Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

13. Sonntag nach Trinitatis, 29.08.2010

Predigt zu Matthäus 20:20-28, verfasst von Peter Nejsum

Neulich konnte man in den Zeitungen von sogenannten "Hubschraubereltern" lesen. Der Begriff stammt aus den USA, aber wie so viele andere Wörter wird auch dieses Wort bei uns immer häufiger. Hubschraubereltern sind Eltern mit erwachsenen Kindern, die als eine Art menschliche Rettungshubschrauber beschützend über ihren Kindern schweben, jederzeit bereit zur Landung und zum Eingreifen, wenn sich auch nur das geringste Zeichen von Krise oder von Problemen zeigt. Es sind die sog. "Curlingkinder", die jetzt groß geworden und bei den Eltern ausgezogen sind - Curlingkinder, weil die Eltern vor ihnen gefegt haben, wie es die Curlingspieler vor dem Stein tun - so dass alle Hindernisse und Probleme und Unannehmlichkeiten aus dem Weg geräumt sind, alles, woran man sich stoßen und wobei man unsicher sein kann. Das Neue ist jetzt, dass die Hubschraubereltern mitfliegen, wenn die Kinder ihr Elternhaus verlassen. Es ist leicht gemacht, nicht zuletzt, weil das Handy zur längsten Nabelschnur der Welt geworden ist.

            Und was tun Hubschraubereltern dann? Der Vater ruft z.B. an und verhandelt den Lohn oder das Gehalt, wenn die Tochter zu einem Vorstellungsgespräch gewesen ist. Oder er reicht über seinen Rechtsanwalt eine Klage ein über die ungerechte Behandlung, die sein Sohn beim Examen erfahren hat. Oder Eltern rufen jeden Morgen bei ihrem 20jährigen Sohn an, um sicher zu sein, dass er sich aus dem Bett bequemt und ein vernünftiges Frühstück verzehrt hat, so dass er zur Vorlesung gehen kann.

            Man kann darüber leicht lachen, aber das sollte man nicht tun, denn es lässt doch immerhin erkennen, dass diese Eltern am Leben ihrer Kinder teilnehmen. Dass es ihnen nicht gleichgültig ist, dass sie ihre Kinder nicht sich selbst überlassen. Sie wollen das Allerbeste für ihre Kinder - und für das Projekt opfern sie Zeit und Ressourcen. Aber man kann selbstverständlich schnell sehen, dass die Eltern ihren Kindern einen Bärendienst erweisen. Deshalb greifen gewisse amerikanische Universitäten denn auch ironischerweise dazu, klarzumachen, dass das gar nicht so gut ist, und zwar um der jungen Menschen willen, sie sollen doch selbständig werden und auf eigenen Beinen stehen können. Ja, es sind massenweise Hubschrauber in der Luft.

            Und dabei ist das Phänomen gar nicht einmal so neu. Im Text von heute ist auch so eine Hubschraubermutter gelandet - die Mutter der Zebedäussöhne, die der Meinung ist, sie habe außerordentlich gute Gründe, in das Leben ihrer beiden Söhne einzugreifen. Sie haben Fischernetze Fischernetze sein lassen, um eine - gelinde gesagt - unsichere Laufbahn einzuschlagen und diesem merkwürdigen Menschen zu folgen, den einige Leute Messias nennen. Und jetzt ist steht sie hier; wenn es stimmt, dann muss sie dafür sorgen, dass ihre Kinder - wie echte Hubschraubereltern denkt sie nicht an die anderen Jünger, sondern nur an ihre eigenen Kinder - dass also ihre Kinder die Ehrenplätze zu Seiten des HERRN einnehmen, der eine zu seiner Linken, der andere zu seiner Rechten.

            Damit erreicht sie jedoch nichts - oder hat sie vielleicht doch etwas davon? Denn Jesus antwortet ihnen, indem er auf seine Leiden hinweist. Auf den Becher, den er leeren wird. Auf die Situation, in der die Plätze an seiner Rechten und an seiner Linken besetzt sein werden, nämlich von den beiden hingerichteten Verbrechern, die mit ihm gekreuzigt werden sollen, einer an jeder Seite. Er weist auf die Situation hin, in der Jesus schmecken wird, was das Menschenleben auch ist: Leiden. Ohnmacht, Verzweiflung. Das Gefühl, von Gott verlassen zu sein. Und nicht zuletzt: Die schmerzhafte Erkenntnis, dass Gott kein Hubschraubervater ist. Wenn du wirklich Gottes Sohn bist, verhöhnen ihn die, die am Fuß des Kreuzes stehen, dann sage, dass er kommen und dich retten soll! Aber es kommt niemand. Und Jesus wird sich selbst rufen hören: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

            Wir sollten darüber nachdenken, dass wir noch immer dieses Bild von Gott haben. Ein Hubschraubervater, der kommt und uns rettet, wenn es brennt. Man kann es überall in Gebeten und Texten und sogar auch in Predigten wiederfinden. Rette mich! Erlöse mich! Beschütze mich vor dem Bösen! Lass mich nicht das Unglück treffen! Man kann natürlich um alles Mögliche bitten, um was immer man will, das liegt im Wesen des Gebets.Und wenn er mich nicht rettet, dann geht das zu weit. Wenn er mich nicht vor dem Bösen schützt, wenn er weiter die Gedanken in meinem Kopf toben lässt, wenn er dem Zweifel zu nagen erlaubt, wenn er mich nicht der sein lässt, der ich sein sollte, dann geht das zu weit, dann ist das zu schlimm, ungerecht. Manche ziehen sogar die Konsequenz und sagen, unter den Umständen wollten sie überhaupt nicht mit ihm zu tun haben, dann gibt es ihn nicht, ha ha ha. Diese Reaktion kann ich nicht empfehlen, denn sie hilft nichts, im Gegenteil, dann gäbe es nicht einmal jemanden, auf den man schimpfen könnte.

            Aber trotz seines himmlischen Ausgangspunktes ist Gott kein Hubschraubervater. Vater ist er, Gott. Wir bekommen am Tag der Taufe zu hören, dass wir jetzt nicht mehr nur Kinder unserer Eltern sind, jetzt sind wir Kinder Gottes. Wir reden ihn mit "Vater" an, wenn wir beten. Aber was für ein Vater ist er dann?

            Er ist ein Vater, der mit einem ist. Und ein Vater, der uns vertraut, unbedingt, auch wenn wir dieses Vertrauen immer wieder missbrauchen. Er ist ein Vater, der mit uns ist. Im 139. Psalm heißt es so schön: Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bust du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen. Und es wird uns auch bei der Taufe gesagt, wenn der Herr uns das Versprechen gibt: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. - Alle Tage, heißt es. Gott ist ein Teil des Menschenlebens, mit dem Menschenleben durch Jesus Christus verbunden. Deshalb musste er auch ein Leben wie das unsrige leben und sogar die furchtbarsten Winkel, das Leiden, die Ohnmacht, die Einsamkeit aufsuchen.

            Gott ist der Vater, der das alles kennt - und der uns kennt, dich und mich. Und er bekennt sich zu unserem Leben, mit allem, was dazu gehört, in Glück und Unglück. Ein Leben in Gott ist kein Leben ohne Leiden, ohne Ohnmacht, ohne Zweifel. Aber ein Leben in Gott ist ein Leben mit dem Bewusstsein, nie allein zu sein. Nie sich selbst überlassen zu sein. Nie an einem Ort zu sein, wo es keine Hoffnung gibt. Dies ist eine andere Weise, das Beste für seine Kinder zu wollen - an ihrer Seite zu sein, auch wenn es am schlimmsten ist.

            Ist das nicht hart und unbarmherzig? Nein, im Gegenteil, es ist wahre Barmherzigkeit, wahre Liebe. Sich zu seinem Kind so, wie es ist, zu bekennen - es auf schwankendem Boden und im finsteren Tal zu begleiten. Sein Kind durch eine schnelle und gezielte Rettungsaktion zu retten, bevor es überhaupt erfährt, dass es den schwankeden Boden und das finstere Tal gibt, das würde bedeuten, dass man seinen eigenen Erfolg als Eltern, seine Besorgnis, Sicherheit und Kontrolle höher einstuft als die Liebe zu seinem Kind. Liebe setzt frei. Und zugleich lässt sie einen doch nicht los, sie folgt einem, nicht sichtbar und anmaßend, sondern als Zusage an das Kind, dass es allezeit von Liebe umgeben ist.

            Deshalb schafft Gott das Böse nicht ab. Deshalb verschont er uns nicht vor all dem, was weh tut. Deshalb begnügt er sich damit, uns durch das, was weh tut, zu folgen. Er zeigt uns sein Vertrauen zu uns. Dass wir stark sind. Er weiß, dass wir eine ungeahnte Stärke besitzen. Und er tut dies unter der besonderen Voraussetzung, dass es einen Weg gibt. Christus ist auferstanden von den Toten und erinnert uns daran, dass dies das Vorzeichen ist, das vor all unser Leben hier gesetzt ist.

            Dies ist nicht etwas, was wir uns selbst sagen könnten, es ist etwas, das uns gesagt werden muss. Darum ruft die Kirchenglocke auch zum Gottesdienst. Und sie hat ihren Ruf in unserem Land erklingen lassen, seitdem Ansgar im Jahre 854 die Erlaubnis erhielt, in Hedeby die Kirchenglocken läuten zu lassen. Erlaubnis war notwendig, denn man befürchtete, die Glocke könnte die guten Geister des Geschlechts verjagen! Aber die Kirchenglocke verjagt niemanden - hoffentlich -, weder gute noch böse Geister, sie ruft vielmehr Menschen herbei, um Gottesdienst zu feiern. Die alte Bronzeglocke in unserem Kirchturm, die wir heute feiern, hat es in den vergangenen 400 Jahren getan. Sie ruft zum Gottesdienst - hier sollen wir nämlich hören, dass unser Vater im Himmel alle Tage bis an der Welt Ende mit uns ist. Dass er uns folgt - und Vertrauen zu uns hat.

            Die Glocke hängt uns nicht am Hals, wie das bei den Kühen in den Alpen der Fall ist, so dass Gott uns finden und eingreifen kann, so dass wir der Ohnmacht, dem Schmerz und dem Gefühl der Unzulänglichkeit und all dem, was weh tut, entgehen. Wir dürfen hören, dass wir seine Kinder sind, dass er uns folgt, was immer geschehen mag. Und dass er an uns glaubt, trotz all unserer Schwachheit.

            So ist es, Kind Gottes zu sein. Und so sollte es auch sein, unsere Kinder zu sein. Es kann eine sehr schwere Aufgabe sein, denn das Wagnis des Glaubens verlangt Mut. Aber durch Freisetzung und Vertrauen dienen wir ihnen am besten. Denn so dient der Menschensohn uns.

Amen



Sognepræst Peter Nejsum
Slangerup (Dänemark)
E-Mail: pene@km.dk

Bemerkung:
Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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