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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

4. Sonntag nach Trinitatis, 27.06.2010

Predigt zu Römer 14:10-13, verfasst von Rainer Kopisch

10 Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Gottes gestellt werden. 11 Denn es steht geschrieben (Jesaja 45,23): »So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.« 12 So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben. 13 Darum lasst uns nicht mehr einer den andern richten; sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.

Liebe Gemeinde,

Der Apostel Paulus weiß aus eigener Erfahrung, wie richten und verachten ein menschliches Herz jede Menschenliebe vergessen lassen können.

„Saulus, Saulus, warum verfolgst Du mich?" war die Frage, die ihn auf den Boden der Wirklichkeit und in die tiefste Krise seines Lebens wirft. Der auferstandene Jesus Christus selbst löst diese Krise aus. In dieser Krise lernt Saulus durch die Hilfe der Christen in Damaskus, dass Jesus Christus der Herr auch seines Lebens ist. Er lässt sich taufen.

In den Versen, die unserem Predigtext vorausgehen, drückt er sein persönliches Bekenntnis zu Jesus Christus deutlich aus:

7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. 9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.

Welche Konsequenzen dieses Bekenntnis im täglichen Zusammenleben haben muss, schreibt Paulus in deutlichen Worten. Sie sind so deutlich, dass wir sofort verstehen, wovon Paulus schreibt.

Die von Paulus gemeinte Unsitte, Mitmenschen zu beurteilen, ist weit verbreitet und aus unserem Umgang miteinander in der Gesellschaft kaum wegzudenken, weil sie uns in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint.

Es entspricht unserem menschlichen Bedürfnis nach Orientierung und Einordnung, wenn wir andere Menschen - mild ausgedrückt - ins Verhältnis zu uns selbst setzen.

Spätestens in der Schule werden wir daran gewöhnt, dass in unserer Welt beurteilt wird.

Gefährlich für uns selbst wird es allerdings da, wo wir uns im zwischenmenschlichen Bereich bewegen und uns am Reden über andere Menschen beteiligen.

Das 8. Gebot heißt: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Martin Luthers Erklärung aus dem Kleinen Katechismus dazu heißt: Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unseren Nächsten nicht fälschlich belügen, afterreden oder bösen Leumund machen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten wenden.

Unser Bedürfnis, über andere Menschen zu richten und uns oft dabei auch über sie zu erheben und sie zu verachten, führt uns dazu, das achte Gebot zu übertreten. Im Verachten wird unsere ganze Lieblosigkeit offensichtlich. Die Basis aller zehn Gebote, das Gebot der Liebe ist in Frage gestellt.

Paulus argumentiert hier nicht damit, dass Menschen ein Gebot übertreten, sondern stellt klar, dass wir mit dem Richten über andere Menschen den Herrschaftsanspruch Gottes direkt in Frage stellen.

Er bezieht sich auf Worte des Propheten Jesaja:

»So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.«

Da wir Menschen Gott selbst Rechenschaft über ihr Tun und Lassen geben müssen und ihm allein verantwortlich sind, hat kein anderer Mensch in diesem direkten Verhältnis etwas zu suchen.

Es ist nicht unsere Sache, andere Menschen zu richten oder in Bezug auf ihr Verhalten zu beurteilen.

Um die Argumentation des Paulus in Bezug auf das Verachten fortzusetzen, brauchen wir uns nur zu überlegen, welche Stellung wir Gott gegenüber beim Verachten einnehmen.

Wenn ich einen anderen Menschen verachte, stelle ich Gott als den Liebenden  in Frage. Ich missachte Gott selbst. Damit entferne ich mich von Gott und falle in den Zustand der Sünde.

Du sollst Gott lieben ... und deinen Nächsten wie dich selbst.

Jesus hat einmal gesagt, dass an diesen zwei Geboten alle anderen hängen.

Martin Luther hat sich von der Botschaft Jesus besonders in den Erklärungen der Gebote leiten lassen, die den Umgang der Menschen untereinander betreffen.

Wenn ich mit Menschen über die zehn Gebote und ihr eigenes Verhalten gesprochen habe, habe ich oft von ihnen gehört, dass sie die Gebote beachtet und nicht übertreten haben. Dabei war in keiner Weise die Rede davon, dass es eine Auslegung der Gebote gibt, die uns zum liebevollen Umgang mit anderen Menschen anhält. 

Die Tendenz zur Selbstrechtfertigung des Menschen ist die eine Seite einer Medaille, die Tendenz, die Liebe im Umgang mit anderen Menschen zu vergessen, die andere Seite.

Ich möchte erinnern: Die Rechtfertigung des Menschen geschieht durch Gott allein und sie geschieht aus Gnade.  

Wir leben aus der unbeschreiblichen Hingabe Gottes, die wir auch Barmherzigkeit nennen können. Als Christen haben wir alle Voraussetzungen und Möglichkeiten, in der gemeinsamen Freude mit Gott uns Menschen so zuzuwenden dass ihnen und uns  warm ums Herz wird. Wir können in der Tat mehr tun, als das, was Paulus als Mindestmaß christlichen Verhaltens hier vorschlägt, wenn er schreibt: „sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite".

Um die Aktualität dessen, was Paulus schreibt zu verdeutlichen, möchte ich an die Umstände erinnern, die zum Rücktritt des Bundespräsidenten geführt haben. Ich möchte erinnern an die heftigen Auseinandersetzungen führender Politiker der Koalitionsparteien, die Schlagzeilen über die  Missständen in kirchlichen Einrichtungen und die Nachrichten über den Kampf des zurückgetretenen Bischofs Mixa gegen immer neue Anschuldigungen und Verdächtigungen.

Wenn Paulus uns heute zum Nachdenken darüber gebracht hat, dass es so nicht weitergehen kann mit uns, dann ist ein erster Schritt getan. Wenn er uns als Betroffene erreicht hat, ist ein zweiter Schritt möglich:

Sie können jetzt in ihrem Herzen, sagen: „ Ja, ich habe verstanden, dass ich als Christin oder Christ die Möglichkeit habe, meinen Teil der unermesslichen Liebe Gottes in meinem Alltag zu leben." Dann wird ihr Herz sagen: Lass es uns auch tun!"

Amen 



Pfarrer i.R. Rainer Kopisch

E-Mail: Rainer.Kopisch@gmx.de

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