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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

7. Sonntag nach Trinitatis, 18.07.2010

Predigt zu Matthäus 10:24-31, verfasst von Claus Oldenburg

Ehrlich gesagt, ich finde es schwierig, bei diesem Text einen inneren Zusammenhang zu ergründen. Er scheint aus Aussagen zusammengeflickt zu sein, die nicht notwendigerweise etwas miteinander zu tun haben.

            Und es wird dadurch nicht leichter, dass der Text aus dem Prediger, der als Lesung aus dem Alten Testament (3,1-11) gewählt ist und den ich im übrigen sehr schätze, sein ganz eigenes Leben zu leben scheint.

            Da ist der Episteltext aus dem Römerbrief (8,1-4) schon etwas klarer, denn der handelt von der Freiheit vom Gesetz und damit vom Fleisch, und dann besteht da möglicherweise doch eine Verbindung zum Predigertext, denn vielleicht handelt er von der Freiheit, sich über das hinwegzusetzen, was man sonst sicher fürchten müsste.

            Da macht dann immerhin der Verweis auf Beelzebul, d.h. den Teufel, einen Sinn, und die Trennung zwischen Seele und Leib, mit der der Text auch arbeitet, kann vielleicht seinen Zusammenhang erfahren.

            Wenn ich von dieser Seite her noch einmal versuchen soll, eine Verknüpfung der Texte dieses Sonntages herzustellen, muss ich mit dem Prediger beginnen, und das muss dann so aussehen: Ursprünglich und eigentlich besteht eine Ordnung in den Elementen dieser Welt, aber in diese Ordnung innerhalb der Dimension der Zeit hat der Mensch keine Einsicht, denn niemand "kann das Werk ergründen, das Gott tut". In der älteren Übersetzung hatte man es ein wenig anders formuliert, nämlich dass Menschen nicht "das erste oder das letzte von dem begreifen, was Gott gewirkt hat". Und soll ich meinen Freund Thomas Mann hier bemühen, dann entspricht diese Erkenntnis seiner Aussage, dass "alles anders kommt, als man denkt". Kurz gesagt niemand kann Gott in die Karten kucken.

            Aber genau dies tut Paulus sozusagen im 8. Kapitel des Römerbriefes, der Epistel von heute. In seiner Knappheit ist der Text schwierig, aber ich möchte meinen, dass Paulus an anderen Stellen wesentlich klarer ist - auch im Römerbrief.

            Aber nochmals, einigermaßen kurz gesagt: Gott handelt, indem er sich mit dem Menschengeschlecht in der Gestalt seines Sohnes versöhnt. Paulus weiß also, was Gott tut, und er hat so gesehen auch dem HÖCHSTEN in die Karten gekuckt, aber ich bin eigentlich nicht der Meinung, dass zwischen dem Text des Predigers und dem Text des Paulus ein Widerspruch besteht - auch nicht in Bezug auf den heutigen Predigttext.

            Und das ist die Übung, der ich mich in dieser Predigt unterziehen will, und ich muss es von der Voraussetzung der Furcht aus tun. Denn der Mensch fürchtet sich - sonst wäre der Mensch unmenschlich. Oder der Mensch wäre so dumm, dass sogar die wilden Tiere über eine solche Naivität lachen würden. Man könnte auch auf das klassische Volksmärchen von dem Jungen hinweisen, der auszog, das Fürchten zu lernen, denn sonst würde er nie seine Gefühle in den Griff bekommen. Denn das Gefühl des Menschen kennt Begriffe wie "Leben, Ehre und Wohlergehen", und dann gibt es ja auch viele andere Gründe zur Furcht, sowohl persönlich als auch in der Gemeinschaft.

            Und dann habe ich seinerzeit etwas zu viele Predigten gehört über das Thema "freimütig zu sein" - auch auf der Grundlage des heutigen Textes. Es ist mir immer so vorgekommen, als wäre das eine recht naive Übung, die nicht sehr viel mit den Realitäten zu tun hat. Denn die Furcht ist ein fundamentales Gefühl, das in seiner schlimmsten Form Angst ist, aber man soll nicht versuchen, dem Gefühl zu entrinnen oder seine Existenz zu leugnen; hierin besteht das Banale, und es grenzt an Abgestumpftheit.

            Wenn man den berühmten Text des Predigers unter diesem Aspekt betrachtet, enthält er eine nahezu stoische und damit kühle Erkenntnis dessen, was das Dasein einem Menschen bringen kann. Denn die Phänomene, die der Text - einigermaßen willkürlich - zur Sprache bringt, entsprechen dem Gefühl, das eben auf den Ausdruck dieser Welt reagiert und dann erkennen muss, dass das eine seine Zeit hat, aber dass auch das andere seine Zeit hat und das dritte usf. In meinen Augen drückt der Text die Vielseitigkeit aus und dann die ganz entscheidende Pointe: Du, Mensch, sollst mit nichts rechnen, denn du kannst die Kette der Ereignisse sowieso nicht ausrechnen. Sie gehört unserem Gott.

            Dies ist in Wirklichkeit Gottesfurcht. Gottesfurcht ist kein Zittern und Beben, nein, die Furcht ist hier eine Ehrfurcht, ein Respekt vor dem Gegenüber und eine Anerkennung eigener Begrenzung. Und wenn Gott - wie ich meinen möchte - eine persönliches Wort für die Welt ist, dann gibt es gute und triftige Gründe, sowohl sie, d.h. die Welt, als auch IHN zu fürchten.

            Wenn ich auf dieser Grundlage zu dem Paulustext übergehen soll, dann ist er eine etwas verwickelte Formulierung dessen, was man üblicherweise die "Versöhnungslehre" bei Paulus nennt, und die Versöhnungslehre ist in der christlichen Theologie - neben der Christologie und dem Dreieinigkeitsdogma - ein Hauptelement.

            Noch einmal kurz gesagt: die alte - die ganz alte - Gottesanbetung war keineswegs eine metaphysische Beschäftigung, sondern die Gottesanbetung war eine Opferung, und Sinn der Opferung war eine sowohl materielle als auch soziale Sicherung der eigenen Existenz, also eine Sicherheitsmaßnahme. Aber sie funktionierte nicht - aus den Grünen, um die der Prediger kreist, und sie funktioniert auch nicht aus Gründen, denen Paulus meiner Meinung nach auf der Spur war - nur kann ich das nicht wissen - dann aber doch aus Gründen, die ich ihm sehr gern zuschreiben möchte, denn es muss doch eine direkte Linie zwischen der paulinischen Verkündigung, Luthers Engagement und einer evangelischen Verkündigung in unserer Regie geben.

            Also. Meine Pointe ist: Wenn man opfert, um etwas zu erreichen, dann erreicht man dies todsicher nicht- denn die Berechnung muss misslingen, man denke an den Prediger. Aber man kann etwas opfern, um wegzugeben, und dann handelt es sich um eine Geste, die eben keine Gegenleistung verlangt. Und dann reden wir von etwas ganz Anderem. Denn "haben wollen" ist eine neurotische Attitude, während "weggeben" Ausdruck von Liebe ist.

            Paulus will also sagen, dass Gott seinen Sohn opfert, um seinem Menschengeschlecht entgegenzukommen. Niemand braucht mehr IHM, Gott, zu opfern; Gott hat selbst sein Teuerstes geopfert, den Logos dieser Welt in Fleisch und Blut, seinen Sohn, den Ausdruck des Alls in Menschengestalt.

            Wenn ich an meiner Argumentationskette festhalten soll, dann muss ich die Frage nach der Absicht Gottes stellen: Hat er geopfert, um Anbetung, Gehorsam und Abhängigkeit zu erreichen, oder hat er durch das Opfer auf die Macht über die Welt verzichtet und sich stattdessen ihr hingegeben? Die Entscheidung möchte ich euch überlassen, ich bin mir aber selbst recht sicher.

            Aber der Römerbrief verlangt nach einer Bemerkung meinerseits über das Verhältnis von Geist und Fleisch - oder mit der Formulierung des Textes des Evangeliums: von Seele und Leib. Diese Trennung - so möchte ich gleich hinzufügen - ist nicht parallel zu unserem Umgang mit denselben Begriffen.

            Denn Paulus will sich vom Gesetz absetzen, das grundlegend in der Vorstellung besteht, dass es der Mensch seinem Gott recht machen kann - durch Opfer, durch Verhalten, durch Haltung oder durch Werke des Glaubens. Eine solche Gottesanbetung ist fleischlich, weil sie physisch ist.

            Deshalb appelliert Paulus offensichtlich an eine Gottesanbetung des Glaubens oder des Geistes. Sie aber entfaltet sich nicht im Gegensatz zu den Forderungen des Fleisches oder der Wirklichkeit - diese Gottesanbetung ergänzt die Plage der Sünde und des Gewissens mit dem, was ich mir erlaube die Freiheit der Liebe zu nennen.

            Es ist einfach die Freude daran, wegzugeben - weil man nicht anders kann. Ob man etwas dafür bekommt, kann man nicht wissen - und braucht man auch nicht zu wissen.

            Und wenn das Christentum und seine Verkündigung der Welt etwas gegeben hat, dann ist es ganz einfach diese Trennung des Gefühls zwischen dem, was Ausdruck des Fleisches ist, und dem, was Ausdruck des Geistes ist.

            Noch einmal: Sie schließen einander nicht aus. Es ist umgekehrt. Sie ergänzen und vervollständigen einander - und sie geben sich einander hin.

            Denn es gibt keine Menschenwelt ohne Geist, der - mit Thomas Mann - "recht besehen Sinn für Sünde" ist. Und es gibt keine Menschenwelt ohne Fleisch, das die Rede der Wirklichkeit ist und ihre physische Entfaltung ist in dem, was ist.

            Wenn also der Predigttext Recht darin hat, dass wir IHN zu fürchten haben, der "Seele und Leib verderben kann in der Hölle" (Mt. 10,28), so hat das einen bestimmten Grund.

            Hier stirbt alles. Sowohl die Seele als auch der Leib. Sowohl die Erinnerung als auch die fleischliche Bezeichnung des Inneren. Und das ist zu fürchten. Wer immer Beelzebul und seine Gefolgschaft sein mag. Aber es gibt sie. Dessen bin ich sicher.

            Der Gegenspieler zu dieser Perspektive von Verdammnis und Vernichtung ist klarerweise die Dimenison der Erlösung und des Heils.

            Hier will unsere Tradition sagen, dass du genau dies nicht aus eigener Kraft kannst! Du kannst den Drang deiner Seele nicht aus eigener Kraft erlösen, und du kannst deinen Geist nicht aus eigener Kraft in einer neuen Gestalt erlösen, sondern wir, du und ich, dürfen auf das Fleisch Gottes hoffen, welches Paulus an anderer Stelle den "unvergänglichen Leib" nennt.

            Und was wir, du und ich, nicht aus eigener Kraft vermögen, müssen wir anderen überlassen. Das ist ganz einfach. Und die Erlösung ist in unserer Tradition Christus als der fremden Gerechtigkeit überlassen, die wir nicht selbst verdient oder erwirkt haben. Und das entspricht sehr genau der Tatsache, dass wir nicht erwarten können, dass es uns besser ergeht als unserem Herrn und Meister. Und das muss auch in Ordnung sein - nicht zuletzt, wenn ER zwar der Gekreuzigte ist, aber auch der Auferstandene und damit die Erstlingsgabe zu unserer Auferstehung. Und es passt gut zu einer jeden menschlichen Erfahrung der Liebe - man kann sie nur geschenkt bekommen, man kann sie sich nicht nehmen.

Vielleicht kann ich die Gelegenheit benutzen, hier zum Schluss eine Bemerkung anzufügen über die gegenwärtige Diskussion zwischen Glauben und Vernunft - oder: Dummheit und Intelligenz.

            Programmatisch gesagt: die Intelligenz verlangt ratio, aber diese Vernunft kann die Ware nicht liefern, denn sie kann nicht mit der Welt und ihrem Ausdruck übereinkommen.

            Vermag es der Glaube? Ich bin nicht der Meinung. Aber wir können in höherem Maße als die Vernunft das Gefühl und seine enorme Kraft erkennen, und wir haben eine Einsicht in die Welt, die klar die Irrationalität anerkennt und sich zu ihr als einem Teil unserer selbst bekennt.

            Gott sei uns allen gnädig!

            Diese Worte sollten das Abendgebet eines jeden Christenmenschen sein und sind es.

            Und dann kann sich jeder Christ damit trösten, dass wir das Wort der Schrift dafür haben, dass unsere Haare auf dem Kopf gezählt sind - uns zur Würde - und das weiß eigentlich auch der Atheist zu schätzen.

            Das Nichts hat doch niemals irgendjemandem irgendetwas gesagt, geschweige denn, dass es zu irgendetwas von Nutzen gewesen wäre.

Amen



Pastor Claus Oldenburg
København (Dänemark)
E-Mail: col@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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