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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Reminiszere, 28.02.2010

Predigt zu Römer 5:1-5, verfasst von Gerlinde Feine

Als Schriftlesung vorausgehend: 2.Sam 6,1-5

 

Liebe Gemeinde:

Wie vielsagend ist doch das Lied, das uns von der Schriftlesung her noch in den Ohren klingt: Ein Lob zur Ehre Gottes haben sie angestimmt, David und das Volk Israel, die Männer, die die Bundeslade in feierlicher Prozession getragen haben und die Frauen und Kinder, die mit ihnen tanzten, als im feierlichen Triumphzug das Heiligste in Israel, die Bundeslade, der Schemel der Füße Gottes, in die Heilige Stadt Jerusalem gebracht wurde. Nicht nur ein religiöses Ereignis wurde gefeiert, ein Gottesdienst zur Ehre Jahwes, sondern zugleich die politische Befriedung Israels, der Schlußpunkt unter eine lange Zeit der Spannungen und Machtkämpfe um die Vorherrschaft im Land. Der König, dessen Herrschaft nun gesichert ist, tanzt vor der Lade her und zieht ein in die Stadt, die von nun an absolutes Zentrum der Identität eines Volkes sein wird: Dieser Tag bedeutet: Frieden! - Und noch etwas zeigt dieses Ereignis, das wissen alle, die die Geschichte in 2. Samuel 6 schon einmal ganz gelesen haben - es markiert auch den Anfang vom Ende einer großen Liebe, der Beziehung zwischen David und seiner Frau Michal, der Tochter Sauls.

So vielstimmig kann ein einziges Lied klingen: es kann zugleich Gott loben und ein politisches Triumphlied sein und eine große Liebe begraben. Trotzig kann es anderen entgegen gesungen werden und versöhnend kann es klingen, manchmal alles zugleich. Beifall kann es finden und auf taube Ohren stoßen in ein und demselben Moment. So eine Melodie kann nachklingen in den Herzen der Menschen und man kann sie zaghaft vor sich her pfeifen oder summen als ein probates Mittel gegen die Angst. Ein Lied kann eine versteckte Botschaft enthalten und zum unverfänglichen Erkennungssignal werden. All das vermag ein Lied.

Auch unser Predigttext stimmt viele verschiedene Melodien an und bringt sie alle auf einen gemeinsamen Grundton. Aber hören Sie selbst: Ich lese uns nun aus dem 5.Kapitel des Römerbriefes die ersten fünf Verse:

Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch in der Bedrängnis, weil wir wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, welches Lied Ihnen auf dem Herzen oder auf der Zunge liegt - ein Lied der Freude oder der Hoffnung, eines der Bedrängnis oder der Geduld oder was sonst noch. In unserem Predigttext ist beinahe alles dabei. Doch so vielfältig die Themen und Melodien auch sind, die Paulus in diesem kurzen Abschnitt anschlägt, so klar und kräftig werden sie überstrahlt von Grundton und Dominante: mit dem Stichwort „Frieden!“ beginnt das Lied, und mit „Liebe“ hört es auf. Diese beiden geben die Tonart vor, indem sie an das erinnern, was Gottes Liebe für uns getan hat, um uns Anteil zu geben an seinem Schalom. Dazwischen reihen sich Töne, die die Harmonie trüben, beinahe Missklänge sind. Aber so ist es eben in unserem Leben; das ist kein Schlagerfestival, bei dem wir nur heitere Klänge geboten bekommen. Die Wirklichkeit hat viele verschiedene Melodien. Und jede Situation, jede Stimmung findet ihren Klang und, so Gott will, auch eine Begleitung. Oft ist es ein anderer Mensch, der mitsummt, mitswingt, mit einstimmt in unser Lied, uns hilft, den Takt zu halten oder den richtigen Ton zu treffen. Und wenn man miteinander singt, dann verändert sich gelegentlich auch der Charakter eines Liedes.

Drei der Lieder, drei der Situationen, für die unser Predigttext die Tonart angibt, will ich kurz anspielen: Sie haben ihre jeweils eigenen Sängerinnen und Sänger und ihre je und je verschiedenen Begleitinstrumente. Aber auch sie sind komponiert in der Tonart, in der der Grundton Friede und die Dominante Liebe heissen.

Das erste ist das Lied in Bedrängnis. Es ist uns heute nicht mehr so geläufig wie dem Paulus, der angibt, selbst in der Bedrängnis, also in der Situation der Verfolgung und des Angefeindetwerdens, selbst unter diesen Bedingungen sich zu rühmen … der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird. Der Grundton des Predigttextes, der Schalom Gottes, läßt ihn dieses Lied aus der Bedrängnis heraus anstimmen, so, wie wenn er allein in einem dunklen Wald unterwegs wäre und als Mittel gegen die Angst plötzlich anfinge zu pfeifen. Und auf einmal wird die Angst weniger und das Lied lauter und fröhlicher und aus der Bedrängnis heraus ist Kraft entstanden - nur daß das Lied des Paulus nicht auf Autosuggestion beruht, sondern Ausdruck seines Vertrauens in Gottes Liebe ist. Daran erinnert er auch die Gemeinde in Rom: Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen…

Seither haben es dem Paulus Christenmenschen in vielen Situationen der Bedrängnis nachgemacht und aus Not und Bedrohung heraus mitgesungen bei diesem ganz besonderen Lied. „Bub, du mußt viel singen“, schrieb die Mutter des eben inhaftierten Pfarrers Karl Steinbauer 1936 ihrem Sohn ins KZ Sachsenhausen. Und der Sohn, der von sich selber schrieb, „recht unmusikalisch“ gewesen zu sein, hielt sich an den Rat der frommen Frau, sang - erst leise und falsch - alle Choräle, die er auswendig wußte, lernte andere dazu und schrieb schließlich selbst ein Weihnachtslied, das er seiner Familie als Gruß nach Hause schickte. Inzwischen war er nicht mehr der einzige Sänger, andere hatten mit eingestimmt und einander so ermutigt und bestärkt in einer Situation absoluter Bedrängnis und folgten so dem Rhythmus von Röm 5: Wir wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden.

So viel bewirkt dieses Lied der Hoffnung, und doch entsteht es oft eher zufällig. Hoffnung läßt sich nicht planen - aber sie findet ihre Melodie. Denken Sie nur an die inzwischen bei uns schon so selbstverständlichen Spirituals und Gospels: Entstanden sind sie auf den Plantagen der amerikanischen Südstaaten. Sie waren Ausdruck der Religiosität afroamerikanischer Sklaven - und bald auch Übermittler geheimer Nachrichten, die auf für die Weißen kaum zu entschlüsselnde Weise Informationen über Fluchtmöglichkeiten austauschen ließen. In den 60er Jahren unseres Jahrhunderts schließlich wurden sie zu Protestsongs der Bürgerbewegung.

Einige dieser Lieder der Hoffnung sind inzwischen fester Bestandteil unseres Gesangbuchs. Zusammen mit alten Chorälen wurden sie 1989 auch in der Nikolaikirche in Leipzig gesungen und hinausgetragen in die Straßen der Stadt. Als das DDR-Regime schließlich kapitulierte, soll Stasi-Chef Mielke gesagt haben: „Wir waren auf alles vorbereitet - nur nicht auf Kerzen, Lieder und Gebete.“ Solch eine Macht kann ein Lied der Hoffnung haben, das sich auf dem Grundton des Friedens Gottes aufbaut!

Schließlich ist da noch das Lied der Liebe. Liebe, so habe ich vorhin gesagt, ist die Dominante unseres Predigttextes, in der Sprache der Musik also der beherrschende Ton. Gemeint ist bei Paulus nicht die Liebe zwischen Mann und Frau, wiewohl sie oft für die allerschönste Musik sorgt (und wenn es sein muß, auch einmal für unschönen Krach, so wie bei Michal und David), gemeint ist auch nicht die Liebe zwischen Kindern und Eltern, die Liebe zur Natur und die Leidenschaft für eine Idee. Dies Lied der Liebe Gottes, in dem sich Bedrängnis und Hoffnung, Geduld und Zweifel und Angst und Vertrauen ausdrücken, es erzählt von der Passion Jesu, von seinem Leiden, Sterben und Auferstehen um unseretwillen. Der Heilige Geist singt es uns vor, damit sich dies Lied der Liebe Gottes wie ein Klangteppich unter all die anderen Lieder unseres Lebens legen kann.

Vor diesem Hintergrund und auf diese Dominante bezogen können sich unsere Lieder entfalten - die Lieder meines und Ihres Lebens. Da haben Klagelieder ebenso ihren Platz wie Protestsongs, da mischen sich Kinderstimmen ein, und Ungeübte suchen nach dem richtigen Ton. Daß wir in Gottes Liebe aufgehoben sind, daß Frieden und Liebe die Tonart vorgeben, in der wir unser Lebens- und Glaubenslied komponieren können, darauf kommt es an.

Noch einmal: Ich weiß nicht, wie das Lied klingt, das Sie im Moment im Herzen und auf der Zunge haben, ob es ein Lied der Bedrängnis, der Geduld, der Hoffnung oder der Liebe ist oder alles zugleich. Aber alle unsere Melodien fügen sich in den großen Lobgesang Gottes, dessen Liebe der Welt den Frieden gebracht hat, verschaffen uns Gehör und erzählen der Welt von dem, woran wir glauben, worauf wir hoffen, und was uns trägt: Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; …und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird … denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. Amen.



Pfarrerin Gerlinde Feine
Pädagogisch-Theologisches Zentrum Stuttgart
E-Mail: gerlinde.feine@t-online.de

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