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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 04.04.2010

Predigt zu Matthäus 28:1-8, verfasst von Peter Lind

"Gott, wo bist du?" fragt man verzweifelt angesichts der Katastrophe. Die Frage wird gewiss jeden Tag viele Male von desperaten Menschen gestellt, die ihre Welt in Tod und Zerstörung untergehen sehen: Krieg, Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Hungersnöte, Erdbeben, Orkane - um nur einige wenige von den Tragödien zu nennen, die unsere Welt immer wieder heimsuchen, und leider könnte man nur allzu leicht diese deprimierende Aufzählung großer und kleiner Katastrophen fortsetzen. Man kann keine Zeitung aufschlagen und keine Tagesschau sehen, ohne dass man gleich noch ein paar Unglücksfälle auf seine Liste setzen könnte. Das bedeutet nicht, dass die Welt ein furchtbarer Ort wäre, oder dass das Leben ein Fluch wäre; bestimmt nicht; im Gegenteil, die vielen Katastrophen bestätigen doch so gesehen, dass das Leben wunderbar und dass die Welt prachtvoll ist; aber es gibt in der Welt eine scheinbar zufällige und sinnlose Bosheit. Denn warum sollen Menschen in einem brutalen und hasserfüllten Krieg sterben? Warum sollen Tausende von Menschen irgendwo in der Welt die Zerstörung ihres ganzen Eigentums erleben und zahllose Menschen ertrinken auf Grund von enormen Regenfällen, und warum sollen vielleicht anderswo in der Welt Hunderte von Menschen an einem Ort, der nur anderthalb tausend Kilometer weit davon entfernt ist, Hungers sterben, weil es dort drei Jahre lang nicht geregnet hat? Warum wird ein Kind Opfer eines Alkoholsünders am Steuer? Warum bekommt ein Mensch Krebs? Warum geschieht das alles? Wie kann Gott zulassen, dass die Welt, die er im Anfang schuf und von der er sagte, dass sie gut war, - wie kann dieser allmächtige, liebe Gott so viel Bosheit, so viel Unglück, so viel Sinnlosigkeit, Leiden und Sterben zulassen?

            Alle diese Fragen laufen unweigerlich auf die Frage hinaus: "Gott, wo bist du?"

            Die Antwort auf die Frage erhalten wir de facto in der Botschaft des Evangeliums vom leeren Grab am Ostermorgen, als die Frauen in ihrer Verzweiflung und Trauer zu dem Grab kommen, um Jesu Leichnam zu salben und damit mitten in all dem Sinnlosen, das am Karfreitag geschah, wenigstens eine kleine sinnvolle Sache zu tun. Denn auf die Art und Weise sucht man zu überleben, wenn man vor der Sinnlosigkeit steht: man findet eine einzelne kleine sinnvolle Sache, an die man sich klammern kann; - so dass man ein kleines, schwaches Fundament hat, auf dem man seine Welt wieder aufbauen kann. Die Frauen haben die Leiche Jesu, und sie haben damit ihre traditionelle Pflicht gegenüber dem Verstorbenen, dessen Leichnam gewaschen und gesalbt werden muss. Am Karfreitag hatte man es nicht geschafft, bevor der Sabbat begann, aber jetzt, am dritten Tag, kommen sie hinaus zum Grab, um auch nur ein klein wenig Sinn in dem Dasein zu finden, das am Karfreitag so sinnlos zerstört wurde. Dort begegnet ihnen der Engel, der ihnen sagt: "Er ist nicht hier!"

            Zuerst klingt das wie eine Bestätigung der schlimmsten Ahnungen, die die Frauen und wir haben; eine brutale und unverhüllte Enthüllung unserer Situation als Menschen in der Welt: Gott ist nicht hier; - er hat uns verlassen; er hat uns allein gelassen in der Welt und uns dem sinnlosen Spiel der Naturkräfte, der Zufälle und unserer selbst überlassen. 

            Und das Schlimmste ist, dass dazu eigentlich nichts zu sagen wäre. Wir müssen wohl sagen, dass Gott alles dafür getan hat, dass wir in Frieden und Harmonie mit ihm und miteinander leben können. Er schuf eine Welt, die wirklich gut war, ein Paradies, bis Eva und Adam als eine Art Grundexemplar des menschlichen Dranges, sich eine Macht zu erobern, die es nur selten verwalten kann, der Versuchung der Schlange zum Opfer fielen und von der Frucht der Baumes der Erkenntnis aßen. Aber da war es doch der Mensch, der Gott verließ. Gott verließ nicht die Welt und den Menschen. Er hielt fortgesetzt an seinem Schöpferwerk und seinem Geschöpf fest.

            So berichtet das Alte Testament immer wieder, wie Gott konkret zugunsten seines auserwählten Volkes, der Juden, in die Welt eingreift; die Befreiung aus Ägypten, die Siege über die Philister usw. usw. Gott ist in der Welt, und das wird sehr deutlich und konkret durch den ungeheuer großen Tempel in Jerusalem symbolisiert, wo die Bundeslade von der Befreiung aus Ägypten im Allerheiligsten aufbewahrt ist als Zeichen dafür, dass Gott sich hier in seinem Volk befindet. Aber dieser Tempel ist auch eine Einschränkung der Gegenwart Gottes; eine Einschränkung der Gnade und Liebe Gottes, und deshalb beschließt Gott, so konkret und so gegenwärtig in der Welt zu werden, wie es überhaupt möglich ist: Er wird Mensch. Wie sein Sohn, Jesus Christus unterstellt er sich voll und ganz den Bedingungen unserer Welt; er wird als ein kleines Kind geboren, wächst heran und wirkt in der Welt mit Worten und Wundertaten. Durch Jesus Christus zeigt er seine Macht über die Bosheit und das Leiden der Welt; er heilt Kranke - gibt Blinden ihr Augenlicht wieder, Lahmen ihre Bewegungsfähigkeit, sogar Tote kann er wieder lebendig machen als Zeichen seiner unüberwündlichen Allmacht und seiner großen Gnade und Liebe. In Jesus Christus wird in Wort und Tat Gottes vollkommenes Heil und Freiheit verkündet.

            Nur die Engstirnigkeit, die Verstocktheit und den Egoismus der Menschen kann er nicht überwinden. Und da er kompromisslos mit jeder erdenklichen Form menschichen Verurteilens und menschlicher Unliebe Schluss macht, wird das als ein Aufruhr und eine Drohung gegen die gesamte bestehende menschliche Machtstruktur aufgefasst.

            Obwohl also Gott als Zeichen seiner Gnade und Liebe der Welt das Kostbarste, das er besitzt, seinen eigenen Sohn, schenkte, wollte die Welt ihn nicht annehmen. Die Menschen lehnten Gottes Geschenk ab; sie wollten nicht an ihn glauben; sie fürchteten für ihre eigene Macht, wenn sich tatsächlich als wahr erweisen sollte, was gesagt wurde. Darum wurde er im Stich gelassen und verraten. Darum wurde er auf die abscheulichste und grausamste Weise getötet, die überhaupt möglich war. Er wurde gekreuzigt, und seine Leiche wurde in ein Grab gelegt, fast als ein Symbol dafür, dass die Menschen wieder die Macht über Gott übernommen hatten; dass sie wieder über ihn bestimmen, ihn hinter mächtigen Steinen einsperren konnten.

            Warum sollte Gott auch nur eine Sekunde mehr für die Welt und ihre Menschen opfern? Warum hätte er nicht lieber völlig von der Welt - von dem Hass und der Bosheit der Menschen - fliehen und sie sich selbst und ihrem Tod überlassen sollen? Warum hätte er nicht lieber als eine absolut letzte Tat in der Welt den misshandelten Leichnam seines Sohnes in den Himmel hinaufholen und sodann für ewig der Menschheit den Rücken kehren sollen, die die volle Verantwortung für dieses grausame Verbrechen hatte? Das wäre angemessen und gerecht gewesen, und die Aussage des Engels wäre dann das endgültige Gericht über die Welt gewesen: "Er ist nicht hier!"

            Diese Worte erfüllen deshalb die Frauen mit Furcht, weil sie ja die ganze Situation dort am Grab Jesu so sehen und verstehen; aber mit den nächsten Worten des Engels verstehen sie plötzlich, dass die Worte nicht das erwartete Gericht proklamieren, sondern dass sie ein Evangelium verkünden, eine frohe Botbotschaft, die sie mit einer unglaublich großen und überwältigenden Freude erfüllt: "Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat."

            "Er ist auferstanden" - er ist ins Leben und in die Welt - zu uns zurückgekehrt. Gott ist nicht besiegt und ohnmächtig vor dem Tod und der Macht der Menschen geflohen; er hat seinen Heilsplan nicht aufgegeben; er hat vielmehr nun demonstriert, dass er hier ist; - dass ihn nichts daran hindern kann, uns nahe zu sein. Selbst der Tod kann uns nicht von ihm trennen. Was Jesus Christus gesagt und getan hat, gilt noch immer. Gottes Gnade und Liebe sind mächtig und erlösend in der Welt. Weder die Menschen noch der Tod vermag daran etwas zu ändern. Das Leiden und der Tod Jesu wird im verklärenden Licht der Auferstehung zu der Botschaft, dass Gott immer in der Welt ist, was immer geschieht. Er flieht nicht in seinen fernen, sicheren, beschützten Himmel und wartet nicht darauf, dass wir nach und nach dort auftauchen; nein, er bleibt bei uns in unserer Welt; er ist bei uns auch mitten in der allerschlimmsten Bosheit und Sinnlosigkeit. Er schafft kein neues Paradies auf Erden, wo alles gut und friedvoll wäre. Das ist unmöglich, weil wir sozusagen nun einmal vom Baum der Erkenntnis gegessen haben. Das kann nicht ungeschehen gemacht werden. Wenn Gott eingriffe und alle Bosheit, alles Leid und den Tod in der Welt beseitigen würde, dann wären wir entmündigt, ohne Verantwortung und ohne Verpflichtungen. Die Welt ist unsere Verantwortung und Verpflichtung; damit kann Gott sich nicht einlassen; so lange die Welt bestehen wird, aber er ist hier - bei den Opfern der Welt; in der Einsamkeit, im Leiden, im Tod. Er ist in jeder einzelnen Hölle, die mit so erschreckend großer menschlicher Bosheit und so großem menschlichem Einfallsreichtum in der Welt geschaffen wird. Er geht freiwillig mit hinein, wie er es Karfreitag tat und überwindet sie, indem er dort bei dem Menschen ist, der sich sonst verlassen und verdammt glaubt. Er ist das Licht mitten in der Finsternis; die Hoffnung mitten in der Hoffnungslosigkeit. Die Hoffnung auf das Leben und die Liebe, an die wir uns klammern können, wenn der Tod und der Hass die Überhand gewinnen. Die Hoffnung, auf die wir unser Leben und unsere Welt bauen können.

Amen



Pastor Peter Lind
Middelfart(Dänemark)
E-Mail: pli@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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