Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

6. Sonntag nach Trinitatis, 11.07.2010

Predigt zu Matthäus 19:16-26, verfasst von Ole Juul Hansen

Heute begegnen wir einem richtigen Goldjungen. Er hat fleißig seine Hausaufgaben gemacht. Er hat sich gründlich auf das Examen vorbereitet. Es hat es den anderen überlassen, munter drauflos zu leben, denn er weiß, was es kostet und was verlangt wird. Und beim Examen macht er denn auch lauter reine Einsen. Und sollte in den Ministerien oder bei den Parteien jemand fehlen, der nicht einmal im Traum krumme Dinge mit Taxibelegen oder mit einem Dienstwagen machen könnte, dann wäre er genau der richtige Mann.

            Er ist der Traum aller Schwiegermütter. Er hält die Gebote. Er ist gesetzestreu. Er weiß, was man vom ihm verlangt, und damals zu Zeiten Jesu war das nicht gerade wenig. Aber er hat es geschafft. Und nun sollte man glauben, Jesus wäre mit ihm zufrieden. Ich meine, er hat alles getan, was das Gesetz verlangt. Er hat keinen Ehebruch begangen. Er hat nicht gestohlen. Er hat nie falsch Zeugnis abgelegt. Er hat seinen Vater und seine Mutter geehrt, und die sind ohne Zweifel stolz auf ihn. Was fehlt ihm dann noch, um vollkommen zu sein?

            Genau diese Frage stellt er Jesus. Was muss ich tun, um vollkommen zu sein? Was noch? Und Jesus sieht ihn nachsichtig an und sagt zu ihm: "Alles was du bisher getan und nicht getan hast, ist völlig in Ordnung. Aber jetzt will ich dir sagen, was dir fehlt, damit zu vollkommen wirst. Du sollst alles, was du besitzt, verkaufen. Und dann sollst den Gewinn den Armen geben. Und dann sollst du mir nachfolgen." Und nun steht da, dass der Mann betrübt davonging, denn er war sehr reich; auf seinen gesamten Reichtum verzichten und alles weggeben und ein ungewisses Leben führen, das war denn doch zu viel für ihn.

            Ich stelle mir vor, dass die Jünger, die schon entschlossen waren, Jesus nachzufolgen, den jungen Mann gekannt haben. Und sie haben wohl gewusst, dass er ein Goldjunge war. Sie haben gewusst, wenn es darum ging, das Gesetz zu befolgen, wenn es darum ging, die Gebote zu halten, dann konnten sie ihm nicht das Wasser reichen. Und vielleicht haben sie zu ihm gesagt: "Sprich mit Jesus, frag ihn, was zu einem vollkommenen Leben gehört. Denn bei dem Leben, das du führst, näherst du dich der Vollkommenheit." Und nun stehen sie da und hören mit an: was immer man vollbracht hat und wieviele Forderungen man erfüllt hat, das alles hilft nicht. Man kann verstehen, dass sie ziemlich aufgebracht sind über die Antwort, die Jesus gibt. Denn wer könnte es dann sonst?

            Nein, und man kann verstehen, dass Jesus bei Lehrern und Priestern in Jerusalem schlecht angeschrieben war. Hier bemühte man sich, gute Moral in Herz und Sinnen junger Menschen zu predigen, und dann kommt er daher und wischt das alles vom Tisch mit der Bemerkung, es sei leichter für ein Kamel, durch ein Nadelöhr zu gehen, als dass ein so geschätzter Mann Vollkommenheit erlangt. Das ist einfach schwarzer Humor. Ein Kamel durch ein Nadelöhr! Er macht sie doch zum Gespött. Was in aller Welt sollen sie mit einem solchen Lehrer anfangen? Hier haben sie von früh bis spät gelehrt, wie man durch gute Werke und durch das Halten der Gebote zu Gott kommt. Und dann kommt Jesus und fertigt das alles ab, indem er eine Bemerkung darüber fallen lässt, dass man gute Werke vergessen könne, sie führten zu nichts. So jedenfalls fassen sie es auf.

            Ja, aber handelt denn das Christentum nicht von guten Werken? Handelt das Christentum denn nicht davon, Gutes zu tun, die Gebote zu halten? Ja doch, und niemand von uns kann tatenlos zusehen und sagen, es werde schon alles gut gehen. Vor kurzem taufte ich Lille Freja, und die Verantwortung für ein solches kleines Menschenkind zu bekommen, bringt einen im Ernst zum Nachdenken. Denn es gilt wohl für euch Eltern und für alle Eltern überhaupt, dass jeder einzelne Tag seine Anforderungen stellt. Es ist einfach unsere Christenpflicht, uns gegenüber diesen Kindern die größtmögliche Mühe zu geben. Und wir können gar nicht anders. Jeder Mensch, der einmel ein Neugeborenes auf dem Arm gehalten hat, kann sich des Gedankens nicht erwehren, dass dies gelingen muss, dass es buchstäblich in meine Hände gelegt ist, und dass es meine Verantwortung ist. Das Kind, meine Verwandten, meine Freunde, meine Arbeit, mein ganzes Leben, all dies handelt davon, dass ich richtig handle, dass ich das Richtige tue. Und jedesmal, wenn wir in dieser Situation gewesen sind, jedesmal, wenn wir die Verantwortung erkannt, die Forderung empfunden haben, haben wir wohl gedacht, dass wir Ideen, dass wir Ideale davon haben, was richtig und verkehrt ist. Und danach will ich mich richten.

            Ja, aber es kam auch vor, dass es nicht gelang. Es kam auch vor, dass wir einsahen, dass wir einen Fehler begangen hatten. Wer unter uns Eltern kann sich völlig davon freisprechen, dass wir irgendwann einmal im Leben des Kindes gedacht haben, hier habe ich falsch gehandelt. Ich hätte es besser machen können. Und wir können dann nur darauf hoffen, dass man uns vergeben werde. Ebenso, wie wir unseren Eltern vergaben, ebenso wie wir anderen vergaben, denen wir verbunden waren, wenn wir einsahen, dass auch sie aus einer unvollkommenen Liebe handelten. Denn niemand ist vollkommen, und wir können niemals das Vollkommene tun. Wir bemühten uns nach allen Kräften und in der besten Absicht, Gutes zu tun, richtig zu handeln, gute Werke zu vollbringen. Ja, wir konnten es und können es gar nicht lassen, und wir sollen es auch gar nicht lassen. Aber wir wissen auch, dass es oft schief ging.

            Aber dann hören wir hier das segensreiche Wort, dass es keine Katastrophe ist, wenn etwas nicht vollkommen war. Dann hören wir hier, dass es nicht nur in deinen Händen liegt, sondern dass du wagen sollst, es aus der Hand zu geben und in die Hand Gottes zu legen. Bei den Menschen ist es unmöglich, bei Gott aber sind alle Dinge möglich.

            Und dies ist der Sinn der Worte, die Jesus zu dem jungen Mann sagt: verzichte auf alles und folge mir nach. Du sollst deinen Glauben aufgeben, du seist der Architekt deines eigenen Lebens. Du sollst deinen Glauben aufgeben, dass du aus eigener Kraft das Vollkommene schaffen könntest. Du sollst wagen, daran zu glauben, dass das Leben deines Kindes, das Leben deines Nächsten, dass das Leben selbst in Gottes Hand liegt. Du hast Fehler begangen, und du wirst Fehler begehen. Aber das ist kein Urteil, im Gegenteil. Denn es gibt eine Verheißung und eine gesegnete Verheißung. Eine Verheißung des Schöpfers: auch wenn du dir Mühe gegeben hast und obwohl es dir nie bis zur Vollkommenheit geglückt ist, will ich dich fortgesetzt im Dienst dieses Lebens gebrauchen.

            Wir werden nie der Pflicht entkommen, gute Werke zu tun an denen und für die, für die wir Verantworung bekommen haben. Das ist eine Christenpflicht. Das Leben verlangt von uns, dass wir handeln. Aber hier hören wir, dass es nicht nur wir, du und ich, sind, die das alles tragen, sondern dass es einen anderen gibt, der mitträgt, der Nachsicht hat mit unserer Unvollkommenheit und der uns trägt.

            Und wagst du, das zu glauben und davon zu leben, dann kannst du gleich von hier aufstehen und mit Freimütigkeit das in Angriff nehmen, was deine Pflicht ist und was dir anvertraut ist. Dann kannst du für das Glück deines Kindes arbeiten. Daran arbeiten, dass das Leben deines Nächsten glückt. Du sollst es nicht tun, um das Vollkommene zu erreichen. Du sollst es nicht tun, um Gottes Gunst zu gewinnen. Denn diese Angelegenheit ist ein für allemal erledigt, diese Angelegenheit hat Christus erledigt. Denn er ging den Weg, den wir nicht gehen konnten. Hörst du das und glaubst du daran, dann handelst du aus einem Übermaß, aus Dankbarkeit.

            Die guten Werke sind nicht der Weg zum Vollkommenen. Die guten Werke sind der Dank dafür, dass ein anderer den Weg zur Vollkommenheit ging.

Amen



Pastor Ole Juul Hansen
Hadsten (Dänemark)
E-Mail: ole-juul@post.tele.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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