Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 28.02.2010

Predigt zu Römer 5:1-11, verfasst von Ján Grešo

„Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt,  Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren, für uns Gottlose gestorben. Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben. Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um wie viel mehr werden wir nun durch ihn bewahrt werden vor dem Zorn, nachdem wir jetzt durch sein Blut gerecht geworden sind! Denn wenn wir mit Gott versöhnt worden sind durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Feinde waren, um wie viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, nachdem wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben."

Das große Paradox der Liebe Gottes ist in diesem Abschnitt ausgesprochen. Denn bei dem Menschen gab es keine Voraussetzungen, die Gott motivieren könnten, die rettende Tat der Rechtfertigung und Versöhnung zu tun. Mit vier Ausdrücken sind die negativen Seiten des Menschen charakterisiert, wie Gott ihn vor seiner rettenden Tat vorfand:
Schwach sind wir gewesen (6),  schwach, nach seinem Willen wirklich zu leben, schwach, aus eigener Kraft zu Gott zurückzukehren und seine Gnade zu gewinnen.
Gottlos sind wir gewesen (6): Obwohl wir von Gott gesprochen haben und ihn bekannten, haben wir mit ihm wirklich nicht ernst gerechnet und ihm den ihm gebührenden ersten Platz in unserem Leben nicht gegeben.
Sünder sind wir gewesen, entfremdet von Gott, dem Grund unseres Seins, entfremdet von den Mitmenschen, entfremdet von unserem eigentlichen Sein (Tillich).
Feinde sind wir gewesen (10), deren Denken und Tun, offenbar oder verborgen, gegen Gott gerichtet waren.

Unter diesen Umständen müssen wir die Versöhnungstat Gottes in Jesus Christus als ein großes Paradox bezeichnen. Unter den Menschen gibt es keine Entsprechung eines solchen Verhaltens. Der Apostel fragt sich, ob etwas Ähnliches unter den Menschen zu erwarten wäre, aber findet höchstens einen vielleicht möglichen Vorfall: „Nun stirbt kaum jemand um eines Gerechten willen; um des Guten willen wagt er vielleicht sein Leben."

Aber das, was Gott getan hat, hat keine Entsprechung in der menschlichen Welt:  „Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren." Das ist etwas, was nicht zu erwarten war. Aber gegen jede Erwartung ist das faktisch geschehen. Die Liebe Gottes ist eine höchst schöpferische Liebe.  

Eine Schwierigkeit, diese Botschaft anzunehmen, besteht gerade darin, dass wir in der menschlichen Welt nichts Ähnliches finden. Das Tun Gottes ist überraschend und am meisten überraschend ist das, was am Kreuz von Jesus Christus geschehen ist.  „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken" (Jes 55: 8-9).   

Ist dies alles vielleicht nur eine interessante gedankliche Konstruktion des Apostels? Oder betrifft das auch mich? Brauche auch ich diese paradoxe Liebe Gottes? Bezieht sich auch auf mich die vierfache Charakteristik des Menschen, der die Rettung braucht? Finde ich in mir die Spuren der Schwachheit, Gottlosigkeit, Sündhaftigkeit, Feindschaft?

Wer dies in seinem Leben und Sein nicht findet, der braucht die Rettung nicht, die uns Gott in Jesus Christus angeboten hat. Bin ich ein solcher Mensch? Gewiss nicht! Gibt es sonst einen solchen Menschen? Gewiss nicht! Es gibt zwar viele, die in der Selbsttäuschung leben, dass sie diese Hilfe Gottes nicht brauchen.  Desto schmerzhafter ist für sie die Stunde der wahren Selbsterkenntnis. Die Botschaft des Apostels in diesem Schriftabschnitt ist für die bestimmt, die schon wissen, dass sie die rettende Tat Gottes brauchen, und zugleich für die, die das noch nicht wissen.   

Kann ich aber wirklich glauben, dass Gott mich rechtfertigt, annimmt, obwohl ich schwach, gottlos, Sünder, Feind bin? Nicht immer ist es leicht, die Vergebung wirklich und wirksam anzunehmen. Das tiefe Schuldgefühl kann uns daran hindern. Das Symbol des Kreuzes erinnert uns daran, wie ernst Gott seine Vergebung meint. Unter vielem anderen auch deswegen ist es wichtig, dass wir das Kreuz von Jesus Christus auch im modernen Europa vor Augen haben.

Außerdem bietet uns Gott die Hilfe des Heiligen Geistes an, damit wir glauben können, dass die Vergebung Gottes auch uns, auch mich persönlich betrifft: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist" (5). Der Heilige Geist will uns in unserem Bewusstsein und auch in den tiefen Schichten unseres Seins überzeugen, dass die Liebe Gottes auch uns gilt, dass wir von Gott wirklich angenommen worden sind.   

All das zielt dazu, dass wir mit unserem ganzen Sein akzeptieren, dass wir von Gott akzeptiert worden sind, obwohl wir unakzeptabel sind (Tillich). Das heißt die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders mit Glauben anzunehmen. Die im Glauben angenommene Tat Gottes hat weitgehende schöpferische Folgen im Leben des betreffenden Menschen.

Zuerst verändert sich das Wichtigste, das Zentrale: unser Verhältnis zu Gott. Nicht mehr als seine Feinde brauchen wir zu leben, sondern in einem ganz neuen, bisher unbekannten Verhältnis: im Frieden.  „Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus" (1). 

Wenn nach dem Krieg der Friede kommt, beginnt das neue Leben. So ist es auch im Menschen, der nach der Epoche der Feindschaft endlich im Frieden mit Gott zu leben beginnt. Das wichtige Wort, das das neue Leben kennzeichnet, ist die Hoffnung.  

Die Hoffnung bedeutet: immer nach vorn schauen. Der Apostel Paulus hat von sich geschrieben: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich aus nach dem, was da vorne ist, und jage nach dem vorgesteckten Ziel, dem Siegespreis der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus" (Phil 3:13b-14). Dieselbe Blickrichtung ist auch für unseren Text wichtig (Verse 2.5a.9-10). 

„Hoffnung" gehört zu den oft wiederholten und darum nicht immer tief genug erlebten Worten. In Wirklichkeit ist die Hoffung lebensnotwendig.
Neulich hat bei uns (Bratislava, Slowakei) ein Bruder, Leiter eines diakonischen Heimes für Jugendliche erzählt, dass das schwierigste Problem bei den von den Eltern verlassenen Jugendlichen die Lebensmotivation ist. Ihre Lebensmotivation ist mehreren Fällen gleich Null. Sie wissen nicht, warum und wozu sie leben sollten. Auf diesem Hintergrund kann man sehen, wie lebenswichtig die wirksame Hoffnung ist, da sie eine ausgezeichnete Lebensmotivation ist.

Die christliche Hoffnung ist nicht auf einem Zufall noch auf der Wahrscheinlichkeitsrechnung gegründet, sondern gerade auf der Rettungstat Gottes in Jesus Christus (Verse 9-10). Auf einem festen schon gelegten Grund beruht die Hoffnung, die zugleich eine starke Lebensmotivation ist. Dieser Grund der Hoffnung ist auch durch das Symbol des Kreuzes ausgedrückt.   

Noch etwas ist charakteristisch für das neue Leben eines vom Tod und der Herrschaft der Sünde geretteten Menschen. Infolge der paradoxen Tat der Liebe Gottes und zugleich infolge der geschenkten Hoffnung bekommt auch der von Gott angenommene Mensch die Fähigkeit, paradox, überraschend zu denken und zu leben.

Das Leben des Apostels Paulus bietet mehrere Beispiele eines solchen paradoxen Denkens und Lebensführung. Unser Text zeigt uns die Möglichkeit, auch die unangenehmen Seiten des Lebens auf eine ganz andere Weise zu bewerten und innerlich zu bearbeiten. „Wir rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden."

Die Hoffnung hilft uns, die Bedrängnisse auf eine ganz neue Weise zu ertragen, und Geduld und Bewährung in den Bedrängnissen bestärken wiederum unsere Hoffnung. Das sieht wie ein Zirkelschluss aus, aber in Wirklichkeit ist das eine Spirale der sich einander befestigenden und bereichernden Schritte.   

So ist in diesem Text der Weg gezeichnet, auf dem Gott den Menschen von dem Zustand, in dem er ihn vorfindet, bis zum endlichen Ziel führt. Der rettende Tod von Jesus Christus hat dabei die entscheidende Bedeutung.  Das immer aktuelle Symbol des Kreuzes lädt uns auf diesen Weg zum endlichen, sinngebenden Ziel ein. Voll begreifen kann diese Botschaft nur, wer sich einladen lässt. Die Berufung gilt für alle ohne Ausnahme. Amen.



Dr. Ján Grešo

E-Mail: greso33@gmail.com

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