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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Christi Himmelfahrt, 17.05.2007

Predigt zu Johannes 17:20-26, verfasst von Wolfgang Vögele

Himmelfahrt in der Horizontalen

„Christus spricht: Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst in ihnen sei und ich in ihnen.“

I. Wer den Betenden sieht ... 

Liebe Gemeinde,

wenn das unersättliche Fernsehen Gottesdienste überträgt, dann zeigen die Kameras oft auch Menschen mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen. Wir sehen Menschen, die halblaut murmelnd beten. Als unbeteiligten Zuschauer vor dem Bildschirm beschleicht mich ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich betende, in sich versunkene Menschen vor der Kamera sehe. Ich habe dann immer das sichere Gefühl: Hier verletzt jemand die unantastbare Privatsphäre eines anderen Menschen. Und mein Gefühl sagt mir: Das gilt auch für den Fall, daß das Fernsehen öffentliche Personen wie den Papst oder eine evangelische Bischöfin beim Beten zeigt. Denn der konzentrierte Beter will ja nicht die Aufmerksamkeit anderer Menschen erreichen, sondern er will ein Gespräch mit dem Gott führen, an den er glaubt.

Weniges ist so wichtig für den Christenmenschen wie das Beten. Das regelmäßige Beten ist eine seine vornehmsten und herausragenden Tätigkeiten. Wer die Hände faltet und die Augen schließt, wer den Kopf senkt und für einen Moment oder für ein paar Minuten in Stille verharrt, der will das Gespräch mit Gott aufnehmen. Diesen Menschen kann man ansehen: Dieser Mensch ist in ein Gebet versunken. Und deswegen steht er für Gespräche mit anderen nicht zur Verfügung.

Der Beter kann das Gebet auf vielerlei Weisen sprechen: Er formuliert frei oder er spricht einen der biblischen Gebetstexte, von den hundertfünfzig Psalmen bis zum Vaterunser. In einigen Familien ist es noch guter Brauch, ein Tischgebet zu sprechen: Komm, Herr Jesus sei du unser Gast. Väter und Mütter sprechen am Bett ihrer Kinder vor dem Einschlafen ein Nachtgebet: Müde bin ich geh zur Ruh, mache meine Äuglein zu... Fragt man Jugendliche nach betenden Menschen, so erwähnen sie den Fußballer, der sich vor dem Betreten des Spielfelds bekreuzigt und ein kurzes Gebet spricht. Und bekannte Popsänger sprechen ein Gebet, bevor sie die Konzertbühne betreten.

Betende Menschen machen Glauben und Gott sichtbar. Wer den betenden Christenmenschen wahrnimmt, der sieht: Da vertraut ein Mensch auf Gott, auf den Gott Jesu Christi. Der Beter muß diese Voraussetzung machen. Wer betet, bestätigt die Existenz Gottes. Der, an den ich mich richte, der nimmt dieses Gebet auch wahr. Der, den ich anspreche, der hört mich und der reagiert auf meine bittenden Worte.

Der Mensch bittet. Gott erhört. Das ist jedoch kein einfacher Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Zwar sagt Jesus: Bittet, so wird euch gegeben. Aber oft haben Menschen das unbestimmte Gefühl: Auf einige Bittgebete erhalten sie nicht die Antwort, die sie sich sehnlich erwartet haben.

Generationen von Religionslehrern haben das den Schülern mit folgendem Beispiel erläutert: Sommer im Schwarzwald. Die Touristen beten: Lieber Gott, laß das Wetter so schön bleiben, wie es ist, damit wir weiter Ausflüge unternehmen können. Die Landwirte beten: Lieber Gott, laß es endlich regnen, daß die Ernte im Herbst gesichert ist. Wie soll sich Gott nun entscheiden?

Christen vertrauen darauf: Jedes Gebet erhält von Gott eine Antwort, aber eben nicht immer die Antwort, die unmittelbar naheliegt. Den meisten Menschen leuchtet das auch ein, denn mit dem Beten ist nichts Wunderhaftes oder gar Zauberhaftes verbunden: Niemand bittet Gott um eine Waschmaschine und erwartet dann, daß sie im nächsten Moment vor ihm steht. Waschmaschinen zaubern nur die Wunschfeen und Flaschengeister in den Märchen.

Das Beten darf nicht einfach als ein Wunscherfüllungsprogramm mißverstanden werden. Wer als Christin oder Christ betet, der gibt ein Mehrfaches zu verstehen: Ich vertraue auf den, den Jesus von Nazareth Vater nennt. Und Gottes Wille ist mir wichtiger als mein Wille. Sein Wille geschehe. Und weiter: Beten besteht nicht nur aus dem Sprechen, sondern auch aus dem Hören des Beters. Das Gebet ist nicht nur eine Einbahnstraße zu Gott, sondern das Gebet ist ein Gespräch: Der Beter spricht nicht nur, um gehört zu werden, sondern er lernt auch zu selbst hören und darin auf Gott zu vertrauen. Gott hört nicht nur Gebete, sondern er spricht ebenfalls. Bittet, so wird euch gegeben. Der Philosoph Sören Kierkegaard verstand das Gebet als einen Weg, um Schweigen zu lernen. Der Beter sollte schweigen, um die Stimme Gottes zu vernehmen.

II. Glauben und Herrlichkeit - Vater und Sohn 

Im Predigttext aus dem Johannesevangelium kommt das Wort Beten nicht vor. Und doch halte ich mich ganz bewußt beim Beten so lange auf. Ich bin überzeugt, daß im Beten von Menschen der Schlüssel liegt, um diese kurze Redenpassage im Johannesevangelium zu verstehen. Und ich bin überzeugt: Im geduldigen Beten der Christenmenschen liegt der Schlüssel, um Himmelfahrt zu verstehen.

Johannes der Evangelist macht es seinen Lesern mit dieser Rede keineswegs einfach.

Beim ersten Lesen nimmt man wahr: Der Jesus, der gekreuzigt werden soll, hält eine Abschiedsrede. Er führt einen Dialog mit seinem Vater. Es geht um das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Das ist das erste.

Beim zweiten Lesen nimmt man wahr: Jesus führt einen Dialog mit seinem Vater. Aber gleichzeitig spricht er seine traurigen Jünger und Anhänger an. Die ängstlichen Jünger sollen wissen: Was Jesus mit seinem Vater zu bereden hat, das hat auch mit ihnen zu tun. Das ist das zweite.

Beim dritten Lesen nimmt man wahr: Jesus spricht mit seinem Vater. Die Jünger sollen wissen, was Jesus mit seinem Vater zu besprechen hat. Und wir anderen, die Leser des Evangeliums und die Hörerinnen der Predigt, sollen wissen, was Jesus den Jüngern mitzuteilen hat.

Diese Rede des Johannes ist also wie eine Zwiebel mit mehreren Schichten, die übereinander gelagert sind. Wenn wir die Zwiebel rhetorisch schälen, gelangen wir von den Zuhörern und Lesern über die Jünger, die der Rede zuhören, zu dem Jesus, der die Rede hält. Und für diesen sprechenden redenden Jesus ist das Verhältnis zum Vater von ganz entscheidender Bedeutung. Nun kommt kein Mensch in seinem Leben darum herum, sich damit auseinander zu setzen, welche Gemeinsamkeiten er mit seinem Vater teilt und was ihn von diesem Vater unterscheidet. Bei Jesus ist das anders: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir...“

Zwischen Gott, dem barmherzigen Vater und Jesus, dem menschlichen Sohn gibt es im Johannesevangelium praktisch keinen Unterschied. Wer Jesus begegnet, der begegnet Gott. Und wer nach Johannes Gott begegnen will, der hat keine andere Möglichkeit als den Weg über Jesus selbst. Denn er und nur er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Johannes der Evangelist geht mit seinen Worten bis an die Grenze: Er macht den Menschensohn aus Nazareth zum Gott. Denn er verwischt bewußt die Unterschiede zwischen Gott dem Vater und seinem Sohn. Wer dem Menschen Jesus begegnet, sieht die Herrlichkeit Gottes des Vaters. Wer die Herrlichkeit Gottes sehen will, kann sie nur im Leben Jesu Christi sehen.

Und es besteht die große Gefahr, daß dabei das Menschsein Jesu vernachlässigt wird. Jesus von Nazareth ist Gott und Mensch zugleich, aber bei Johannes entsteht der Eindruck, als sei das Göttliche in Jesus so mächtig und gewaltig, daß alles Menschliche darüber zurücktritt und verblaßt. Das ist weit mehr als nur eine theoretische oder akademische oder theologische Frage. Denn in seiner Rede stellt Jesus eines nicht in Zweifel: Am tiefen und engen Verhältnis zwischen Vater und Sohn entscheidet sich auch, wie die anderen, die Jünger und Anhänger, die Leser des Johannesevangeliums und wir Predigthörer in dieses Verhältnis mit einbezogen werden. Und deshalb sprechen wir nun über Himmelfahrt.

III. Himmelfahrt: die Gegenwart dessen, der Gebete erhört 

Wie ist eigentlich der auferstandene Christus unter den Menschen gegenwärtig? In der zeitbedingt durch Mythen gefärbten Sprache des Neuen Testaments wird es so erklärt: Jesus ist auferstanden, erschien den Frauen und den Jüngern, und nach vierzig Tagen fuhr er auf in den Himmel. Er erscheint uns heutigen Glaubenden nicht mehr als Auferstandener, sondern er ist gegenwärtig als der, der zur Rechten Gottes sitzt – wie es im Glaubensbekenntnis heißt.

Und nun müssen wir uns fragen: Wir wissen alle, daß der Himmel „leer“ ist. Dort steht kein himmlischer und göttlicher Palast, in dem der bärtige Gottvater auf einem Thron sitzt und neben dem Jesus wie ein Kronprinz amtieren würde. Das glaubt heute niemand mehr.

Insofern müssen wir auch für die Vorstellung von der Himmelfahrt nach einer neuen Deutung suchen. Himmelfahrt bedeutet: Der auferstandene Christus ist wie Gott selbst allgegenwärtig. Der auferstandene und in den Himmel gefahrene Christus ist wie Gott selbst unsichtbar; er ist kein Gegenstand unserer alltäglichen normalen Wahrnehmung. Wir sehen ihn nicht wie wir einen anderen Menschen sehen oder wie wir die Kaffeemaschine oder den Briefkasten sehen, nachdem wir am Morgen aufgestanden sind. Der auferstandene Christus ist gegenwärtig – wie Gott gegenwärtig ist. Und das ist eine Sache des vertrauenden Glaubens. Niemand soll sich darüber täuschen: Diese Gegenwart Gottes hat etwas Geheimnisvolles und Unaufgeklärtes, das wir nicht mit Worten oder Physik erklären können.

Trotzdem können wir diese Gegenwart des Auferstandenen wahrnehmen, wir können seine Herrlichkeit sehen, wie es im Johannesevangelium heißt. Wir, die wir nicht mehr Zeitgenossen des Lebens Jesu sind, sehen die Herrlichkeit des Auferstandenen im Gebet. Im Gebet wird die Gegenwart des Auferstandenen wirklich und glaubhaft. Auch das Gebet ist selbstverständlich kein „Beweis“ Gottes im physikalischen Sinn. Aber wer betet, der macht für andere sichtbar: Ich glaube an den Gott, der Jesus Christus von den Toten auferweckt hat. Ich nehme ihn ernst und ich bin überzeugt, daß er meine Gebete gnädig und barmherzig erhört. Nicht im Sinne einer Wunscherfüllungsmaschine, aber im Sinne der großartigen Verheißungen Gottes, die wir von ihm in der Bibel finden.

Darum sagt Jesus am Ende der Redenpassage: „Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.“ Das Beten, liebe Gemeinde ist ein Gespräch. Um mit jemanden zu sprechen, muß ich seinen Namen wissen. Ich kann schlecht mit einem Unbekannten reden. Aber wenn ich den Namen des Gottes, der Christus auferweckt hat, kenne, dann kann ich mit ihm in ein Gespräch kommen, das gleichzeitig aus Bitten und Klagen und Dank, aber auch aus dem schweigenden und stillen Hören auf sein Wort besteht.

IV. Aus dem Gebet wächst die Liebe 

Und der Evangelist Johannes behauptet weiter, es gebe noch einen weiteren Beleg für die Anwesenheit des Auferstandenen. Sie besteht nicht nur im Beten, sondern auch im Wachsen der Liebe. Die Liebe ist nichts anderes als das Handeln eines Christen, das vom Gebet und damit von der Gegenwart des Auferstandenen geprägt ist. Der auferstandene Christus ist da gegenwärtig, wo jemand betet. Und er ist da gegenwärtig, wo jemand in Liebe und aus Liebe handelt. Der Auferstandene ist in den Himmel aufgefahren. Aber er kommt bei den betenden und liebenden Menschen an.



PD Dr. Wolfgang Vögele

E-Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

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