ist der Größte, fragen wir. Wer zu Tisch sitzt oder der, der dient? Darüber kann niemand im Zweifel sein. Ich kann natürlich nur für mich sprechen und sagen, dass ich mich unbedingt am größten fühle, wenn ich zu Tisch sitze. Ich lasse mich gern einladen und sitze gern mit am Tisch und fühle mich gern - wenn nicht als der Größte so doch groß. Ich bin mit geladen. Das Gefühl... Na ja, Gefühle! Gefühle sind flüchtig, unbeständig und deshalb auch nicht immer zuverlässig. Nicht immer ist richtig, was wir fühlen. Und darum dürfen sie - die Gefühle allein - nicht die Grundlage sein, auf der allein wir große Beschlüsse fassen, geschweige denn z.B. die Grundlage für den Beschluss, einen Krieg zu führen...

            Wer ist der Größte? Wir fühlen eínes, aber Christus will eine andere Antwort. Gott hat in Jesus dies Eine sagen wollen: derjenige ist am größten, der dient. Gott hat sich in Jesus zum Diener gemacht. Es hat auf dem ganzen Weg nicht immer gleich schön ausgesehen, an manchen Orten sah es hässlich aus, anderswo war es provozierend und anstößig, und wieder ein anderes Mal war es geradezu ekelig anzusehen, wie der Sohn Gottes einem Menschen diente.

            Aber so sieht auch die Wirklichkeit aus, die wir kennen, wenn sie ungeschminkt erzählt wird. Nicht dass wir ihr den Rücken zuwenden sollen, sondern damit wir uns bemühen und nach vorn bewegen können, im Blick auf den Segen Gottes. Wir bemühen und bewegen uns nicht umsonst, auch heute nicht. Uns ist die Verheißung des Segens gegeben in den Worten Christi zu dem verräterischen Petrus: "Simon, Simon, der Satanas hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen. Und wenn du dermaleinst dich bekehrst, so stärke deine Brüder."

Amen



Pastorin Else Hviid
London
E-Mail: ehviid@googlemail.com

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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