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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Himmelfahrt, 13.05.2010

Predigt zu Lukas 24:46-53, verfasst von Claus Oldenburg

Christi Himmelfahrt ist - so meine ich - ungeheuer flott in seiner möglichen Bildung von Bildern. Ich sage bewusst "möglichen", denn niemand weiß, welche inneren Bilder sein Mitmensch auf seinem mentalen Schirm hat. Aber wenn man sich an die religiöse Malerei hält, dann besteht wohl weitgehend Einigkeit darüber, dass der Meister seine Jünger aus Jerusalem mitgenommen hat auf einen Höhenzug, wo Er von ihnen scheidet, senkrecht gen Himmel fährt, um mit seinem Vater wieder vereint zu werden - und die Malerei wird normalerweise das Bild mit einigen Engeln versehen, während die Jünger verdutzt zusehen.

            Die Szene ist zahllose Male wiedergegeben worden, auch im Film, wo sie am deutlichsten in dem schon etwas älteren amerikanischen Kinder- und Jugendfilm E.T. nachgeahmt ist, wenn dieses hässliche, aber niedliche Raumwesen in seinem kleinen Raumschiff wieder gen Himmel fährt und der Abschied von seinen Freunden mehr als rührend ist. Die Freunde bekommen sogar kleine Flammen auf ihren Köpfen, was ja das reine Pfingstwunder ist. Jesus ist also auf vielerlei Weise zum Film gegangen.

            Aber nun zur Sache. Wenn die Szene so ansprechend ist, dann hat das seinen Grund auch darin, dass sie so phantastisch ist. Das Phantastische und das Bilder-bildende gehören klar zusammen und sind zwei Seiten ein und derselben Sache, auch deshalb weil die Phantasie sich ganz einfach etwas vorstellt. Es ist ihre Funktion, und zwar ganz gleich, ob die Vorstellung, die man sich macht, positiv oder negativ geladen ist, ob es ein anziehendes oder ein abstoßendes Bild ist.

            Das Christentum ist an sich extrem Bilder-schaffend, und nicht ohne Grund wird Jesus in der Tradtion auch imago Dei genannt, was Bild Gottes bedeutet. Diese Bilder-Bildung ist wahrhaftig allezeit ein Problem gewesen, weil alle allezeit gewusst haben, wie stark - oder sogar gefühlsmäßig gefährlich - Bilder sein können.  

            Unsere Religion hat also immer ein ambivalentes Verhältnis zum Bild gehabt. Denn die Tradition hat eigentlich gern das Bild als Gegenwart des Göttlichen auf Erden hervorheben wollen - es ist die Ikone -, aber die Gegenreaktion, der Bildersturm oder Ikonoklasmus hat sich ebenso großer Verbreitung erfreut, weil man ganz einfach gemeint hat, das Bild sei Zeichen von Abgötterei oder Götzendienst.

            Die ganze Frage hat ihren Ursprung in dem alten und altestamentlichen Problem, das man "Bildnisverbot" nennt. Die normale Variante aus den Zehn Geboten ist: "Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen." Dies ist vermutlich physisch und mental zu verstehen, nämlich dass du keine Götterbilder im wirklichen Leben, aber auch keine mentalen Bilder Gottes in deinem Kopf machen darfst.

            Das Bildnisverbot ist auch religionsgeschichtlich die Quelle des Monotheismus - dass es nur einen Gott gibt, dass Er unsichtbar ist und dass er hinter der Welt ist. Thomas Mann nennt ihn Den Höchsten und Den Einzigen, und diese ganz eigenartige Position entspricht bei Mann dem Selbstgefühl des Menschen, in casu Abrahams. Die Entdeckung Gottes und die Entdeckung des Menschen ist eine Doppelentdeckung, weil die beiden Beteiligten einander bedingen. Und das Selbstgefühl des Menschen ist eigentlich, dass er nicht in eine Masse von Göttern oder Kräften aufgespalten ist, zu denen er sich verhalten müsste, sondern dass das Ich, im Sinne der Forderung des Individuums nach zentraler Bedeutung in der Welt, in einem direkten Verhältnis zu der Macht steht, die die Welt trägt.

            In dem Sinne muss man sagen, dass der Monotheismus ein zivilisatorischer Fortschritt ist.

            Wenn die Gottheit also nicht in der Welt, sondern hinter der Welt ist, und die Anbetung sich zu einer Un-Sichtbarkeit verhält, dann ist das Bildnisverbot eigentich sowohl logisch als auch erforderlich.

            Aber hier spielt noch ein weiteres Moment eine wichtige Rolle. Die Gottheit ist aufgefasst als die lebendige und bewegende Kraft hinter der Welt. Sie kann man in keinem Bild festmachen, denn das wäre Verrat an diesem Lebendigen und Bewegenden - oder an der Dimension der Veränderung.

            Um es mit einem einfachen Beispiel zu veranschaulichen: Auf dem Hochzeitsbild lächelt das Paar glücklich; damit haben sie am Tag der Scheidung aufgehört. Das Bild legt man beiseite, oder man zerreißt es sogar.

            Zum Bildnisverbot gehört also auch, dass wir, du und ich, uns keine Bilder machen dürfen. Der Ausdruck ist de facto negativ, denn er enthält die klare Behauptung, dass die Bilder schnell falsch werden können und dass sie also auch Ausdruck für das sind, was man "Projektion" nennt, wenn nämlich ein Mensch seiner Umwelt Bilder aufzwingt, die in ihrer Wesentlichkeit die eigenen sind.

            Das Problem ist zweifellos kompliziert, aber gerade in Bezug auf die monotheistische Gottesauffassung ist das Bildnisverbot eigentlich recht klar. Die Juden haben allezeit am Bildnisverbot festgehalten - und sie waren gelinde gesagt verärgert, dass Jesus sich mit Gott identifizieren konnte und wollte, und die Verärgerung war wiederum ganz logisch - und dasselbe Bildnisverbot kehrt denn auch in verschärfter Form im Islam wieder. Hier ist es direkt verboten, irgendetwas Lebendiges abzubilden, denn es wäre Verrat am Lebendigen und dem von Gott Geschaffenen. Die moslemische Kunst wurde so schnell zu reiner Ornamentik, jedenfalls in den zentralen Gebieten des Islam.

            Das Christentum, das ebenso wie der Islam seinen Ursprung im Judentum hat, entwickelte seinerseits eine reiche und umfassende Bildreligion, auch wenn natürlich - wie gesagt - in der Auffassung des Christentums eine starke Ambivalenz eingebaut war.

            Aber Christus ist einfach imago Dei - Er ist derjenige, der bildlich mit Gott zusammenfällt. Das Christentum hält sich zwar an das Bildnisverbot, soweit es den Schöpfer betrifft, aber gerade die Auflösung der Gottheit in eine Dreieinigkeit zwischen dem dahinter existierenden Vater, dem unter Menschen wiederekennbaren Sohn und dem geschärften Bewusstein von der Nähe des Geistes sicherte eigenlich sowohl das Bildnisverbot als auch den Bilderreichtum.

            Denn in unserer Religionsform macht man kein Bildnis von Gott. Er würde in den meisten Fällen als Karikatur enden wie der Weihnachtsmann, und es sind wohl nur Leute wie Michelangelo, denen eine Darstellung Gottes so einigermaßen gelungen ist. Aber man soll sich nicht damit versuchen - ich stimme dem gesunden Gedankengang des Bildnisverbotes voll und ganz zu.

            Aber Christus gegenüber ist es uns sozusagen erlaubt, und das hat zu Myriaden von Bildern geführt. Es ist denn wohl auch eine Seiner Funktionen: das Krystall zu sein, in dem wir uns selbst und das Menschliche in all seiner Variation wiedererkennen, die sich zwischen Geburt und Tod - und vielleicht auch dem Nachleben - bewegt. Und kraft der Identifikation ist es das Menschliche, das erhöht - und sozusagen in den Himmel aufgefahren ist.

            Der Geist ist in diesem Zusammenhang die Aufmerksamkeit, zu der wir verpflichtet sind zwischen dem dahinter liegenden Göttlichen und dem voraus liegenden Menschlichen. Unter dem Aspekt ist der Geist die Qualitätsbestimmung, die wir dem Bild von Gott geben müssen - ist Er imago Dei oder ist Er und dies der reine Kitsch? Das entscheidet der Geist.

            Die Anerkennung des Bildes als eines Gottesausdrucks ist meiner Meinung nach ein zivilisatorischer Fortschritt gegenüber dem Judentum und gegenüber dem Islam. Aber da der Islam ein späteres Kind beider Religionsformen ist, muss ich die Entstehung des Islam als einen zivilisatorischen Rückschritt betrachten.

            Denn es ist ein Reichtum, dass wir die Bilder haben, denn sie sind nicht nur die notwendige Vielseitigkeit der Wirklichkeit, sie sind auch ihre Lebendigkeit - und zwar eigentlich im Guten wie im Bösen.

            Denn wenn man die Bilder nicht will und sich vor ihnen fürchtet, dann tritt eine betimmte Rezession ein, und das führt zu einer Stilbildung, die in der Geistesgeschichte ganz gewöhnlich und erkennbar ist.

            Theologisch gesprochen - und das kann in diesem Zusammenhang von großem Nutzen sein - bedeutet das: wenn die Gottheit unsichtbar und hinter allen Dingen ist, dann müssen wir doch als Sein Volk und Seine Gläubigen ihn sich auf andere Weise manifestieren lassen. Er muss sozusagen Fleisch werden, inkarniert werden, denn sonst hätte seine Existenz keinerlei Interesse.

            Das ältere Judentum ließ ihn Fleisch werden im Gesetz, d.h. im korrekten Verhalten. Dasselbe tat der Islam, und damit wurde die Gottheit zu einer kulturellen Norm. Beides ist Ausdruck von Lebensweise.

            Das Christentum hat allezeit Gottes Ferne verteidigt - Deus absconditus, heißt das - aber es hat auf der anderen Seite Seine Inkarnation in dem Menchen Jesus von Nazareth betont. Daher das Bild und der Bilderreichtum der Religion.

            Zu welchen Mitteln griffen die Bilderstürmer und Ikonoklasten? Sie griffen zur Verteidigung der Erhabenheit Gottes über alles Menschliche. Sie akzeptierten zwar das korrekte Verhalten und die kulturelle Norm, aber sie fügten eine Sache hinzu, die - man entschuldige den Ausdruck! - das Hurenkind der Reformation ist, nämlich das korrekte Denken.

            Die Welt nicht sehen, sie nicht merken, sie nicht erleben - nein, sie denken in einer Mischung aus Wahrheit und Korrektheit: Das ist der Fluch der rechten Lehre, das ist die Plage jeder Orthodoxie, und das ist die Verblendung einer jeden Ideologie. Denn das Menschliche wird jedesmal aufgehoben - und es ist einigermaßen gleichgültig, ob das Menschliche durch das akzeptierte Verhalten, den kulturellen Kode aufgehoben wird oder durch das korrekte Denken. Es läuft auf dasselbe hinaus. Es geht nämlich nur um Kontrolle und Lenkung - in etwas unterschiedlichen Seinsbereichen, der Drang zur Vorherrschaft ist derselbe, und es ist unwichtig, ob dieser Drang auf Gott oder auf die Wahrheit hinweist.

            Ich meine also, wir sollten sehr dankbar sein für den Bilderreichtum unserer Religion und dafür, dass er im Glaubensbekenntnis so gut aufgehoben ist.

            Denn er setzt Gott als den Schöpfer voraus, aber zu einem gewissen Zeitpunkt stieg er herab in Marias Schoß und wurde Mensch. Eben dieser Mensch musste den Tod des Menschen sterben, um in die Kellerregion hinabsteigen und die Verdammnis, den menschlichen Untergrund umfassen zu können.

            Danach steigt Er auf zur Eroberfläche und tritt als der Auferstandene auf - als der Held, der das Reich der Toten überwand.

            Bildmässig ist es völlig logisch, dass Er von dieser Erdoberfläche aufsteigen muss und mit seinem Vater und unserem Vater vereint werden muss.

            Und das Bild zögert nicht. Denn Er wird wiederkommen auf den Wolken des Himmels in der östlichen Morgenröte - und an dem Tag fallen alle Bilder und werden durch die Durchschaubarkeit ersetzt.

            Die Liebe nämlich macht sich - mit Max Frisch - keine Bilder. Sie liebt einfach nur.

Amen



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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