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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

Trinitatis, 30.05.2010

Predigt zu Römer 11:(32), 33- 36, verfasst von Gerda Altpeter

Denn Gott hat sie alle (die Juden) eingeschlossen in den Unglauben (Ungehorsam), damit sie alle Mitleid finden.
O, welche Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unerforschlich sind seine Beschlüsse (Urteile)
und unergründlich seine Wege!
Denn wer kennt den Sinn (Verstand) des Herrn?
Und wer ist sein (Mit)Berater geworden?
Oder wer hat ihm vorher etwas gegeben,
und es wird ihm vergolten (zurückgegeben) ?
Denn von ihm und durch ihn und zu ihm hin ist das Ganze.
Ihm (steht zu) ist die Ehre für immer. Amen.

Es geht gegen Abend. Adelheid kommt zur Kathedrale. Heute ist sie alt genug, um endlich aus dem Mädchenchor in den Bachchor zu wechseln.

Neben ihr taucht ein älterer Mann auf. „Ich singe im Bass mit," erklärt er. „Sie sind wohl die neue, die heute das erste mal dabei ist?" Er nimmt ihren Arm und führt sie zum Chor hinauf.

Dort sind schon fast 80 Leute versammelt. Die Stimmbildnerin fängt an mit einem Summen in tiefen Tönen. Dann geht sie immer höher. Adelheid kommt gut mit. Nach einer halben Stunde hört die Stimmbildung auf. Der Kantor bittet das Mädchen nach vorne. Er lässt sie ein einfaches Lied singen. Dann teilt er sie in den ersten Sopran ein. Eine junge Frau zieht sie neben sich. Die Blätter für das Weihnachtsoratorium werden ausgeteilt. Der Kantor erklärt, dass sie jetzt mit diesem Werk anfangen. Der junge Organist an  der Chororgel setzt ein. Dann erklingt es jubelnd durch die grosse Hallenkirche:

Jauchzet, frohlocket! Auf, preiset die Tage! Rühmet, was heute der Höchste getan. Lasset das Zagen, verbannet die Klage! Stimmet voll Jauchzen und Fröhlichkeit an!

Die junge Frau neben Adelheid singt so sicher und kräftig, dass sie gut mithalten kann. Sie ist glücklich. Sie möchte immer so weitersingen, Gottes Lob erscheint ihr so wunderbar. Und sie erinnert sich, wie sie vor Jahren gefragt worden ist von einem alten Lehrer, was der Sinn ihres Lebens sei. Sie hatte damals geantwortet: „Gott zu loben!"

Auf dem Heimweg begleitet sie wieder der Bassist. Er findet, dass sie nicht alleine durch die Altstadt gehen soll. In ihr klingt die jubelnde Melodie nach. Sie wird diesen Tag nie vergessen.

Der Predigttext für den heutigen Tag Trinitatis steht im Römerbrief Kapitel 11 Vers 33 - 36. Da endet Paulus mit einem herrlichen Lobpreis Gottes. Es klingt dort so wundervoll wie im Weihnachtsoratorium. Da berichtet Paulus erstaunt, was er erlebt hat. Er war Jude. Er gehörte zum Volk Gottes. Er wollte sich seine Gnade verdienen, alles tun, was seines Erachtens richtig war, was Gott doch freuen musste. Der fromme Mensch sollte doch etwas vorweisen, um vor dem Herrn bestehen zu können. So hatte Saulus, - denn er hiess nach dem ersten König Israels, - zuerst bei dem besten Lehrer Israels fleissig gelernt. Dann hatte er die Christen verfolgt, weil er sie für Ketzer hielt. Und dann hatte er Jesus selber erlebt. Da war er blind geworden, blind  mit den Augen und blind mit dem Herzen. Ananias war gekommen und hatte ihm das Augenlicht wiedergegeben, aber auch unterrichtet, so dass er erkannte, dass er falsch lag. Gott wollte keine Taten. Gott wollte nur, dass er seine Gnade in Jesus annahm.

Es ist schwer, ein Geschenk anzunehmen. Dann ist man nicht mehr gleich mit dem anderen. Jeder möchte mehr sein, oder zumindest so wie der andere. Wie viele seiner Zeitgenossen wollte er Gott ebenbürtig sein. Oder wollte er wirklich so sein wie Gott? Von jetzt an nannte er sich nicht mehr Saulus wie der erste König Israels. Von jetzt an nannte er sich Paulus, ein lateinischer Name, zu Deutsch „der Kleine", denn vor seinem Herrn war er klein.

Er begriff, dass er keinen Einblick hatte in Gottes Denken und Tun. Seine Weisheit und sein Reichtum waren zu gross für seinen Verstand. Das Handeln Gottes war unergründlich und  erstaunlich.

Als er seinen Brief an die Römer schreibt, denkt er an das, was Gott getan hat. Er hat sein auserwähltes Volk zurückgestellt, damit alle anderen teilhaben an der Erlösung. Wem wäre wohl so etwas in den Sinn gekommen?

So schreibt er an die Gemeinde in Rom:" O, welche Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Beschlüsse und unergründlich seine Wege! Denn wer kennt den Sinn des Herrn? Und wer ist sein Berater geworden?"

Paulus merkt, dass niemand Gott etwas geben kann, um etwas von ihm zurückzubekommen,  darum bricht er in das Lob aus:"Denn von ihm und durch ihn und zu ihm ist alles. Ihm ist die Ehre für immer."

Nun will ich die Geschichte von Adelheid weitererzählen.

Als sie nach-hause kommt begrüsst die Mutter sie mit strahlendem Lächeln. Sie erzählt begeistert von der ersten Probe des Weihnachtsoratoriums. Die Mutter klopft fünfmal auf den Tisch und summt dann die ersten Takte. Sie hat auch einmal im Chor mitgesungen. Sie teilt die Begeisterung ihrer Tochter.

Dann schenkt sie Wein ein und erzählt. Sie stammt aus einer jüdischen Familie. Sie ist in Essen gross geworden. 1933 fing sofort die Verfolgung an. Der Vater wurde im September 1944 abtransportiert. Sie wurde gewarnt und tauchte unter. Vorher schon waren die drei Brüder betroffen. Im Januar 1945 musste auch die Mutter fliehen.

Und doch kamen alle durch. Es waren viele, die ihnen geholfen haben; fromme Pfarrer, Ärzte und Kaufleute, aber auch Kriminelle, Gestapobeamte und Waffen SS Leute. Es war kaum zu fassen, wer alles mithalf, um die Familie zu retten.

Die Mutter schüttelt den Kopf. Unerforschlich sind die Wege Gottes. Er lässt es zu, dass seine Leute in Not kommen, aber er hilft ihnen  auch wieder heraus. Unergründlich sind seine Wege!

Das war schon immer so. Sie erzählt von der jüdischen Familie ihres Mannes. 1320 lebten sie in Portugal als Arzt und Rabbi.  Als die Mauren besiegt wurden und die Christen kamen mussten sie fliehen. Sie kamen nach Regensburg, aber auch dort wurden sie verfolgt, dann gingen sie nach Mainz und lernten den Buchdruck, aber sie mussten die Stadt 1462 verlassen. Sie flohen nach Oberitalien.  Sie druckten nicht nur Bücher sondern schrieben auch Kommentare. Ein Buch liegt in Madrid im Prado. Es ist ein Kommentar zum 5. Buch Mose. Auf der ersten Seite befindet sich das Wappen mit einem Raben auf einem Ölzweig, Zeichen von Weisheit und Frieden. Die Umschrift lautet: Abraham Menachem, Sohn des Jakob Hacohen. Unten heisst es: Rappa von Porto. Die Familie stammt also von Priestern ab, von Aaron. Von Oberitalien mussten sie auch fliehen und kamen nach  Peiskretscham bei Gleiwitz. Es gab dort um  1750 einen Rebbe Joseph. Sein Enkel war Müller in Gleiwitz. Das war mein Urgrossvater. Die Grossmutter liess sich mit allen Kindern taufen, als ihr Mann starb. Drei Söhne fielen im 1. Weltkrieg. Sie liebten Deutschland, aber als Hitler kam galt das nichts.

1945 kamen wir alle wieder zusammen, mehr oder weniger verletzt innerlich und äusserlich, aber wir lebten.

Da dankten wir Gott und lobten ihn. Wir gaben ihm die Ehre.Wie Paulus erklärten wir:

„Ihm ist die Ehre für immer!"

Wir alle kommen auf die eine oder andere Weise in Schwierigkeiten, vielleicht nicht so wie Paulus oder diese jüdisch-christliche Familie, aber es gibt immer wieder Ereignisse, die wir nicht meistern können. Da dürfen wir hoffen auf die unerforschlichen Beschlüsse Gottes, auf seine Weisheit und die Tiefe seiner Urteile. Er ist immer da, um uns zu helfen. Er begleitet uns mit seiner Liebe. Wir dürfen hoffen auf ihn. Wir dürfen seines Mitleids sicher sein. Wir dürfen ihn loben wie Paulus oder diese Familie:

„Denn von ihm und durch ihn  und zu ihm hin ist alles.

Ihm ist die Ehre für immer.

Amen



Dr. Gerda Altpeter
Susten (Schweiz)
E-Mail: gerda altpeter@bluewin.ch

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