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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 02.04.2010

Predigt zu 2. Korinther 5:19-21, verfasst von Christoph Ernst

„Brida ging die Stufen hinauf und stand vor der Kirche. Dieses kleine, runde Gebäude war der Stolz der Gegend, einer der ersten Orte in Irland, an denen christlicher Gottesdienst gehalten wurde."

Brida, die junge Studentin mit Hang zu okkulten Praktiken in Paulo Coelhos Roman mit dem gleichnamigen Titel „Brida"*, bleibt ein ganzes Buch lang auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens. Sie will das Licht sehen, insbesondere das Licht über der Schulter eines anderen Menschen, das ihr verrät, dass sie zu ihm gehört. Auf ihrer Reise kommt sie eines Tages wieder in die Kirche ihrer Kindheit.

„In der Kirche spielte eine Orgel, Brida blieb draußen stehen und hörte eine Weile auf die Musik. Alles war klar strukturiert in der Kirche; das Universum war genau da, wo es sein sollte, und jeder, der durch die Kirchentür nach innen schritt, brauchte sich um nichts mehr Gedanken zu machen."

Als Brida später doch noch in die Kirche eintritt, ist niemand mehr da. Sie ist allein, schaut sich um und denkt über ihr Leben nach. Vor allem darüber, dass sie lernen müsste, Risiken einzugehen. Beim Blick auf das Kruzifix geht ein riss durch ihre Seele:

„Sie hatte nicht dasselbe Glück wie der gekreuzigte Mann vor ihr. Er hatte eine Mission, die Er kannte, denn Er war der Sohn Gottes. Er hat nie einen Fehler begangen. Er hat gewöhnliche irdische Liebe nie kennen gelernt, alles, was Er kannte, war die Liebe zu Seinem Vater. Alles, was Er zu tun hatte, war, Seine Weisheit zu offenbaren und die Menschheit den wahren Weg zum Himmel zu lehren."

Liebe Gemeinde, die Geschichte einer jungen Frau, Brida, heute am Karfreitag. Es ist eine offenherzige, manchmal ein wenig verträumte, in jedem Fall aber sympathisch daherkommende Frau, die ehrlich auf der Suche ist nach dem, was es um ihr Leben wirklich ist. Und nach all ihren - teils geglückten, teils gescheiterten - Versuchen, vernünftigen, magischen und erotischen Welten Lebenssinn zu entlocken, steht sie eines Tages in der Kirche ihrer Kindheit. Sie erinnert sich an ihre Mutter, den Katechismusunterricht und entdeckt eben hier den Gekreuzigten. Karfreitag pur.

Liebe Gemeinde, jeder Karfreitag war schon immer ein besonderer Tag. Ein Tag, an dem die sich Geister scheiden und die theologischen und kirchlichen Schulen in sehr verschiedene Richtungen auseinanderlaufen. Unserer Tradition und dem Namen nach ist der Karfreitag ein eher trauriger Tag, an dem wir des Leidens und Sterbens Jesu, damals vor knapp 2000 Jahren in Jerusalem am Kreuz, einem bestialischen Hinrichtungsinstrument der Antike, gedenken.

Schwierige Worte und theologische Grundsatzfragen begleiten den Karfreitag. Sie begegnen uns in unserem Leben als christlicher Gemeinde immer wieder:

Wir hören vom Kreuzestod Jesu als einem Sühnopfertod, der Gott gnädig stimmt; von Jesu Sterben als einem Zeichen der Liebe Gottes für uns Menschen. Wir haben gelernt, dass durch den Tod Jesu unsere Sünde aufgehoben und von uns weggenommen wird. Und auch, dass Jesu Tod als Mittel zur Versöhnung zwischen Mensch und Gott geradezu nötig ist. Seit Konfirmandentagen begleitet uns der Gedanke, dass die Opferung des Unschuldigen anstelle der Schuldigen das ist, was man Gottes Gerechtigkeit nennt. Wir kennen auch die Vorstellung vom stellvertretenden Leiden und Sterben Jesu, vom Tod Jesu als Versöhnung - und das ist für uns, also: zu unseren Gunsten, zu unserem Heil geschehen. - All diese Gedanken und Konzepte um den Karfreitag sind unserem gesellschaftlichen und vor allem kirchlichen Gedächtnis tief eingraviert durch zweitausend Jahre Theologie- und Kulturgeschichte, nicht zuletzt auch durch tradierte Karfreitagsrituale und durch Johann Sebastian Bachs Passionen: O Haupt voll Blut und Wunden... Karfreitag ist bei uns zumeist Beerdigungsstimmung und so viel Schwarz sieht man nirgends sonst im Kirchenjahr.

Liebe Gemeinde, Karfreitag: der Tod als Gewinn, als Heilsgeschehen für die Lebenden - das ist in der modernen westlichen Welt (war es aber auch früher schon) ein Paradox. Denn: alle bewussten Opfer, Hingaben von Lebewesen, insbesondere aber Menschenopfer, empfinden wir heute als archaisch, zumindest aber wenig nützlich, wenn nicht abstoßend.

Brida tut sich daher schwer damit, über die Kirchenschwelle zu treten, weil sie fürchtet, sie würde ihre an Magie interessierten Glaubensschwestern, die bis vor wenigen hundert Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind, verraten. Genau deshalb stehen wir heute so sprachlos vor den Selbstmordanschlägen religiöser Fundamentalisten, die sich - vermeintlich um des Heils anderer willen - bereitwillig opfern. Genau deshalb stehen wir auch so ratlos vor der Todesstrafe, weil auch diese Menschenopfer ihr vermeintliches Ziel, Versöhnung oder Genugtuung für erlittenes Unrecht herzustellen, verfehlen.

Liebe Gemeinde, der Predigttext für den diesjährigen Karfreitag macht es uns ähnlich schwer (2. Kor 5, 19-21):

Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Wie kann es, aus heutiger Sicht, wohl angehen, dass Paulus behauptet, Gott habe Christus, der ohne Sünde war, an unserer Stelle zur Sünde gemacht. Zur Sünde gemacht, das heißt: an unserer Stelle verurteilt und ans Kreuz geschlagen. Eine Strafe, die also eigentlich wir verdient hätten, um vor Gott gerechtfertigt dastehen zu können. Läuterung durch Bestrafung, schlimmstenfalls eben Bestrafung mit dem Tod am Kreuz. Christus hingerichtet mit der Giftspritze von damals - auf dass wir Gott und einander wieder erhobenen Hauptes ins Auge blicken können.

Nicht erst heute, schon in biblischer Zeit ist es im Umfeld des Paulus ein „Kreuz" mit diesem Kreuz, schon damals weiß Paulus zu klagen, dass eben dieses Kreuz Christi „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit" ist. Der Karfreitag war also seit jeher ein schwieriges Thema...

Vielleicht können wir ihm noch von einer anderen Seite beikommen. Paulus schreibt und bekennt: Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung (...) (Darum) lasst euch versöhnen mit Gott!

Wer kennt das nicht: Man könnte seine inneren Lasten einfach abwerfen, möchte vielleicht einiges aus der Vergangenheit hinter sich bringen, unsere kleine Welt soll bitteschön in Ordnung kommen. Doch Versöhnung ist schwer. Wer es einmal versucht hat, weiß, dass man nicht so einfach über seinen Schatten springen kann.

Paulo Coehlo lässt Brida, seine Akteurin auf der Suche, alles ausprobieren, was sie in ihrem Leben für wichtig hält. Liebe, Leidenschaft, Magie - von allem ein bisschen. Und schickt sie dann wieder zurück ins alte Leben, in die Vernunft, zu ihrem Partner Lorens, dem Physiker, der für alles eine Erklärung hat, bei dem sie aber das Licht über der Schulter nicht sieht, das Licht, das die Bestimmung füreinander sichtbar werden lässt. Schickt sie auch zurück ins alte Leben ihrer Kindheit, in die Kirche.

Brida „erinnerte sich an eine sonntägliche Stunde im Katechismusunterricht, in der der Priester lebendiger war als sonst. Sie hatten über die Episode gesprochen, als Jesus, blutschwitzend, zu Gott betete und Ihn bat, den Kelch wegzunehmen, den man ihn zu trinken zwang."

Der Priester stellte die Katechumenen auf die Probe und fragte, warum Jesus wohl so gebetet haben mochte, wenn er doch schon wusste, dass er Gottes Sohn sei. Und antwortete dann selbst: „Weil er es nur mit dem Herzen wusste. Wäre er sich absolut sicher gewesen, dann wäre seine ganze Mission ohne Sinn geblieben, denn dann wäre er nicht ganz Mensch gewesen. Mensch sein heißt Zweifel haben und doch auf seinem Weg voranzuschreiten."

Brida „schaute wieder auf das Bild des Gekreuzigten, und zum ersten Mal in ihrem ganzen Leben fühlte sie sich zu ihm hingezogen: da war wahrscheinlich ein Mann, ängstlich und allein, den Tod vor Augen und betend: Vater, Vater, warum hast Du mich verlassen?"

„Wenn Er durch all das hindurchgegangen ist, dann muss Er Liebe gekannt haben, auch wenn die Evangelien davon nichts erzählen - Liebe zwischen Menschen ist viel schwieriger zu verstehen als Liebe zu einem höchsten Wesen."

„Das schweigende Bild schien ihr zuzustimmen: Er kannte die Leute, Wein, Brot, Partys und alle Schönheiten der Welt. (...) Er hatte alles erlebt, was die Welt ihm bieten konnte, und ging seinen Weg dennoch unbeirrt weiter, obwohl er wusste, dass die dunkle Nacht am Kreuz enden könnte."

Liebe Gemeinde, lassen auch wir uns versöhnen mit Gott, indem wir Ihm folgen und dabei unseren Weg gehen.

Brida versank tiefer in ihre Gedanken, die langsam zu einem Gebet werden: „Herr, wir sind alle in der Welt, um die Risiken dieser dunklen Nacht einzugehen. Ich fürchte mich vor dem Tod, aber noch mehr fürchte ich mich davor, mein Leben zu verschwenden. Ich fürchte mich vor der Liebe, denn sie hält Dinge bereit, die über meinen Verstand hinausgehen. Liebe wirft so ein grelles Licht, aber die Schatten, die dadurch entstehen, ängstigen mich."

Brida hält dann inne, wartet auf so etwas wie eine Antwort, aber hört nichts. Die Antwort ist genau vor ihr, „in dem Mann, ans Kreuz genagelt." Sie erkennt: "Er hat seinen Teil beigetragen und hat der Welt gezeigt, dass, wenn alle ihren Teil beitragen, niemand mehr zu leiden haben würde, denn Er hat für alle gelitten, die den Mut hatten für ihre Träume zu kämpfen.

Liebe Gemeinde, lassen wir uns versöhnen mit Gott. Der ernsthafte Blick auf den Gekreuzigten kann unser Leben verändern, kann Tor und Tür öffnen.

Und Brida bemerkte mit einem Mal, dass sie zu weinen angefangen hatte, obwohl sie eigentlich nicht wusste, warum..."

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen

* Alle Zitate frei übersetzt aus der engl. Paperback-Ausgabe, New York 2002



Pastor Christoph Ernst
Ottawa, Kanada
E-Mail: christoph.international@gmail.com

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