Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

2. Sonntag nach Trinitatis, 13.06.2010

Predigt zu Lukas 14:25-35, verfasst von Ole Juul Hansen

"Könnt ihr das Geschäft weiter so am Laufen halten?"

            So hörte ich es neulich, aus dem Munde eines Menschen, der zwar Mitglied der Volkskirche ist, der dies aber nicht als eine gemeinsame Verantwortung auffasst. Deshalb sagte er "ihr".

            "Könnt ihr das Geschäft weiter so am Laufen halten?"

            "Kommen Kunden in den Laden?"

            Wie es gekommen ist, dass sich in der Kirche, in dieser volklichen Gemeinschaft, die die Volkskirche darstellt, ein solcher Krämergeist breitgemacht hat, weiß ich nicht. Aber so sieht für manche Menschen aus. Nach ihrer Auffassung sind wir Pastoren Geschäftsleute, wir führen das Geschäft, wir halten am Laufen, und solange Kunden in den Laden kommen, läuft es.

            Nun bin ich mir nicht sicher, wie man die Zahl sogenannter Kunden feststellen soll.  

Sind es Leute, die ihr Kind taufen lassen wollen, dann ist es sicherlich in Ordnung, dann haben wir  eigentlich genügend Kunden im Laden. Entsprechendes gilt von Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen, Beisetzungen. Wenn es aber um die Zahl derer geht, die sich sonntags in die Kirche setzen, um dem Gottesdienst beizuwohnen und an ihm teilzuhaben, und die dann danach draußen Zeugnis davon ablegen, dass das der Kitt in der volklichen Gemeinschaft ist, ja, dann ist die Anzahl vielleicht dort gelandet, wo ein weitsichtiger Kaufmann überlegen würde, ob er seinen Laden nicht besser zumachen sollte.

            Als Gebäude, als das älteste Haus in der Gemeinde wird die Kirche gewiss stehen bleiben, denn die Mittel für die Beibehaltung und eine ordenltiche Instandhaltung fehlen uns nicht. Aber als Gemeinschaft ist sie hier nur deshalb, weil einige Menschen die Gemeinschaft wollen und wie in einer Versammlung zu sagen wagen, warum die Gemeinschaft etwas bedeutet. Als Gemeinschaft ist sie hier nur deshalb, weil einige Menschen das Salz zu sein wagen und es sein wollen und weil sie den Willen haben, in der Gemeinschaft draußen ihren Mund aufzumachen.

            Denn Christentum und christlicher Glaube ist gelebtes Leben. Christentum und christlicher Glaube heißt nicht, sich zurückzulehnen und zu mummeln: es wird schon gehen. Nein, christlicher Glaube und Christentum heißt, zu bezeugen, dass die Erzählung von hier drinnen, dass die Tradition, die von hier drinnen ausgeht, dass dies alles draußen seine Bedeutung hat. Christlicher Glaube und Christentum heißt, zu bezeugen, dass die kirchliche Gemeinschaft von hier drinnen lebendig und sichtbar zu sein hat, damit eine volkliche Gemeinschaft dort draußen gelingen kann.

            Und was bekommen wir nun zu hören in der kirchlichen Gemeinschaft, die heute dadurch konstituiert ist, dass wir heute Gottesdienst haben? Wir hören, dass es uns gegeben ist, Kirche zu sein. Dass Gott uns will und uns brauchen will. Und das ist ein Geschenk ohnegleichen. Wir sind, wie Paulus einmal schreibt, "Gottes Heilige, Geliebte und Auserwählte". Oder wie Grundtvig es später sagte "Himmelslichter, wenn auch klein". Es ist uns anvertraut, und es ist ein Geschenk. Wir tragen den Schatz. Und obgleich wir ihn in einem irdenen Gefäß haben, in einem zerbrechlichen Herzen, in einem oft schwankenden Glauben, so sind wir es doch, du und ich. Es wurde uns in und mit der Taufe anvertraut, denn "aus der Taufe gekrochen" sind wir, wie Luther (in der Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation" von 1520) gesagt hat, "Priester, Bischof und Papst".

            Das Evangelium von heute ist, dass uns die Verantwortung anvertraut ist, Kirche zu sein. Das Evangelium von heute ist, dass wir zu etwas nütze sind. Das Evangelium von heute ist, dass es uns anvertraut ist, Zeugen zu sein.

            "Kommen Kunden in den Laden?"

            Oder man könnte die Frage auch so stellen: Gibt es Leute in der Gemeinschaft, die dort draußen weitererzählen, also bezeugen, dass das Haus tatsächlich noch immer in Betrieb ist, dass das Geschäft läuft. Das ist doch das Entscheidende. Aber ich kann euch dann als Geschäftsmann in mehr als 30 Jahren damit beruhigen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die das Salz sind, dass es tatsächlich Menschen gibt, die es auf sich genommen haben, Zeugen zu sein, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und wissen, wann und wo sie zu handeln haben. Es sind nicht die Menschen, die sich mit lauter Stimme bemerkbar machen und die sonst normalerweise in der Gemeinschaft den Ton angeben. Nein, es sind die Stillen in der Gemeinschaft. Es sind diejenigen, für die es nicht nur persönliche Bedeutung hat, sondern für die es auch mit Verwantwortung und Verpflichtung zu tun hat. Deshalb haben wir heute eine Kirche, und deshalb glaube ich unerschütterlich daran, das wir sie auch morgen haben werden.

            Und jetzt kann es sein, dass der aufmerksame Leser und Hörer des heutigen Evangeliums bei sich denkt: Das ist alles gut und schön, Pastor, aber du hast etwas vergessen. Denn was steht da eigentlich im Text, was haben wir eigentlich gehört? "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein." Hasst" steht da! Das kann doch nicht wahr sein?  Es kann doch nicht wahr sein, dass wir, um Zeugen des Christentums und des christlichen Glaubens zu sein, all das hassen sollen, womit wir in Liebe und Gemeinschaft verbunden sind, Vater, Mutter, Frau, Mann, Kinder, Brüder, Schwestern, ja sogar uns selbst. Wenn das stimmt und wörtlich zu nehmen ist, ja, dann können wir genauso gut den Laden zumachen, denn wer wollte da einkaufen, oder wer will die Worte ernst nehmen, wer will sie hören und sich danach richten? Das will niemand.

            Nein, und es gibt auch niemanden, der das tun soll. Wenn Jesus vom Hassen spricht, dann bedeutet das "verzichten". Und sein Wort war damals an die Wenigen gerichtet, die er sich auserwählt hatte, damit sie die Botschaft vom Heil Gottes und der Vergebung der Sünden den Vielen überbrächten. Für sie war es eine Wahl. Für sie bedeutete es Verzicht. Für sie bedeutete es, dass sie Haus und Hof verlassen mussten, dass sie alles Sichere verlassen mussten, dass sie in die Welt hinausziehen und im tiefsten Sinne des Wortes Kirche bauen mussten. Und sie taten es. Sie verzichteten, wie sie ihren Meister hatten verzichten gesehen, zuletzt auf sein eigenes Leben. Deshalb haben wir Kirche. Deshalb ist Betrieb in unserem Laden. Deshalb können wir das Geschäft am Laufen halten. Nicht mit eigener Hilfe, nicht durch eigene Einsicht, nicht aus eigener Kraft, sondern weil andere vor uns Verzicht geleistet haben und in die Welt hinausgezogen sind. Und weil der Geist Gottes mit ihnen war und ihnen Mut gab, und Kraft und Phantasie, damit es gelang. Das ist das Evangelium, das ist die gute Botschaft.

            Wir sollen nicht auf dieselbe Weise Verzicht leisten. Sondern wir sollen das Salz sein. Nicht das Salz in der Wunde, das brennt, sondern das Salz, das das Fleich frisch hält. Denn das Christentum, das wir übernommen haben, die Kirche, in die und für die wir getauft worden sind, ist keine Privatangelegenheit.

            Sie ist gelebtes Leben.

            Christentum und Kirche ist, wie wir unser Leben miteinander leben. Christentum und Kirche ist, wie wir mit unseren Nachbarn leben. Christentum und Kirche ist, wie wir unsere Kinder erziehen und aufklären. Christentum und Kirche ist, wie wir Schule halten. Christentum und Kirche ist, wie wir die Schwächsten in unserer Gemeinschaft behandeln. Ja, Christentum und Kirche ist hier und jetzt. Und es kommt nicht von selbst. Und dann bedeutet Verzicht üben, dass du und ich auf den Gedanken verzichten, dass alles schon gut gehen wird, dass es von selbst kommt. Es kommt nicht von selbst, nein, es kommt, wenn du und ich das Geschenk annehmen, das darin besteht, Kirche zu sein, das Salz zu sein.

            Und wenn wir denn im Hassbild bleiben wollen, dann ist nur eines zu sagen: wenn es dir und mir anvertraut worden ist, dann war und ist es eine Folge des Großmuts unseres HERRN, dann ist es sein "Hassgeschenk" für dich und mich. "Hassgeschenk" ist sonst ein Ausdruck, den wir anwenden, wenn wir ein Geschenk bekommen oder geben, das nicht zu gebrauchen ist oder das den Empfänger "auf den Arm nimmt". Der Herr nimmt uns nicht auf den Arm. Im Gegenteil, er nimmt uns mehr als ernst. Er gibt uns dann mehr, als wir verdient hatten. Uns, den "vielleicht Geeigneten" (wörtliche Übersetzung des dänischen Originaltitels von Peter Høegs Roman Der Plan von der Abschaffung des Dunkels), den Durchfallern, den Mauerblümchen, den schwächsten Gliedern ist es anvertraut worden, Kirche zu sein. Welch ein Zutrauen, welche ein Ritterschlag. Ja, und den Ritterschlag hast du in deiner Taufe empfangen. Ja, du bist geadelt, und Adel verpflichtet.

Amen 



Pastor Ole Juul Hansen
Hadsten (Dänemark)
E-Mail: ole-juul@post.tele.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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