Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 06.06.2010

Predigt zu 1. Johannes 4:9 ff., verfasst von Christine Hubka

Evangelium: Lk 16, 19 - 31 - Reicher Mann und armer Lazarus

Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts;
...
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; . ..
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.
Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.  Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. 1. Joh 4, 9 ff i.A.

Das Evangelium
vom reichen Mann und armen Lazarus
könnte die Überschrift tragen:
Die große Kluft.

Jesus erzählt von der großen Kluft,
die sich täglich zwischen Menschen auftut,
Dieser unüberbrückbare Abgrund -
das kann die Hölle sein, sagt er.
Und zwar für beide.
Für den Reichen Mann und für den armen Lazarus.
Für jeden anders.
Aber für jeden furchtbar.
Es ist eine ziemlich hoffnungslose Angelegenheit
Zwischen den beiden:

Es gibt keine Möglichkeit, keine Aktion, kein Rezept,
wie diese Kluft überbrückt werden kann,
erzählt Jesus.
Ähnlich illusionslos
schreibt Johannes in seinem Brief:

Ihr tut euch schon schwer,
den Bruder, die Schwester zu lieben,
die ihr seht.
Wie könnt ihr dann Gott lieben,
den ihr nicht seht.

Ich denke,
ich bin mit dieser Erfahrung nicht allein:
Je besser ich jemanden kennen lerne,
desto mehr Seiten sehe ich an ihm,
die ich nicht so angenehm finde.
Und bei manchen,
mit denen ich schnell per du geworden bin,
wünsche ich mir, es nicht getan zu haben.
Die große Kluft ist da -
nicht nur im Gleichnis vom Reichen Mann und armen Lazarus.

Ich meine:
Die große Kluft zwischen Menschen entsteht,
weil Menschen sich voreinander fürchten:

Der reiche Mann fürchtet sich vor Lazarus
und seinen Ansprüchen an ihn.
Ich stell mir den inneren Dialog des Reichen vor:

Wenn ich diesem Lazarus einen Bissen gebe,
will er sicher einen zweiten.
Und dann einen dritten.
Denn der Appetit kommt bekanntlich beim Essen.
Wer weiß,
ob er dann nicht immer mehr fordert.
Wer weiß,
ob er dann nicht eines Tages
mit mir an einem Tisch sitzen will.
Gleichberechtigt. Gleichwertig.
Wer den Anfängen wehrt,
muss hinterher nicht den Schaden begrenzen.

Und dazu kommt noch die Angst,
was andere sagen und denken werden:
Ich beobachte,
dass manche dringend notwendingen Dinge
nicht getan werden,
dass längst fällige Worte nicht gesagt wird,
aus Angst,
was die Leute dazu sagen werden.

Wieder stelle ich mir
die Gedanken des reichen Mannes vor:
Wie wird meine Frau reagieren und der Schwiegervater.
Was werden meine Freunde sagen.
Was werden die Nachbarn reden.
Die Kollegen. Die Leute im Ort.
Wenn sie diesen Lazarus in meinem Haus sehen.
Wird das meinen Kindern schaden?
Das Geschäft mit dem berühmten Partner stören?
Mein Ansehen trüben?
Die Chancen auf Wiederwahl
in den Vereinsvorstand zunichte machen...?

Überlegt zu wem ihr in innerer Distanz steht:
Ist es nur einer? Nur  eine?
Oder sind es mehrere?
Menschen, die anders ticken.
Anders herum denken.
Ganz anders fühlen.
Anders reagieren.
Andere Ziele verfolgen.
Eine andere Sprache sprechen -
obwohl auch sie deutsch reden.
Das wäre dann viel schwieriger
als  bei dem Reichen Mann,
der sich nur mit einem auseinander setzen muss.

Bei jeder Begegnung die Kluft zu spüren,
das kann weh tun.
Selbst wenn es zur Gewohnheit wird.

Ich habe die Appelle im Ohr,
die an Festtagen laut werden,
von gewichtigen und gutmeinenden Menschen verbreitet.
Sie rufen auf, die Kluft zu überbrücken:

Seid solidarisch!
Habt Verständnis!.
Nehmt euch Zeit!
Helft den Armen!
Geht aufeinander zu!
Reich euch die Hand!
Schließt Frieden!

Aber ich habe noch nie erlebt,
dass so ein Appell die Kluft überbrückt hätte.
Auch Abraham im Gleichnis
scheint von Appellen wenig zu erwarten.
Als der Reiche ihn bittet:
"Schick Lazarus zurück  auf die Erde
damit er an meine Brüder appelliert,
dass sie es besser machen als ich."
Antwortet Abraham recht kühl:
"Hören sie Moses und die Propheten nicht,
so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen,
wenn jemand von den Toten auferstünde
und an sie appelliert."

Wenn es um die große Kluft geht,
finden wir in der Bibel keine Appelle,
dass wir die Kluft überbrücken sollen.

Die Bibel erzählt,
dass Gott selber die Kluft überbrückt.
Zuerst die große Kluft
zwischen Gott und den Menschen.
Dann auch die Kluft zwischen den Menschen.

Darin besteht die Liebe:
nicht dass wir Gott geliebt haben,
sondern dass er uns geliebt hat.

Immer wenn man das Wort Liebe in der Bibel liest,
kann man es übersetzen mit:
Willkommen heißen.
Darin besteht die Liebe:
nicht dass wir Gott willkommen geheißen haben,
sondern dass er uns bei sich und in seiner Welt
willkommen geheißen hat.

Ganz gleich, wo du hingehest,
ganz gleich, wem du begegnest,
du bist bereits willkommen und geliebt.
Du bist geachtet und gewürdigt.
Von Gott gewürdigt auf dieser schönen Welt zu leben.
Von ihm als sein Geschöpf geachtet.

Wo Gott Menschen willkommen heißt,
nimmt er auch die Angst, schreibt Johannes:
Furcht ist nicht in der Liebe,
sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.
! Gottes vollkommene Liebe!

Immer noch geht es um die Beziehung
zwischen Gott und uns Menschen:
Fragt eure Erfahrung, ob es stimmt,
was Johannes schreibt:

Wem vertraut ihr das an,
was ihr nicht laut auszusprechen wagt?
Wem bekennt ihr eure Schuld?
Wem sagt ihr in schlaflosen Stunden
eure geheimsten Hoffnungen und Wünsche?

Darin besteht die Liebe:
...
dass Gott uns bei sich und in seiner Welt
willkommen geheißen hat und täglich willkommen heißt.

Und weil Gott weiß,
dass wir uns sehnen nach Gemeinschaft untereinander,
hat er auch Brücken gebaut über die Kluft,
die zwischen uns Menschen liegt:

Er hat uns Worte gegeben,
die selbst Menschen verschiedener Sprachen verbinden:
Wie wir heute hier das Vaterunser beten,
tun das Menschen in den verschiedensten Kirchen
in allen Sprachen der Welt.
Gleichzeitig, an einem Tag.
In dem einen Glauben.

Den Psalm, den wir gebetet haben,
beten Menschen rund um den Erdball -
jeweils in ihrer Sprache.
Nicht nur Christinnen und Christen,
sondern auch Jüdinnen und Juden.
Die Heilige Schrift, die wir lesen,
lesen Gebildete und Ungebildete.
Reiche und Arme.
Und so wie wir, bemühen sie sich,
die Worte zu verstehen
und danach zu leben.

Wenn ich im Urlaub
weit weg von zu Hause in den Gottesdienst gehe,
berührt es mich immer wieder,
dass trotz der fremden Menschen,
trotz der fremden Umgebung,
trotz der fremden Sprache
ich mich den Menschen dort verbunden fühle.

Die Kluft ist überwunden -
seit jenem Freitag auf Golgatha.

Noch einmal: Lieben im biblischen Sinn
bedeutet: willkommen heißen.
Willkommen sein bei Gott
und in der Gemeinde.

Das bedeutet nicht,
dass alle immer einer Meinung sein müssen.
Es braucht keine Überwindung,
den nun endlich doch zu lieben,
der mich seit langem nervt.

Zum lieben im biblischen Sinn gehört ganz einfach,
den anderen willkommen heißen.
Ihm den Raum zugestehen,
den Gott ihm zugesagt hat.
Den Raum
vor Gott, auf dieser Erde und in der Kirche.

Lob sei Gott in Ewigkeit.



Pfarrerin i.R. Dr. Christine Hubka
Wien
E-Mail: christine.hubka@gmx.at

(zurück zum Seitenanfang)