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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 11.07.2010

Predigt zu Römer 6:3-11, verfasst von Stefan Knobloch

Vor Gott leben? Was heißt das?

Leicht macht es uns Paulus mit seiner Gedankenführung in Röm 6,3-11 nicht. Nicht anders dürfte es schon den Erstadressaten von damals, den Christinnen und Christen in Rom, ergangen sein. Paulus - es soll nicht respektlos klingen, dies hier zu benennen - trägt gewissermaßen einen theologischen Traktat vor. Dabei bleibt bei uns haften und prallt gleichzeitig an uns ab eine Reihe schwergewichtiger Begriffe: Taufe, Tod, Mitsterben, Mitgekreuzigt werden, Mitbegraben werden, Mitauferstehen mit Christus, die Sünde zurücklassen, mit Gott leben.

Wenn überhaupt, dann verfängt bei uns fürs Erste der Begriff „Mitsterben". Er lässt assoziativ an das Phänomen der Selbstmordattentäter im Irak, in Afghanistan und anderswo denken, wo Menschen andere mit sich in den Tod reißen und zu Mitsterbenden machen. Dabei fällt in letzter Zeit auf, dass es sich häufiger um Selbstmordattentäterinnen handelt, die, was das Ganze noch abstoßender macht, von Männern instrumentalisiert, entpersönlicht, unter Drogen gesetzt, ihrer Würde beraubt sind. Die Sprengsätze, die sie am Leib tragen, werden vielfach von den Männern ferngezündet. Dieses Szenario des Mitsterbens stellt ein aktuelles, kaum noch zu überbietendes  Sündenszenario dar, ein Szenario der zerstörenden Macht der Sünde, der „hamartia", von der Paulus an unserer Stelle spricht. Dieses gewaltsame mit in den Tod Genommen werden ist der extreme Widerpart jenes Mitsterbens (und Mitbegraben werden und Mitauferstehens), an dem wir durch die Taufe Anteil bekommen haben. Es ist der rettende Griff Gottes nach unserem Leben. Eine Tat Gottes, die uns - für uns gewiss dunkel und denkerisch nicht zu bewältigen - aus dem Wurzelgeflecht der Schuld und Verstrickung herausführt.

Wie aber kommt Paulus dazu, die Taufe, die christliche Taufe, im Bild des Mitsterbens und Mitbegraben werden mit Christus zu deuten? Wo er noch dazu so tut, als müsste diese Sicht der Taufe den Gemeindegliedern in Rom vertraut sein? „Wisst ihr denn nicht, dass wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod." Was Paulus hier bietet, ist lediglich eine von mehreren möglichen Deutungen der Taufe, die im Neuen Testament begegnen. Sie bedienen sich alle verschiedener Bilder, wobei nicht eines von ihnen die Taufe bis in ihre Tiefe erfassen kann.

Im Vordergrund des biblischen Taufverständnisses steht, ursprünglich auch bei Paulus, das Verständnis der Taufe als Waschung, als Reingewaschen werden, und dies als einmaliger, nicht wiederholbarer Akt. „Ihr seid reingewaschen, seid geheiligt, seid gerecht geworden im Namen Jesu Christi" - durch die Taufe, haben wir gedanklich zu ergänzen (vgl. 1 Kor 6,11). Wobei nicht auf die dinglich-magische Wirkung abgestellt wird, sondern auf die von Gott in Christus geschenkte Erneuerung, in der der Mensch sein Leben gestaltet. Ein anderes Bild bringt die Taufe mit dem Geistempfang in Verbindung (vgl. Apg 2,38). Wieder ein anderes Bild erschließt im Johannes-Evangelium die Taufe als Wiedergeburt. In der nachbiblischen Zeit tritt an der Taufe das Moment der Eingliederung in die Kirche hervor. All diese Bilder tasten sich unter verschiedenen Perspektiven an die Taufe heran.

Nichts anderes tut Paulus in unserem Text. Er sieht sich gedrängt, die Taufe in einem weiteren Bild zu erschließen, um den Christen in Rom zum Bewusstsein zu bringen, auf welcher Grundlage und in welcher Ausrichtung sie ihr Leben deuten und gestalten sollen. Dabei fließen in seinen Gedankengang autobiographische Elemente ein. Paulus saugt sich das Bild des Mitsterbens nicht aus den Fingern, soll heißen, er erstellt kein leeres Theoriegebäude über die Taufe. Wobei es ihm, wie eben angedeutet, weniger um die Taufe als solche geht, sondern mehr um die mit der Taufe gegebenen Wirkungen und die aus ihr für das Leben zu ziehenden Folgerungen. Den biographischen Hintergrund kann man aus Phil 3,10 heraushören, wo Paulus für sich die Hoffnung ausspricht: „Sein (Jesu) Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen." In Gal 2,19 sagt er sogar, er sei mit Christus mitgekreuzigt worden. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." Exakt zu diesem Lebensverständnis will er die Gemeinde in Rom anleiten.

Wir sind, so entwickelt Paulus seinen Gedanken, in der Taufe mit Christus gestorben. Und so, wie er auferstanden ist, sollen auch wir ein neues Leben führen. Damit hat Paulus eigentlich alles gesagt. Aber er gibt dem noch mehr Nachdruck. Mit Jesus im Tod vereint, werden wir auch mit ihm in seiner Auferstehung vereint sein. Paulus scheint besorgt zu sein, daraus könnten falsche Schlüsse gezogen werden. Deshalb sagt er: Leute, hört und seht es ein: Christus ist durch Tod und Auferstehung zum Leben eingegangen. Das ist auch unser Weg. Wir sollen uns nicht von unseren Problemen und den Abgründen unserer Schuld her definieren. Wir glauben vielmehr, dass wir mit Christus leben werden. Das ist einerseits eine zukünftige Perspektive, eine Perspektive auf die „jenseitige" Zukunft, wie wir in einem Bild für etwas noch Ausstehendes sagen können, auf das wir von uns her keinen Zugriff haben. Es eröffnet aber andererseits auch eine reale Perspektive auf das reale Leben, unter der wir heute leben sollen: nämlich vor und für Gott. Unter der Perspektive Gottes! Damit kommt die Lesung zum 6. Sonntag nach Trinitatis zu ihrem Abschluss, zu ihrem Höhepunkt.

Ein uns enttäuschender Höhepunkt? Der darin erreicht sein soll, dass an uns übermittelt wird, vor und für Gott zu leben? Für manche oder viele hat das nichts von einem Höhepunkt an sich. Eher dürfte vor diesem „Höhepunkt" Verlegenheit aufkommen. Es könnte sich die Enttäuschung Luft machen, wenn sie sich überhaupt noch artikuliert: Guter Paulus, von unserem heutigen Leben verstehst du offensichtlich wenig! Da lässt du uns schön im Regen stehen!

 Mag sein, dass dies auf den ersten Eindruck hin so erscheint. Richtig ist offensichtlich, dass der religiöse Sprachcode der Kirche, der Bibel, des Paulus nur noch schwer zur Deutung und Sinnerschließung der heutigen sozialen Welt taugt. Wir leben nicht mehr in seinem, in des Paulus, wir leben in unserem gesellschaftlichen Kontext. Und da müssen wir sagen: So wie die Menschen in der Entstehungszeit der Schriften des Neuen Testaments ihre Glaubenserfahrungen im Kontext und in den (nicht immer miteinander harmonisierbaren) Bildern ihrer Zeit ausdrückten, weil sie nicht anders konnten, so bilden auch für uns unsere Erfahrungen nicht nur den Rahmen, sondern sie stellen das grundlegende Element unserer religiösen Suchbewegungen und unserer Auseinandersetzung mit Gott dar. Vielleicht konzentrieren sich die christlichen Kirchen zu sehr darauf, von Gott und Jesu Botschaft zu reden, aber sie nehmen darüber zu wenig wahr, wie Menschen unter den realen Bedingungen des Lebens heute vor Gott leben. Selbst wenn sie dabei Gott nicht im Munde führen und keinen ausdrücklichen Gedanken an ihn verschwenden. Man denke an einen Satz der Kirchenkonstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanischen Konzils: Auch denen, die den unbekannten Gott in Schatten und Bildern suchen, ist Gott nicht fern, da er allen Leben und Atem und alles gibt. Die Gott in Schatten und Bildern suchen! Die Bibel bemühte viele Bilder, um die Botschaft Jesu zu erfassen. Möglicherweise ist die Sinnsuche und Bilderwelt der Menschen von heute gar nicht so weit entfernt von der Botschaft Jesu. Gerade heute, wo nach den Enttäuschungen durch die säkulare Vernunft bei vielen eine Sehnsucht nach Spiritualität zu spüren ist. Vielleicht braucht die kirchlich tradierte Botschaft Jesu heute das „Gift" der säkular scheinenden Sehnsüchte der Menschen, über das sich die Botschaft Jesu und die Gedanken des Paulus über die Taufe neu erschließen.

Damit ist um so mehr zu rechnen, sobald man sich eine Aussage der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des genannten Konzils vor Augen hält: Der Sohn Gottes hat sich „in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt." Mit jedem Menschen! Wenn dieser Satz auch nur ein Körnchen Wahrheit enthält, dann spricht viel dafür, dass das Leben vor Gott, um das es Paulus ging, auch im heutigen Menschen nicht einfach erstorben ist. Es liegt seinen Suchbewegungen zugrunde. Paulus wäre wohl in der Lage, diese Suchbewegungen auf das Leben vor Gott hin zu erschließen.



Prof. Dr. Stefan Knobloch
Passau
E-Mail: dr.stefan.knobloch@t-online.de

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