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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 28.02.2010

Predigt zu Markus 9:14-29, verfasst von Morten Fester Thaysen

Wie kennen es nur allzu gut: das Leiden, die Hilflosigkeit, die Machtlosigkeit, wenn das Dasein ins Wanken gerät - und dann der Ruf um Hilfe kommt.

            Ich hörte einmal eine Geschichte von zwei Eltern, die erfuhren, dass ihr neunjähriger Sohn  krank geworden war und sterben würde.

            Der Junge selbst weiß es nicht. Er spielt und lacht, wie er immer gespielt und gelacht hat. Die Eltern sind außer sich.

            Eines Tages sind sie wieder einmal mit dem Jungen beim Arzt. Die Röntgenaufnahmen zeigen, dass der Krebs sich im ganzen Körper des Jungen ausgebreitet hat. Sie erfahren, dass ihr Sohn in die Stadt ins Krankenhaus muss. Vielleicht kann er operiert und gerettet werden.

            Als der Junge hört, dass er mit seinem Vater in die Stadt soll, ist er ganz ausgelassen vor Freude. Er denkt an die Spielzeugläden. Sein Vater verspricht ihm, dass sie in einen solchen Laden gehen. Er kann sich nicht überwinden, das Krankenhaus zu erwähnen. Es dauert fast einen ganzen Tag, wenn man mit dem Bus in die Stadt fahren will. Der Junge ist ganz besessen von all den Dingen, die er vom Bus aus sehen kann. Er redet und redet und stellt Fragen - manchmal so laut, dass die anderen im Bus Vater und Sohn gereizte Blicke zuwerfen. Der Junge freut sich einfach wahnsinnig auf die Stadt und den Spielzeugladen. Am späten Nachmittag kommen sie an. Der Junge soll seinen größten Wunsch erfüllt bekommen, ein Spielzeugauto. Hand in Hand und im Laufschritt eilen Vater und Sohn zu dem Laden. Aber der Laden hat grade zugemacht. Alle Läden sind zu. Sie sind zu spät dran. Der Vater rüttelt verzweifelt an der Tür. Sie ist abgeschlossen. Eine Decke der Trauer legt sich um den Jungen. Aber dann sagt er: "Aber Vater, morgen können wir doch wieder hier hingehen." Da muss der Vater heraus mit der Sprache. "Heute abend müssen wir ins Krankenhaus zum Arzt - du wirst auch da schlafen müssen," sagt er und drückt die Hand des Jungen. Der Junge sagt kein Wort.

            Der Vater ahnt jetzt nur allzu deutlich, dass es der letzte Abend ist, an dem sein Sohn noch lebt - und auch der Junge ahnt etwas.

            Verzweifelt und ohnmächtig zieht der Vater den Jungen in ein Café und kauft die eine Flasche Sprudel nach der anderen für ihn - und der Junge lacht, hat aber wie gesagt eine ganz andere Ahnung. Dann ist es Zeit für das Krankenhaus. Der Junge hat Angst, aber sein Vater belügt ihn wieder ein bisschen und sagt, dass er etwas sehr Spannendes erleben wird.

            Sie kommen in die Abteilung des Krankenhauses. Eine Krankenschwester nimmt den Jungen im Empfang. Der Vater darf nicht weiter mitgehen, so verlangen es die Regeln. Sie geht mit dem Jungen davon, der nun stumm und willenlos hinterhertrottet. Der Vater hat ihn weggegeben. Nein, nein, hört er eine innere Stimme. Nein, schreit der Vater stumm draußen im Gang. Aber die Tür ist ins Schloss gefallen. Verzweifelt läuft er wieder den Gang entlang. Er muss seinen Jungen wiederfinden - ihn zu sich nehmen - ihn nicht loslassen. Aber ein freundlicher Krankenpfleger hält ihn auf und schickt ihn weg.

            Am nächsten Morgen soll der Junge operiert werden. Der Vater geht in seinem Hotelzimmer umher, und erst als die Sonne am nächsten Morgen aufgeht, kann er ein bisschen schlafen - bis das Telefon klingelt. Das Krankenhaus ist am Apparat. Ob er sofort kommen kann. Dem Jungen geht es sehr schlecht. Der Vater zieht sich eilig an und stürzt aus dem Hotel zum Krankenhaus. Die Operation war gut verlaufen, aber leider war etwas hinzugekommen. Unterwegs hatte der Vater sinnlos zwei Spielzeugautos gekauft. Er wird zu dem Jungen hineingelassen und hält seine Hand. Es kann jeden Augenblick geschehen, sagt man ihm. Der Junge liegt in Schweiß gebadet. Sein Mund bewegt sich nicht mehr, aber seine Augen sind weit geöffnet auf den Vater gerichtet. Es ist, wie wenn alle Schleier zwischen ihnen jetzt fortgerissen sind. Dann ist nichts mehr. Das Leben beginnt wie eine Kerze im Zugwind zu flackern. Einige dunkle Zuckungen huschen über das Gesicht des Jungen. Dann ist es erloschen. Der Junge ist tot.

            Der Vater hatte nur einen Wunsch, nämlich seinem Jungen zu helfen. Ihm zu helfen, damit er nicht stirbt. Aber er kann es nicht. Er ist ohnmächtig. Und er ist verzweifelt, dass er seinen Sohn nicht vor dem Tod retten kann. Und darin gleicht er dem verzweifelten Vater, der mit seinem kranken Sohn zu Jesus kommt. Sie ähneln einander in ihrer Ohnmacht. Sie ähneln einander, verzweifelt wie sie sind. Vielleicht hat der Vater, der sich Jesus nähert, geglaubt, wenn er nur getrosten Mutes sei - wenn er nur etwas für seinen Sohn sein könnte - dann würde es schon irgendwie gehen. Aber daran glaubt er nicht mehr - er kann seinem Sohn nicht helfen. Er vermag nichts - und jetzt ist er nur noch eine große rufende Bitte um Hilfe. Die Krämpfe des Jungen drohen ihm das Leben zu nehmen, und die Jünger können nicht helfen. Verzweifelt geht er zu Jesus und ruft: Wenn du etwas tun kannst, dann hilf uns... sonst wird er sterben! Und die meisten, die um den Vater standen, glaubten tatsächlich, dass der Junge tot sei.

            Jesu Antwort ist hart: Wenn du kannst, sagst du, - alles ist möglich für den, der glaubt. Das klingt ja fast, als ob Jesus dem Vater Bedingungen stellt: wenn er glaubt, dann wird es seinem Sohn gut gehen.

            Man sagt in diesen Zeit so vieles über den Glauben. Atheisten spielen sich auf mit ihrer Selbsticherheit und sagen, Glaube sei nur etwas für Menschen, die nicht denken können. Glaube sei ein Virus im Gehirn, wie jemand so hübsch gesagt hat.

            Darin könnte er in gewisser Weise Recht haben, wenn Glaube etwas ist, wovon wir glauben, wir besäßen es einfach so. Etwas, das wir empfinden können. Etwas, das wir entwickeln können. Etwas, das wir entwickeln und persönlich machen können, so dass wir an Stärke und Sicherheit in dieser Welt gewinnen. Etwas, was uns zu besseren Menschen macht - etwas, was bewirkt, dass wir gesünder und glücklicher werden. Etwas, wovon wir verlangen können, dass andere es respektieren - indem sie uns z.B. nicht mit Bildern oder schlechten Witzen beleidigen.

            Wenn ein derartiger Glaube von dem Vater erwartet wird - dann hat er keinen Glauben. Und in Wirklichkeit hat auch niemand von uns einen solchen Glauben, wenn es darauf ankommt. Niemand von uns hat einen Glauben, mit dem wir uns schmücken könnten und der uns davor bewahren könnte, dass das Leben zerbrechen kann. Niemand. Wir sind nur Menschen... ohnmächtig und verzweifelt, wenn es darauf ankommt - wenn wir z.B. ein todkrankes Kind in unseren Armen halten - und das gibt der Vater zu, als er Jesus gegenübersteht und sein "Ich glaube, hilf meinem Unglauben!" bekennt...

            So muss es sein, wenn Wahrheit darin sein soll, wenn wir unseren Glauben bekennen. Wir müssen unseren Unglauben bekennen... denn es ist doch die Wahrheit, dass wir nicht einen Glauben besitzen, der rein und ohne Zweifel ist, wenn das Leben sich bewähren soll.

            Wir bekennen so Vieles, was nicht wahr ist. Wir bekennen wie nie zuvor, dass wir so sehr an uns selbst glauben und dass wir das Leben meistern können, aber wir bekennen nicht unsere Ohnmacht. Wir bekennen, dass wir Wissen und Vernunft besitzen, um die Rätsel des Lebens zu durchschauen - aber nicht unsere Ratlosigkeit. Wir bekennen, dass wir Recht haben, - aber nicht, dass wir schuldig sind. Und so können wir auch bekennen, dass wir so und soviel Glauben haben - aber nicht unseren Unglauben. Alles ist möglich für den, der glaubt!

            Soll aber Wahrheit darin sein, wenn wir unseren Glauben bekennen, dann müssen wir unseren Unglauben bekennen und dann müssen wir auf Christus sehen. Jetzt muss alles auf ihm beruhen. Alles muss jetzt auf ihm beruhen, weil er die Hilfe geben kann, die wir nicht geben können. Wir sind nichts anderes als ein Masse hilfloser Individuen, die nichts können - nicht einmal glauben können wir, wenn es darauf ankommt. Glaube ist dann die Hoffnung, dass Christus kommen und unserem Unglauben helfen und uns die Hilfe, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe geben wird, zu der wir nicht selbst im Stande sind.

            Ja, Glaube heißt mit seiner Ohnmacht und mit leeren Händen dastehen und um Hilfe rufen. In dem Bewusstsein, dass das Leben damit nicht einmal überschaubarer wird. Denn wir bekommen kein anderes Leben als das Leben, das Christus lebte. Wie Christus müssen wir ein Leben leben im Vertrauen auf den Gott, den er selbst von dem Kreuz anrufen musste: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Christus deutet nicht weg, dass das Leben wehtun kann. Er deutet nicht weg, dass man Lust haben kann, alles hinzuschmeißen. Nein, er deutet nichts weg. Will man Mensch sein und kein Tier, dann ist es nun einmal das Menschenleben, das man leben muss. Und dann muss man es in dem unverbrüchlichen Vertrauen leben, dass Gott Verantwortung für das Menschenleben übernimmt, das wir leben, und dass er uns deshalb auch die Hilfe schickt, die wir nötig haben.

            Darum hier am Schluss: In Freuden und in Not, in Hoffnung und Verzweiflung, in Leben und Tod - der Glaube ist zu bekennen, dass wir nichts davon selbst vermögen, wenn es darauf ankommt. Wir stehen nur mit leeren Händen vor Gott. Und so steht jeder einzelne Mensch da. Ob er darum wissen will oder nicht. Der Glaube ist ein Ruf um Hilfe.

            Kommt eine Antwort? Christus ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.

Amen



Pastor Morten Fester Thaysen
Varde (Dänemark)
E-Mail: mht@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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