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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Karfreitag, 02.04.2010

Predigt zu 2. Korinther 5:19-21, verfasst von Alfred Buß

19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.

20 So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

I

Karfreitag. Im Mittelpunkt steht das Kreuz - ein dunkles Todeszeichen. Das Kreuz ist ein Marterpfahl - splittriges Holz grauenvoller Hinrichtungen.

Karfreitag. Der Altartisch ist leer, die Bilder sind schwarz abgehängt, auch die Kerzen werden ausgelöscht. Ihre Rauchfäden stehen noch einen Augenblick wie ein verwehender Atem.

Der Karfreitag ist mir zu düster, sagt eine Frau. Dafür habe ich zu viel erlebt. Im Kreuz verdichtet sich der ganze Jammer der Welt. Kein Stern geht mehr auf. Das Kreuz sagt Nein zum Leben - als Todeszeichen steht es für unzählige Neins. Der Karfreitag ist Ausdruck von Sinnlosigkeit, Absurdität und Erfahrungen der Gottesferne. Mit dem Echo des Tages allein, fragen Menschen: Wo ist nun Gott? Und warum antwortet er nicht? Warum schweigt Gott so unheimlich still wie das endlose Weltall? Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär...(Else Lasker-Schüler)

Denn Gott war in Christus, schreibt der Apostel Paulus. Wenn das stimmt, dann ist in Christus Gott selber gestorben. Dann war das Kreuz Gottes Endstation. Ein alter Choral bringt das Geschehen von Karfreitag in der Härte des Gedankens auf den Punkt:

O große Not, Gott selbst liegt tot, am Kreuz ist er

gestorben... (Johann Rist, 1641).

Karfreitag. Im Mittelpunkt steht das Kreuz. Ein dunkles Todeszeichen.

II

Gibt es in diesem Dunkel noch Licht? Denn Gott war in Christus. Und Christus war in Gott. Er lebte in ursprünglicher Gottesnähe. Unerschütterlich war sein Vertrauen: Abba, lieber Vater. Auf ihn setzte er alle Hoffnung. Vor ihm breitete er sein Leben aus. Dafür suchte er immer wieder die Stille - zuletzt im Garten Gethsemane. Die Macht der Liebe war seine Lebensquelle. Und Versöhnung war seine Mission: Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber.

Versöhnung ist harte Arbeit. Sie führt Gott in Feindesland, in die Welt der Sünde, in die unversöhnliche Fremde. Versöhnung meint Rollentausch: In den Schuhen des anderen gehen. In Christus überschreitet Gott die Grenzen seiner Gottheit, erniedrigt sich selbst, wird ein Mensch wie wir. Er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht...

Sünde zerstört. Wie ein bedrohlicher Riss durchzieht sie das ganze Leben. Sünde ist Feindschaft gegen Gott. Das Geschöpf will ohne den Schöpfer auskommen. Es lebt als Selbstversorger. Eigenmächtig lebt der Mensch. Als wolle er Gott los sein. Und driftet in die Gottesferne, trennt sich ab von der Quelle des Lebens. Das hat Folgen. Davon erzählt die Bibel immer wieder.

Plötzlich tun sich Abgründe zwischen Menschen auf - einem Erdbeben gleich. Ein verstörender Riss beschleicht Mann und Frau - seit Adam und Eva. Zwischen Geschwistern entlädt sich ein tödlicher Konflikt - Abel wird erschlagen; Kain lebt fortan unstet und flüchtig. Jakob narrt Esau. Danach muss er Fersengeld geben. Für Jahre ist er auf der Flucht. Mit einem grandiosen Turmprojekt wollen sich Menschen einen Namen machen, der nie mehr vergeht. Und werden in alle Winde zerstreut.

Wir leben jenseits von Eden, fern von Gott. Die Sünde ist eine Macht. Sie durchdringt alle Lebensbeziehungen. Wir leben in gestörter Beziehung zu Gott, zu den Mitmenschen und zu den Mitkreaturen. Sünde ist der Wurzelgrund, aus dem die Taten kommen:

Der Klimawandel zerstört die Artenvielfalt der Erde. Unser verbrauchender Lebensstil raubt anderen die Existenzgrundlage: Heute schon den Menschen in den armen Ländern des Südens und morgen unseren Enkelkindern...

Wir leben auf Pump. Es wird weiter abgezockt und abgesahnt. Trotz Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise. Für die 8oo Millionen ärmsten und hungrigsten Menschen der Erde gibt es auch künftig weniger Geld als die Wall-Street-Banker heute als Boni nach Hause tragen.

Mittagstische, Tafeln, Kleider- und Lernmittelkammern lindern die Folgen von Armut. Alle, die sich dort engagieren, verdienen hohe Anerkennung. Und doch geht die Schere von Armut und Reichtum weiter auf. Tafeln sind wie Tropfen auf dem heißen Stein, wenn nichts an den Ursachen getan wird. Wer als Kind in Armut aufwächst, wird daran gehindert, Akteur des eigenen Lebens zu werden.

Missbrauch findet nicht nur in manchen Klosterschulen, Internaten oder Heimen statt. Sexuelle Gewalt gibt es auch in Familien. In mir selbst ist das Monster, sagt ein Opfer - und meint nicht den Täter, sondern das, was der in ihm zurückgelassen hat.

Wie ein Riss in einer hohen Mauer ist das Wort der EKD zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise überschrieben. Das Bild stammt vom Propheten Jesaja. Er erzählt von einem kleinen Riss, der sich, zunächst kaum sichtbar, immer weiter in eine hohe Mauer frisst, bis der Mörtel rieselt, der die Steine hält und am Ende die ganze Mauer einstürzt.

Wie ein Riss in einer hohen Mauer. Ob im persönlichen oder im öffentlichen Leben: plötzlich ist dieser Riss da, unübersehbar und nicht mehr zu leugnen. Mit einem Mal wird uns klar, was Verfehlungen bewirken. Plötzlich gibt es Umstände, an denen wir uns wundreiben: Geschehenes ist nicht mehr ungeschehen zu machen, selbst, wenn wir alles dafür hergäben.

Wir spüren die Gewichte, die sich an uns hängen. Wir sehen die unabänderlichen Taten, erahnen irreparable Fakten, sehen Felsblöcke, die den Weg nach vorn versperren. 

Vieles türmt sich da auf. Gott kennt unser Register. Viel besser als die Flensburger Sünderdatei uns kennt. Bei ihm laufen alle Daten zusammen.

Und was tut Gott? ...und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu! Menschen rechnen genau auf und ab. Einer treibt beim anderen die Schuld ein. Doch Gott rechnet nicht! Alles Auf- und Abrechnen hat bei ihm ein Ende.

So auch Jesus. Schuld eintreiben, Auf- und Abrechnen waren ihm fremd. Dem Sünder nachgehen, ihn befreien, erlösen, entlasten, ihm vergeben: Davon hat er erzählt, das hat er in seinen Taten gelebt...... damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. So versöhnt er die Welt mit sich selber.

... er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht. Warum das? Warum genügt dies nicht: ...und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu? Warum kann Gott nicht ein Auge zudrücken und Fünfe gerade sein lassen? Wenn Gott die Übertretungen nicht anrechnet, dann ist doch alles gut. Was soll dieser Kreuzestod?

Der von keiner Sünde wusste, wird selber zur Sünde. Gott vergibt dem Sünder, aber er verharmlost nicht die Sünde. Sünde zerstört. Sie wird nicht unschädlich durch Ignorieren. Und erst recht nicht durch Verdrängen.

Wie ein fortdauernder Teufelskreis schafft die Sünde immer neue Opfer und erzwingt unermessliches Leid. Gott aber weigert sich, das Lebenswidrige hinzunehmen. Er entlarvt die Scheußlichkeit der Sünde - am Kreuz. Der von keiner Sünde weiß, wird zur Sünde gemacht. Nicht der Sünder, die Sünde hängt am Kreuz. Alles Böse, aller Schrecken, alle Verdammnis ist Christus auf den Leib geschrieben. Alle Gottverlassenheit wird in ihm konkret.

Christus stirbt wie er gelebt hat. Versöhnung war seine Mission. Sie führte ihn in Feindesland, in die Welt der Sünde. Doch die Liebe erträgt nichts, ohne darunter zu leiden.

Am Kreuz hängt Gott. Für alle sichtbar, verborgen unter seinem Gegenteil: in Torheit, Schwachheit, Leid und Sterblichkeit. Der von keiner Sünde weiß, wird zur Sünde gemacht. Wie ein giftiges Insekt lässt die Sünde ihren tödlichen Stachel im Leib Christi zurück.

Gott hängt am Kreuz. Wo immer wir nun hinkommen, was immer uns überfällt und widerfährt - Gott ist schon da. Auch in der größten Verlassenheit. Er ist in Christus da und kennt unsere Angst.

Karfreitag. Im Mittelpunkt steht das Kreuz. Es ist unser Hoffnungszeichen.

III

So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!

Lasst euch versöhnen mit Gott! Gott braucht kein Opfer, Gott muss kein Blut sehen, um versöhnt zu werden. Im Gegenteil! Er bittet um Versöhnung! Gott fordert nicht, er bittet um Gemeinschaft - in der Sprache der Liebe. Der Herr aller Herren, Schöpfer aller Dinge kommt zu uns und bittet...

Bittet die um Versöhnung, die ihn links liegen lassen, ohne ihn auskommen wollen, ihn gar verschmähen. Sünder sind eigenmächtig. Sie tun sich schwer, Gott für sich da sein zu lassen. Eigenmächtige Selbstversorger trauen der Liebe nichts zu. Aber gerade sie bittet Christus: Lasst euch versöhnen mit Gott!

So spricht Christus zu uns. So geht Gott mit uns um. Das ist Karfreitag. Im Mittelpunkt steht das Kreuz - Christi Versöhnungszeichen!

So sind wir nun Botschafter an Christi Statt. Botschafter Christi fordern nicht, herrschen nicht, befehlen nicht. Sie bitten an Christi statt, sagen sein Wort weiter, erzählen aus vollem Herzen, feiern seine Versöhnung. Botschafter treiben nicht ihr eigenes Spiel. Ein Gesandter ist ein Sprachrohr, nicht mehr. Botschafter Christi trauen seinem Wort zu, dass es tut, was es sagt.

Auch im Zusammenleben der Menschen. Die Welt braucht Versöhnung: in der Gesellschaft, zwischen Völkern und Staaten, in den Krisenherden. Versöhnung geht in Feindesland, um die Feindschaft zu überwinden. Das schließt Gewalt aus. Gewalt schafft nur Friedhofsruhe, und die trägt den Tod schon wieder in sich.

Versöhnung meint Rollentausch: Die eigene Unversöhnlichkeit überwinden, den Blickwinkel des anderen einnehmen, in seinen Schuhen gehen.

Doch ist Versöhnung nicht Beschwichtigung. Auch keine dauerhaft schiedlich-nachgiebige Gestimmtheit. Versöhnung ist niemals Kompromiss auf Kosten der Schwachen, Kleinen und Letzten. Versöhnung setzt Befreiung in Gang, profiliert sich als Parteinahme und scheut keine not-wendigen Konflikte. Sie schafft Raum für neues Leben.

Wie das zusammengehen kann - die Macht der Sünde, eigenmächtige Selbstversorger, der Riss in der Welt, das Kreuz Christi, seine Bitte um Versöhnung, Parteinahme für Schwache, Raum für neues Leben - habe ich an mancher Lebensgeschichte staunend gelernt. So auch an dieser:

Im Kellergewölbe von Haus Villigst - Tagungsstätte der Evangelischen Kirche von Westfalen - hängt ein Kruzifix im Raum der Stille. Kunstgeschichtlich ist es nicht bedeutsam. Seine Herkunft aber ist nach-denkenswert. Klaus von Bismarck, Begründer der westfälischen Industrie- und Sozialarbeit, brachte es mit.

Als Spross eines alten preußischen Junkergeschlechts aus Hinterpommern wurde er bald Mitglied der rechtsnationalistischen bündischen Jugend und des Stahlhelm. Im Krieg war er durchdrungen vom Ethos des preußischen Frontoffiziers. Obgleich innerlich distanziert zum Naziregime und empört über die

verübten Verbrechen, erkannte er doch erst sehr spät das ganze Ausmaß der Katastrophe. Pommern entflohen, kam er nach Westfalen.

Im Rückblick schreibt er: Als wir mit unserer, nunmehr auf fünf Kinder angewachsenen Familie in Haus Villigst eintrafen, brachten wir außer unserer Ziege und einem Minimum an Hausrat ein großes hölzernes Kreuz mit...

In einer der letzten Kurland-Schlachten im Herbst 1944 hatte eine sowjetische Panzergranate den Fußpunkt eines sehr hohen Wegkreuzes getroffen. Es war umgestürzt, und die Teile des Korpus Christi lagen verstreut im aufgewühlten Sand und Schlamm einer breiten Straße, auf der ich zu Fuß unterwegs war zu den drei Bataillonen des Regiments...

Auf dem Rückweg sammelte ich nach kurzem Zögern die Holzstücke des Korpus ein. Ich verstand es als ein Zeichen und wollte nicht, dass dieser gebrochene Leib auf der Straße von russischen Panzern vollends zermalmt wird. Beim Regimentsstab packte ich die Teile in einen Karton und gab sie einem Verwundeten mit, der die Chance hatte, noch ausgeflogen zu werden...

Der Karton kam an, und der Stellmacher des Gutes restaurierte das Kreuz. Unter diesem Kreuz hielt dann jeden Abend meine Mutter den durchströmenden Flüchtlingen eine Andacht. Meine Mutter floh als letzte mit dem Holzkreuz im Arm.

Nun versammelte es die Villigster Hausgemeinde.

Der gebrochene Leib, verstreut im aufgewühlten Sand und Schlamm, wird zum Versöhnungszeichen. Klaus von Bismarck erkennt, nicht allein sich selbst zu gehören. Neuorientierung und Neuanfang werden nun sein Thema  - mit Kirchentagen, Kirchlichem Dienst in der Arbeitswelt, Aussöhnung von Deutschen und Polen. 1961 unterschreibt er das Tübinger Memorandum, das sich gegen die nukleare Aufrüstung wendet und für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze ausspricht. 1960 wird er Intendant des WDR, 1976 Präsident des Goethe-Instituts. Er nimmt diese Wahl gerne an - weil es für ihn „auch eine Art ‚Wiedergutmachung‘ der eigenen blinden, soldatischen Befangenheit in den Zeiten des Krieges" ist. Unter seiner Federführung verstärkt das Institut sein Engagement in Osteuropa. Auch in Warschau und Krakau öffnen Niederlassungen.

Karfreitag 2010. Wir brauchen Versöhnung. Jede Frau und jeder Mann. Die Welt braucht Versöhnung. Nicht nur in ihren Krisenherden.

Karfreitag 2010. Im Mittelpunkt steht das Kreuz - Versöhnungszeichen Christi.

Viele sagen: Die Welt ist schlecht - darum muss sie verändert werden. Christen glauben: Die Welt ist versöhnt - darum kann sie verändert werden.

Denn: Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott. Amen



Dr.h.c. Alfred Buß
Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
Altstädter Kirchplatz 5, 33602 Bielefeld

E-Mail: sekretariat_praeses@lka.ekvw.de

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