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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

11. Sonntag nach Trinitatis, 15.08.2010

Predigt zu Lukas 7:36-50, verfasst von Ole Juul Hansen

Ich habe mir gerade ein Auto gekauft. Und wie das so ist, man bekommt nicht sehr viel für das alte Auto, bezahlt aber recht viel für das neue, und das Ende vom Lied ist - jedenfalls vorläufig, dass man mal wieder Schulden gemacht hat. Meine Bank hat nichts dagegen, aber ich! Jetzt muss ich sehen, dass ich den Kredit für das Auto möglichst schnell zurückzahle, damit ich jedenfalls in dieser Angelegenheit wieder schuldenfrei sein kann. Auch wenn meine Bank sagt, das macht nichts, so möchte ich doch am liebstenohne Schulden sein. Dann würde ich niemandem etwas schulden - jedenfalls kein Geld. Und ich hoffe sehr, dass ich eines schönen Tages in Ruhe dasitzen kann und niemandem etwas schulde - finanzielt. Und so denken wohl die meisten Menschen, dass wir schuldenfrei sein können, dass wir eines Tages niemand etwas schuldig sind. Ich kann mich nur dunkel daran erinnern, so lange ist das her. Aber es muss ein angenehmes Gefühl sein, und ich bin zuversichtlich, dass es gelingt.

            So ist das mit dem Geld. Aber so ist es nicht im Leben. Ganz im Gegenteil. Meinem gelebten Leben gegenüber, meinen engen Beziehungen gegenüber, meinen Angehörigen gegenüber, meinen Mitmenschen gegenüber - ja, so gesehen besteht da eine Schuld, die ich nie abbezahlen kann. Aber nicht nur das. In Wirklichkeit ist es eine Qualität des Lebens, dass ich unendlich viel schulde. Es ist eine Qualiät des Lebens, dass ich an einen anderen Menschen gebunden bin. Es ist eine Qualität des Lebens, dass ich einem anderen Menschen alles schulde oder verdanke. Und es liegen Welten zwischen der Schuldigkeit, die mich durch Verbrauch und manchmal übertriebenen Verbrauch meiner Bank gegenüber verprlichtet,, und der Schuldigkeit, die mich durch das gelebte Leben anderen Menschen gegenüber verpflichtet.

            Die erste Art von Schuldigkeit möchte ich gern hinter mir lassen. Die andere Art ist das, was mein Leben aufrecht erhält. Ich möchte gern aus meinen Verpflichtungen bei meiner Bank entlassen werden. Aber ich möchte sehr ungern befreit sein von der Gebundenheit an die Menschen, die mein Leben bevölkern und bereichern.

            An manche Menschen sind wir nicht durch eigene Wahl gebunden, sondern wir sind durch das Schicksal an sie gebunden. Das ist z.B. der Fall mit den Eltern, die man hat. Und mit den Geschwistern. Und mit den eigenen Kindern. Es gab andere Menschen, an die wir gebunden wurden oder an die wir uns banden, denn so wollte es das Leben. Auf diese Weise haben wir unterwegs immer wieder eine Wahl getroffen. Und so wurden diese Menschen zu unserem Schicksal. Das ist der Fall mit dem Ehepartner, mit den besten Freunden, die man hat. Was einmal eine Wahl gewesen ist, wurde zum Schicksal, oftmals zu einem glücklichen Geschick. Oder die Wahl wurde die Lebensgrundlage, ohne die wir nicht mehr leben konnten. Und wir empfingen eine Qualität im Leben, die wir nicht selbst geschaffen haben.

            Man kann durch finanzielle Schulden gebunden sein. Und wir bemühen uns, aus dieser Form von Schulden herauszukommen. Man kann aber auch durch menschliche Schuld gebunden sein. Und von dieser Schuld können wir uns nicht auf dieselbe Weise freimachen. Gott sei Dank! Wir stehen in tiefer Schuld gegenüber bestimmten Menschen. Wir verdanken bestimmten Menschen unser Leben. Ich weiß, wem ich mein Leben verdanke, meine Offenheit, meine Freude, meine Erwartung an den Tag. Und ebenso weißt du es.

            Für Kinder liegt es auf der Hand. Wir schulden unser Leben unseren Eltern. Aber als Eltern stehen wir unseren Kindern gegenüber in tiefer und unendlicher Schuld. Wer wenn nicht sie und andere, die wir lieben und geliebt haben, hat uns die Augen geöffnet für das Leben in seiner ganzen Mannigfaltigkeit? Um alles in der Welt möchten wir auf diese Sicht nicht verzichten. Um alles in der Welt möchten wir nicht ohne diese Erkenntnis sein. Auf diese Weise schulden wir einander das Leben. Und obwohl es eine grenzenlose Schuld ist, möchte ich nicht gern aus ihr herauskommen.

            Und darum geht es in der heutigen Geschichte. Es geht darum, sich schuldig zu wissen. Und zu wissen, dass das Leben inhaltslos wäre ohne diese Schuldigkeit. Das wusste die unbekannt Sünderin, von der wir heute hören. Sie wusste, dass sie einem bestimmten Menschen gegenüber in bodenloser Schuld stand. Und dieser Mensch war Jesus. Sie wusste, dass das Leben, das sie bis zu dem Tag geführt hatte, an dem sie Jesus begegnete, nicht so gewesen war, wie es hätte sein sollen. Aber sie wusste auch, dass er der einzige war, dort in der Schar von Männern, der sie annahm als die, die sie war. Deshalb kommt sie an diesem Tag, und deshalb erscheint sie in dieser Gesellschaft. Und deshalb geht sie schnurstraks zu Jesus und verleiht ihrer Liebe und Dankbarkeit auf sehr direkte Weise Ausdruck.

            Simon denkt sich seinen Teil. Er hat seine Vorbehalte. Denn die beiden, Simon und die Frau, betrachten Jesus mit sehr verschiedenen Augen. Für Simon ist Jesus interessant. Für die Frau ist er die Lebensgrundlage. Sie weiß, dass sie ihm ihren Glauben daran verdankt, dass sie ein würdiger Mensch ist, trotz allem. Simon dagegen ist nicht der Meinung, dass er Jesus es zu verdanken hätte. Aber nun erzählt Jesus ihm eine kleine Geschichte von zwei Schuldnern. Und mit der Geschichte gibt Jesus Simon darin Recht, dass seine Schuld sicherlich nicht die größte ist, angesichts der beiden, der Frau und Simons. Aber er erzählt ihm dann auch, dass derjenige, der keine Schuld hat, auch nicht gebunden ist. Und wer nicht gebunden ist, ist an niemand anders geknüpft als an sich selbst. Und wer nicht an andere Menschen gebunden ist, sondern nur an sich, für den welkt die Liebe dahin, oder für den gibt es keine Liebe. Für ihn stirbt die Fähigkeit zu lieben und sich geliebt zu wissen, dahin. Denn woher sollte sie kommen?

            Und nun musste Simon hören, dass er  "den Fluß" nicht kannte, "der Felsen stürzen kann, den Fluss, der Eisberge zum Schmelzen bringen kann", wie wir gleich singen werden (Zitat aus einem Grundtviglied, DDS 192). Er wusste nicht davon, dass das bedrängte Herz gewaschen, gereinigt werden kann. Er war niemandem etwas schuldig oder jedenfalls nur sehr wenig. Er kannte also nicht die heilsame Kraft der Vergebung für ein Menschenherz.

            Jesus sagt hier zu Simon - und das gilt auch dir und mir -, dass der Herr das Leben so weise für uns eingerichtet hat, dass es immer einen Menschen gibt, dem du dein Leben, dein Glück verdankst, deine Freude. Deine Offenheit. Es gab und gibt die Menschen, die für dich einstanden. Nicht weil du dich darum bemüht hättest, sondern weil es um dich ging. Es gab und gibt die Menschen, die dir eine Würde gaben, die du dir nicht zu erkämpfen hattest. Es gab und gibt die Menschen, die dir vergaben und sagten: "Es ist möglich, versuch es noch einmal!" Denen schuldest du dein Leben. Und aus dieser Schuld kommst du nie und nimmer heraus. Wie du Gott dein Leben schuldest und nie und nimmer aus dieser Schuld herauskommst.

            Diese Schuld wurde in deiner Taufe geschaffen. Und deshalb wurdest du mit deiner Taufe schuldig, bekamst Verantwortung. Und deshalb geht es in deinem Leben darum zu erkennen, der dich tagtäglich annimmt als den, der du bist, dich liebt als den, der du bist, nachsichtig mit dir ist, dich geleitet und dein Leben für dich und mit dir trägt.

             Das wusste die Frau. Daraus entsprang ihr Glaube. Denn es war ihr Glaube, dass sie wusste, wem sie ihr Leben schuldete. Und es war ihr Glaube, dass sie dieser Schuld nie entkommen. Und es ist nicht anders für dich und mich.

            Glaube ist kein langwieriger oder intellektueller Prozess. Nein, Glaube ist zu erkennen, dass es eine ander Instanz gibt, der ich mein Leben schulde. Und der Glaube ist deshalb auch die Erkenntnis, dass du keinen einzigen Augeblick der Schuld gegenüber dieser Instanz entfliehst. Gegenüber deinem Mitmenschen. Gegenüber Gott. Und sei nur froh darüber. Denn darauf beruht dein Leben.

Amen



Pastor Ole Juul Hansen
Hadsten (Dänemark)
E-Mail: ole-juul@post.tele.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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