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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 02.04.2010

Predigt zu 2. Korinther 5:16-21, verfasst von Gabriele Arnold

Liebe Gemeinde,

heute am Karfreitag steht das Kreuz da - groß und unerbittlich - vor unseren Augen, in der Mitte unseres Nachdenkens. Das Kreuz, Zeichen für den grausamen Tod, Zeichen für Menschenverachtung und Folter, Zeichen für sinnloses Töten und elendes Sterben. Hunderttausende von Kreuzen überzogen in der Antike die Römischen Provinzen.  Kreuzigung war die grausamste Todesstrafe, die sich der römische Staatsapparat für Sklaven und Aufständische ausgedacht hatte. Nicht umsonst war die Anordnung, dass ein römischer Bürger nicht gekreuzigt werden durfte. Die Schreie der Sklaven finden Ihren Wiederhall in den Schreien und Schmerzen all der Opfer von Gewalttat und Folter durch die Jahrhunderte bis heute morgen.

Warum quälen wir uns Jahr um Jahr am Karfreitag mit dem Kreuz? Warum stehen Kreuze in all unseren Kirchen? Hängen Kreuze in Krankenzimmern und Schulklassen? Warum verschenken wir dieses Folterwerkzeug an unsere Täuflinge und Konfirmanden? Haben wir denn wirklich nichts Besseres, Fröhlicheres, Einladenderes mit dem wir uns und unsere Kirchen schmücken könnten?

Nein, liebe Gemeinde, wir haben nichts Besseres, Größeres und Wertvolleres als dieses Kreuz. An diesem Kreuz hängt unsere Schuld, hängt unsere bitterste Not, hängt unser Leben, hängt unser Gott. Hier ist alles zu finden was wir zum Leben brauchen. Ohne dieses Kreuz wäre alles nichtig und sinnlos. „Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete Ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung". Das ist kein Zufall, dass das Wort von der Versöhnung aufgerichtet ist, aufgerichtet wie das Kreuz, aufgerichtet wie das Kreuz dieses Einen auf dem Todeshügel Golgatha vor den Toren Jerusalems. Das Wort von der Versöhnung das ist die gute Botschaft, das ist das Evangelium und das nimmt seinen Lauf  von jenem Kreuz her, hinein in alle Welt. Denn auch wenn Tausende und Abertausende diesen Tod am Kreuz sterben ist das Kreuz an dem die Versöhnung hängt, doch ganz anders. Denn an diesem Kreuz hängt der ganz Andere. Da hängt ja nicht nur ein Mensch, da hängt nicht nur der Mensch Jesus von Nazareth, der in einem Schauprozess abgeurteilt und dann hingerichtet wurde. Da hängt nicht nur der Mensch der wegen Gotteslästerung und Aufruhr sein Leben lassen musste. Da hängt in diesem Menschen Gott selber, Gott am Kreuz. Wie sagte Paulus „Gott war in Christus". Gott selber hängt da und gibt sich selber, gibt sich hin zur Versöhnung. So deutet Paulus das Leiden und Sterben Christi, so als Heils und Versöhnungshandeln. Gewiss es gibt auch andere Deutungen, aber heute Morgen wollen wir Paulus Ernst nehmen und versuchen zu verstehen, was er meint. Wohlgemerkt versuchen zu verstehen, denn die Erklärung des Kreuzes Todes Jesu als Heilhandeln für uns und alle Welt war schon immer schwer verständlich und scheint es heute mehr denn je. Fehlen uns doch sprachliche Bilder und Vorstellungen und außerdem wurde diese Deutung des Apostel Paulus im Laufe der 2000jährigen Kirchengeschichte durch immer neue Erklärungsversuche eher verdunkelt als erhellt. In manchen unserer Gesangbuchliedern zur Passionszeit tauchen solche Erklärungsversuche auf. „ Die Straf ist schwer, der Zorn ist groß, du kamst und sollst sie machen los durch Sterben und durch Bluten. Durch sterben und durch bluten (EG 83, Vers 2). Es ist nicht Paul Gerhard allein der hier redet, dahinter steckt ein englischer Mönch Anselm von Canterbury der ungefähr im Jahr 900 nach Christus sich den Kopf zerbrach, wie denn das Leiden und Sterben Christi zu erklären wäre. Diese Frage hat ihn so umgetrieben, dass er seine Berufung als Bischof an den Nagel hängte und sich ganz den dogmatischen Fragen zuwandte. Seine Antwort auf die Frage warum Gott, warum Christus gestorben ist, war genial, sie war einfach und hat bis heute das Denken und viele theologische Antworten im Griff. Im Grunde ist es die Antwort eines Juristen. Christus ist gestorben um den Zorn Gottes zu besänftigen. Gott der gut und gerecht ist, war verletzt, war zornig über die Sünde der Menschen. Eigentlich hätte er uns alle verdammen müssen, wenn er nicht durch ein blutiges Opfer versöhnt würde. Und so gibt sich Christus zum Opfer für unsere Sünden.

Aber so ist Gott nicht. Gott braucht keine Opfer, er braucht nicht das Blut seines Sohnes um seinen Zorn auf uns zu stillen. Gott ist kein Rechner und Rechthaber. Gerade anders herum stimmt es „Gott war in Christus und er versöhnte die Welt mit sich." Gott lässt keinen anderen Sterben, Gott lässt keinen anderen bluten. Er blutet selber, er stirbt selber und zwar nicht weil er so zornig auf uns ist, sondern um Gutes zu wirken um wieder heil zu machen was unheil ist, um zu kitten was zerrissen ist, um zu versöhnen, was zerbrochen ist. Das ist viel größer und viel unbegreiflicher als dass Gottes Zorn gestillt werden sollte. Gott gibt sich selber, so tief steigt er und das muss uns nun eigentlich wirklich den Atem nehmen. Denn das muss dann eben auch gesagt werden und wahr sein, gerade heute. Dass all unser Versagen so groß ist und so schwer wiegt, dass es der Anstrengung Gottes bedarf um uns und diese Welt zu retten.

 

Gott braucht keine Opfer. Aber wir - ich und Sie und unsere ganze geschundene Welt, kann nicht leben ohne Gottes Opfer. Denn das wissen wir ja selber am allerbesten, dass wir so ganz und gar unversöhnt und unversöhnlich sind, untereinander aber auch mit Gott.

In ein paar Wochen werden wir hier Goldene und Diamantene Konfirmation feiern und bald darauf werden unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden eingesegnet. Da stehen unsere jungen Menschen am Altar so wie wir einst dastanden und sie werden versprechen, Gott zu folgen, ihm zu vertrauen, ihr Leben an ihn zu binden. Und was wird daraus werden? Was ist bei uns daraus geworden? Ist unser Leben an Gott gebunden?

Und später dann treten wir zu zweit vor den Altar. Geloben was eigentlich unmöglich ist - Liebe und Treue, Achtsamkeit ein Leben lang. Und was wird daraus? Wie viel Wunden werden geschlagen? Wie viel wird unversöhnt bleiben und wie viele gehen auseinander unversöhnlich?

Und kurz darauf bringen wir unsere Kinder zur Taufe. Wie viel Freude und Hoffnung verbindet sich mit diesem Gang zum Altar? Wie viel Mühe wollen wir uns geben? Geloben vor Gott gute Eltern zu sein, unsere Kinder im Glauben an ihn zu erziehen, sie zu stärken und zu trösten, ihre Eigenarten zu achten. Und was wird daraus? Wie viele Enttäuschungen und Schuld, wie viel Tränen auf allen Seiten.

Eines Tages steht dann ein Sarg wieder vom Altar. Und auch wenn der Pfarrer oder die Pfarrerin mit Recht viel Gutes sagen kann über dieses Leben und eben nicht nur von Tränen und Scheitern redet, sonder auch von Glück und Gelingen, Liebe und Hoffnung, so wissen doch alles die da sind dass eben vieles nicht gesagt wird. Das wissen wir alle über unser Leben. Wie viel Scherben und Schutt, wie viel Bosheit und Niedertracht aber auch wie viel versagen, unerfüllte Liebe, Tränen, wie viel Unglaube und Zorn. So ist das doch in unserem Leben - wie oft sind die Erwartungen größer als die Erfüllungen. Die Hoffnungen größer als das Kleingeld des Lebens. Das ist das, was die Bibel mit diesem großen und schweren Wort „Sünde" bezeichnet. Wir mogeln uns gern um dieses Wort herum, um die Schwere dieses Wortes, aber wahrscheinlich hat das seinen guten Grund. Wahrscheinlich ist es kaum auszuhalten und deshalb singen wir „wir sind alle kleine Sünderlein" und reden von den Sünden beim Butterkuchen und bei den Klößen. Aber damit verharmlosen wir uns und reden uns schön, reden schön, was gar nicht schön ist. Unser Leben stimmt nämlich im Kern nicht. Unser Leben hat die falsche Grundausrichtung. Von Gott her ist unser Leben und zu Gott hin soll es sein, so wie es im 1. Gebot heißt „du sollst keine anderen Götter haben neben mir." DAS ist es was wir alle missachten, ausnahmslos auch dann, wenn wir im Großen und Ganzen ganz anständig über diese Erde gehen. Letztendlich setzen wir uns ins Zentrum und nicht Gott. Wir füllen unsere Tage mit Nichtigkeiten, aber selbst wenn wir ins Kloster gingen, und beteten ohne Ende, würden wir dem nicht entkommen. Denn auch dann würden wir das ja tun, um uns selbst mit den Haaren aus dem Sumpf des Nichtigen zu ziehen. Wir sind uns selbst die Nächste und das geht einfach nicht gut. Das vergiftet uns von innen heraus. Es vergiftet unsere Liebe. Es vergiftet im Wortsinn unsere Beziehung zur Natur und Schöpfung. Es vergiftet die Welt. Wir leben einfach auf Kosten anderer und in entsetzlicher Weise sogar dann noch, wenn wir einander lieben. Und wir können daran nichts ändern. Etwas in der Welt ist zutiefst in Unordnung, unversöhnt - das ist Sünde. Und von alleine kommen wir da nicht raus - nimmer - niemals nicht. „Aber Gott rechnete uns unsere Sünden nicht zu, sondern hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung". Was wir nicht können, Gott kann es. Gott hat die schreckliche Verkehrtheit unserer Lebensorientierung beseitigt. Er hat den Kurs dieser Welt für uns korrigiert, er hat in unser Leben eingegriffen, heilsam eingegriffen so wie nur Gott es kann. Wir müssen nicht hocken bleiben in unserer Unordnung, wir müssen nicht unversöhnt bleiben in uns nicht und mit den anderen nicht. Gott richtet uns neu aus, fängt jeden Tag von neuem mit uns an, hört nie auf um uns werben, hört nie auf, an uns zu glauben, hört nie auf uns zu beschenken. Die Macht der Sünde am Kreuz wurde sie entzwei gebrochen und sie ist erledigt und beseitigt auch wenn sie immer noch nach uns schnappt. Das Kreuz ist der Ort der Versöhnung, denn es heißt auch dass wir nicht einmal mehr im Tod bezahlen müssen für das Böse und die Schuld, Gott hat alles bezahlt, hat alles getilgt, hat alles begradigt.

„Deshalb ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur." Und das neue wird mir zugesprochen im Abendmahl, in der Vergebung Gottes. Gott bittet, lasst euch versöhnen, Er bittet, er fordert nicht, er befiehlt nicht. Er kommt und bittet, bittet uns an seinen Tisch. Im Abendmahl wird Versöhnung spürbar, sichtbar. Da stehen wir mit all den Scherben und Brüchen und werden entlastet und von Gott mit strahlenden freundlichen Augen eingeladen. Da stehen wir und Gott reicht uns die Hand und sagt es ist alles in Ordnung. Du darfst weiterleben, getrost und unverzagt und natürlich scheitern und dann eben doch auch wieder neu anfangen. Da stehen wir und reichen uns die Hände am Altar um uns miteinander zu versöhnen, sind gebeten von Gott uns miteinander versöhnen zu lassen in der Gemeinde, sind gebeten von Gott hinauszugehen mit offenen Händen und den anderen die Hände zu reichen. Wir sind gebeten von Gott uns einander neu in die Augen zu sehen, uns neu in den Arm zu nehmen. Sind gebeten von Gott, miteinander am Tisch zu sitzen und ein neues Kapitel aufzuschlagen, mit unseren Partnern, mit Kindern und Eltern, mit Nachbarn und Freunden. Ein neues Kapitel aufzuschlagen vor allem aber mit denen, die uns so ärgern. Nicht nur heute sind wir gebeten von Gott, sondern morgen genauso und wieder und wieder. Und deshalb brauchen wir das Kreuz - nicht nur heute sondern morgen und übermorgen und alle Tage unseres Lebens. Brauchen das Kreuz und das Wort von der Versöhnung.

Amen

 



Gabriele Arnold
97980 Bad Mergentheim
E-Mail: Gabriele Arnold

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