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ISSN 2195-3171





Göttinger Predigten im Internet hg. von U. Nembach

14. Sonntag nach Trinitatis, 05.09.2010

Predigt zu Römer 8:14-17, verfasst von Elisabet Mester

 „Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: „Abba, lieber Vater!" Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch zur Herrlichkeit erhoben werden"

Liebe Gemeinde,

manchmal, wenn man sich bei einem Menschen nicht ganz sicher ist; wenn man nicht genau weiß, wie er's wohl meint und was man von ihm halten soll, stellt man ihn irgendwie auf die Probe. Man sagt dann: „Wir wollen doch mal sehen, wes Geistes Kind er ist." Redet der nur so, oder meint er es auch? Meint er es ernst und steht auch dazu, oder verstellt er sich?

Auch für uns gilt: Was wir tun, wenn's drauf ankommt, das liegt daran, wes Geistes Kind wir wirklich sind. Denn der Geist, den wir in uns tragen, gibt unseren Gedanken und Entscheidungen im Zweifelsfall diese oder jene Richtung.

Diese Tendenz, die unser Geist hat, wird in dem Stück aus dem Römerbrief, das wir heute hören, so genannt: „Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet".

Wieso „knechtischer Geist?" - wer knechtet uns denn, und wovor sollten wir uns fürchten?

Es ist die Furcht selbst, die uns knechtet. Wir fürchten uns vor vielen Dingen, jede und jeder vielleicht vor anderen, aber alle fürchten wir uns vor manchen Sachen und schleppen wir Sorgen mit uns herum, die uns niederdrücken.

Hier bei uns im Krankenhaus kommen täglich Patienten an, die sich vor ihrer Operation fürchten. Manche haben vor lauter Furcht den Eingriff so lange vor sich her geschoben, dass sie deswegen seit Jahren starke Schmerzen ausgehalten haben. Andere wiederum fürchten sich gar nicht so sehr vor dem chirurgischen Eingriff, der ihnen bevorsteht. Ihnen graust es vor der Narkose, die damit verbunden sein wird. Wo werden sie eigentlich sein, in diesen Stunden und Minuten, von denen sie nachher nichts mehr wissen werden? Was wird aus ihrer Seele, während der Körper einfach da liegt, und sie bewusstlos sind? Und werden sie überhaupt erwachen aus diesem tiefen Schlaf?

Man braucht nicht krank zu sein, um sich schlimme Sorgen zu machen.

Als Kind bekommt man womöglich das Gruseln, wenn man an die nächste Klassenarbeit denkt. Als Jugendliche fragt man sich verzweifelt, ob einen die Altersgenossen auch wirklich so akzeptieren, wie man ist. Als junger Erwachsener ist man sich sehr unsicher, wenn es darum geht, ob man den Anforderungen des Berufs gewachsen sein wird, und als älterer Erwachsenen plagt man sich mit dem Gedanken, ob man mit den jüngeren jetzt noch mithalten und die geforderte Leistung bringen kann. Eltern fürchten, dass ihre Kinder nicht genug gefördert werden oder irgendwie auf die schiefe Bahn geraten können. Eheleute fragen sich, ob ihr Partner ihnen treu ist und es bleibt oder nicht doch früher oder später weggehen wird, mit einem anderen.

Gründe, sich zu grämen, gibt es immer. Gute Gründe sogar. Was alles schief gehen und Böses  passieren kann in dieser Welt, das sehen wir allenthalben. Viele Menschen sind darum stark damit beschäftigt, stets die rechte Vorsorge zu treffen, um das Schlimmste zu verhüten.

Wenn man sich allerdings darauf konzentriert, das Unheil auszubremsen und das Gefürchtete zu vermeiden, übernimmt der Geist der Knechtschaft das Kommando. Er jagt einen durchs Leben, als ginge es immerzu nur von einer Baustelle zur anderen. Es kommt einem dabei so vor, als wäre man ständig von Unfällen und vom Unglück bedroht, als müsste man unentwegt auf der Hut sein.

Wer derart wachsam und vorsichtig Klippen umschifft und Schaden vermeidet, kommt dabei gar nicht mehr richtig zum Leben. „Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet", ruft Paulus seinen Freunden in Rom zu. Die Frage ist dann natürlich, wie man das anstellen soll: Sich nicht abermals zu fürchten.

Viele suchen Halt in der Kirche. Wenn ich meine Steuern zahle, wenn ich regelmäßig bete, wenn ich sonntags zum Gottesdienst gehe, wenn ich meine Kinder taufen lasse, dann wird uns schon nichts passieren - so kann man denken. Langt das, was wir machen, denn wohl auch? So kann man hoffen, und ist dabei doch nie ganz sicher, ob dies alles reicht, ob es genügt, um zu verhindern, dass einem etwas Übles zustößt.

Ein Kollege von mir hat ein Kind, das mit dem Down-Syndrom geboren ist. Dieser Junge ist in seiner ganzen Familie gut angenommen und wird von allen sehr geliebt. Das ist auch kein Wunder, weil er ein überaus herzlicher und lieber, oft auch ungemein lustiger und spontaner junger Mann ist. Trotzdem ist es nicht ganz ohne, ein behindertes Kind in der Familie zu haben. „Wir haben nicht genug gebetet, als unsere Tochter schwanger war. Darum ist das passiert", hat der Großvater des Jungen einmal gesagt. Der Vater des Kindes mochte das nicht hören. Er hielt dagegen: Gott hat uns nicht versprochen, alles Schwere von uns fernzuhalten. Er hat uns aber zugesagt, bei uns zu sein in allem, was passiert. Und er ist bei uns. Das merken wir jeden Tag stärker, seit unser Sohn geboren ist.

Wozu ist der Glaube da, liebe Gemeinde?

Funktioniert unsere Frömmigkeit nach dem Muster: Wenn ich Gott dies gebe, erspart er mir jenes?

Natürlich gibt es uns Trost, wenn wir abends vor dem Schlafengehen beten und Gott um seinen Schutz bitten für uns und die, wie wir lieben. Gewiss gibt es uns ein gutes Gefühl, wenn wir im Advent eine Spende für „Brot für die Welt" machen. Und selbstverständlich erfahren wir  Frieden darin, sonntags regelmäßig zum Gottesdienst zu gehen.

Dennoch wissen wir: Unser Glaube ist kein Automat. Es geht nicht darum, oben Wohlverhalten hineinzustecken und unten Unfallfreiheit herauszunehmen. Es geht darum, sein Leben mit Gott zu leben in allem, was geschieht, und dabei die Erfahrung zu machen: Wir sind nicht allein. Gott lässt uns nicht im Stich. Er ist bei uns. Er hilft uns. Er liebt uns. Wir können ihm vertrauen.

Wer dagegen ständig ängstlich das Arge zu vermeiden sucht, wird auf diesem Weg nicht das Gute finden, das ihm doch fortwährend entgeht. Wer sich unentwegt davor fürchtet, irgendwelche Nachteile zu erleiden, wird die Vorzüge des Lebens nicht kennenlernen können. Besser ist es also, möglichst fröhlich und selbstbewusst ins Leben zu gehen und sich dabei darauf zu verlassen, dass Gott mitgeht. Erwachsen werden sozusagen. Nicht immerzu fragen: Mache ich das falsch?, oder Was kann hier schief gehen? Sondern zu handeln und dabei darauf zu vertrauen, dass das, was man tut, gesegnet sein wird.

Vom Erwachsenwerden schreibt Paulus hier aber anscheinend nicht. „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind", heißt es, und: „ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: ‚Abba, lieber Vater!'"

Ich denke, hier geht es nicht darum, für immer ein Kind zu bleiben, das sich nach dem richten soll, was andere sagen, die es besser verstehen. Hier geht es darum, Vertrauen zu fassen und anzunehmen, dass Gott es gut meint mit uns - wirklich gut. Denn Gott sagt nicht: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst...!" Er sagt: Alles, was ich habe, will ich mit dir teilen. Für dich habe ich das hier aufgebaut. Du sollst es erben. Du bist mein Kind.

Gottes Kind sein, das heißt also, sich nicht vor ihm fürchten müssen. Es bedeutet zu verstehen, dass er uns beschenken will. Es immer mehr zu verstehen, und immer mehr Geschenke zu erkennen und anzunehmen.

Wer sich darauf einlässt, wer ins Leben geht mit einer Haltung, die nicht Schlimmes befürchtet, sondern Gutes erwartet, wird auf Gaben stoßen, jeden Tag. Selbst Dinge, die von anderen als unzumutbare Härten wahrgenommen worden wären, werden einem Kind Gottes manchmal zum Geschenk. Mein Kollege, von dem ich eben erzählt habe, liebt seinen behinderten Sohn über alles. „Du glaubst, nicht, was ich alles von ihm gelernt habe", sagte er neulich zu mir. „Ich kann über vieles lachen, was mich früher genervt hätte. Ich kann spontan sein. Ich kann meine Gefühle zeigen, ich kann offen auf Menschen zu gehen und spüren, wie sie's mit uns meinen - das sind alles Dinge, die ich ihm verdanke. Du weißt ja  gar nicht, wie viele gute Freunde ich durch meinen Sohn schon  gefunden habe." Und während er das sagte, nahm er seinen Jungen in den Arm.

Leicht ist es trotzdem nicht. Das ist klar. Mein Kollege reagiert  empfindlich, wenn jemand sich negativ äußert, sei es über seinen Sohn, oder überhaupt über Menschen, die Behinderung erfahren. Er ist da so sensibel, dass ihn das nicht kalt lässt, das merkt man bald.

Wer das Leben annimmt, wer es sich von Gott geben lässt wie ein Geschenk, der wird dadurch mit seinen Mitmenschen auf besondere Weise verbunden. Schwestern und Brüder werden sie ihm. Wenn ihnen ein Unrecht geschieht, betrifft ihn das auch. Wenn sie leiden, leidet er mit. Ja, wer das Leben nicht vermeidet, sondern lebt, wird immer auch leiden. Denn das Mitempfinden macht uns auch dünnhäutig, und die Gemeinschaft mit anderen macht uns auch verwundbar. Das ist so. „Sind wir aber Kinder", schreibt Paulus, „so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch zur Herrlichkeit erhoben werden."

Wer mitempfindet, wer mit leidet, kann nicht untätig bleiben und wird immer etwas tun, was diese Welt verändert. Auf irgendeine Art und Weise wird ein Mensch, dessen Herz mitfühlt, sich einbringen und dafür sorgen, dass manches anders wird, als es war. Er wird das nicht für sich selbst tun. Auch nicht, um sich das Himmelreich zu erwerben. Er wird das einfach tun für den, der ihm gerade begegnet. Er wird dabei vielleicht noch nicht mal merken, dass es Jesus Christus selber ist, der uns in denen entgegenkommt, die uns herausfordern. Die uns dahin bringen, dass wir zeigen, wes Geistes Kind wir sind.

Wir suchen uns diese Begegnungen nicht aus. Gottes Geist ist es, der uns dahin weht, der uns dahin führt, wo er uns braucht. Mitten ins Leben hinein treibt er uns. Denn die der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

Amen



Pastorin Elisabet Mester
Krankenhausseelsorgerin im Annastift Hannover
E-Mail: mester@annastift.de

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