Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 11.07.2010

Predigt zu Römer 6:3-8, verfasst von Claudia Krüger

Auftauchen ins Leben!

Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, in seinen Tod getauft sind?
So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.
Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleich geworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein.
Wir wissen ja, dass unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so dass wir hinfort der Sünde nicht dienen.
Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.

Liebe Gemeinde,

Kreuz, Tod, Begraben Werden, alter Mensch und Sünde - das sind schwere Brocken konzentrierter paulinischer Theologie, die nicht so recht zu diesem sommerlichen Sonntag passen mögen.
Die Themen Auferstehung und Taufe bringen allerdings ein freundlicheres Licht in den heutigen Morgen.
Immer noch lassen viele junge Eltern sehr bewusst ihre Kinder taufen: Von Herzen dankbar und staunend über ein kleines faszinierendes Geschöpf, Geschenk Gottes, unverwechselbar und innig geliebt.
Sie möchten ihrem Kind alles zukommen lassen, was ihm nur irgendwie gut tut.
Und dazu gehört die Taufe auf einen Gott, der es geschaffen hat, der es liebt, und der es begleitet im Heiligen Geist.
Möge es sein Leben lang von ihm beschützt werden! Dieser Wunsch der Eltern drückt sich in dem häufig als Taufspruch gewählten Vers aus dem 91. Psalm aus: „Er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen."
Untrennbar soll es zu Gott gehören, der sagt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!" (Schriftlesung, Jes.43, 1-7) „Wenn du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen."  
Ahnend, dass im Leben ganz harte Zeiten kommen können, vor denen wir unser Kind nicht bewahren können, vertrauen wir es dem an, der stärker ist als Feuer, Wasser und Tod. Einem Gott, der uns verspricht: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende." (Mt 28,20b)
Auch das Markusevangelium mit der Segnung der Kinder, hat seinen festen Platz in der Taufliturgie, bestärkt es doch diese bedingungslose Zugehörigkeit zu Gott, wenn Jesus sagt: „Lasst die Kinder zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes".
Wer wünschte seinem Kind - und sich selbst - nicht einen Gott, der uns so vehement verteidigt und uns ein Reich verspricht, das bereits begonnen hat, und das einmal in Herrlichkeit vollendet wird. Jesus drückt die Kinder an sich, legt ihnen die Hände auf und segnet sie. Und nichts, aber auch gar nichts, kann sie jemals mehr von ihm trennen.
Alles Trennende ist aufgehoben in der Taufe - ein für allemal. Das meint Paulus mit dem bis heute oft so missverständlichen Begriff der Sünde, der häufig immer noch moralisierend verwendet wird. In der Tiefe seiner Bedeutung aber geht es um nichts anderes als um all das, was uns von Gott trennen könnte. Der Apostel geht in den Kapiteln davor intensiv darauf ein. In der Taufe aber, so betont er abschließend, ist alles Trennende begraben, ist alle Gottferne aufgehoben und überwunden, sind wir Menschen wirklich frei geworden.
In der Säuglingstaufe ist das weniger leicht nachvollziehbar als in der Erwachsenentaufe, die in paulinischer Zeit üblich war.
Wir Erwachsene wissen, wie wunderbar es sein kann, wenn alles Schuldige, alles Beschwerliche abgewaschen wird, wenn man manchmal völlig untertauchen, abtauchen kann - und wir dann wie neu geboren, als „neue Kreatur", wieder auftauchen, aufatmen, aufleben können, noch einmal neu beginnen können - völlig befreit!
Es wird die Zeit kommen, in der sich auch unser Kind das Wunder eines Neubeginns wünschen wird - und sich seiner Taufe erinnern darf, seines ewig gültigen „Wasserzeichens"!

Hilde Domin hat ein Gedicht geschrieben, das diese Neuschöpfung wunderbar zum Ausdruck bringt:

Bitte

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen
wir werden durchnässt
bis auf die Herzhaut

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch den Blütenfrühling zu halten
der Wunsch verschont zu bleiben
taugt nicht

Es taugt die Bitte
dass bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden

Und dass wir aus der Flut
dass wir aus der Löwengrube und dem feurigen
Ofen
immer versehrter und immer heiler
Stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden

Diese Worte lassen einen lebendigen Geist erahnen, der uns tagtäglich neu werden lässt, unabhängig von allen Kindheitsmustern, Prägungen, Lebenserfahrungen, unabhängig von allem Unrecht oder Versagen. Befreit werden, gewaschen, heil entlassen werden. Entlassen werden zu uns selbst, zu all den Gaben, die in uns stecken und die wir entfalten dürfen als das Geschöpf, als das uns der Schöpfer geschaffen hat.
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden" (2.Kor.5,17)

Hören wir von Paulus, was genau in der Taufe geschieht:
„Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?
So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod..."
- verbunden sind wir ihm und ihm gleich geworden in seinem Tod, mitgekreuzigt mit ihm ist unser alter Mensch, eine schwer nachvollziehbare Vorstellung.

In einem Kulturmagazin kam vor kurzem ein Beitrag über Sebastian Horsley, den - wie es hieß - „letzten Dandy unserer Zeit". Sein Dandytum beschrieb er als „eine Form der Selbstverehrung, die es einem erspart, das Glück bei seinen Mitmenschen zu suchen."
Auf der Suche nach sich selbst, nach dem Sinn des Lebens, nach Glück, nach Exzessen, nach Extremen, übersättigt, exzentrisch und über die Maßen reich, suchte er im Alter von 30 Jahren mit Alkohol und Drogen nach einem Schlüsselerlebnis.
Er fand es auf den Philippinen, wo er sich im Jahr 2000 als erster West-Europäer einem grausamen Ritual unterzog. „Ich hab mich kreuzigen lassen. Ich wollte die absolute Leere, das absolute Nichts erreichen, um in Richtung meiner größten Ängste zu reisen. Wir können die Liebe nur verstehen, wenn wir wissen, was jenseits der Liebe ist. Und wir können den Schmerz nur verstehen, wenn wir wissen, was jenseits des Schmerzes ist." - so argumentierte er.
Eine halbe Stunde lang soll er mit Nägeln in den Händen am Kreuz hängen. Doch dann geschieht das Unfassbare: das Brett, auf dem seine Füße befestigt sind, bricht.
Er stürzt vom Kreuz. "Am Ende" - so resümiert er, „am Ende wird uns das Leben das Herz brechen." Am Donnerstag, dem 17. Juni diesen Jahres, ist er im Alter von 47 Jahren gestorben - vermutlich an einer Überdosis Heroin.

Müssen wir uns auf diese Weise „mitkreuzigen" lassen, um Schmerz und Liebe wirklich zu verstehen?
Der Apostel Paulus hätte diesem verzweifelt suchenden Menschen wahrscheinlich gesagt: „Es ist doch schon alles getan. Wir müssen uns nicht kreuzigen lassen, denn einer ist gestorben ein- für allemal, damit wir leben können in der Unmittelbarkeit zu ihm. Damit weder Schuld, noch Versagen noch Schuld-Verstricktsein noch irgendetwas Anderes uns jemals mehr von ihm trennen kann.
Wir sind erlöst, wir sind befreit - befreit zum Handeln in Liebe für andere in der Freiheit eines von ihm unendlich geliebten Menschen.

Von Martin Luther wird erzählt, dass er in Zeiten, in denen er zutiefst angefochten und verzweifelt war, mit Kreide auf den Tisch schrieb: „ich bin getauft."
Wir heutigen modernen Menschen sind von dieser existenziellen Rückbesinnung auf die Taufe, die mitten im Alltag neue Kraft und Klarheit geben kann, weit entfernt.
Aber: wir sollten es üben!
Mit dicken Buchstaben sollten wir es uns immer wieder an die Zimmerwände schreiben, an die Decken der Krankenzimmer und - warum nicht auch an die Türen der Arbeitsplätze!
Wenn es manchmal ganz eng wird in unserem Leben, wenn nichts mehr gilt, was bis dahin gegolten und uns gehalten hat, dann sollten wir uns an den erinnern, der Leid, Tod und Gottferne selbst erlitten und überwunden hat.
"Mein Gott, warum hast du mich verlassen..." manchmal stimmen wir ein in diesen Schrei, und der leidende Gott kommt uns näher, als wir uns selbst nahe zu sein vermögen.
 „Ich fühle mich verlassen wie Jesus im Garten Gezemane und geschlagen mit all den Schmerzen dessen, der am Kreuz hängt" - so schildert eine schwerkranke Frau ihr Empfinden. Eine andere sagt: „Bei ihm war das Leiden wenigstens nach 6 Stunden beendet. Ich leide immer noch - nach Jahren - und es hört nicht auf."

Mögen wir spüren, dass selbst unbeschreibliches Leid nie Gottes liebenden Armen entgleitet, sondern dass seine Liebe bleibt, auch wenn alles in sich zusammen zu fallen droht. Seine Liebe steht auf gegen den Tod, dennoch! 
Im tiefsten Elend bleibt Gott der Handelnde. Wo alles im Abgrund zu versinken droht, wirkt er weiter zum Heil der Menschen, siegt schließlich seine Liebe über den Tod.
„ Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er will das dunkle Gestern in ein helles Morgen verwandeln - zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit." (Martin Luther King)

Wir sind - so betont Paulus deshalb - durch die Taufe nicht nur im Kreuz, sondern ebenso in seiner Auferstehung untrennbar mit ihm verbunden. „Damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln... So werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein."
Seltsam, warum uns dieser Gedanke so selten kommt.

„Was glauben Sie, wo man nach dem Tod hinkommt?" fragten die Schüler eine Gymnasiums.
Ich erzählte von meinen inneren Hoffnungsbildern und von den biblischen Verheißungen und fragte zurück. „und was glaubt ihr?"  Überrascht und darin völlig ungeübt, suchten sie nach eigenen Bildern. Wir sollten es immer wieder üben!

„Und jetzt" - so fragte der alte Mann weinend am Sterbebett seiner Frau - „und jetzt, ist ihre Seele schon unterwegs, oder noch in ihr, und was wird aus ihr?"
„Ja," meinte die Tochter, „ wir werden uns auch unserer eigenen Sterblichkeit so deutlich bewusst. Was kommt danach? Wenn wir es wüssten, so könnten wir die Mutter leichter gehen lassen!"
Warum fällt es uns so schwer, Auferstehungsbilder vor unser inneres Auge ziehen zu lassen und Gottes Verheißung zu vertrauen.  Der Auferstandene am Rande des Grabes, die weinende Maria tröstend, das Bild von den Wohnungen in unseres Vaters Haus, das Leuchten der himmlischen Auferstehungsboten.
Manche assoziieren eine bunte Wiese oder einen duftenden Rosengarten, andere ein Haus der ewigen Geborgenheit, wieder andere ein wärmendes Licht, schöner als alles, was wir jemals gesehen haben. Andere vernehmen himmlische Klänge, die uns freundlich geleiten in die ewige Heimat dessen, der uns von Anfang an geliebt hat.
Wir sollten uns ermutigen, solchen Bildern Raum zu geben, damit wir mit ihnen leben - und einmal auch mit ihnen sterben können.

„Wir werden mit ihm leben", sagt Paulus, jetzt schon, wir können „in einem neuen Leben wandeln," in welchem Strahlen der Auferstehung aufleuchten, immer wieder, auch wenn die vollkommene Auferstehung, das vollkommene Sein in Christus, noch aussteht.
In jeder Tat der Liebe aber, in jedem freundlichen Verzeihen, in jeder Umarmung, in jedem mutigen Neuanfang, fallen Strahlen der Auferstehung in unsere Gegenwart.
Der lebendige Geist der Liebe umweht uns mitten im Alltag unserer Zeit, wird spürbar dann und wann und immer wieder, kann uns Menschen verwandeln, inspirieren, beflügeln.
Könnten wir ihm doch trauen! Manchmal gelingt es uns.

„Manchmal", so sagt Marie-Louise Kaschnitz,

 „Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvoller Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht."

Amen.



Claudia Krüger
Pfarrerin im Karl-Olga-Krankenhaus und im Distrikt Stuttgart-Ost
E-Mail: clau.krueger@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)