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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 27.06.2010

Predigt zu Römer 14:10-13, verfasst von Winfried Klotz

10 Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie? Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden.

11 In den Heiligen Schriften heißt es ja: »So gewiss ich, der Herr, lebe: Alle werden vor mir auf die Knie fallen, alle werden Gott die Ehre geben.«

12 So wird also jeder einzelne von uns sich für sein eigenes Tun verantworten müssen.

13 Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann. (Gute Nachricht Bibel)

Liebe Gemeinde!

„Da ist doch ständig Streit", sagten vor einiger Zeit jüngere Christen im Blick auf ihre Gemeinde. Ob sie recht haben, weiß ich nicht. Jedenfalls hat sich bei ihnen dieser Eindruck verfestigt; „die haben ständig Streit miteinander!" Streit, der zermürbt, der die Gemeinschaft stört, der die Freude daran nimmt, dem anderen zu begegnen und miteinander Gottesdienst zu feiern. Das war nicht im Sinn guter Streitkultur gemeint, die voranbringt und die Beziehungen verbessert. Sondern da ist offensichtlich Sand im Getriebe.

Streit in der Gemeinde, was steckt dahinter? Und was sind die Folgen? Sollen wir versuchen, Streit zu vermeiden und den Mund halten, wenn uns etwas stört? Führt das nicht zu einem unehrlichen Miteinander? Müssen wir nicht um der Einheit der Gemeinde willen verschiedene Meinungen und Lebensstile solange diskutieren, bis ein Konsens erreicht wird? Was, wenn das nicht gelingt? Bleibt dann nur die Trennung wegen unüberbrückbarer Verschiedenheiten in Leben und Überzeugung?

Paulus kennt die Not des Streitens in den Gemeinden. Aus Rom hat er durch Freunde die Information bekommen, dass in den dortigen Hausgemeinden die zentrifugalen Kräfte zunehmen. Christen dividieren sich auseinander, schon wird es schwierig, miteinander Tischgemeinschaft zu halten und Gottesdienst zu feiern. Das darf nicht sein!

Glaubensstarke Christen in den römischen Gemeinden haben kein Problem Fleisch zu essen und Wein zu trinken, auch wenn diese von einem Opferfest in einem heidnischen Tempel stammen. Warum auch nicht? Jesus ist doch Herr aller Herren, heidnische Götter können denen, die zu Jesus gehören, nichts anhaben. Und koscher im jüdischen Sinn muss das Fleisch auch nicht sein, wer durch das Opfer von Jesus am Kreuz von seinen Sünden gereinigt ist, braucht keine äußere, rituelle Reinheit, um zu Gott kommen zu dürfen. Paulus selbst hat diese Überzeugung.

Aber dann gibt es auch Christen in den römischen Hausgemeinden, die jüdisch waren oder sich dem jüdischen Lebensstil angepasst hatten. Für viele von ihnen war es unmöglich, Fleisch zu essen, dessen Herkunft unklar war oder das aus einem heidnischen Tempel stammte. Schwierig war für sie auch, dass andere Christen über ihren Festkalender lächelten und vielleicht dem Sabbat oder auch dem ersten Tag der Woche als Tag der Auferstehung Jesu keinen besondern Rang einräumten. Paulus nennt diese Christen die im Glauben Schwachen. Sie hätten sich wahrscheinlich selbst so nicht eingeschätzt. Aber Kennzeichen der Schwachen ist, dass sie enge Grenzen ziehen bei Essen und Trinken, Fest- und Feiertagen und in ihrem Gewissen schnell verletzt und angefochten sind, wenn Mitchristen hier eine große Freiheit haben; die Starken lassen sich- aus gutem Grund- in den genannten Fragen nicht anfechten.

Was passiert jetzt in den Gemeinden? Es gibt Streit, Meinung steht gegen Meinung, offen oder versteckt verurteilt der Schwache den Starken, der wiederum mit Verachtung reagiert. Und das trotz der gemeinsamen Glaubensüberzeugung. Das Trennende in Fragen der Lebensführung, auch der geistlichen Lebensgestaltung, wird wichtiger als die gemeinsame Basis im Vertrauen auf Jesus Christus und in der Erfahrung des neuen Lebens im Heiligen Geist. Im Vorteil sind jetzt scheinbar die, die argumentieren können, ganz abgesehen von dem, was richtig und gut ist. Aber was ist denn richtig und gut?

Wenn ich Paulus recht verstehe, dann findet er weder den Weg alles auszudiskutieren, noch das zur Trennung führende Richten und Verachten gut. Verurteilen und verachten setzen einen überlegenen Standort, setzen die Autorität des Richters voraus. Gott aber allein ist der Richter, vor Ihm allein müssen alle Rechenschaft ablegen. „Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden", sagt Paulus. (V. 10b)

Christinnen und Christen stehen sich als Schwestern und Brüder auf Augenhöhe in der Gemeinde gegenüber, den überlegenen Richterstuhl hat nur Gott selbst inne. Und nicht nur das: Wer mehr kann und weiß, soll der Gemeinde damit dienen, nicht sie umbiegen oder auf sein Maß strecken oder kürzen. Auch eine sogenannte Sachautorität berechtigt nicht dazu, seine Vorstellungen einfach durchzusetzen. Gibt es unter Christinnen und Christen noch einen Weg, der Jesus entspricht, einen Weg der echten, ungeheuchelten und unaufdringlichen Demut?

Streit unter Christen, Streit in der Gemeinde, um was geht es, wenn wir miteinander streiten? Geht es darum Irrlehre von rechter Lehre zu scheiden, dann helfen nur Gebet und Bekenntnis des Glaubens. Das kann in der Tat zur Trennung führen. Aber Bekenntnis will vom Grund her nicht scheiden, sondern verbinden. Bekenntnis ist eine geduldige Sache und braucht viel Mut. Es geschieht nicht überlegen, sondern im Suchen und Fragen, es geschieht in Liebe und mit der Bereitschaft um Jesu willen zu leiden.

Mein Eindruck ist, dass es beim Streit unter Christen sehr oft nicht ums Bekenntnis zu Jesus Christus geht, sondern um Geschmacks- und Stilfragen. Um Besserwisserei und Wichtigtuerei; ich muss mich einmischen und eine kritische Position beziehen, um mich im Netzwerk zu behaupten. Um Traditionen: alles, was mehr als zweimal in einer bestimmten Weise geschehen ist, war schon immer so und hat deshalb Anspruch auf Fortsetzung. Und um gestörte Beziehungen zwischen Menschen, die aber an Sachthemen ausgetragen werden. Schwierig ist, dass bei vielen Konflikten unterschwellig die Machtfrage bestimmt. Mal demokratisch legitimiert mal nicht, geht es um die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen. Ob es gut ist, ob es Jesus entspricht, ob der Weg zum Ziel sein Weg ist, diese Fragen treten in den Hintergrund. Ich will mich behaupten, das ist das Motiv in der Tiefenschicht des Konflikts. Es wird viel um Sachthemen gestritten, aber die Sache ist nur Vehikel für eine tiefer liegende Störung.

Was ist gut, was entspricht Jesus, welcher Weg ist sein Weg, wenn Christen in der Gemeinde sich streiten? Sei es wie in Rom um gottgefälliges Essen und Trinken oder fürs geistliche Leben nötige Feiertage? Oder heute um die Gestaltung des Gottesdienstes, - Sitzenbleiben oder Aufstehen zum Fürbittgebet,- die Art, wie das Abendmahl auszuteilen ist, Lesung der biblischen Texte nur nach Luther oder wegen der vielen Ungeübten auch nach der Übersetzung der Gute Nachricht Bibel, Liedauswahl nur nach dem Evangelischen Gesangbuch oder auch aus neuen Liederbüchern? Jede Gemeinde kann hier ihre eigene Sammlung von Streitfragen aus dem Bereich von Geschmack- und Stilfragen, von Tradition und Neuerung beitragen, die für manche weit mehr sind als nur zweitrangige Fragen. Und wie gut lassen sich anhand dieser Themen Vergleiche ziehen, Gruppen einteilen und Urteile aussprechen.

Dann gibt es aber noch weit tiefer gehende Streitfragen in den Gemeinden. Frömmere Gemeinden streiten gerne um die Bibel und ihre Auslegung. Was für die einen unfehlbares Wort Gottes ist, ist für die anderen zeitbedingtes und auslegungsbedürftiges Menschenwort und Gotteswort. Wie schnell trennen sich Christen hier, oder sind die einen nur Fanatiker und die anderen Ungläubige? Ist die Bibel Bericht und Predigt von wirklicher Gottesgeschichte und deshalb geschichtlich zu befragen, oder überzeitliches Wort Gottes, aller Rückfrage und Kritik enthoben? Aber statt einer Grundsatzdebatte könnte vielleicht eher ein pragmatisch, praktischer Weg beschritten werden: wie geben wir heute dem Heiligen Geist die Möglichkeit, uns alles zu lehren und an alles zu erinnern, was Jesus gesagt hat? (Johannes 14, 26) So zu erinnern und zu lehren, dass wir Nachfolger/innen von Jesus werden, die Gottes Willen in dieser Welt tun? Statt der Ideologisierung des Christentums Vorschub zu leisten und uns in evangelisch und evangelikal auseinanderzudividieren?

Die Fragen sind ernst und mit den kurzen Andeutungen nicht umfassend beschrieben. Ist Streit und Spaltung wirklich das Ziel der Wege Jesu mit seiner Gemeinde? Was lehrt uns Paulus?

„Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann." (Vers 3)

Die Starken spricht Paulus an, die Überlegenen, die mit dem Durchblick: bereite deinem Bruder oder deiner Schwester keinen Anstoß oder Ärgernis! Bedenke, dass Jesus allein Herr ist und jeder für sich vor Gott Rechenschaft ablegen muss. Bedenke, dass Du in die Gemeinde gestellt bist nicht um Dich zu verwirklichen, nicht um Deinen Geschmack und Deine Erkenntnis durchzusetzen, sondern damit das Werk Jesu in dieser von Gott losgelösten Welt geschieht. Trample nicht auf den Schwachen, Engen und Angefochtenen herum. Sei frei vor Deinem Herrn in Deinem starken Glauben und Deiner Überzeugung, aber suche in der Gemeinde das, was dem Frieden dient; Gottes Herrschaft soll bei Euch sichtbar werden. Gottes Herrschaft zeigt sich in Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist. (Vers 17)

Sagt Paulus auch den Schwachen etwas? Auch für die Schwachen gilt, was in Vers 10 steht:  „Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie? Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden." Und es gilt, dass Paulus nicht die Herrschaft der Schwachen, Engen und Angefochtenen ausruft, sondern die Herrschaft von Jesus Christus. Manche fordern für sich Rücksichtnahme und blockieren damit notwendige Veränderungen, die dem Zeugnis von Jesus Christus an alle Menschen dienen. Manche fordern für sich liebevolles Verständnis und urteilen doch hart und erbarmungslos über Mitchristen. Sind das nun Starke oder Schwache?

Gebt keinen Anstoß oder Ärgernis! Bringt niemand ins Schleudern und weg vom Glauben an Jesus Christus durch eure Freiheit. Seid vielmehr Anstoß zum Glauben, indem ihr für Jesus den Mund aufmacht und das Gute tut. Für manche werdet ihr dann auch ein Ärgernis sein, das bleibt nicht aus. Leidet mit Jesus und dem Evangelium! Sucht und haltet die Gemeinschaft mit allen Christen, auch über Grenzen hinweg. Habt ein weites Herz! Amen.



Pfarrer Winfried Klotz
Bad König / Odw.
E-Mail: winfried.klotz@web.de

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