Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 30.05.2010

Predigt zu Römer 11:33-36, verfasst von Martin Schmid

O welch eine Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!
Denn „wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?" Oder „wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste?"
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.
Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde!

Weihnachten hat seinen Christbaum, zum Palmsonntag gehören die Palmzweige, der Karfreitag ist verbunden mit dem Kreuzesstamm und dem Dornstrauch, zum Osterfest passt der Mandelbaum, dessen blühende Zweige ein Fingerzeig sind, dass das Leben siegt, an Pfingsten singt man drinnen in der Kirche „schmückt das Fest mit Maien", und draußen steht vielleicht noch der Maibaum. Nur das Dreieinigkeitsfest hat keinen Baum.

Dieses Fest führt sowieso ein eher verborgenes Dasein im Kirchenjahr. Alle Sonntage den Sommer über und bis in den Herbst hinein werden zwar von Trinitatis her gezählt, das Fest selber aber wird wenig beachtet. Wenn man nun den Römerbrief vor Augen hat, könnte man sagen: Paulus hat dem Dreieinigkeitsfest den Ölbaum geschenkt! Denn am Ende seiner Gedanken über die göttliche Erwählung von Heiden und Juden, die er im Brief an die Gemeinde in Rom entfaltet, verwendet Paulus das Gleichnis vom Ölbaum. Nun steht seinen Lesern und Zuhörern dieser Baum vor Augen - mit seinen Wurzeln und seinen Zweigen, den natürlichen und den eingepfropften. Der Ölbaum wird zum Hoffnungsbild. Denn Paulus schildert ihn in der Weise, dass da sozusagen jüdische Zweige sind und sozusagen heidnische Zweige. Sie werden genährt von gemeinsamen Wurzeln. So gedeiht unter Gottes Augen, was Gott gepflanzt und gewollt hat. Miteinander recken sich die Zweige in den Himmel.

Nun kannte freilich Paulus das Dreieinigkeitsfest noch gar nicht. Man feiert es erst seit dem 10. Jahrhundert. Selbst die Lehre von der göttlichen Dreifaltigkeit war Paulus noch nicht bekannt. Was wir ihm aber verdanken, ist eine Verbindung zwischen dem Ölbaum und einem wunderbaren Sprachkunstwerk, das auf der Dreizahl aufgebaut ist. Nur wenige Sätze, nachdem im Römerbrief das Gleichnis vom Ölbaum entfaltet wurde, beginnt es mit dem staunenden Ausruf: O welch eine Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!

In dreifacher Weise spricht Paulus dann aber auch von uns Menschen: Wer hätte des Herrn Sinn erkannt? Wer wäre je sein Ratgeber gewesen? Wer hätte ihm etwas gegeben, dass Gott es ihm vergelten müsste?

Und er spricht schließlich noch einmal in einem Dreiklang von Gott: Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.

So soll nun also der Ölbaum unser Trinitatis-Baum sein.

Und wir stellen uns dabei einen dieser uralten Ölbäume vor, die im Garten Gethsemane wachsen, vor den Toren Jerusalems. Viele sind schon davor gestanden und haben die mächtigen  Stämme bewundert, die rissige Rinde, die starken Wurzelansätze und die im Gegensatz zum massigen Stamm so leichten, schlanken Blätter, die silbern und grün schimmern in der Luft.

Manche Bäume sind nur zum Staunen da. Auch solch ein alter Ölbaum hat seinen Wert nicht von den Früchten, die man womöglich noch ernten kann, sondern vom Staunen, das er erregt. Wenn uns dann noch gesagt wird, das Alter dieser Bäume reiche bis in die Zeit Jesu zurück, dann denken wir daran, das da ja eine kleine Ewigkeit vor uns erscheint, ein die Zeiten übergreifendes einst und jetzt und künftig. „O", möchte man sagen.

Heute, an Trinitatis, betrachten wir den Ölbaum nun auch voll Staunen, aber zugleich in Verbindung mit der Dreizahl, die dem Apostel Paulus gekommen ist beim Lobpreis der göttlichen Tiefe - o welch eine Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes. Bei „Tiefe des Reichtums" denken wir an die Wurzeln, aus denen der Baum seine Nahrung zieht, und wir machen uns klar, das der Reichtum der Wurzeln schöpferisch ist und Leben spendet. Die „Tiefe der Weisheit" verbinden wir mit dem Stamm des Ölbaums als Inbegriff von Alter und Weisheit. Dieser Stamm ist für uns zugleich voller Erinnerungen an Jesus, an sein Verweilen im Garten der Ölbäume, an sein Sterben am Holz des Kreuzes, auch an den Hirtenstab, auch an das Krippenholz. Und vom flirrenden, flimmernden, in die Luft greifenden Blattwerk des Ölbaums lassen wir uns hinführen zum Dritten, zu der „Tiefe der Erkenntnis" Denn die Blätter des Ölbaums reflektieren das Sonnenlicht wie die Erkenntnis das göttliche Licht reflektiert. Von Wurzel, Stamm und Krone dieses Baums lassen wir uns also den Blick lenken auf das, was bei Gott dreifach staunenswert ist, auf Gottes Reichtum, Weisheit und Erkenntnis.

Und von Wurzel, Stamm und Krone des Trinitatis-Baums blicken wir zugleich hin auf die göttliche Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Geist. Der wurzelgespeiste Reichtum des Baums führt uns zum schöpferischen Reichtum des Vaters. Die Erinnerungsfurchen im Stamm des Ölbaums führen uns zur göttlichen Weisheit, welche die Menschen für Torheit hielten, zum Sohn. Und von den Lichtreflexen der Krone lassen wir uns einweisen in den Bereich des Geistes, der ein Bereich des Erkennens und des Verstehens ist.

Auf den ersten Blick erscheint das alles vielleicht ein bisschen schwierig. Auf den zweiten Blick ist es sehr tröstlich. Auf diesen Trost, der ihn geradezu jubeln lässt, möchte Paulus uns hinführen. Gönnen wir uns also den zweiten Blick.

Ein Gedicht von Günter Eich beginnt mit den Worten:  „Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!" Welchen Trost hat der Ölbaum für uns? Er tröstet, indem er uns nicht nur ein Gottesgleichnis ist, sondern zugleich ein Menschengleichnis. Vom dreifachen Gotteslob kam Paulus, wie wir hörten, auf eine dreifache Rede vom Menschen. Er kommt auf das zu sprechen, worauf wir Menschen vielleicht am meisten stolz sind: die Gedanken, das Wort und die Tat. Aber er bestätigt unseren Stolz nicht. Anstelle eines dreifachen Menschenlobs stellt er uns dreifach in Frage:

Wer hätte des Herrn Sinn erkannt? Wer wäre je sein Ratgeber gewesen? Wer hätte Gott je etwas gegeben, das dieser ihm wieder vergelten müsste? Das Erste bezweifelt unser Erkenntnisvermögen, das Zweite unser Raten und Reden und das Dritte unsere doch eigentlich großartigen menschlichen Taten. Da stehen sich also gegenüber der dreifache göttliche Reichtum und die dreifache menschliche Armut, die göttliche Tiefe und die menschliche Untiefe.

Und das soll tröstlich sein?

Ja, so tröstlich wie ein Ast sein kann, an dem sich einer festhält, den wild strömendes Wasser mitgerissen hat. So tröstlich wie eine Hand sein kann, die einen Versinkenden ergreift. So tröstlich, um auch hier noch ein Drittes hinzuzufügen, wie das Morgenlicht nach langer Nacht. Denn in jene Fragen wurden wir ja nicht erst hineingestoßen. Wir kennen sie doch. Wir stecken mitten in ihnen drin. Dass wir „warum?" fragen und den Sinn dessen erfahren möchten, was uns widerfährt; dass wir „wozu?" fragen und die Absicht gern wissen möchten, die Weisheit vielleicht, die hinter dem steckt, was uns auferlegt wird; dass wir „wofür?" fragen und den Grund gerne erkennen würden, wenn wir uns bestraft fühlen - das muss uns niemand erst beibringen. Wir sind eine Frage und wissen nicht, welche Antwort zu uns passt. Und die Antworten, die man uns erzählt, überzeugen uns nicht immer. Wir sind das Schloss, zu dem der Schlüssel verloren gegangen ist. Wir sind der alte Baum, der seine Äste in den Himmel streckt. Ich kenne eine hochbetagte Frau, die früher wie eine Königin war, die regiert und dirigiert und bestimmt hat. Nun fragt sie nur noch: Wer bringt mich ins Zimmer? Und wer bringt mich ins Bett? Und wer kommt, wenn mir etwas weh tut in der Nacht? „Wir sind Bettler", hat Martin Luther gesagt. „Wir sind eine dreifache Frage", hat Paulus gezeigt.

Und da steht neben uns auf einmal der Ölbaum, tiefe, aber unsichtbare Wurzeln, ein rissiger Stamm, und die Zweige wie Fragezeichen in der Luft. Aber die Krone des alten Baumes leuchtet und flimmert im Licht.

Deswegen, glaube ich, ist der Ölbaum für uns ein tröstlicher Baum. Er wird zum Baum der Erkenntnis, indem er uns zeigt: Dass wir Gott nicht wie einen Besitz haben, dass wir nicht über ihn verfügen, das macht uns arm. Dass der Gott, den wir nicht haben, uns aber besucht und berührt und unsere Dunkelheit erhellt, das macht uns reich.

O, welch eine Tiefe des Reichtums, sagt Paulus. Er sagt es? Er singt es fast. Der Lobpreis kommt dem Singen ganz nah. Nun ist das Singen aber eine erstaunliche Form des Sagens. Weil da geschehen kann, dass wir das, was wir sagen, dann zugleich sind. Wenn wir mit Paulus von der wunderbaren Gottestiefe singen, dann ist der Baum der Erkenntnis nicht mehr äußerlich, sondern innerlich in uns. Töne wurzeln in der Tiefe unseres Leibes. Sie steigen auf durch den tönenden Stamm einer Luftsäule. Sie verlassen uns und vermischen sich mit der uns umgebenden Luft wie die Ölbaumblätter sich mit der Luft und dem Licht vermischen. Der Lobgesang macht uns zu einem klingenden Baum. Da singt sich fast von selber „Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter Baum und lass mich Wurzel treiben." Dass man darum aber bitten muss, zeigt jeder Atemzug. Wir müssen erst Luft kriegen, ehe wir singen können.

Wie das Singen eine erstaunliche Form des Sagens ist, so ist das Wachsen ist eine erstaunliche Form des Tuns. Wir kennen oft nur das Tun unter Druck, unter Zeitdruck oder unter Leistungsdruck oder unter Wettbewerbsdruck. Diesen Druck geben wir weiter. Darunter leidet die von uns bedrückte und bedrohte Natur, leiden die Bäume, die Wälder, die Luft, das Meer, nicht nur im Golf von Mexiko; wir selber leiden darunter. Beim Wachsen entsteht auch etwas Neues. Aber so wie Blüten und Früchte am Baum entstehen. Ohne Druck. Und so, dass es wie ein Wunder erscheint. Wie ein Geschenk. O, welch ein Reichtum wäre es für uns, wenn einmal nicht mehr nur die Konten der Wohlhabenden wachsen und die Menge der Waren, sondern Menschlichkeit und Toleranz! Wenn wir wachsen könnten wie ein Baum!

Das Singen - eine erstaunliche Form des Sagens, das Wachsen - eine erstaunliche Form des Tuns, und das Verstehen - eine erstaunliche Form des Denkens! Es ist ein behutsames Aneignen, gewaltfrei und zerstörungsarm. Wer verstehen will, greift ins Unbegriffene hinaus wie die Äste und Zweige in den Himmel greifen.

„Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!" Uns hat nun das Gottesgleichnis vom Ölbaum in seinen Bann gezogen. Es hat uns ihm angenähert: „dass ich dir werd ein guter Baum." Das ist uns ein rechter Trost. Es verändert nämlich unsere Situation so, dass das Göttliche uns nicht mehr fremd ist oder bedrohlich. Weil es durch uns hindurch geht. Und weil es dann für uns persönlich wahr wird: „Von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge." Und also auch wir selbst. Ja, ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.



Martin Schmid
Fellbach
E-Mail: Mado.Schmid@t-online.de

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