Göttinger Predigten

Choose your language:
deutsch English español
português dansk

Startseite

Aktuelle Predigten

Archiv

Besondere Gelegenheiten

Suche

Links

Konzeption

Unsere Autoren weltweit

Kontakt
ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

10. Sonntag nach Trinitatis, 08.08.2010

Predigt zu Matthäus 11:16-24, verfasst von Margrethe Dahlerup Koch

Es ist Urlaubszeit. Die Jahreszeit, in der man oft vor verschlossenen Türen steht, einen Anrufbeantworter zu hören bekommt oder von einer Urlaubsvertretung gesagt bekommt: leider könne man nicht helfen, aber man solle es doch "nach dem Urlaub" noch mal versuchen. Gleichgültig, ob wir selbst auf Urlaub sind oder nicht, geraten wir in diesen Wochen immer wieder ins Stocken. Wir verlangsamen unser Tempo, werden ein bisschen träge, sind aber dann und wann auch verärgert, wenn es sich um sehr wichtige Dinge handelt, die durch den Betriebsurlaub anderer hinausgeschoben werden. Die effektive Gesellschaft, in der wir uns die übrigen 49 Wochen des Jahres bewegen, ist plötzlich verschwunden. Es ist wie ein langer Sonntag Nachmittag zu den Zeiten, als das Ladenschlussgesetz noch allenthalben in Kraft war und man nichts anderes kaufen konnte als Benzin oder Reinigungsflüssigkeit für die Scheibenwischer an einer Tankstelle und ein Eis in einer Eisbude. So sieht es in Dänemark im Juli aus.

            Und mitten in dieser trägen und verschlafenen Ruhe und Ferienstimmung ertönt nun an diesem Sonntag Jesu rasender Ruf und seine Ankündigung des Gerichts über uns, über "dieses Geschlecht". Ein Ruf vom Tag des Gerichts, ein Ruf, der schwer zu überhören ist. All die Störungen in der Leitung, all die Projekte und Pläne, die wir sonst haben mögen, die uns taub machen für alles andere als das, was auf dem von uns selbst gewählten Kanal kommt - die hektische Aktivität und Geschäftigkeit, die uns eigentlich vor störenden Worten und Gedanken bewahren könnte, - das alles ist jetzt wie weggeblasen. Er geht direkt in unsere Gehörgänge, dieser zornige junge Mann, der dasteht und uns mitten im schönsten Sonnenschein ausschilt.

            "Ihr seid wie tyrannische und herrschsüchtige Kinder," ruft er uns zu. Denjenigen, die verwöhnt andere ausschelten, weil sie nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollen. "Wir haben euch aufgespielt, und ihr wolltet nicht tanzen; wir haben Klagelieder gesungen, und ihr wolltet nicht weinen", rufen solche Jungen beleidigt. Für derartige egozentrische Kinder ist es völlig undenkbar, dass ihr eigener Vorschlag für ein gemeinsames Spiel verkehrt sein könnte. Sie können sich nicht vorstellen, dass sie selbst die Lage falsch beurteilt haben könnten und nicht ihre Spielgefährten. Ja, dass es vielleicht sogar so ist, dass nicht die verwöhnten Jungen - dass also nicht wir und unsere Werte, Normen und Gelüste die Tagesordnung festlegen und das Spiel bestimmen sollen. Sondern dass wir etwas so Ungewohntes tun sollen wie anderen als uns selbst und unseren Gesinnungsgenossen zuzuhören und so etwas neues zu entdecken.

            Denn Jesus ist nicht gekommen, um uns aufmunternd auf die Rücken zu klopfen. Jesus ist gekommen, um uns in unserer geborgenen Selbstsicherheit Widerstand entgegenzusetzen. Jesus hat nie diejenigen aufgemuntert, die wussten, dass sie Recht hätten. Wo ein Urteil über Verbrecher und Schmarotzer zu erwarten war, verkündete er die Vergebung der Sünden. Wo man Lob und ein Klopfen auf die Schulter des Tüchtigen und Rechtschaffenen erwartet hätte, stellte Jesus die Korrektheit und Nettigkeit in Frage. Und -das ist das Entscheidende - Jesus sagte, dass er es mit der Vollmacht Gottes tat.

            Jesus gab neue Bilder von Gott und dem Reich Gottes, und er widersprach den alten Erwartungen. Er spielte auf anderen Saiten und bediente sich anderer Töne. Mit seinen Gleichnissen, mit der Wahl derer, die er um sich scharte, indem er sich Spott und Hohn aussetzte und am Ende freiwillig Leiden und Tod auf sich nahm.

 

"Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Und du, Kapernaum, du wirst bis in die Hölle hinuntergestoßen", ruft Jesus.

            Das ist das vernichtende Urteil, das er über die Städte fällt, wo ihn die Menschen gehört und gesehen haben und sich von ihm und seinen Werken haben unterhalten lassen, um dann wieder auf der Fernbedienung zu dem alten, bekannten Kanal zurückzukehren.

            Und es ist kein Zufall, dass gerade diese Städte beim Namen genannt werden. Einige Jünger, u.a. Petrus, kamen aus Betsaida, und Kapernaum wird Jesu eigene Stadt genannt. In Kapernaum hat man ja auch ausgegraben, was wahrscheinlich der älteste christliche Kirchenraum ist. Jesus verheißt also m.a.W. ein härteres Gericht über die Geburtsorte unserer christlichen Kirche als über Städte wie das Terroristennest Sodom und die wohlhabenden und schönen und korrupten und ungläubigen Küstenstädte Tyrus und Sidon.

            Wir, die wir Christen sind, können das ja dann zur Kenntnis nehmen in einer Zeit wie der unsrigen, wo die Begegnung der Religionen wieder aktuell geworden ist und wo die Begegnung mit Ungläubigen, oder - etwas netter eingepackt: mit Menschen anderen Glaubens wieder genauso normal geworden ist, wie das im multireligiösen Nahen Osten oder im Römischen Reich zur Zeit Jesu und in den ersten Jahrhunderten danach der Fall war. Die Besorgnis - sei sie nun reell oder nur vorgetäuscht - die Besorgnis, was der Herr denn nun von denjenigen denken mag, die keine Christen sind, diese Besorgnis kehrt Jesus im Evangelium für heute um und macht damit klar, dass wir uns in der christlichen Kirche vor allem um unseren eigenen Glauben und Unglauben kümmern sollen, bevor wir anderen die Erlösung und das Bürgerrecht im Reich Gottes absprechen.

 

"Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida und Kapernaum. Ihr werdet bis in die Hölle hinuntergestoßen werden." Das ist das vernichtende Urteil, das Jesus über uns fällt, wenn wir sehr wohl hören, dann aber eiligst die Gardine "Wegen Ferien geschlossen" herunterlassen, weil wir uns in unserem Eigenen verschanzt haben und überzeugt sind, dass wir das allerbeste Spiel gefunden haben, den besten Glauben, die richtigen Werte. Und warum sollte man sich dann stören lassen und zu etwas Anderem mitziehen?

            Weil, sagt Jesus, weil es Gott ist, der etwas mit euch will.

            "Die Weisheit" - nicht wir, sondern die Weisheit - "ist gerechtfertigt worden aus ihren Werken", sagt Jesus. Ziemlich unbescheiden, denn mit der Weisheit meint er sich selbst. Jesus sagt m.a.W., dass seine Werke zeigen, dass er Recht hat. Recht, wenn er sagt, dass er, der Sohn Marias und Josefs, derjenige ist, der Gott in der Welt sichtbar macht.

            Die mächtigen Taten, die Jesus in den Städten Galiläas getan hat: Wenn er Kranke geheilt hat, wenn er die Vergebung der Sünden verheißen hat, wenn Jesus mit Zöllnern und Sündern gegessen hat - und zwar so reichlich getrunken und gegessen hat und wenn er durch seine Predigt Mut, Glaube, Hoffnung und Liebe in Menschen zum Leben erweckt hat, die nichts davon besaßen - all das, sagt Jesus, sind machtvolle Taten, weil das alles Gottes Werke hier mitten in der Welt sind. Diese Werke sind Zeichen des Reiches Gottes hier mitten in der Welt. Sie sind Zeichen, die zeigen, wer Gott ist, und die zeigen, dass Gott die Menschen will, die zeigen, was Gott uns will.

            Es ist kein bloß mehr oder weniger geschickter Healer, kein redegewandter Prediger und unterhaltsamer Provokateur, mit dem wir es hier zu tun haben. Gott ist es, der tiefste Grund und Sinn des Daseins, der sich zu erkennen gibt und von sich hören lässt, jedesmal wenn Jesus handelt oder den Mund aufmacht. Und deshalb müssen wir ihm immer wieder zuhören und uns jedesmal erschüttern, bewegen und überraschen lassen von dem, was wir hören und sehen.

            - Wenn Jesus mit großem Appetit und ungeteilter Freude mit denen zusammen isst, denen wir den Rücken kehren und mit denen wir höchstens Mitleid empfinden,

            - wenn Jesus die Mauer von Würde, Korrektheit und Selbstvertrauen, hinter der wir uns verbergen und mit deren Hilfe wir uns die anderen, kaum so netten und gelungenen Menschen vom Leibe halten,

            - wenn Jesus Totes und Verdorbenes zu Leben und Freude erweckt, dann ist das alles Zeichen dafür, dass Gott so ist und dass Gott es so will. Der Mut, die Freude und der Glaube, den Jesus Menschen reicht und ohne Gegenleistung schenkt, damit wir frei davon leben können - dieser Mut, diese Freude und dieser Glaube ist Gottes Absicht mit dem Menschenleben. So sollen wir leben, mutig, froh und treu zu Gott und den anderen.

            Das ist die gute alte und immer wieder neue Neuigkeit. Mitten in Jesu zornigem Rufen und seiner wütenden Kritik an unserer arroganten und eingebildeten Ruhe und trägen Gleichgültigkeit gegenüber dem Neuen und Andersartigen, das er uns anbietet - mitten in all dem steht das "Und doch" des Evangeliums: "Und doch ist die Weisheit gerechtfertigt worden aus ihren Werken." Die Werke, Jesu Worte und Taten, sind fortgesetzt Zeichen des Reiches Gottes in der Welt. Sie sind hier - der Tod, der Zahn der Zeit und der Missbrauch durch die Menschen, ihre Selbstsicherheit und ihre Trägheit haben nicht vermocht, sie zu unterdrücken. Das Wort ergeht - neue Menschen werden getauft, und uns wird immer wieder im Abendmahl Glaube, Hoffnung und Liebe eingeschenkt. Als Pfand dafür, dass wir am Tag des Gerichts, wenn wir und alles, was wir für uns ins Feld führen können, Unrecht bekommen, - dass wir dann IHN erkennen und von IHM wiedererkannt werden, der Recht bekommen wird. Der Menschensohn, der allezeit ein Freund der Ungerechten und Schuldigen war und sein wird.

Amen



Pastor Margrethe Dahlerup Koch
Tim (Dänemark)
E-Mail: mdk@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


(zurück zum Seitenanfang)