Göttinger Predigten

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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 05.09.2010

Predigt zu Römer 8:14-17, verfasst von Jochen Riepe

I

‚Abba, lieber Vater' , ruft der Apostel. ‚Vater unser im Himmel', beten wir. Für die einen ist diese Anrede selbstverständlich. Für andere ist sie unmöglich (geworden). Für dritte schließlich ist sie ein unverhofftes Geschenk. Gnade. ‚Vater' - ist das nicht ein Wort für jenen Verlorenen, der sein Kind immer noch sucht ?

 II

Ferienlektüre*. Vater war immer der , der schrie. Vater war der , der den Bruder bevorzugte. Vater war der , dem es nie recht war. Jetzt ist Vater krank, sterbenskrank, und Helmer , der Sohn , wartet auf das Ende. ‚Ich habe Vater nach oben geschafft' , so lautet der erste Satz einer modernen Vater-Sohn- Geschichte. Der alte Mann und der gar nicht mehr ‚junge' junge Mann . Man lebt in einem Haus . Die Pflege des Alten bestimmt den Alltag und das Leben des Jungen findet buchstäblich keinen Raum. ‚Ich habe Vater nach oben geschafft', das ist der Beginn einer Distanznahme. Abstand kann Leben retten.

 III

‚Ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen : Abba, lieber Vater'. Der Römerbrief des Paulus , liebe Gemeinde , ist gewiß nicht arm an dramatischen Textabschnitten. Aber hier im 8. Kapitel , in der Mitte des Briefes , spitzt es sich zu . Aus einem bewegten und sehr bewegenden Textfluß wird gleichsam ein Wirbel, eine Fontäne, ein Schrei . Als vom Geist Getriebene rufen, jubeln, wörtlich: schreien wir : ‚Abba, lieber Vater'. Gott ist Herr. Gott ist Richter. ER ist die Macht des Gewissens ; die Urmacht des Lebens und nun diese unglaubliche Nähe. Vor diesem Gott muß sich der Mensch nicht schämen . Mit diesem Gott darf er in ein vertrautes Miteinander , in ein inniges Verhältnis treten , ein Verhältnis , das sich in einem ‚zärtlichen Schrei' äußert : ‚Vater!'.

 IV

Darf man so sprechen ? Kann man so sprechen? Darf man so hoffen? Gewiß muß man im Sinne des Apostels sagen : Diese Anrede steht dem Menschen nicht einfach zur Verfügung. So selbstverständlich sie uns als Betenden in der Regel ist , Paulus gesteht sie denen zu , ‚die der Geist Gottes treibt'. Ein Mensch ist also aus sich herausgetreten und über sich hinausgegangen, Sprecher einer neuen Sprache , wenn er der Urmacht des Lebens auf diese Weise nahe kommt. Ein Blick in die Bibel lehrt , wie zurückhaltend , ja scheu das Alte Testament im Gebrauch des Vater- Bildes und Vater - Namens für Gott ist , und Paulus mutet seinen Lesern schon ein Stück Denk- arbeit zu. Der , den wir als Vater anrufen, er ist es zugleich , der kraft des Geistes uns antreibt. Anscheinend müssen wir hier aufpassen : Der ‚Name des Vaters' ist missverständlich , und es kommt alles darauf an , ihn von Gott her , von seinem Handeln her, zu verstehen.

 V

‚Ich habe Vater nach oben geschafft'. Natürlich : Wenn wir von Gott als Vater sprechen , dann spielen unsere menschlichen Vater- und Autoritätserfahrungen immer hinein - im Guten und im Bösen. Helmer , der Sohn , ist inzwischen über 5O Jahre alt. Er hat es im elterlichen Hause nicht geschafft, ein Partner des Vaters zu werden, und dieser hat es nicht geschafft , aus freien Stücken seine bäuerliche Patriarchen-Macht wenigstens einzuschränken. Noch als Kranker sitzt er ‚unten' im Wohnbereich als ständig präsente Befehls- und Nörgelinstanz , bis der Sohn die Entscheidung trifft : Der Alte muß ‚nach oben'. Mancher v wird das hart finden, andere als längst überfälligen Akt einer Befreiung. ‚Oben' wird der Kranke versorgt, aber ‚unten' kann Helmer das erste Mal in seinem Leben gestalten - so wie er es will. Das klingt fast wie eine Eroberung : ‚Das Elternschlafzimmer ist jetzt mein Schlafzimmer'.**

 VI

Ich denke , vielen wird es ähnlich ergangen sein - mit dem irdischen und vielleicht auch mit ihrem himmlischen Vater. Ein Akt der Distanznahme, in gewisser Weise der Enteignung und Aneignung. Aber die Frage brennt ja - bei fast genauso vielen : Kann es danach eine Art Rückkehr zum Vater , eine Wiederannährung zum Vater-Namen Gottes geben ? Eine Versöhnung mit der Macht, die uns ins Leben rief? Und hilft uns Paulus dabei ? ‚Wir rufen, wir schreien: Abba, lieber Vater'. In diesem Schrei , in diesem Wirbel oder eben : in diesem sehnsüchtigen Ausbruch liegen Jubel und Hilferuf, Appell, ineinander. Ein Appell, ein Vorgriff auf eine Sinnschicht des Vater- Namens , in dem dieser endlich jene Liebe und Barmherzigkeit zeigt , die dem Wesen Gottes und seinem Handeln entsprechen. Und Jubel , weil wir wissen dürfen : Wer Gott ist , das offenbart er als der Vater Jesu , und wer das Kind dieses Vaters ist , das zeigt dieser Sohn. Im Gebetsschrei nimmt uns der Geist in diese Vater-Sohn-Geschichte hinein, wirbelt sozusagen unsere Namen, Begriffe und Bilder auf und verwandelt sie. Der Vater darf Vater sein und das Kind darf Kind sein , und beide verkehren miteinander in einem Verhältnis gegenseitiger Anerkennung und Achtung : ‚ Das Kind ist Erbe , Miterbe Jesu Christi'.

 VII

Bricht sich diese göttliche Vater-Sohn-Geschichte auch in unseren menschlichen - allzumenschlichen Geschichten ? Meine Ferienlektüre half mir auch an dieser Stelle. Viele kennen solch ein Versöhnungsgespräch wie es Helmer schließlich kurz vor dem Ende ‚oben' im Krankenzimmer führt : ‚Ich war zweite Wahl,' klagt er dem Vater. 'Das war das schlimmste. Immer das Gefühl zu haben, dass man es nicht recht machen kann'. ‚Ich hab auch nur getan, was ich konnte' , erwidert der Alte. ‚Ich nicht?' fragt der Sohn. ‚ Aber ja . Du auch'. *** ‚Aber ja. Du auch'. In diesen stillen , fast zärtlichen Sätzen höre ich den Schrei des Paulus , den Gebetsruf der Christenheit auf neue , andere und zugleich so vertraute Weise nachklingen. Es möge doch dies geben : gegenseitige Anerkennung , Zustimmung , ein gegenseitiges ‚Ehren' von Eltern und Kindern . Eltern , betone ich jetzt , denn viele Frauen , Mütter oder Töchter werden sich längst gefragt haben, ob sie denn auch mit dieser Geschichte etwas zu tun haben .

 VIII

‚Abba , lieber Vater.' ‚Unser Vater im Himmel'. Manchen ist diese Anrede selbstverständlich. Andere haben sie vergessen oder gestrichen. Wenn wir so sprechen und hoffen dürfen , so ist es Gnade , Vorgriff der ‚ängstlichen Kreatur' auf jene herrliche Freiheit , die Gott seinen Kindern zugesagt hat. ‚Vater' - ist das nicht ein Wort für jenen Verlorenen , der immer noch sein Kind sucht ?****

 

*Gerbrand Bakker , Oben ist es still Roman. 2OO9

** S. 9

*** S. 277

**** Liedvorschlag : eg 6O9 (bes. Strophe 2)



Pfarrer Jochen Riepe
Dortmund
E-Mail: Jochen.Riepe@gmx.net

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