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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

1. Sonntag nach Trinitatis, 06.06.2010

Predigt zu Lukas 12:13-21, verfasst von Claus Oldenburg

Wenn man häufiger Kirchgänger und mit der kirchlichen Tradition so einigermaßen vertraut ist, dann wird man unweigerlich den weitgehenden Stilwandel in den Predigttexten für die Zeit bis Pfingsten und dann für die Trinitatiszeit, bemerken. Vor allem zwischen Ostern und Pfingsten sind die Texte sehr geistvoll und bewegen sich in höheren Sphären, sie enthalten nicht so viel Handgreifliches, während die Texte nach Pfingsten recht irdisch und konkret sind.

            Das Gesagte gilt nicht zuletzt vom ersten Sonntag der Trinititatiszeit, also vom heutigen Sonntag, der sich auf Konsum, Geld und gewöhnlichen Materialismus konzentriert. An den kommenden Sonntagen ändert sich selbstverständlich die Thematik, aber das ganze ist eigentlich sehr konkret und erdnah bis hin zur Adventszeit.

            Mit diesen Gedanken möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Zug am Wiederholungsrhythmus des Kirchenjahres lenken. Denn betrachtet man das Kirchenjahr unter dem Blickwinkel des Glaubensbekenntnisses, dann ist der 1. Artikel, der vom Glauben an Gott, den Vater, als den Schöpfer und Bewahrer handelt, als Voraussetzung sowohl für die sichtbare als auch für die unsichtbare Welt verstanden.

            Die physische Gegenwart dieser Voraussetzung ist im 2. und 3. Artikel des Glaubenbekenntnisses geschildert. Der 2. Artikel handelt vom Glauben an Gottes Sohn, und um den Inhalt dieses Gegenstandes des Glaubens kreisen alle Texte vom Advent an über Weihnachten und weiter durch die Periode der Heiligen Drei Könige, die Fastenzeit und mit dem dramatischen Höhepunkt der Osterereignisse. In der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten geht es systematisch um diesen Teil der physischen Gegenwart der Gottheit, um schließlich zu Pfingsten dessen Stellvertreter Platz zu machen, dem dritten Teil der Gottheit, den Heiligen Geist.

            Mit Gott als der Voraussetzung und mit Seiner Inkarnation in einem bestimmten Menschen in Zeit und Raum ist nun das Tor geöffnet für die dritte Person der Gottheit, die Gegenwart des Geistes. Die Dreieinigkeit Gottes ist somit innerhalb des Wiederholungsrhythmus' des Kirchenjahres gebildet.

            Und nun kommt die Preisfrage: Was ist die physische Gegenwart des Geistes Gottes im Leben dieser Welt und unserem Leben?

            Wenn ich ganz kurz antworten soll, dann geht es darum, wahr über die Welt zu reden. Aber das stellt dafür auch große Anforderungen, denn versteht sich der Mensch im Bund mit der Gegenwart Gottes, dann muss er sich einer Forderung nach sowohl intellektueller als auch gefühlsmäßiger Redlichkeit stellen. Im Blick auf die intellektuelle Redlichkeit lässt sich gewiss auf dem Boden des Drangs des Verstandes nach Dominanz rational argumentieren und logisch begründen - weitaus schwieriger verhält es sich bei der gefühlsmäßigen Bonität, sie lässt sich nämlich nicht durch Argumente hervorbringen, und sie lässt sich de facto auch nicht begründen, da sie ja ihren Sitz im Innern hat. Sie ist nämlich etwas, was man merkt, und das, was Menschen merken, hat denselben Schwingungstakt wie die Unterscheidung von Gut und Böse, Richtig und Falsch, wahr und verlogen. Man merkt sozusagen das ganze, und oft hat man gar keine Worte für diese Art Registrierung der Wirklichkeit bereit, die ihrem Wesen nach als irrational zu charakterisieren und die ebenso wirklich ist wie das Rationale. Sie ist nur außer Kontrolle - oder sie ist unkontrollierbar, was ja das Lebendige selbst ist.

            Unter diesem Aspekt betrachtet ist es die Aufgabe von heute, redlich über das Thema dieses Tages zu sprechen, welches ist ... Und hier bin ich bereits unsicher, denn die Thematik scheint unmittelbar völlig klar zu sein. Es geht um Konsum, Geld und Materialismus, und schon hier wird der Prediger versucht sein, einen moralischen Tonfall anzuschlagen, der die Verachtung jedenfalls des Überverbrauchs, des Gottes des Geldes namens Mammon und des Materialismus, generell verstanden als ungeistig und deshalb auf eine moralisch niedrigeren Ebene gestellt, widerspiegeln würde.

            Dann würde die Redlichkeit schnell flöten gehen, denn dann weiß man es besser und richtiger und wahrer, als sein Mitmensch es weiß, und die nächste Stufe auf dieser Leiter würde die Scheinheiligkeit sein - und damit wäre dann jede Hoffnung auf Wahrheit erstmal erloschen.

Wenn wir also die erste Textreihe (für die Sonntage der Jahre mit ungeraden Jahreszahlen) nehmen, dann ist es die Geschichte vom reichen Mann und Lazarus, in der man sicherlich eine Menge sozialer Empörung aus dem Unterschied zwischen den luxuriösen Lebenumständen des reichen Mannes und den unglücklichen Umständen des armen Lazaraus gewinnen kann. Aber die theologische - und geistige - Pointe liegt nach meinem Dafürhalten ganz woanders, nämlich in der konkreten Abrechnung mit den goldenen Bergen in diesem Leben, vergolten mit Feuer und Schwefel im nächsten Leben - und umgekehrt. Dies ist der einzige neutestamentliche Text, der durchaus konsequent mit einer effektiven und im Grunde genommen unerträglichen Gerechtigkeit arbeitet. Denn keiner von denen, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen, scheint etwas Besonders oder Unbesonderes getan zu haben. Sie folgen eben einfach ihren Umständen, und über den reichen Mann kann man doch sagen, dass er an seine Brüder denkt, die das muntere und bedenkenlose Leben mit einem neuen Lazarus vor ihrer Tür fortsetzen. Er betet geradezu für ihr Schicksal, auch wenn er selbst in dieser heißen Hölle seine Oberklassemanieren nicht völlig ablegen kann, während Vater Abraham, der Urvater des Menschengeschlechts, mit einer gewissen himmlischen Kühle antwortet.

            Die Auffassung von Gerechtigkeit ist in diesem Text äußerst radikal und damit auch in ihrem Wesen unmenschlich. Denn wenn auch die "Erfüllung der Gerechtigkeit" als Begriff und Sehnsucht sehr anziehend ist, möchte ich doch meinen, dass eine derartig starke Abrechnung zwischen dieser Welt und der nächsten weder im der Region des Kopfes noch in der des Inneren ordentlich durchdacht ist. Denn soll die Gerechtigkeit erfüllt werden, verläuft alles nach einem fatalistischen Schema, wonach der Mensch schlechterdings nichts anderes tun kann noch will, als sich abzufinden - eben mit den Umständen. Der Refrain ist dann "wenn Gott will" oder auf arabisch "inch' Allah", denn du kannst überhaupt nichts bewegen geschweige denn "das Recht beugen", das dann unerbittlich wäre, und eben darin besteht das Unmenschliche.

            Deshalb macht es einen Unterschied, ob man sagt, dies "ist" Schicksal oder "dies wird Schicksal". Denn wenn etwas Schicksal "ist", kann man nichts machen, wenn aber etwas Schicksal "sein wird", geht es um eine Konsequenz, in die man Einsicht haben und auf die man reagieren kann. Denn der Mensch sollte Einfluss darauf haben, was sein Schicksal werden könnte. Wir sind doch Mitarbeiter an unserem eigenen Leben, aber wir müssen auch einen Gegen- und Mitspieler haben, und Seinen Namen kennen wir.

Es ist wohl an der Zeit, dass ich den heutigen Text über den reichen Kornbauern kommentiere, und zwar unter dem Aspekt, den ich bereits angegeben habe.

            Geht es in dem Text um Konsum, Geld und Materialismus? Nur oberflächlich oder nur dem Schein nach. Denn es kann kaum etwas daran verkehrt sein, dass mein eine gute Ernte einfährt, geschweige denn, dass man sich eine großzügige Pension verschafft. Das Bibelwort: "habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut!" passt ausgezeichnet in die modernen Pensionsreklamen, denn sie triefen von "Geborgenheit", "Sattheit" und "Zufriedenheit". Und es ist wohl auch ausschließlich das, was der reiche Bauer sagt, wenn nun "alle gute Gabe / kommt her von Gott dem Herrn", mit einem Vers aus einem berühmten dänischen Kirchenlied. Er scheint sich völlig im Klaren, dass er nichts besonderes getan hat; er hat nur ein praktisches Problem des Überschusses, das er lösen muss, und er zieht die persönliche Konsequenz, die vielleicht etwas bequem anmuten mag, aber man muss wohl eine Art geistiger Dickkopf sein, wenn man ihm das verdenken will. Er hat es doch nur gut gemacht, und das Gute von oben hat sein Dasein verschönt, warum soll er also nicht "essen und trinken und guten Mutes sein"?

            Warum soll man ihm "an den Wagen fahren"          - um es umgangssprachlich zu sagen? Denn genau dies geschieht mit ihm, und der Sensenmann steht bereits im Schlafzimmer und tut seine stumme Pflicht, diese Totenfigur, die in der Mythologie des Volkes einen trockenen und traurigen Beamtencharakter besitzt. Er tut bloß, was er zu tun hat, und er tut es ohne Ansehen der Person. Und der Bauer muss mitgehen.

            Wenn das Gerechtigkeit ist, dann muss ich zugeben, dass ich ungefähr genauso ernüchtert bin wie im Fall mit dem reichen Mann und Lazarus. Denn wenn der Bauer nicht so denken und handeln darf, dann ist die Gerechtigkeit eine Härte, die völlig unmenschlich wäre.

            Aber der springende Punkt der Geschichte ist sicherlich die kurze Anrede "Du Narr!" Du, Bauer, bist kurz gesagt ein Riesenidiot.

            Worin besteht die Idiotie - oder die Torheit?

            Sie besteht in dem außerordentlich menschlichen Zug, zu glauben, man könnte mit irgendetwas rechnen, könnte sicher sein - und mehr noch: man hätte Durchblick! Es ist das Gefühl der Sicherheit bezüglich der Zukunft und das Gefühl, etwas in Bezug auf sie arrangieren zu können, das hier angegriffen wird.

            Aber der Angriff ist nicht unbedingt logisch. Nicht das Geringste in der Geschichte deutet darauf hin, dass man auch nur mit einem Anflug von Berechtigung sagen könnte, der Bauer hätte es "verdient" - mit Ausnahme der Bequemlichkeit, und sie kann an sich nicht als strafbar gelten.

            Worum geht es also? Es geht um die simple Erfahrung, dass "alles anders kommt, als man denkt", was ich natürlich von Thomas Mann habe. Es geht um diese einfache Erfahrung, dass man als Mensch die Wirklichkeit nicht beherrschen kann, sondern dass sie  an mir und an dir etwas tut - oder so manches tut. Und alle moralischen Argumente prallen an dieser Wirklichkeit ab.

            Es ist die Rede von einem Widerstand gegen die menschliche Energie im Namen des Daseins, und diesen Widerstand möchte ich in dem mystisch-religiösen Universum, in dem ich mich bewege, Gott nennen - Gott den Allmächtigen.

            Denn die Schöpfung und ihre Aufrechterhaltung ist uns vorenthalten.

            Aber zu Gottes Menschlichkeit können wir uns verhalten, denn da weint der reiche Bauer und fragt, ob er dies verdient habe? Die Antwort wird ein Nein sein, aber alles kommt anders, als man denkt.

            Und der Geist Gottes ist dann auch der energische Versuch des Menschengeistes, mit den Spielsteinen, die das verletzbare und tiefsinnige Lego dieses Lebens definieren - und dabei denke ich an das Spiel, das wir mit unseren Kindern und mit der Welt spielen. Denn sie gleichen einander.

            Es bleiben für mich zwei Ausdrücke, die sowohl im Gottesverhältnis als auch im Verhältnis zu Menschen - am anschaulichsten in der Trauformel - ihre Gültigkeit haben: willst du ehren und lieben?

            Die Liebe ist die Abhängigkeit. Die Ehre ist der Respekt.

            Wenn diese beiden Aspekte ein Paar bilden, existiert der Mensch in der Welt. Und Gott existiert.

            Gemeinsam teilen wir nicht die Gerechtigkeit, denn sie weiß sich sicher. Aber wir können das Gefühl teilen, denn das weiß sich unsicher - und ist aus diesem Grund suchend und hoffend.

Amen



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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