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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

5. Sonntag nach Trinitatis, 04.07.2010

Predigt zu Matthäus 16:13-26, verfasst von Morten Fester Thaysen

Petrus ist der Felsen, auf den unsere Kirche gebaut ist. Petrus sind auch die Schlüssel zum Himmelreich anvertraut - so dass alles, was er auf Erden binden wird, auch im Himmel gebunden sein soll, und alles, was er auf Erden lösen wird, auch im Himmel gelöst sein soll. Und das ist nicht wenig.

            Merkwürdigerweise meint der Papst in Rom, dass er Petrus' Schlussel zum Himmelreich geerbt hat. Er hat sie jedenfalls in seinem Wappen - und nennt sich den Nachfolger des Petrus und brüstet sich mit der Macht, die ihm die Schlüssel verleihen.

            Und ebenso ist es merkwürdig, dass der Papst seine Kirche auf Petrus bauen will. Denn während der Papst Macht will, ist Petrus schwach. Während der Papst will, dass man mit ihm rechnet, kann man mit Petrus nicht rechnen. Petrus ist auch nicht klug. Er ist auch nicht initiativ und innovativ, wie es auf modernem Managementdeutsch heißt. Ganz im Gegenteil, er ist ein wenig schwerfällig - er hat immerzu Pech - er ist unzuverlässig, treulos, und er hat nicht mehr Mut, als dass er sich aus dem Staube macht, wenn es ernst wird. Nein, Petrus ist nicht viel wert. Unmittelbar wäre es nutzlos, eine Kirche auf ihn zu bauen!

            Die Geschichte nimmt ihren Anfang an einem Ufer in Israel. Petrus ist Fischer. Seine Welt war die Welt des Sees, die Welt der Fischerei, die Welt der Boote und der Fischernetze. Auf diesem Gebiet weiß er alles - hier ist er Experte - auch Experte in der Frage, was von Nutzen sein kann und was nicht.

            Und eines Tages kommt Jesus in dieser Gegend daher. Er macht halt und redet. Petrus hört ihm zu - vielleicht versteht er nicht sehr viel von dem Gesagten. Er ist obendrein gereizt, denn er hat die ganze Nacht keinen einzigen Fisch gefangen. Und jetzt steht Jesus wie gesagt da und redet und redet - und plötzlich wendet er sich an Petrus und sagt das Merkwürdige: Fahre nun mit deinem Boot hinaus auf den See, wo es tief ist und wirf deine Netze zum Fang aus. Du sollst also das tun, wovon du weißt, dass es nichts nützt! Petrus weiß ja, dass es nichts nützt - es führt zu nichts, wieder hinauszufahren - denn er ist Expert auf seinem Gebiet. Und er ist müde. Trotzdem sagt er: Auf dein Wort hin will ich tun, was du sagst. Auf dein Wort hin fahre ich hinaus und werfe meine Netze aus - und so erlebt Petrus für einen Augenblick, dass Jesu Wort über sein Wissen siegt und ihn ihn tun lässt, was zu nichts führen kann.

            Und diese Erfahrung, dass Jesu Wort stärker ist als sein eigenes Wissen - und dass es ihn veranlasst zu tun, was nichts nützen kann - diese Erfahrung muss Petrus immer wieder machen. Und das eröffnet eine völlig neue Welt für ihn.

            Und wirklich, Petrus fängt Fische, als er auf Jesu Wort hin an jenem Morgen hinausfährt. Obendrein so viele, dass er mehrere Boote herbeirufen musste - und alle wurden bis an den Rand gefüllt, so dass sie nahe daran waren zu sinken. Petrus erschrak - und fiel Jesus zu Füßen und bat ihn fortzugehen, denn er sei ein sündiger Mensch. Er war es nicht wert, etwas auf ihn zu bauen. Aber Jesus ging nicht weg - im Gegenteil, er sagte, dass Petrus aufstehen sollte - und er sollte keine Furcht mehr haben. Denn von jetzt an sollst du Menschen fangen. Welch ein Bescheid! Aber Jesu Worte siegten über ihn. Und wiederum tat Petrus etwas, wovon er wusste, dass es nichts nützte. Er verließ alles - sein Haus, seine Fischerei, sein Wissen, seine bekannte Welt - und er folgte Jesus in eine ungewisse Zukunft.

            Und nun war Petrus Jesus lange Zeit gefolgt - und immer wieder sah er, wie nutzlos das alles aussah. Er sollte Menschen fangen - und was für Menschen! Prostituierte, Betrüger und Verrückte folgten mit ihnen. Es waren Menschen dieser Sorte, die Petrus fing. Nicht gerade Menschen, auf die man etwas bauen konnte. Jeder Unternehmer auf der jütländischen Heide hätte lauthals verkündet, dass das alles nutzlos war. Und Petrus hätte ihm recht gegeben: es wirkte, wie wenn es nutzlos wäre!

            Jetzt waren sie in der Nähe von Jeruslem, und Jesus begann danach zu fragen, wer er ihrer Meinung nach eigentlich sei. Und sogleich fangen die Leute an zu antworten - und es ist ja auch ganz leicht für sie, denn sie verweisen darauf, was sie vom Hörensagen wissen. O nein, das ist nicht meine Meinung, ich sage ja nur, was ich gehört habe. Ich sage nicht, dass es stimmt. Aber sie sagen z.B., dass Jesus ein Prophet sei - ein Jeremias, Elias u.s.w. - aber auch nicht mehr als ein Prophet. Und das ist ja ganz modern. Denn es ist ganz modern zu sagen, dass Jesus ein großer Mensch ist, der eine Menge gute Dinge sagt, z.B. über Nächstenliebe - denn davon gibt es ja nur allzu wenig in der Welt - d.h. natürlich unausgesprochen: bei den anderen. Mehr als ein großer Mensch ist er also auch nicht - Sohn Gottes - nein, nein, das ist zu viel des Guten - und sie verstehen auch nicht, was damit gemeint ist. Jesus lässt sie nur reden - bis er ihnen plötzlich in die Augen sieht und sagt: Aber ihr, wer sagt ihr, dass ich sei? Es wurde sicher totenstill. Unruhe breitete sich unter ihnen aus - denn jetzt können sie sich nicht mehr einfach hinter Klatsch und Gerüchten verstecken. Jetzt werden sie direkt gefragt, und dann wissen sie plötzlich nicht, was sie antworten sollen.

            Und wie gewöhnlich ist es der schwerfälligste unter ihnen - Petrus - der, der nichts begreift - der antwortet: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! So antwortet Petrus, er, den man den dummen August (dänisch: "dumme-peter") nennt. Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!

            Jesus hat wohl ein Lächeln nicht unterdrücken können - darauf bist du nicht selbst gekommen, Petrus! Oder wie er selbst sagt: Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart sondern mein Vater im Himmel. Und das ist beachtenswert. Denn wiederum hat Petrus dieselbe Erfahrung gemacht wie damals, als Jesus ihn bat, noch einmal hinauszufahren. Er erfährt, dass Gottes Wort stärker ist als sein Wissen - als seine Vorstellungen - seine Gefühle - als der Klatsch, auf den er hört. Gottes Wort ist stärker und lässt ihn das sagen, was er sich nicht selbst sagen oder denken kann - dass der Mann, dem er gegenübersteht, des lebendigen Gottes Sohn ist. Und wieder: er kann es sich nicht selbst sagen - es ist Gott, der es ihm sagen muss - und ihm die Worte sozusagen in den Mund legen muss. Und weil Petrus ein solcher Mann ist, der so wenig weiß, dass man ihm die ganze Zeit sagen muss, was er tun soll und was er über Gott sagen soll - deshalb ist er ein Felsen - ja, der Felsen, auf den Jesus seine Kirche bauen will.

            Aber noch einmal: weil Petrus ein Felsen ist, bedeutet das noch nicht, dass er der Schnellste von der Welt ist. Jesus schickt sich nämlich an zu erzählen, was jetzt geschehen wird, wenn sie nach Jerusalem kommen. Hier wird er sehr leiden. Sie werden ihn auspeitschen, auf ihn spucken, ihn kreuzigen und töten - und er wird am dritten Tag auferstehen.

            Wie gesagt, Petrus ist nicht der schnellste - und das Wort von der Auferstehung am dritten Tag bekommt er nicht mit. Er versteht es einfach nicht. Auf der anderen Seite ist er ja nicht umsonst Fischer, er erhebt sich wie ein Felsen und sagt: Das darf dir um alles in der Welt nicht widerfahren. In meiner Welt soll dir nichts geschehen. Ich werde sie hindern, wenn sie dich anrühren sollten!

            Der arme Petrus, er hat nichts begriffen. Jesus dankt ihm denn auch nicht für seine Worte. Im Gegenteil, Petrus bekommt einen Anpfiff. Glaubt er denn wirklich, er könnte irgendwas an Gottes Plan ändern? Glaubt er wirklich, er könnte ändern, was in Jerusalem passieren wird? Glaubt er, er könnte den Weg ändern, den Jesus zum Kreuz gehen wird - mit Hilfe seines Wissens oder indem er nach allen Seiten Schläge austeilt? Nein, das kann er nicht - denn die Pointe ist ja gerade, dass Petrus Gott gegenüber nichts anstellen kann, und deshalb sagt Jesus zu ihm: Geh weg von mir, Satan!

            Satan bedeutet Widersacher oder Gegner. Gegner Gottes. Satan bedeutet, dagegen sein, dass Gottes Wort immer stärker ist als unser eigenes Wissen und unsere eigenen Vorstellungen - so stark, dass es uns veranlassen kann zu tun, was wir für nutzlos halten. Und so bildet Jesus seine Kirche. Und das Erste, was er zu diesem Petrus sagt, ist: Geh weg von mir, Satan. Denn Du willst nicht, was Gott will, sondern was Menschen wollen. Immer, wenn du deine Kirche auf dich selbst baust, auf dein Wissen, deine Klugheit, deine Gefühle oder deine politische Überzeugung, schaffst du eine Hölle für dich selbst und alle anderen. Und wenn du das tust - denn du tust es doch -, dann bist du Gottes Gegner. Geh deshalb weg von mir.

            Dennoch baut Jesus seine Kirche auf Petrus. Er weiß genau, wieviel Zweifel und Widerstand in ihm ist, aber er weiß auch, was Gottes Wort vermag. Er weiß, dass es Gott sei Dank nicht Petrus ist, der Macht hat über das Wort. Petrus steht unter der Macht des Wortes. Petrus' Kirche ist die Macht des Wortes. Wir sind in der Macht des Wortes. Und das Wort schafft, was es nennt. Glauben im Zweifel, Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit, Leben der Toten, Felsen von unvollkommenen Menschen wie Petrus und dich und mich. Sogar Felsen, auf die man Kirchen bauen kann.

            Denn das ist die Pointe. Auch du und ich, wir sind Felsen - es ist nicht nur der Papst in Rom, der ein Felsen ist. Wir sind es auch. Auch uns sind die Schlüssel des Himmelreichs anvertraut - wie nutzlos es auch aussehen mag.

            Zum Schluss. Man kann es auch anders sagen. Sören Kierkegaard hatte einen Bruder, der nicht fand, dass er zu irgendwas taugte. Er hieß Peter Christian - und er war Bischof in Aalborg. Es war so schlimm mit ihm, dass er alle Beförderungen und Orden ablehnte. Und dann reiste er zu seinen Bekannten, um sich dafür zu entschuldigen, dass er ein so schlechter Pastor und Mensch war.

            Sein Sohn Poul gehörte zum Kreis um Georg Brandes - und er hatte den Glauben aufgegeben. Später wurde er wahnsinnig und kam in ein Krankenhaus - bis er nach Hause zu seinem Vater in Aalborg geschickt wurde, wo er dann 40 Jahre lang in psychischer Krankheit lebte. Und Vater und Sohn verstanden einander nicht. Als dann der Vater starb, schrieb Peter Christian einige Worte auf dessen Grabstein - er muss damals einen seiner lichten Augenblicke gehabt haben -, und diese Worte zeigen, wie gut er seinen Vater gekannt hat. Er schrieb: Wenn uns auch unser eigenes Herz anklagt, so ist Gott doch größer als unser Herz.

            Und darum geht es. Gott ist immer größer. Er ist größer als unser Wissen. Als unsere Vorstellungen. Unsere Kräfte. Er ist größer als unser Selbsthass, größer als unser Gefühl der Leere - und jetzt ist er gegenwärtig in Jesus, der der Christus ist, des lebendigen Gottes Sohn. Und da kann alles geschehen - Fischnetze füllen sich, Hoffnungslosigkeit verwandelt sich in Hoffnung, Zweifel in Glauben, Tod in Leben - wir können das tun, wovon wir wissen, dass es nichts nützen kann, Kirchen werden auf unvollkommene Menschen wie Petrus und dich und mich gebaut. Und sage nicht, das sei nutzlos! Denn wo der Sohn des lebendigen Gottes gegenwärtig ist und Gottes Wort erklingen lässt, ist nichts nutzlos! Ja, dieses Wort Gottes zu hören und zu empfangen, sind wir jetzt versammelt. Und mögen wir so erfahren, was immer wir glauben, worüber auch immer wir zweifeln und trauern - ja, wessen auch immer unser Herz uns anklagt, so ist Gott größer als unser Herz.

Amen       



Pastor Morten Fester Thaysen
Varde (Dänemark)
E-Mail: mht@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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