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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Ostersonntag, 04.04.2010

Predigt zu Kolosser 3:1-4, verfasst von Friedrich Weber

 „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit."

Liebe Gemeinde,
wenn wir es theologisch bitterernst und ganz genau nehmen würden, dann müssten wir Christen doch wohl Karfreitagsmenschen sein. Nicht so sehr gemütlichkeitssüchtige Weihnachtschristen und auch nicht Ostermorgen-Frühlings-Freunde, denen vor lauter Lebenslust schon die Ode an die Freude aus den Poren quillt, sondern eben solche, die sich erstens mühen zu empfinden, was Ungeheuerliches damals auf dem Berg von Golgatha geschah und zweitens zu begreifen suchen, dass diese schreckliche Hinrichtung etwas mit  uns zu tun hat.
Es müsste uns bewusst werden, dass sich an Karfreitag unsere Erlösung vollzieht, weil der Mensch Jesus Christus für uns in den Tod gegangen ist.
Dies anzuerkennen ist ein mühsamer Prozess, denn wir Menschen möchten nicht für irgendeines Menschen Tod verantwortlich sein; es ist tatsächlich auch unfasslich, dass es unsere uns doch eigentlich so klein anmutende Schuld sein soll, die den Gottessohn ans Kreuz bringt.
Weil das so ist kann der verinnerlichte und bewusste Weg durch die Passionszeit eine kräftezehrende Schlepperei werden, die wir uns durch die liturgische Reduzierung - mancherorts sind Altäre ganz abgeschmückt, an Karfreitag gibt es oft weder Kerzenlicht noch Orgel oder Glocken - auf die Seele legen.
Dass wir diesen Weg gehen, ist dabei auf eine ganz andere Weise für unser Leben wichtig als die weihnachtliche Erfahrung von Gottes Nähe - denn wir sind und bleiben angewiesen auf Versöhnung und Vergebung, auf die Chance aus Gottes liebenden Augen angesehen zu werden, „denn wenn wir uns selbst nicht betrügen, dann wissen wir ganz gut, dass wir eigentlich anders sein müssten, als wir sind... Wir leiden darunter, wir müssen die Folgen davon tragen, und wir wissen doch nicht, wie wir es ändern sollen."[1]
Wenn wir diesen Gedanken verinnerlichen, uns an ihm wund reiben, ist das dann nicht eigentlich die Verfassung, in der wir Ostern erreichen und muss, wer so nüchtern und schmerzhaft bilanziert hat, jetzt endlich nicht den Blick heben und aufatmen dürfen - so wie man nach einem langen Winter das Gesicht in die wärmende Sonne halten und tief durchatmen möchte?
Ja, das sollen wir dürfen - darum sind wir in dieser Osternacht hier, denn der Perspektivwechsel, das Heben des Kopfes, das Aufatmen und neu lebendig werden, geschieht jetzt.
Hier zelebrieren wir den Übergang vom Dunkel ins Licht, vom Tod zum Leben.
Hier passiert, was all unsere Sinne weckt.
In der Osternacht trachten wir, so heißt es in unserem Predigttext, nach dem, was oben ist, werden frei von dem, was uns nieder drückt und müde macht.
Und ist das nicht auch eine regelrecht körperliche Erfahrung, denn wann sonst fällt es uns so leicht, durch eine lange Nacht hindurch auf das Morgenlicht zu warten?

In meiner Bischofskirche, dem Braunschweiger Dom, steht ein siebenarmiger Leuchter aus der Zeit Heinrichs des Löwen. Aus 77 Bronzeteilstücken gefügt und durch Zapfen und Muffen miteinander verbunden, fesselt der beinahe fünf Meter hohe und fast vier Meter breite Lebensbaum mit Blättern und Knäufen, der der jüdischen Menorah so ähnlich sieht, sofort den Blick des Besuchers. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein atemberaubendes Kunstwerk. Zu besonderen Anlässen im Kirchenjahr brennen auf diesem wunderbaren Leuchter echte Kerzen.
Nun kann man in Weihnachtsgottesdiensten darüber meditieren, wieviel Kunstfertigkeit die Domvögte wohl aufwenden müssen, um diese himmelhohen Kerzen überhaupt anzuzünden...
In der Osternacht aber kann man es erleben.
In der tiefen Dunkelheit der Nacht und unter angehaltenem Atem hunderter Osternachtbesucher leuchten nach und nach die sieben Kerzen auf, bis es endlich licht, endlich Ostern geworden ist.
Aber:
Das sieht nur, wer den Kopf hebt.
Das nimmt nur wahr, wer den Blick nach oben wendet.

Was aber ist, wenn das nicht mehr geht?
Wie kann es gelingen, den Weg vom Dunkel ins Licht zu finden, wenn uns alles zu schwer geworden ist und wir den Blick nicht lösen können, von dem, was uns Erde ist - wie es der Kolosserbrief formuliert?
Dieser Tage ist rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse der Erfahrungsbericht einer Frau erschienen, von der man nicht vermutet hätte, dass die Frage, ob man den Kopf noch heben kann, für sie einmal eine sein würde: Miriam Meckel, Bestsellerautorin und Kommunikationswissenschaftlerin, bekannt geworden nicht nur durch Bücher wie „Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle", sondern auch durch ihre Partnerschaft mit Anne Will.
Eine Frau, die nach den Maßstäben unserer Mediengesellschaft ein äußerst erfolgreiches Leben führt. Doch plötzlich erlebt sie, was immer mehr Menschen um uns herum erleiden und seit den 70er Jahren „Burnout" genannt wird - die definitive Unfähigkeit, überhaupt noch irgendetwas zu tun und schon gar nicht, erhobenen Hauptes den Tag zu beginnen.
Bereits Thomas Mann hat diese tiefe Erschöpfung in seinen Buddenbrocks beschrieben:
„Der gänzliche Mangel eines aufrichtig feurigen Interesses, das ihn in Anspruch genommen hätte, die Verarmung und Verödung seines Inneren - eine Verödung, so stark, dass sie sich fast unablässig als ein unbestimmt lastender Gram fühlbar machte - verbunden mit einer unerbittlichen inneren Verpflichtung und zähen Entschlossenheit, um jeden Preis würdig zu repräsentieren, seine Hinfälligkeit mit allen Mitteln zu verstecken und die Dehors zu wahren, hatte dies aus seinem Dasein gemacht, hatte es künstlich, bewusst, gezwungen gemacht und bewirkt, dass jedes Wort, jede Bewegung, jede geringste Aktion unter Menschen zu einer anstrengenden und aufreibenden Schauspielerei geworden war."[2]
Etliche geschäftige Generationen später schreibt nun Miriam Meckel in ihrem  „Brief an mein Leben": „Ich bin ein höflicher Mensch. Und ich bin oft gut gelaunt. Aber ich ertappe mich seit einigen Monaten dabei, dass ich - wo immer ich gerade gehe und stehe - auf den Boden schaue. Von den Menschen, die an mir vorbeilaufen, sehe ich dann nur die Füße und die Beine bis zu den Knien. Wenn es nicht anders geht, blicke ich auf und grüße oder halte einen Smalltalk. Aber wenn sich das vermeiden lässt, laufe ich mit gesenktem Blick weiter."[3]
Ja nicht den Kopf heben - aus lauter Angst erwartungsvollen oder enttäuschten Blicken zu begegnen.
Ja nicht den Kopf heben und ständig sehen müssen, was nicht zu schaffen ist.
Ja nicht den Kopf heben und andere in meinem müden Gesicht lesen lassen, dass ich nicht weiter weiß.
Eine Karfreitagserfahrung.
Es ist alles zu Ende, wir haben es nicht vermocht  und sind wohl auch schuldig geworden an denen, die mit uns leben, an Gottes Gaben und nicht zuletzt an uns selbst.

Da hinein, genau in solche Situation hören wir die Worte aus dem Kolosserbrief: „Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit."

Ihr seid auferstanden und lebendig! Nicht müde, nicht zu Tode erschöpft, nicht gestorben, sondern offenbar in Licht und Herrlichkeit.
Eben noch haben wir uns durch einen endlos langen dunklen Gang geschleppt, den Blick zur Erde. Doch jetzt ist Ostern und wir erleben das „hindurch!"
Gerade zu Ostern und eben ganz besonders in der Osternacht erleben wir eine Passage, ja eine regelrechte Transformation. Allerdings: „Diese Befreiung vom Dunkel in unserer Lebenstiefe ist nun nicht mehr eine Sache unserer guten Vorsätze oder unserer künftigen Anstrengungen, sondern es ist Gottes Sache."[4]
Nicht wir überwinden - sondern Gott.
Nicht wir erwachen - er weckt uns auf.
Wir müssen nicht stehen bleiben unter dem Kreuz von Golgatha, auch wenn wir vielleicht ganz das Gefühl dafür verloren haben, wir lange wir hier schon sind.
Gott hat sich unserer angenommen.
Es wird licht. Sein Angesicht leuchtet.
Der Herr ist auferstanden!
Halleluja.



[1]   Hertzsch, K.-P., Wie mein Leben wieder hell werden kann, Eine Einladung zur Beichte in der evangelisch-lutherischen Kirche,ed.: VELKD, S.5

[2]  Mann, T., Buddenbrocks, Verfall einer Familie, Frankfurt a.M. 1989, S. 614f.

[3]   Meckel, M., Brief an mein Leben, Erfahrungen mit einem Burnout, Hamburg 2010, S.31.

[4]  Hertzsch, K.-P., a.a.O., S.8.



Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
Wolfenbüttel
E-Mail: c/o marlene.rossmann.lka@lk-bs.de

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